WintersurfenIm Winter aufs Wasser - das sagen Mediziner

Tobias Frauen

 · 27.01.2024

Wintersurfen: Im Winter aufs Wasser - das sagen MedizinerFoto: Kerstin Reiger
Wer im Winter aufs Wasser geht, sollte gut vorbereitet sein - dann spricht aus medizinischer Sicht nichts dagegen.
Ist Surfen im Winter schädlich, drohen gar Langzeitschäden? Wie kann man sich auf eine kalte Session vorbereiten, was sollte man beachten? Zwei surfende Mediziner geben Tipps, erklären wie man sich abhärtet und räumen mit Mythen auf!

Die einen motten ihr Surfzeug von Oktober bis April ein, die anderen nutzen auch im Winter jede Möglichkeit, aufs Wasser zu kommen - und ernten bisweilen schräge Blicke, wenn sie sich bei Temperaturen im einstelligen Bereich oder gar darunter in die heimischen Gewässer stürzen. Doch viele Surfer, die das ganze Jahr über aufs Wasser gehen, schwärmen von unvergesslichen Sessions, wenn sonst kaum jemand an Wassersport denkt. Ist Windsurfen oder Wingfoilen in der Kälte nicht schädlich? Wir haben Dr. Thomas Gangl und Dr. Kirsten Thünemann vom Verein Surfmedizin e.V. gefragt - beides übrigens überzeugte Winter-Surfer!

Wenn man jetzt um diese Jahreszeit seinen Kram ins Auto packt und losfährt, erklären einen viele Leute für verrückt, die nicht im Thema sind. Würdet ihr grundsätzlich vom Surfen im Winter abraten?

Thomas: Nein, das ist kein Problem, das ist ähnlich wie beim Skifahren - das bei Minusgraden und dazu noch mit Fahrtwind betrieben wird. Da rät man ja auch niemandem ab, und es geht auch niemand im Badeanzug Skifahren. Genau das gleiche gilt beim Windsurfen: Mit der entsprechenden isolierenden Kleidung – sprich einem guten Winterneo - ist da nichts gegen einzuwenden. Die äußeren Bedingungen müssen natürlich passen, also nicht bei schlechter Sicht, bei ablandigem Wind oder bei zu starker Strömung.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Gibt es irgendeine Grenze, wo ihr sagt, ab da sollte man es dann doch lieber lassen?

Thomas: Prinzipiell kann man sagen, so lang das Wasser nicht zugefroren ist, kann man auch surfen. Unter null Grad kann es aber schnell zu Erfrierungen kommen, die durch den Windchill noch beschleunigt werden. Und ganz wichtig: die Körpertemperatur muß konstant gehalten werden, und das kostet Energie – je kälter, desto mehr. Entscheidend ist, wie gesagt die richtige Ausrüstung, also Anzug, Schuhe, Handschuhe und Haube. Vielleicht nehme ich im Winter zur Sicherheit eine Auftriebsweste, auch wenn ich im Sommer ohne fahre, und dann vielleicht auch so einen kleinen Notfallsender (PLB, personal locator beacon), um im Notfall ein Signal abzusetzen. Aber soweit soll es gar nicht kommen, wichtig ist, dass man an solchen Tagen nicht an seine Grenzen geht und seine Kräfte gut einschätzt.

So lang das Wasser nicht zugefroren ist, kann man auch surfen.”

Kirsten: Ich denke, die Grenze, bis wann man Windsurfen geht, ist von vielen individuellen Faktoren abhängig. Einigen ist schon bei 15 Grad, anderen bei 5 Grad kalt. Wenn man sonst nur in Ägypten Windsurfen geht, ist man dann in Deutschland auch schon bei Temperaturen über 0 Grad jenseits der persönlichen Schmerzgrenze. Und die Sessions werden im Winter natürlich immer kürzer, das begrenzt sich dann auch irgendwann selbst, wenn das Auf- und Abbauen länger dauert als die Surfsession selbst.

Thomas: Sobald man merkt „Mir wird kühl“, sollte man eine Pause machen und sich erstmal gründlich wieder aufwärmen, etwa im Wohnwagen. Man muss sich bewusst sein, dass man bei solchen Bedingungen nicht fünf Stunden auf dem Wasser sein oder einen neuen Trick schaffen wird. Je kälter es wird, desto schlechter wird die Beweglichkeit, die Muskeln werden steifer und man wird schwerfälliger. Es ist wichtig, solche Symptome nicht zu ignorieren. Dann gibt es nichts, was einen vom Surfen im Winter abhält.

Dr. Thomas Gangl geht auch im Winter aufs WasserFoto: privatDr. Thomas Gangl geht auch im Winter aufs Wasser

Einige fürchten durch das Surfen im Winter Langzeitschäden, wie etwa Gelenkprobleme oder Gicht. Habt ihr da Erfahrungen oder könnt ihr Entwarnung geben?

Thomas: Nein, das sind Mythen. Dann müsste es ja in jeder anderen Wintersportart oder bei Menschen, die in kälteren Gegenden leben, viel mehr Gelenkerkrankungen geben. Kälte kann bei bereits vorbestehenden Stoffwechselkrankheiten oder Verschleißerscheinungen der Gelenke die Beschwerden verstärken, ist aber nicht die Ursache für Schäden im Gelenk.

Gibt es sonst unmittelbare gesundheitliche Gefahren, wenn einem zu kalt wird?

Thomas: Was viele nicht wissen: Kälteschäden an der Haut (Füße, Hände, Gesicht) können bereits bei Plusgraden entstehen! Spätestens wenn die Haut weiß und gefühllos wird, sollte man eine Pause zum Aufwärmen machen, um keine bleibenden Gewebeschäden zu bekommen.

Ein erhöhtes Risiko einer Erkältung besteht bei gesunden Menschen nicht.”

Ein erhöhtes Risiko sich zu verkühlen besteht bei Gesunden nicht, auch wenn die Kälte eine Belastung für Immunabwehr darstellt. Der Großteil der Erkältungen im Winter entsteht durch den Kontakt mit bereits erkrankten Menschen, zum Beispiel bei der Arbeit.

Gibt es auch positive Effekte, wird man beim Surfen in der Kälte abgehärtet?

Thomas: Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Abhärtung: Einmal gegenüber Kälte, dass man den Kältereiz nicht mehr so wahrnimmt, sich dran gewöhnt und so weniger empfindlich wird. Da muss man aber aufpassen, weil das Unterkühlen dadurch nicht verhindert wird. Langfristig kann man durch Kältereize das sogenannte „braune“ Fett im Körper vermehren, das Wärme erzeugen kann. Aber wieviel länger wir dadurch dann auf dem Wasser bleiben können, kann man nicht sagen.

surf/whatsapp-image-2024-01-05-at-115628_741ce30cd1f14708eec6d19f5799cd9aFoto: Manuel Vogel

Und das andere ist das Immunsystem, das wir „abhärten“ können: das geht mit Kalt-Warm-Wechseln, etwa beim Duschen oder in der Sauna, das stärkt nachweislich das Immunsystem. Das muss man aber regelmäßig machen, um sich keinen Schnupfen oder so zu holen. Nur durchs Surfen bei Kälte funktioniert das nicht....

Was aber bewiesen ist, ist je mehr Muskelmasse man hat, desto mehr Grundumsatz hat man und desto mehr kann sich der Körper selber aufwärmen. Wenn man also muskulär gut trainiert ist, kühlt man weniger rasch aus als jemand, der sehr dünn ist und wenig Muskelmasse hat. Das macht sich vor allem langfristig bemerkbar, diesen Winter wird das nichts mehr…

Und ihr habt es gerade schon so ein bisschen angedeutet, ihr geht also selber auch im Winter surfen?

Kirsten: Ja, ich gehe regelmäßig aufs Wasser - im Winter eher Kiten, denn durch den hohen Greifwiderstand der Handschuhe würden mir nach kurzer Zeit beim Windsurfen die Hände am Gabelbaum aufgehen. Das Problem habe ich an der Bar beim Kiten nicht. Winterneo, dicke Neoprenhandschuhe und 7 Millimeter Neoprenschuhe sind für mich im Winter ein absolutes Muss.

Thomas: Ich gehe im Winter auch eher Kitesurfen oder Wingfoilen. Mit dicken Handschuhen und Schuhen habe ich kein Gefühl beim Windsurfen, und ohne frieren mir nach kurzer Zeit die Finger und Zehen ein. Beim Kiten und Wingfoilen muß ich nicht so fest zugreifen, das geht.

Wenn einem kalt wird oder man anfängt zu zittern, sollte man wieder reinfahren. Das ist ein Warnsignal.”

Theoretisch könnte man ja unendlich lang surfen im Winter, wenn man keine Wärme verliert. Aber auch wenn man komplett eingepackt ist, verliert man trotzdem über die Haut, das Gesicht, die Atmung und die Umgebungsluft Wärme, und wenn der Körper das nicht mehr über Bewegung kompensieren kann, dann sinkt die Körpertemperatur. Das beginnt mit Zittern oder dass einem kalt wird, und das wäre eigentlich schon das Warnsignal, dann sollte man wieder reinfahren. Da hilft dann nur Pause machen, Aufwärmen oder nach Hause fahren und am nächsten Tag wiederkommen. Das macht ja auch keinen Spaß mehr, wenn das Surfen nur anstrengend ist und man nur versucht, sich über Wasser zu halten.

Habt ihr noch aus eurer eigenen Erfahrung oder auch aus Medizinersicht einen „heißen“ Tipp fürs Wintersurfen?

Kirsten: Ich kann Neopren-Fäustlinge empfehlen, die gibt es für Windsurfer mit offener Handfläche für guten Grip am Gabelbaum. Bei diesen Handschuhen sind können sich die Finger gegenseitig wärmen. Außerdem muss man beim Griff am Gabelbaum weniger Kraft anwenden, als bei herkömmlichen, nicht vorgekrümmten Neoprenhandschuhen. Durch die Fäustlinge hat man die perfekte Kombination aus Wärme und Feingefühl, beides sehr wichtig auf dem Wasser.

Dr. Kirsten Thünemann ist Windsurferin und KiterinFoto: privatDr. Kirsten Thünemann ist Windsurferin und Kiterin

Thomas: Und mein größter Tipp ist „warm“ aufs Wasser zu gehen. Das heißt alles vorbereiten, dick eingepackt in Wintersachen aus dem warmen Auto aussteigen, am Strand alles fertig machen, dann noch mal im Bus oder Auto richtig aufwärmen und im besten Fall drinnen umziehen. So geht man vielleicht sogar schon ein bisschen überhitzt raus, weil es im Bus mit Neopren zu warm ist, dann hat man einen Wärmevorschuss. Das ist besser als vorher umziehen und dann im Neo am Strand im Wind aufzubauen und dabei auszukühlen.

Du sprichst das Thema Aufwärmen an. Einige Windsurfer machen das, einige gar nicht. Was ist da euer Rat?

Thomas: Die Frage ist immer, ob man beim Aufwärmen nicht eigentlich schon beginnt auszukühlen. Ideal wäre es, im Bus die Muskulatur ein bisschen in Schwung zu kriegen, aber die Gefahr ist eben, dass man, wenn man am Strand herumläuft, unbewusst wieder auskühlt. Man hat vielleicht das Gefühl, ich habe mich bewegt, dabei aber eigentlich nur Energie verloren, die dann am Wasser fehlt.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß auf dem Wasser!


Das ist Surf-Medizin e.V.

Surf Medizin e.V. wurde von surfenden Ärzten aus dem Gebiet der Sport-Orthopädie und Sport-Traumatologie gegründet. Der Verein möchte zur Vermeidung von Wassersportverletzungen beitragen und die Versorgung der Surfsportler aller Disziplinen verbessern. Surfmedizin e.V. bildet Wassersportler und Mediziner weiter, um die Verletzungsprävention zu verbessern und die Sicherheitskonzepte in Surfcamps und -schulen zu optimieren. Verbände bzw. Athleten können sich medizinisch beraten lassen und einen spezialisierten Arzt bzw. Physiotherapeuten in ihrer Nähe finden. Ein aktuelles Projekt der Medizinier ist die Studie zum Verletzungsrisiko beim Wingfoilen.


Auch interessant:

Meistgelesen in der Rubrik Windsurfen