Ziemlich beste Freunde sind Mattis Hartwig (28) und Tobias Wiegard (49) schon lange, trotz des Altersunterschiedes. Beide stammen aus Braunschweig, haben dort gemeinsam Turnen als Leistungssport betrieben und sind Teil einer Surftruppe, die regelmäßig Himmelfahrt auf der Insel Poel verbringt und zusammen im Sommer Urlaub auf Fehmarn macht.
Auf diesen Ausflügen bleibt es natürlich selten nur beim Surfen – da wird das ein oder andere Bierchen geleert, es wird viel gesabbelt und auch mal ein großspuriger Spruch rausgehauen. Wer kennt das nicht... Bei Tobias und Mattis blieb es am Ende nicht bei vollmundigen Ankündigungen. Im Sommer 2021 starteten sie in der Nähe von Rødbyhavn auf der dänischen Insel Lolland zur großen Ostseerunde. Von dort surften sie an den Inseln Falster und Møn vorbei, quer durch Kopenhagen bis zur nördlichen Wendemarke Helsingør. Von dort ging’s auf der schwedischen Seite von Helsingborg über Landskrona bis nach Malmö und von dort mit Fähre zurück nach Travemünde. Nach 18 Etappen und fast 500 Kilometern auf dem Wasser hatten Tobias und Mattis den großen Worten Taten folgen lassen und genug Stoff für wahres Seemannsgarn bei den nächsten Urlauben mit den Surfkumpels auf Poel und Fehmarn.
Interview mit Mattis und Tobias
Die Idee, Süddänemark zu umrunden, kam vermutlich bei einem eurer Himmelfahrtskommandos auf Poel, oder?
TOBIAS: Nein, die hatten wir bei einem der Sommerurlaube auf Fehmarn. Mattis, unser Surffreund Achim und ich hatten in den letzten Jahren schon mehrfach Fehmarn umrundet – oder es zumindest versucht. Einige Male mussten wir auch abbrechen. Nach einem dieser gescheiterten Versuche 2019 haben wir anschließend in einer Bierlaune gesagt: ‚Lass uns doch nicht immer nur so klein, klein denken. Wir umrunden jetzt die Ostsee.‘ Das war eigentlich nur so ein Spruch von mir und uns hat natürlich auch niemand ernst genommen. Aber Mattis konnte nicht von dieser Idee ablassen, und so haben wir angefangen die Tour sukzessive zu planen. Dabei wurde uns aber bei den Entfernungen schnell klar, dass eine komplette Umrundung der Ostsee nicht drin war. Aber in die schwedischen Schären wollten wir eigentlich schon kommen. Entweder im Süden, wo es schon einige Schären gibt oder auch Richtung Karlskrona oder Göteborg, wo ebenfalls einige Schärengärten liegen. Wir waren schon der Meinung, dass das zu schaffen sei. Aber wir haben uns das auch immer offen gelassen und während der Tour immer wieder diskutiert, denn der Wind und das Wetter sind ja nicht kalkulierbar.
Wir haben im Magazin viel über die Europa-Umrundung des Briten Jono Dunnett berichtet. War er euer Vorbild?
MATTIS: Am Anfang gar nicht. Die Idee kam uns halt nach der missglückten Fehmarn-Umrundung, als wir abends unseren Frust runtergespült haben und dann großspurig verkündet haben, dass Fehmarn ja eh nur Kinderkram ist. Später bei der Planung sind wir natürlich auf Jono gestoßen und haben viel bei ihm recherchiert, wie er das alles gemacht hat. Zum Beispiel, wie er die Sachen auf dem Brett befestigt. Er hat einiges an Inspiration gebracht.
Wie sah dann eure Vorbereitung aus?
MATTIS: Wir haben einen Test gemacht und sind von Fehmarn nach Grömitz gesurft, haben dort gepennt und sind am nächsten Tag zurück. Dabei haben wir ausprobiert, ob alles aufs Brett passt und trocken bleibt und ob das alles so geht. Dabei haben wir geliehene, wasserdichte Säcke auf den Brettern befestigt. Wir hatten noch nicht die volle Ausrüstung dabei, sondern das war mehr als „Proof of Concept“ gedacht.
TOBIAS: Wir sind natürlich nicht blauäuig einfach losgefahren. Wir hatten Funkgeräte dabei, ich hatte eine Seenotbarke, wie man sie vom Segeln kennt, dabei und auch ein Nebelhorn, wenn man mal in dickes Wetter kommt. Außerdem hatten wir eine Navigationsapp und eine für die Schifffahrtsbewegungen auf dem Smartphone.
Wie haben eure Frau, Freundin und Freunde reagiert?
MATTIS: Naja, das war ja nicht unsere erste spinnerte Idee. Insofern haben sie erst mal gesagt, lass die beiden mal rumspinnen, das wird eh nichts. Da sich das Ganze ja von der ersten Idee über zwei Jahre hingezogen hat, haben uns unsere Freunde natürlich auch immer mal wieder geärgert. Ich glaube, die haben alle bis zwei Wochen vorher gedacht, das wird nix. Erst als wir auf Fehmarn dann alle unsere Sachen zusammengepackt haben, dämmerte es ihnen wohl, dass wir es ernst meinen. Aber sogar nachdem uns die Frauen auf Lolland abgesetzt hatten, haben sie wohl auf der Rückfahrt gesagt: Sollen wir nicht lieber noch mal umdrehen, die wollen bestimmt gleich wieder mit nach Hause (lacht).
TOBIAS: Ich habe aber auch bei mir selber gemerkt, dass ich erst noch sehr locker bei der Vorbereitung war, aber in der letzten Woche vor dem Start kam die Aufregung und die Frage, ob das alles so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.
Habt ihr vorher schon Erfahrung mit langen Raceboards gehabt?
TOBIAS: Die Raceboards nutzen wir eigentlich nur für die Fehmarn-Umrundung, sonst fahren wir nur Shortboards.
Wie genau habt ihr die Route für die Ostsee-Tour geplant?
MATTIS: Eher grob, wir hatten uns natürlich auf der Karte Campingplätze am Wasser herausgesucht. Wir wussten aber gar nicht, wie weit wir kommen, wie gut wir das durchhalten. Hätte ja auch sein können, dass unsere Hände das gar nicht mitmachen. Wir hatten immer einen schweren Rucksack auf dem Rücken und es war schon extrem anstrengend für den Rücken. Immer in der gleichen Position und immer in die gleiche Richtung. Am Abend haben wir Yoga am Strand gemacht, um die Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen. Deshalb haben wir eigentlich eher während Tour die nächsten Ziele geplant.
TOBIAS: Das ist nicht zu vergleichen mit normalem Windsurfen. Als wir das erste Mal das Material mit dem ganzen Gepäck zum Wasser getragen haben, dachte ich, damit kommen wir nie ins Gleiten. Aber schon am zweiten Tag waren wir bei 20 Knoten in durchgängiger Gleitfahrt.
Die Idee kam uns halt nach der missglückten Fehmarn-Umrundung, als wir abends unseren Frust runtergespült haben
Gestartet seid ihr in Rødbyhavn, habt also mit der Fähre von Puttgarden übergesetzt. Warum seid ihr nicht gleich von dort losgesurft?
TOBIAS: Das hatten wir auch erst überlegt. Aber wir hatten ein bisschen Schiss vor der großen Schifffahrtsroute. Wenn man da in eine Flaute kommt und im Fahrwasser hängt, dann wird es schnell gefährlich, weil einen die großen Schiffe nicht sehen.
MATTIS: Außerdem hätten wir an dem Tag durch die ganze Fahrrinne kreuzen müssen und es lag eine Gewitterstimmung in der Luft. Das wollten wir nicht riskieren.
Wie fühlte sich das Surfen mit der ganzen Ausrüstung auf längeren Strecken an?
MATTIS: Besonders unangenehm waren die Raumschot-Kurse – und davon hatten wir auf der ganzen Tour sehr viele. Wenn dich die Welle anschiebt, surfst du praktisch ohne Druck im Segel, das ist sehr instabil. Dann läufst du auf den nächsten Wellenrücken auf und wirst extrem abgebremst. Dabei bekommst du dann sehr viel Druck ins Segel und man fällt oft rein.
TOBIAS: Wir hatten fast zu 70 Prozent raume Winde und bei wenig Wind ist das eine extreme Eierei. Man kommt bei mehr Wind zwar ins Gleiten, aber durch das hohe Gewicht hat man immer sehr viel Druck im Segel. Easy Surfing ist was anderes. Die angenehmsten Kurse waren entweder hart am Wind kreuzen oder halbwind. Da hängt man sich einfach ein und hält dicht.
MATTIS: Die Horror-Etappe war von Rødvig nach Køge. Da mussten wir um eine Landnase mit Steilküste, an der man nicht anlanden konnte. Der Wind wechselte zwischen null und fünf Beaufort und kam von hinten. Da lag man ständig in der Suppe und musste die großen Segel wieder aus dem Wasser ziehen. Da habe ich mich schon gefragt, was machen wir hier eigentlich.
Habt ihr die einzelnen Etappen immer von Tag zu Tag geplant und seid dann mehr oder weniger unter Land gefahren?
TOBIAS: Unsere Tagesziele haben wir immer von der Windprognose abhängig gemacht. Zwischendurch hatten wir einmal überlegt, ob wir frühzeitig nach Schweden rüberfahren, aber das wäre eine zu lange Strecke mit Raumschot-Eierei gewesen. Ansonsten haben wir immer versucht, einigermaßen nahe an der Küste zu bleiben. Nur von Møn rüber nach Rødvig sind wir quer über die Bucht gesurft. Da waren wir sieben Seemeilen weit draußen.
MATTIS: Das fühlt sich schon komisch an. Da möchte man nicht in eine Flaute kommen. Das ist zum Schwimmen dann doch zu weit.
Wie haben die Leute, die ihr unterwegs auf Eurer Ostsee-Tour getroffen habt, reagiert?
MATTIS: Das war eigentlich das Lustigste auf der Tour. Wenn die Leute es verstanden haben, waren sie beeindruckt. Aber bei vielen kam die Erkenntnis erst scheibchenweise. Als wir von Møn rüber nach Rødvig sind, gingen dort gerade Surfer raus als wir reinkamen. Die sagten nur: ‚krasses Equipement. Wo kommt ihr denn her?‘ Als wir dann meinten, von Møn, meinten sie nur, ‚toll, und jetzt steht hier euer Auto‘. Ne, wir übernachten hier und sind schon fünf Tage unterwegs und morgen geht es weiter Richtung Kopenhagen. Das konnten sie gar nicht fassen.
TOBIAS: Das fing schon auf der ersten Etappe an. Da waren wir nur vier Seemeilen unterwegs und am Strand trafen wir einen Dänen, der uns gleich angeboten hat, bei ihm zu essen und zu übernachten.
MATTIS: Auf einem Campingplatz kamen wir vom Wasser aus an, in voller Montur und mit der wasserfesten Sonnencreme im Gesicht und wurden nur gefragt, ob wir Kampftaucher wären.
Wo habt ihr während der Tour übernachtet?
TOBIAS: Wir hatten uns vor der Tour schon Campingplätze auf der Karte rausgesucht, die direkt am Wasser sind. Aber manchmal mussten wir auch direkt am Strand schlafen. Gleich am zweiten Tag hatten wir da die Härteprüfung. Wir hatten auf dem Weg nach Gedser 20 Knoten Wind und waren voll im Gleiten. Irgendwann waren wir so entkräftet, dass wir die Etappe abbrechen mussten und im Feld übernachtet haben. Aber danach wussten wir, dass alles hält.
Wir sah es mit eurer Verpflegung aus, hattet ihr Vorräte dabei?
MATTIS: Wir hatten immer so viel dabei, dass wir mindestens zwei Tage autark leben können, wenn wir wild übernachten mussten.
TOBIAS: Außerdem haben wir in Wassersäcken immer mindestens zehn Liter frisches Wasser mit auf jede Etappe genommen.
Habt ihr in Kopenhagen dann Sightseeing gemacht?
MATTIS: Das war mit unserer ganzen Ausrüstung nicht möglich. Der geplante Stopp in Kopenhagen auf einem Naturcampingplatz war auch nicht möglich. Aber dann haben wir am Südhafen eine Surfschule entdeckt, auf deren Gelände wir übernachten konnten. Das war sehr lustig, weil sich Tobi gleich als Surflehrer betätigt hat.
TOBIAS: Durch Kopenhagen sind wir gepaddelt. Wir hatten teilbare Paddel mit und konnten so eine tolle SUP-Tour machen. Danach mussten wir aber eine Zwangspause auf einem Campingplatz, der auf einem alten Fort nördlich von Kopenhagen lag, machen, weil ich mir eine fette Erkältung eingefangen hatte und wir zwischendurch schon dachten, dass wir abbrechen müssten. Aber Mattis hat mich mit Ingwertee geflutet und da das Wetter ohnehin sehr schlecht war, hätten wir eh nicht weitersurfen können. Aber nach zwei Tagen ging es dann wieder aufs Wasser.
Was war das verrückteste Erlebnis auf der Ostsee-Tour?
MATTIS: Das war wohl auf der letzten Etappe. Wir wollten so nah wie möglich an den Fähranleger in Malmö kommen. Denn wir wollten nicht mit unseren Trolleys und den Brettern durch die ganze Stadt marschieren. Deshalb haben wir auf der Karte geschaut, dort war auch ein Weg zum Anleger eingezeichnet. Also sind wir in den Industriehafen gesurft. Da war es komplett still, kein Betrieb und keine Leute, nur Kräne, Schutthalden und Riesenpötte.
TOBIAS: Wir kamen uns vor wie James Bond auf geheimer Mission.
MATTIS: Wir sind dann an Land gegangen, haben alles zusammen- gepackt und auf den Brettern verzurrt und wollten zum Anleger. Doch dann mussten wir feststellen, dass das Gelände komplett mit Stacheldraht eingezäunt und mit Kameras überwacht war und wir nirgendwo rauskamen.
TOBIAS: Also mussten wir zum Haupteingang und bei der Security Abbitte leisten.
MATTIS: Die Security war völlig überrascht von der Situation und wollte nur wissen, was wir da machen und wie wir da hingekommen sind. Wir haben dann aber trotzdem noch unsere Kontaktdaten dagelassen, falls es hinterher Ärger geben sollte.
Hattet ihr die Rückfahrt von Malmö mit der Fähre so geplant?
TOBIAS: Da wir vorher nicht genau wussten, wohin uns die Tour führt, wussten wir auch nicht, wie wir zurückkommen, ob mit Bahn oder Trampen mit Lkw oder eben mit der Fähre.
MATTIS: Das war dann schwieriger als gedacht. Weil die Fähre voll war, mussten wir noch eine Nacht auf einem Schotterplatz auf dem Hafengelände campieren. Und auch am nächsten Tag war es alles andere als einfach, denn wir durften unsere Boards mit dem Trolley nicht zu Fuß auf die Fähre bringen. Nach langem Hin und Her hat uns dann ein Hafenmitarbeiter mit einem Sprinter an Bord gefahren und wir mussten uns zwischen den ganzen Lkw mit unserem Zeug durchschlängeln.
Und habt ihr nun noch größere Pläne?
TOBIAS: Ich kann nicht davon ablassen. Ein paar Wochen später wollte ich eigentlich schon wieder los.
MATTIS: Ich bin eine Woche, nachdem wir zurück waren, wieder ans Meer gefahren und der Gedanke, jetzt einfach wieder loszufahren wie auf der Tour, mit seiner eigenen Körperkraft immer ein neues Ziel zu erreichen, der war sehr verlockend. Das hat man beim normalen Surfen nicht, da kommt man dort wieder raus, wo man reingegangen ist. Surfen als Reise ist etwas ganz anderes.
TOBIAS: Diese Freiheit, jeden Morgen am Strand zu stehen und wieder loszufahren, und nicht zu wissen, was einem am Ziel erwartet, ist schon sehr faszinierend.
Packliste für die Ostsee-Tour
- Sicherheit: Notfunkbarke/PLB, UKW-Funksprechgerät+ Ladegerät, Nebelhorn, Leuchtmunition, Smartphones, Stirnlampen, Powerbank, Solarpannel, Ladegerät + Ladekabel, Tierabwehrspray
- Transport: Spanngurte, wasserdichte Gepäcksäcke, wasserdichte Rucksäcke, 1 Rolle Müllsäcke, Spinnen, wasserdichte Folien
- Segel und Bretter Mattis: Fanatic Cat, 380 cm x 67 cm, 250 Liter, 7,8er North Sails E-Type, Seegrasfinne
- Segel und Bretter Tobias: Starboard Phantom 299 3DX, 299 cm x 70 cm, 249 Liter, Duotone S-Type 9,3, Seegrasfinne
- Surfmaterial: Ersatzfinne, Ersatztampen, Ersatzmastfuß, Ersatzschrauben, Paddel, Tape, Epoxydharz, Boardschloss, Multitool, Surfschuhe, -Anzug,
Trapez, Helm - Nahrung und Kochen: Wassersäcke, NRG5 Notfallpacks, Whiskey Flachmänner „Ostseerunde“, Topf 3,7 l alphapot (Kochtopf), Gaskocher (mimer stove duo), Besteck: Löffel, Kaffeepulver, Trinkbehälter, Feuerzeug, Gaskartusche, Nudeln mit Fertigsoße, Outdoor-Fertiggerichte, Vitamintabletten
- Persönliches: Klamotten (Softshelljacke, Outdoorhose, 2 T-Shirts, Unterhosen, Socken, Schuhe), Klopapier, Zahnbürste, Zahnpasta, Handtuch, Mückenspray, Sonnencreme, Medikamente (IBU..), Kindel und Tolino
- Schlafen: 3-Mann-Zelt, Schlafsack, Isomatte (super leicht), Kopfkissen
- Sonstiges: Bluetoothbox, Drohne, Hängboard (Klettern)
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