Wer beim Thema Windsurfen das prähistorische “Stehsegeln” vor Augen hat, wird sich beim Anblick der Olympia-Flotte vielleicht verwundert die Augen reiben: “Die sind ja rasend schnell - und sie schweben über dem Wasser!” 2024 betritt das iQFoil-Material die olympische Bühne und und kommt mit einem Foil - dieser Tragfügel hebt das Brett ein Stück aus dem Wasser und ermöglicht dank geringerem Wasserwiderstand höhere Geschwindigkeiten, auch bei wenig Wind. Das soll das olympische Windsurfen spannender und attraktiver machen.
Windsurfen läuft bei Olympia im Bereich Segeln und wird dort als “Bootsklasse” geführt. Nicht zu verwechseln mit dem ursprünglichen Surfen oder auch Wellenreiten, das 2024 erstmal olympisch ist. Die Segel-Wettbewerbe finden nicht in Paris, sondern in Marseille statt. Allen Bootsklassen und damit auch dem olympischen Windsurfen gemein ist das “One Design”-Prinzip, das bedeutet dass die Ausrüstung bei allen Starterinnen und Startern identisch ist. Im iQFoil hat neben den Herstellern Starboard und Severne, die das Material entwickelt haben, auch die Marke Patrik zugelassene Boards und Segel im Angebot.
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Das iQFoil-Material besteht aus dem Brett, dem Rigg (mit Segel, Mast, Gabelbaum und Zubehör) sowie dem Foil, das unter dem Brett angebracht ist. Alle Komponenten stellen wir unten im Artikel im Detail vor! Der Name und die Schreibweise iQFoil basiert dabei auf der Namensgebung von Starboard, wo mehrere Produktlinien ähnliche Namen tragen.
Das iQFoil-Brett
- Länge: 220 cm
- Breite: 95 Zentimeter
- Volumen: 196 Liter
- Gewicht: 11,25 kg
- Dicke: 16 cm
Kurz, breit, eckig - so wirkt das iQFoil-Brett auf den ersten Blick. Das Dickschiff ist in der aktuellen Version ein bisschen schmaler als das Ur-Board, um den Flug-Transport “einfacher” zu machen. 95 Zentimeter Breite sind zwar immer noch alles andere als handlich, aber so passt es problemlos durch die üblichen Scanner am Flughafen. Neben der hier gezeigten Version gibt es auch ein nur 85 Zentimeter breites Board für den Jugend-Bereich. Am Heck sind im Unterwasserschiff deutliche Stufen zu erkennen, diese “Cut Outs” sollen ein frühes Abheben fördern. Offiziell erlauben Brett und Reglement auch eine Finne anstelle des Foils - das hat sich jedoch schnell als nicht konkurrenzfähig herausgestellt.
Das iQFoil-Rigg Severne HGO
- Segelgröße: 9,0 qm (Herren)/8,0 qm (Damen)
- Vorliek: 554cm/522 cm
- Gabelbaum: 232 cm/220 cm
- Latten: 7
- Camber: 4
- Mast: Apex 530/490
- Gabel: Enigma 210-250
Das olympische Windsurf-Rigg wurde von Severne passend zum iQFoil-Board entwickelt. Wie bei Foil-Segeln üblich, ist die Gabel im Verhältnis zur Mastlänge (Vorliek) relativ kurz. Mit 9,0 Quadratmetern bei den Herren und acht Quadratmetern bei den Damen ist die iQFoil-Flotte üppig bestückt, damit auch bei Leichtwind Rennen möglich sind. Weht es hingegen stärker, sind vor allem kleinere und leichtere Fahrer durch die großen Segelflächen im Nachteil. Zur Saison 2025 hat die Klasse dementsprechend die Segelflächen verringert, dies hat jedoch keine Auswirkungen auf Olympia 2024.
Das iQFoil-Foil
- Frontflügel: 900 cm2
- Heckflügel: 255 cm2
- Fuselage: 115 oder 95 cm
- Mast: 95 cm
Das iQFoil basiert auf einem der ersten Race-Foils von Starboard. Frontflügel und Heckflügel (auch Stabilizer genannt) sind für alle Athletinnen und Athleten gleich, bei der Fuselage (dem Träger, an dem die beiden Flügel befestigt sind) kann zwischen zwei Längen gewählt werden: Die 115 cm lange Variante für Kursrennen und die 95 cm lange Fuselage für stärkeren Wind und raume Kurse. Zudem hat jeder Starter mehrere Plättchen zur Verfügung, mit denen der Anstellwinkel des hinteren Flügels und damit die Fahreigenschaften und der Trimm des Foils verändert werden können.
So wird die Ausrüstung bei Olympia 2024 zugeteilt
Bei den olympischen Spielen treten alle mit identischem Material an - zumindest theoretisch. In der Praxis ist es jedoch so, dass es bei den meisten Teilen der Ausrüstung nicht zu vermeidende Fertigungstoleranzen gibt, die die Top-Fahrerinnen und -Fahrer herausspüren können. Abseits von Olympia können sich also Athleten mit viel Unterstützung beziehungsweise einem entsprechenden Budget beispielsweise zehn Masten kaufen, um den besten herauszupicken und diesen dann zu nutzen. Andere Fahrer haben wiederum nur die Möglichkeit, einen oder zwei Masten auszuprobieren.
Aus diesem Grund bekommen die Olympia-Starter ihr Material gestellt, mit Ausnahme persönlicher Gegenstände wie Trapez, Helm, oder Auftriebsweste. Die Ausrüstung wurde ausgelost, das Foil, das Segel und der Mast wurden bereits nach der letzten Qualifikations-Regatta an die nationalen Komitees ausgegeben. Boards und Gabelbäume wurden im Juli vor Ort in Marseille verteilt. Im Gegensatz zu anderen iQFoil-Events trägt das Olympia-Material keine Marken-Logos oder -Schriftzüge, dafür einheitliche Länder-Sticker.
Historie: Windsurfen bei Olympia
Seit 1984 ist Windsurfen olympisch, es zählt zu den Segelklassen und wird nicht als separate Sportart aufgeführt. Damals nicht unumstritten, schauten doch die konservativen Segler mit reichlich Skepsis auf die junge Sportart Windsurfen. ”Ein Brett unter die Besegelung einer Yacht zu stellen, ist ungefähr das Gleiche, wie bei einem Auto das Fahrwerk durch Rollschuhe zu ersetzen”, ätzten elitäre Segler-Kreise angesichts der “Stehsegler”. Als erstes Olympia-Brett wurde der Ostermann Windglider ausgewählt, sehr zum Verdruss von Patent-Papst Hoyle Schweitzer und seinem Windsurfer. Stephen van den Berg aus den Niederlanden holte in Los Angeles die Goldmedaille, Damen gingen noch nicht an den Start.
Weil Windglider von Bic übernommen worden war und die Franzosen die Produktion des Olympia-Brettes in der Zwischenzeit eingestellt hatten, musste für die Spiele in Seoul 1988 ein neues Brett festgelegt werden. Die Wahl fiel auf den Division-II-Verdränger von Lechner, zunächst mit Rigg von North Sails, 1992 dann von NeilPryde. Ab 1992 wurde dann auch nicht mehr täglich das Board unter den Startern durchgetauscht.
Auch den Lechner folgte für Olympia 1996 der Mistral One Design, ein zeitgemäßes Raceboard inklusive Rigg. Die Klasse bestand schon seit vielen Jahren, dementsprechend viele Athleten und Athletinnen sind mit dem Board aktiv - auch heute noch. In Deutschland schaffte es das olympische Windsurfen vor allem durch die Silbermedaille von Amelie Lux bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney ins Rampenlicht.
2008 wurde der Mistral One Design durch den RS:X abgelöst, ein von NeilPryde entwickeltes Komplettset aus Board und Rigg. Das Brett war mit 2,86 m fast einen Meter kürzer als das One Design, das Rigg basierte auf dem NeilPryde V8. Ziel war unter anderem, sowohl bei wenig als auch bei viel Wind Regatten fahren zu können. Mit Platz vier in London 2012 und Platz sechs 2016 in Rio war Toni Wilhelm einer der erfolgreichsten deutschen Starter auf dem RS:X.
Bereits vor den Olympischen Spielen 2020 beziehungsweise 2021 war klar, dass das RS:X-Material auf den Prüfstand gestellt werden sollte. Mehrere Hersteller bewarben sich mit verschiedenen Konzepten, die Wahl fiel für 2024 und 2028 auf das iQFoil von Starboard, dass den damals noch recht frischen Foil-Trend aufnahm. Im Gegensatz zu eher zähen Leichtwind-Rennen auf der Finne ermöglicht das Foil schon bei wenig Wind spannende Wettkämpfe und relativ hohe Geschwindigkeiten.
Zum Zeitpunkt der Entwicklung war das iQFoil eng am Material im PWA World Cup dran, dem höchsten und angesehensten Wettbewerb im Windsurfen. Viele PWA-Profis versuchten zu Beginn der iQFoil-Ära, in der neuen olympischen Klasse Fuß zu fassen, darunter etwa Deutschlands Olympia-Starter Sebastian Kördel. Auch aus dem traditionellen Segelsport kamen Athleten zum iQFoil, darunter Theresa Steinlein.