Völlig zeitlos ist und bleibt das Editorial von Chefredakteur Gerd Kloos, der sich im Oktober-Heft 1992 Gedanken darüber macht, warum so viele Surfer in einer großen Traube 500 Meter hin und zurück fahren, anstatt etwas abseits freies Wasser zu genießen. “Vielleicht müssen die ihre Halse verstecken”, fragt er sich und wettert: “Diese Leute entziehen sich jeder Leistungskontrolle beim Speedmatch!” Wer nicht auf der “übervölkerten Holperpiste” surft, sei ein “wettbewerbsscheuer Individualist”. Mehr noch: “Die geistige Reife für die Kabbelwelle, die Nervenstärke für den Beinahezusammenstoß fehlt ihnen völlig.” Oder liege es doch eher daran, dass die Pulk-Fahrer allesamt am Höhelaufen scheitern?
Die ISPO-Highlights
Die Neuheiten der nächsten Saison werden im Herbst auf der ISPO in München präsentiert, das war auch 1992 noch das ungeschriebene Gesetz. Im Segel-Bereich setzen immer mehr Hersteller auf viel Monofilm und wenig Gewicht. Getüftelt wird vor allem an der Ausstattung, ART hat einen neuen außenliegenden Camber dabei, Pryde ein neues Gabelbaum-Frontstück ohne Tampen. NPU zeigt einen stufenlosen Lattenspanner, der heutigen Systemen schon sehr nahe kommt. Bei den Boards sorgte Tiga mit einem Rekord-Umsatz für staunende Blick in der Branche (von 200 Boards im Jahr auf 3500). Die PE-Brettchen sind neuerdings ohne FCKW hergestellt und damit “voll recyclebar”: “Damit setzt Tiga Umweltakzente.” F2 hat neue Axxis- und Sputnik-Varianten, die erste Symptome von No Nose zeigen. Mistral setzt auf “radikales Frühgleiten” und bringt große Boards, aber auch den Edel-Renner Explosion XR für damals happige 3290 Mark: “Da stecken allein 200 Mark Carbonanteil drin!” verteidigt Rainer Ramelsberger den Preis.
Robby Naish ganz persönlich
1992 ist Robbys Karriere in einem Umbruch: Er hat alles gewonnen und ist eine lebende Legende, doch es ist klar, dass an der Dominanz eines gewissen Herrn Dunkerbeck nicht zu rütteln ist. Zudem ist Robby frisch verheiratet und richtet sich privat neu ein. Grund genug für ein ausführliches Interview: “Ich glaube, ich schalte bald einen Gang zurück”, deutet Naish an, künftig wolle er sich aufs Waveriding konzentrieren und nur noch Racing-Events fahren, auf die er Liust habe. Der Overall-Titel ist ihm nicht mehr wichtig, stattdessen will er mehr Zeit mit der Familie verbringen.
Manchmal ist es nicht leicht, ein Robby Naish zu sein.”
Mit Frau Kathie verwaltet er seine Karriere gemeinsam: “Manchmal ist es nicht leicht, ein Robby Naish zu sein. [...] Ich glaube, niemand macht sich eine Vorstellung davon, wie viele Briefe ich beantworten muß, oder wie aufwändig Sponsorverhandlungen sein können.” Robby wird damals immer mehr zum Geschäftsmann, auch wenn er sagt “Nur, wenn ich es nicht vermeiden kann.” Doch als Direktor bei Gaastra, Marketing-Manager bei Mistral und Anteilseigner bei Quiksilver ist der Terminkalender prall gefüllt. Zum Thema Umweltschutz, das damals immer wichtiger wird, sagt Robby: “Der Slogan ‘Rettet den Planeten’ ist für mich ohne Hintergrund, fast ein wenig dumm. Unser Planet muss nicht gerettet werden, die Erde existiert seit Millionen von Jahren und wird auch weiterhin bestehen. Aber wir müssen die Menschheit retten.” Er selber macht sich vor allem für Müll-Entsorgung und Recycling stark.
Windsurfen in der Werbung
Eine halbe Million Mark hat die Zahnpasta-Marke Signal investiert und auf Hawaii einen Werbespot mit Windsurfern gedreht. Gebrandete Boards, Segel im Streifen-Look der Zahncreme und radikale Szenen flimmern also als “der zur Zeit beste Werbefilm mit Windsurfszenen” in die Wohnzimmer. Auch andere bekannte Marken werben 1992 mit Windsurfen für Brotaufstriche, Kaugummis und viele andere Produkte. “Die Leute sind tennis-, fußball- und golfmüde”, sagt Boss-Boss Christoph Rosenauer, andere setzen auf die “natürliche Faszination” des Windsurfens und “Gefühle von Fernweh und Abenteuer”. Tennis hingegen ist für einen Manager eine “Antisportart”, Fußball repräsentiere “nur den Ascheplatz, nicht die große, weite Welt.”
Die Werbewirkung des Windsurfens ist überwältigend
Als prominentestes Werbegesicht kaut Björn Dunkerbeck genüsslich sein schokoladiges Frühstücksbrot und kassiert dafür eine “vernünftige fünfstellige Summe”, andere Marken wie Suzuki, Corny oder C&A setzen eher auf das Image des Windsurfens im Allgemeinen. Der Erfolg ist überwältigend, wie die Verantwortlichen bei Orbit Kaugummi und Suzuki stolz berichten. Zahnpasta-Hersteller Signal bekommt sogar reihenweise Anfragen von Windsurfern, die die Segel aus dem Werbespot kaufen möchten. Da ist Nivea schon einen Schritt weiter: Die Creme-Marke verkauft jahrelang günstige Al-Winner-Segel mit dem eigenen Logo und hat “an jedem Wochenende viele hunderttausend Sichtkontakte - zum Nulltarif.”
Und sonst so?
- Petition für “Tommys tolle Typen”: 58 surf-Leser unterschrieben den Appell an die surf-Redaktion, statt der bunten Satire-Seite “Tommy Tohuwabohu” wieder zu den kleinen Geschichten von Tommy Brandner zurückzukehren
- Anfang der Neunziger geht der Trend zu schlichten, weißen Boards. Bic will dem folgen und trennt sich von Designer Mike Eskimo, der es bekanntlich bunt mag. Doch die ersten neuen Entwürfe führen zu Protesten von Mistral, denen der leichte Farbverlauf zu nah am eigenen Erscheinungsbild ist.
- Einige surf-Leser durften ihr altes Material gegen neue Boards und Segel testen. Fazit: Leichter und schneller, die Segel einfacher zu fahren und mit besseren Komponenten. Nur einer der Gast-Tester war ernsthaft erschüttert: “Er kam völlig schockiert nach einem Schlag wieder ans Ufer, legte das Material ab und verschwand mit den Worten ‘Das ist mir alles viel zu schnell!’”
- Eine neue Generation von rückenfreundlichen Trapezen ist am Start. Nicht mehr “orthopädisches Streckbrett” wie die ersten North Ergo Trac, mit vielen Stützen und einer Art Suspensorium aber dennoch auffällig
- Perlen der Werbung: “Ein Pilot Verbringt Im Monat Durchschnittlich 40 Stunden In Der Luft”, heißt es großbuchstabig in einer Anzeige... “Aber Er Wird Nie Dieses Vergnügen Haben” prophezeit Gaastra allen, die die neuen Segel der Marke kaufen
- Mit Thailand, Malaysia und Singapur stellt surf einige maximal exotische Reviere vor, außerdem geht es ins australische Margaret River. Deutlich bodenständiger sind die Münchener City-Spots Ammersee, Wörthsee und Pilsensee
Das gesamte Heft gibt es oben in der Galerie zum Durchklicken!
Weitere surf-Rückblicke:
- surf 4/1977
- surf 6/1978
- surf 4/1979
- surf 9/1980
- surf 11/1980
- surf 4/1981
- surf 5/1982
- surf 4/1983
- surf 10/1983
- surf 9/1984
- surf 8/1985
- surf 8/1986
- surf 9/1986
- surf 5/1987
- surf 8/1988
- surf 5/1989
- surf 7/1989
- surf 4/1990
- surf 6/1991
- surf 3/1992
- surf 9/1993
- surf 10/1993
- surf 4/1994
- surf 7/1995
- surf 6/1996
- surf 11-12/1996
- surf 7/1997
- surf 8/1998
- surf 4/1999