Muss man als Tourensurfer ein verrückter Hund sein? Im Falle von Jono Dunnett kann die Antwort definitiv „Ja“ lauten. Wer zwei Jahre lang auf Reise ist, um bei einer Europa-Umrundung 15.000 Kilometer auf dem Windsurfboard abzuspulen und dann, eine Woche nach der Ankunft am Ziel im Schwarzen Meer, aufbricht, um mit dem Fahrrad zurück zum Startpunkt an der norwegisch-russischen Grenze zu fahren, hat zweifellos nicht mehr alle Latten am Zaun. Trotzdem könnte die Antwort selbst im Falle eines Jono Dunnett auch „Nein“ lauten, denn selbst einer wie er hat mal klein angefangen: Mit kurzen Trips an den Nachbarstrand, ans andere Seeufer oder einer vorgelagerten Insel bei Windstärke zwei.
Im surf-Interview, dass wir kurz nach dem Abschluss seiner “Windsurf Round Europe”-Tour 2019 geführt haben, verrät er euch, warum Tourensurfen eine völlig neue Surfwelt eröffnet, welches Material ihr dafür verwenden könnt und was es unter Sicherheitsaspekten zu beachten gilt.
Derzeit ist Jono Dunnett auf seiner nächsten Expedition: Er surft rund um Japan. Wie er den Start und die erste Etappe erlebt hat, beschreibt er hier
Jono, du warst zwei Jahre unterwegs und bist vom Norden Norwegens rund um Europa bis ins Schwarze Meer gesurft. Kann man als „normaler“ Windsurfer den Reiz des Tourensurfens überhaupt verstehen?
Ich glaube, dass der Reiz des Tourensurfens für jeden nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, wie lange und wo man auf Tour ist, oder wie „extrem“ man das Ganze betreibt. Der Reiz ist offensichtlich für jeden.
Worin besteht für dich dieser „Reiz“?
(Überlegt lange) Schwer zu beschreiben. Nicht zu wissen, was passiert.
Das dürfte viele Leute eher einschüchtern...
Was ich damit sagen will, ist, dass Tourensurfen einfach unendlich viele Facetten hat. Manchmal ist es schlicht das Naturerlebnis, welches einen in seinen Bann ziehen kann: Besondere Szenerien, Lichtstimmungen, die Ruhe vor der Küste. Ein anderes Mal ist es die Begegnung mit einer Robbe, einem Delfin oder einer Meeresschildkröte, die plötzlich neben dir auftaucht. Und dann wieder sitzt man irgendwo am Strand und trifft die nettesten Menschen. Oder die Bedingungen auf dem Wasser ändern sich und man wird plötzlich gefordert. Alles kann passieren, das ist der Reiz – am Ende gibt es bei jeder Tour diesen Moment, der einen in den Bann zieht.
Am Anfang lernt man sehr schnell!”
Erinnerst du dich noch an deine Anfänge?
Klar. Ich wollte immer schon mal einen Trip rund um Großbritannien machen, aber bis das in Reichweite war, hab ich mit kleinen Sachen angefangen. Einfach im Sommer ein paar Meilen die Küste rauf und runter oder raus zum vorgelagerten Windpark. Irgendwann kamen dann mehrtägige Trips dazu, für die ich ein kleines Zelt und Schlafsack mitgenommen habe. Die erste größere Sache war eine Umrundung von Menorca mit einigen Freunden. Am Anfang lernt man so schnell. Beim Funboardsurfen dauert alles ewig.
Du spielst auf die große Abhängigkeit von Gleitwind an?
Genau. Viele Windsurfer haben ein paar Wochen im Jahr Urlaub und verbringen den Großteil dieser kostbaren Zeit damit, am Strand zu sitzen, auf Gleitwind zu warten und übers Surfen zu reden. Dabei könnten sie jeden Tag was Tolles erleben, wenn sie ihren Fokus verschieben würden. Mit Tourenmaterial gibt es keinen Leerhub, es sei denn, es ist zu windig. Aber dann ist ja sowieso alles gut (lacht).
Das richtige Material zum Tourensurfen
Welches Material braucht man, um kleine Touren zu realisieren?
Natürlich kann man bei konstantem Gleitwind, passender Windrichtung und zugänglicher Küste auch ein normales Funboard, z.B. ein Freeride-oder Slalombrett verwenden, aber dann läuft man natürlich schneller Gefahr in die Bredouille zu kommen, wenn der Wind mal nachlässt und vor allem, wenn man kreuzen muss. Ideal ist es daher, ein Brett mit Schwert zu verwenden. Klassische Longboards, lang und gestreckt, gehen schon ganz gut, ideal ist aber ein Raceboard. Es ist völlig egal, wie alt das Teil ist, denn die Formen sind seit ewigen Zeiten unverändert: Mit großem Schwert, gestreckter Outline und geringem Gewicht ziehen sie auch bei zwei Windstärken schon schnell durchs Wasser.
Klassische Longboards, lang und gestreckt, gehen schon ganz gut, ideal zum Tourensurfen ist aber ein Raceboard.”
Was gibt’s zum Segel zu sagen?
Empfehlenswert sind vor allem klassische 2-Cam-Segel, diese sind nicht zu schwer, schon sehr druckpunktstabil und werden nicht gleich zappelig, wenn der Wind mal etwas zunimmt. Sehr hilfreich ist es aber, wenn man gewisse Vorkehrungen trifft, um sein Material während der Tour zu tunen.
Kannst du ein paar Beispiele nennen?
Trimmsysteme erweitern den Einsatzbereich enorm. Eines fürs Schothorn ist keine große Sache und leicht zu bedienen. Ich habe auf meiner Europaumrundung auch ein Trimmsystem fürs Vorliek benutzt. Dieses erfordert aber einige Veränderungen am Segel. Für Hobbysurfer, die erst mal mit kleinen Touren starten wollen, ginge das vermutlich etwas zu weit. Für jedermann sinnvoll sind hingegen Vario-Trapeztampen. Auf diese Weise kann man auch auf langen Schlägen mal die Geometrie etwas wechseln und bestimmte Körperregionen entlasten. Bezüglich der Kleidung tut’s auf jeden Fall ein normaler Neo. Im Zweifel lieber etwas wärmer anziehen. Wer mal Segler beobachtet hat, weiß, was gemeint ist: An Land sehen die total „overdressed“ aus, auf dem Wasser wird’s mit der Zeit aber oft frisch. Dann noch für Sonnenschutz sorgen und es kann losgehen.
Tipps fürs Gepäck beim Tourensurfen
Auch bei Touren von wenigen Stunden kommt man nicht um etwas Gepäck herum. Wie transportierst du deine Sachen? Auf dem Brett oder per Rucksack?
Ich empfehle immer, mit möglichst wenig Gepäck zu reisen. Da ich aber extrem lange unterwegs war, wog meine Ausrüstung komplett knapp 40 Kilo. Für kleine Touren würde ich mich auf einen wasserdichten Rucksack beschränken und nur etwas Proviant mitführen. Wenn man länger unterwegs ist, macht es Sinn, sein Gepäck auf dem Board mitzuführen. Dafür sind wasserdichte Taschen, z.B. von Aquapac, sinnvoll. Meine Erfahrung hat aber gezeigt: Auch bei der besten Tasche bedeutet „wasserdicht“ nicht immer auch wirklich „wasserdicht“. Im Zweifel hilft es, zwei wasserdichte Taschen ineinander zu stecken.
Wie befestigst du alles auf dem Brett?
Wer auf Binnengewässern unterwegs ist, also dort, wo das Wasser meist glatt ist, kann durchaus auch Gepäck auf dem Bug transportieren. Man hat dann die Schultern frei und kann hinten auf dem Heck herumtrampeln. Der Nachteil ist nur, dass man hierfür Haltepunkte für ein Netz oder Clips einlaminieren müsste. Sobald es wellig wird, ist ein beladener Bug eine Vollkatastrophe, die Nase bremst in jedem Wellental und man baut Schleuderstürze, zudem verrutscht das Gepäck durch die Wellen schnell. Deshalb würde ich stets raten, Gepäck auf dem Heck mitzuführen. Hier kann man bei Leichtwind die Schlaufen auch zur Befestigung nutzen und das Fahrgefühl ändert sich im Vergleich zu unbeladenen Boards nicht großartig. Wer Touren mit Übernachtung plant, sollte im Outdoor-Laden in einen leichten Schlafsack, etwas Zubehör und eventuell einige Fertiggerichte investieren. Sehr nützlich ist auch ein kleiner Trinkrucksack, den merkt man am Körper kaum.
Tourensurfen ist nicht gefährlich, wenn man es entspannt angeht.”
Wie gefährlich ist Tourensurfen deiner Ansicht nach?
Es ist wie immer: Wer unvorbereitet und waghalsig an die Sache rangeht, kann Probleme bekommen. Ich würde sagen, wenn man die Sache entspannt angeht und sich erst mal auf Leichtwind und bekannte Reviere beschränkt, ist es ungefährlich. Man sollte sich bezüglich der Strecken und Windverhältnisse einfach langsam steigern, denn man muss erst Erfahrung sammeln. Man braucht etwas Zeit, um sein Material kennenzulernen und um zu verstehen, wie es in beladenem Zustand reagiert. Das Gute ist, dass man sehr schnell dazulernt, denn Tage, an denen man nicht Tourensurfen kann, sind selten.
Grundregeln und Fehler beim Tourensurfen
Was sind für dich die wichtigsten Grundregeln beim Tourensurfen?
Natürlich kein unnötiges Risiko einzugehen. Es sollte halbwegs stabiles Wetter haben. Moderater auflandiger Wind ist zu Beginn ideal, weil man dann entlang der Küste gut vorankommt. Schwierig sind immer steile Küstenabschnitte. Der Wind ist hier wankelmütig aufgrund von Abdeckungen oder Luvstau, außerdem reflektieren die Wellen und sorgen für nervige Kreuzsee. Küstenabschnitte mit flachen Stränden sind daher ideal. Ablandiger Wind ist – entsprechendes Fahrkönnen und sicheres Kreuzen vorausgesetzt – nicht zwangsläufig ein Problem, denn dann ist der Wind zwar oft böig, das Wasser aber dafür schön glatt. Im Zweifel würde ich den Startpunkt immer so wählen, dass er in Lee des Ziels liegt, das heißt, man kreuzt erst auf und kann auf dem Rückweg raumwind fahren.
Welche Fehler sollte man beim Tourensurfen auf keinen Fall machen?
Es gibt eine Sache, die nicht passieren darf: Das Brett zu verlieren! Ein Mastfuß kann kaputtgehen und ein langes Raceboard treibt schnell weg. Daher verbinde ich Brett und Segel bei mehr Wind immer mit einer zusätzlichen Spiral-Leash. Ohne Brett auf hoher See herumzuschwimmen ist keine schöne Sache.
Trotzdem sollte man einen Plan B für den Notfall haben, oder?
Wer nur entlang der Küste unterwegs ist, surft in ganz Europa innerhalb der Mobilfunkabdeckung. Ein wasserdicht verpacktes Smartphone mit einigen Notrufnummern – etwa die der Seenotretter – reicht in den allermeisten Fällen aus. Mitunter lassen sich die Touchscreens der Smartphones durch die Hülle nicht gut bedienen, ein alter Handy-Knochen mit Tasten ist deshalb sogar im Vorteil.
Dieses Interview erschien erstmals in surf 8/2019