InterviewPlastic Soup Surfer – Aktivismus auf dem Surfbrett, 1800 Kilometer übers Meer

Julian Wiemar

 · 26.07.2023

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Foto: Marjolein Vinkenoog
Der Aktivist Merijn Tinga aus den Niederlanden ist in den letzten 32 Tagen, auf einem Board aus Kunststoffabfällen, von Oslo nach London gesurft, um dort symbolisch Plastikflaschen zurückzugeben, die über die Nordsee von Großbritannien nach Norwegen getrieben sind. Wir haben uns mit dem Plastic Soup Surfer über seine Expedition unterhalten.

Er habe das Gefühl gehabt, auf einer Suppe aus Plastik zu surfen - daher der Name Plastic Soup Surfer. Neben seinem Bestreben generell auf die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll aufmerksam zu machen, ist der Hintergrund dieser Kampagne zudem, dass Großbritannien noch kein Pfandsystem hat. Für 2025 ist eine Einführung geplant, bislang gibt es aber noch nicht mal einen Textentwurf für das Gesetz. Bei seiner Ankunft in London hat er das Board und einen Brief mit einer Unterschriftenliste an Rebecca Pow übergeben, Staatssekretärin für Umweltqualität und Widerstandsfähigkeit. Der Nachrichtensender BBC News war ebenfalls bei seiner Ankunft vor Ort. Der windsurfende Aktivist bezeichnet die Kampagne als einen vollen Erfolg.

„Es ist einfacher durch Europa zu windsurfen, als mit dem Elektroauto durchzufahren“, scherzt Merijn als ich ihn auf seiner Rückreise von London in die Niederlande am Hörer habe. “Ok, ich habe eine passende Ladestation gefunden, wir stehen still, jetzt habe ich zwanzig Minuten Zeit.”
Na dann, nichts wie los. Augenblicklich sind wir besonders an den windsurftechnischen Herausforderungen, die seine Expedition mit sich brachte interessiert.

Merijn, du bist in den letzten 32 Tagen 1800 Kilometer gesurft. Wie ausgelaugt bist du?

Es hält sich noch in Grenzen, muss ich sagen. Man wird mit der Zeit unterwegs immer stärker. Während der ersten Woche war ich am erschöpftesten. Nach dreistündigen Etappen machten mir zu Beginn besonders die Hände zu schaffen. Das wurde mit der Zeit immer besser.

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Wie hast du dich physisch auf die Expedition vorbereitet?

Ich habe so viel wie möglich trainiert. Auf dem Wasser und an Land. Doch ich hatte in den Wochen zuvor allerhand mit weiteren Projekten zu tun, und konnte im Endeffekt nicht so viel trainieren, wie ich eigentlich vorhatte. Doch es hat anscheinend gereicht – ich habe mich durchgekämpft, bin heil angekommen, und die Mission ist erfüllt.

Der Plastic Soup Surfer hat es nach London geschafft.Foto: Marjolein VinkenoogDer Plastic Soup Surfer hat es nach London geschafft.

Du hast bereits lange Touren mit dem SUP oder Kite absolviert. Wieso hast du dieses Mal Windsurfen gewählt?

Ich windsurfe schon seit 32 Jahren, mit acht Jahren habe ich angefangen. Wir lebten damals auf Curacao. Später habe ich dann in der Nähe von den Haag Biologie studiert. In Leiden, direkt an der Küste, sodass ich weiter so oft wie möglich aufs Wasser konnte. Windsurfen ist die Mutter aller Windsportarten auf dem Wasser und so viel cooler als all die neuen Varianten. Es ist die Grundlage, und für mich immer noch die Nummer eins. Die Power auf dem Wasser fühlt sich so viel direkter an, als beispielsweise beim Kitefoilen. Ich liebe es. Deswegen bin ich gewindsurft.

Wie groß war dein Segel? Und wie kamst du damit in den vorherrschenden Bedingungen klar?

Ich hatte ein 8,6er Severne Turbo drauf – ziemlich groß also. Ich hatte insgesamt Glück mit den Bedingungen. Besonders zu Beginn des Trips hatte ich einige tolle Tage, wo alles gepasst hat. Von Oslo die schwedische Küste hinunterzusurfen war ein absoluter Windsurftraum. Einmal bin ich zum Beispiel 130 Kilometer, auf einem Kurs, mit 25-30 km/h durch große Wellentäler die Küste entlang gecruised. Das war einmalig! Desto weiter Richtung Süden ich kam, umso schwieriger wurde es dann. Durch starke Winde aus der Hauptwindrichtung Südwest und viel Strömung, wurde es zum Ende der Expedition auf der Nordsee deutlich anspruchsvoller. Es wäre im Prinzip einfacher gewesen mit dem Südwestwind, andersherum, von London nach Oslo zu surfen (lacht). Doch das war nicht Ziel der Mission. Als ich letztes Wochenende den Ärmelkanal überqueren wollte, um nach London zu gelangen und meinen Termin dort einzuhalten, ließen die Bedingungen dies leider nicht zu.
Es kommt selten vor, dass der Südwestwind auf der Nordsee in den Sommermonaten bis zu vierzig Knoten erreicht. Das Ziel lag vor den Augen, doch ich musste die Fähre nehmen.

Du bist auf einem Windsurfboard aus recyceltem Kunststoffmüll gesurft...

Ja, ich hatte das große Glück mit Shaper Ron van den Berg zusammenzuarbeiten. Wir haben den Shape des berühmten Van den Berg Raceboards als Grundlage genutzt und für die Expedition angepasst. Der Kern besteht aus recycelten Styroporplatten, das Sandwich aus natürlichen Flachsfasern. Laminiert wurde mit dem umweltfreundlichsten Epoxidharz, das wir finden konnten. Vorne auf dem Deck sind weggeworfene Plastikflaschen, die wir in der Londoner Themse gesammelt haben eingearbeitet und durch Pilzfasern befestigt. In zwei Minuten hatten wir damals an der Themse sechzig Plastikflaschen aufgesammelt.
Aber zurück zum Board: Es wiegt 24kg, ist 3,70 Meter lang und 37 Zentimeter breit. Durch den V-Shape im Unterwasserschiff ist es sehr kippstabil. Ein großartiges Board, es ist wunderschön. Ron van den Berg ist ein Mastershaper, das sieht man in jedem Detail des Boards.
Starboard hat uns mit Teilen wie der Mastschiene, dem Schwert und Fußschlaufen unterstützt.

Das Expeditionsboard – geshaped von Ron van den Berg.Foto: Marjolein VinkenoogDas Expeditionsboard – geshaped von Ron van den Berg.

Hattest du Beiboote oder Autos die dich begleitet haben? Oder warst du ganz auf dich allein gestellt?

Nein, die meiste Zeit war ich solo unterwegs. Mein Team hat mich in Oslo abgesetzt und nur die ersten Tage begleitet, als ich noch ein paar Feinheiten abstimmen musste, zum Beispiel was ich im Endeffekt mitführe und was überflüssig ist.

Wo und wie hast du übernachtet?

Die meisten Nächte habe ich im Schlafsack, am Strand, unter meinem Segel geschlafen.

Praktisch, wenn das Segel immer dabei ist – das Nachtlager ist schnell aufgeschlagen.Foto: Marjolein VinkenoogPraktisch, wenn das Segel immer dabei ist – das Nachtlager ist schnell aufgeschlagen.

Wie haben die Leute, die du unterwegs getroffen hast, reagiert?

Überrascht (lacht). Die Leute hatten großen Respekt davor, dass ich es allein, nur durch Windkraft, mit einem Segel, an ihren Heimatstrand oder den Hafen ihrer Stadt geschafft habe. Sie empfingen mich mit offenen Armen, öffneten ihre Gästezimmer und Küchen für mich. Es war herzerwärmend.

Haben dich Windsurf-Abenteurer wie Jono Dunnet, der bereits um Großbritannien oder 15.000 Kilometer um Europa gewindsurft ist, inspiriert die Expedition anzugehen?

Definitiv, ja. Dunnet ist eine große Inspiration für mich. Wir waren viel in Kontakt, nicht nur vor meiner Expedition, sondern wir haben uns auch währenddessen ausgetauscht. Er hat mir sehr geholfen und immer wieder wertvolle Tipps gegeben.

Würdest du solch eine Tour nochmal surfen?

Ja, denn nicht nur die gesamte Kampagne war ein Erfolg, sondern es war natürlich auch für mich persönlich ein fantastisches Abenteuer und Erfolgserlebnis. Ich bin froh, dass alles so gut geklappt hat und ich nicht ertrunken bin (lacht). Ich bin immer noch ziemlich hingerissen, muss ich sagen. Es ist sehr gut möglich, dass ich in Zukunft eine weitere, ähnliche Mission auf mich nehmen werde.

London: Der Brief an Staatssekretärin Rebecca Pow.Foto: Esther LeystraLondon: Der Brief an Staatssekretärin Rebecca Pow.

Mehr zur Tour und weiteren Expeditionen gibt es unter plasticsoupsurfer.org.
Bei Instagram könnt ihr Merijns Expeditionen unter @plasticsoupsurfer verfolgen.


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