Sie alle sind selber auch aktive Wassersportler und stehen ehrenamtlich bei Verletzungen oder Beschwerden als Berater zu Stelle - so auch zum Thema Wundversorgung in surf 8/2024. Der Vorsitzende Dr. Thomas Gangl über die Hintergründe und Inhalte des Vereins.
Wie seid ihr als Surfmedizin e.V. zusammengekommen?
Wir sind eine Gruppe aus befreundeten Ärzten und Physiotherapeuten, kennengelernt haben wir uns über den gemeinsamen Wassersport. Wir haben schon lange festgestellt, dass es im Gegensatz zu anderen Sportarten in unserem Bereich eigentlich keine richtige medizinische Versorgung gibt. Das wollten wir verbessern! In Deutschland ist es das Vernünftigste, wenn man einen Verein gründet, dann hat man Rechtssicherheit und auch die Struktur. Und so haben wir vor drei Jahren dann Surfmedizin e.V. gegründet, seither wachsen wir ständig!
Wir sind Sportwissenschaftler, Sportärzte und Sportphysiotherapeuten. Voraussetzung ist, dass man einen dieser Berufe hat und gleichzeitig aktiver Brettsportler ist, also Windsurfen, Kitesurfen, Wellenreiten, Stand-up-Paddling oder Wingfoilen betreibt. Wir erwarten von unseren Mitgliedern, dass sie die Wassersportler, die sie behandeln, auch verstehen.
Wie viele seid ihr?
Wir haben jetzt über 60 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und wir versuchen natürlich, weiter zu wachsen und unser Netzwerk durch neue Mitglieder zu vergrößern.
Jeder, der gerne mitmachen will und die o.g. Kriterien erfüllt, ist herzlich willkommen!
Und das macht ihr alles ehrenamtlich?
Das machen wir alles unbezahlt, ehrenamtlich. Die Kosten decken wir über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Diese sind steuerlich voll absetzbar und somit auch für Firmen interessant, die unsere Arbeit gut finden und uns unterstützen möchten.
Uns ist aufgefallen ist, dass selbst die Fahrerinnen und Fahrer in der Weltspitze keine medizinische Versorgung haben.”
Richtet ihr euch nur an Leistungssportler oder kann ich mich auch als Hobby-Surfer an euch wenden?
Nein, es kann natürlich jeder kommen! Was uns aber erstaunt hat ist, dass selbst die Fahrerinnen und Fahrer in der Weltspitze keine geregelte medizinische Versorgung haben. Sie sind auf sich alleine gestellt und müssen sich alles selbst organisieren. Deswegen sind wir bei vielen Veranstaltungen dabei, wie etwa dem World Cup auf Sylt. Aber es kann sich jeder Hobby-Sportler bei uns melden, der auf seinem Baggersee Stand-Up Paddeln oder Wingsurfen geht. Wir beraten ihn gerne.
Wir bieten auch einen Online-Service an, wo sich Sportler 24 Stunden, 7 Tage die Woche melden können. Daneben haben wir unser stationäres Netzwerk aus Ärzten und Physios, die wir empfehlen und an die wir bei Anfragen vermitteln können.
Das größte Problem im Profi-Bereich sind Überlastungsschäden
Ihr nutzt Veranstaltungen wie das Surf-Festival dann ja auch, um bekannter zu werden.
Genau, einerseits möchten wir für die Besucher sichtbar und ansprechbar sein. Und andererseits natürlich den Fahrer und die Fahrerinnen, die an den Wettbewerben teilnehmen, medizinische Versorgung vor Ort bieten. Die haben zwar die Notfallversorgung über das Rote Kreuz beziehungsweise die DLRG, aber eine sportärztliche Betreuung gibt es nicht. Bei längeren, chronischen Beschwerden, die sich über die ganze Saison hinziehen, kann der Sanitäter natürlich nicht viel machen. Deswegen sind wir bei großen Veranstaltungen meistens mit einem Arzt und einem Physio dabei, damit wir sozusagen zwei Bereiche abdecken. So können wir gleich behandeln und auch das weitere medizinische Vorgehen besprechen.
Was habt ihr dort für Fälle, die ihr behandelt?
Glücklicherweise haben wir die letzten Jahre keine schweren Verletzungen gehabt. Meistens waren es Schnitt- und Schürfwunden sowie Zerrungen und Prellungen. Der Hauptteil waren chronische Beschwerden, also Überlastungsschäden, die die Fahrer monatelang mit sich herumschleppen. Das ist eigentlich das größte Problem im Profi-Bereich.
Wie viele Veranstaltungen seid ihr pro Jahr dabei?
Dieses Jahr sind wir bei 16 Veranstaltungen. Die letzte Veranstaltung dieses Jahr ist dann wieder der Windsurf World Cup auf Sylt, danach ist die Saison beendet. Alle Termine findet ihr auf unserer Webseite und in den sozialen Medien!
Wir selbst organisieren auch regelmäßig Workshops für Mediziner und Physios, wo wir unser Wissen weitergeben.
Behandelt ihr dann nur vor Ort oder macht ihr dann auch längerfristige Pläne für Rehabilitation oder Regeneration?
Die akuten Verletzungen bzw. Beschwerden behandeln wir vor Ort, damit die Athleten für den nächsten Wettkampf wieder fit sind. Bei chronischen Beschwerden analysieren wir die Ursache und beginnen mit der Therapie. Dann versuchen wir den Sportler über unser Netzwerk zu vermitteln und ihm dadurch auf lange Sicht eine Perspektive bieten können.
Wir wollen die Leute nicht nur “reparieren”, sondern sie sollen von Anfang an fit sein und sich erst gar nicht verletzen.”
Ihr habt uns ja vor ein paar Monaten zum Thema Wintersurfen beraten. Welchen Stellenwert hat diese Prävention und Beratung für euch?
Das ist unser zweites Standbein. Wir wollen die Sportler nicht nur wieder “reparieren”, sondern sie sollen sich erst gar nicht verletzen. Und deswegen ist die Prävention vor einer möglichen Verletzung ganz wichtig. Aber das hängt viel mit Motivation zusammen, und da ist es für uns schwierig, weil wir die meisten Sportler nicht regelmäßig sehen. Das heißt, wir können das nicht kontrollieren oder sie motivieren.
Ein Ziel: Mehr Bewusstsein bei den Marken schaffen
Aber das Wichtigste ist, dass wir einen besseren Zugang zur Surf-Industrie kriegen, damit diese die medizinische Betreuung für ihre Fahrerinnen und Fahrer unterstützen. Da ist es oft schwierig, wenn man mit medizinischen Themen kommt. Natürlich ist das ein Geschäft, aber wir versuchen die Hauptakteure, die die Show liefern, auch fit zu halten. Aber es ist schwierig, dieses Bewusstsein bei den Marken zu schaffen, die die Fahrer sponsern und das Wettkampfleben regeln. Aber solange Medizin, Fitness und Prävention keinen hohen Stellenwert hat für die Verantwortlichen der Firma, wird sich nicht viel ändern.
Das klingt jetzt erstmal nicht ganz nachvollziehbar, wenn ihr anbietet, die Fahrer fit zu machen oder fit zu halten, und die Marken das dann ablehnen.
Ich habe schon mit vielen Verantwortlichen gesprochen, auch bei den Verbänden. Das ist ein schwieriges Thema bei einer Fun-Sportart, die sich immer sehr fit und sehr schön präsentieren möchte. Über Verletzungen, Schmerzen und alles, was da nicht hineinpasst, wird nicht gerne gesprochen. Wir wollen das überhaupt nicht in den Vordergrund stellen, aber kann sich jemand eine Bundesligamannschaft ohne medizinisches Team vorstellen?
Über Verletzungen und Schmerzen wird nicht gerne gesprochen.”
Red Bull hat ja ein großes Reha-Zentrum für seine Sportler...
Da funktioniert es. Red Bull sieht den „Marktwert“ von gesunden, fitten Athleten. Sie sponsern nicht nur die Athleten selbst sondern unterstützen und bezahlen auch ihre medizinische Behandlung. So sollte es sein.
Wie viele Athleten habt ihr in längerfristiger Behandlung?
Es sind sicher so 20 bis 25, mit denen wir regelmäßig im Austausch stehen. Die meisten reisen von Wettkampf zu Wettkampf, deswegen ist der Kontakt online, und auch nur, wenn sie was brauchen. Ein längerfristiges Programm oder ein Jahresplan, das funktioniert derzeit nur für Athleten, die über einen Olympiastützpunkt angebunden sind.
Und wie teilt sich das bei euch auf die Sportarten auf?
Wir haben schon mehr Kite-Verletzungen. Allein schon dadurch, dass man in sehr seichtem Wasser fahren kann und auch am Strand Unfälle passieren, was bei den anderen Brettsportarten fast gar nicht vorkommt. Auch von der Mentalität sind die ein bisschen anders als die Windsurfer, die Risikobereitschaft ist höher.
Seht ihr Themenfelder, wo besonders viel Aufklärung notwendig ist?
Aufwärmen ist so ein Thema. Selbst bei den Profis interessiert das kaum jemanden, muss man leider so sagen. Es gibt ein paar, die dehnen sich ein bisschen, aber so richtig wärmt sich niemand auf - vermutlich weil es einfach langweilig ist. Lieber schnell aufs Wasser, bevor ich noch 10 Minuten mit irgendwelchen Übungen verschwende. Aber wenn das Wasser weit weg ist, ist sicher das Material Tragen schon eine kleine Art vom Aufwärmen. Für alle wäre es auch gut, wenn sie neben dem Windsurfen auch noch einen Ausgleichssport betreiben, um eine Grundfitness aufzubauen.
Und das Zweite, was wir empfehlen, ist sich bei Beschwerden eine medizinische Zweitmeinung einzuholen, bevor Verletzungen verschleppt werden. Es kann sich jeder bei uns melden, das ist alles freiwillig und kostenfrei. Bei uns muss keiner eine Versichertenkarte herzeigen, wir sind ja ein unabhängiger Verein.
Wie ist das bei kleineren Verletzungen wie Schnitten oder Schürfwunden: Wann kann man weitersurfen, wann sollte man besser aufhören?
Bei oberflächlichen Wunden, die auch nicht stark bluten, kann man bis zum Ende der Surfsession warten. Danach am besten mit sauberem Wasser abspülen, wenn möglich desinfizieren und zum Schutz mit einem Pflaster abdecken. Am nächsten Tag erneut die Wunde kontrollieren: wenn die Schmerzen, die Rötung und Schwellung zunehmen sollte man einen Arzt aufsuchen!
Wenn nicht: erneut desinfizieren und mit einem Pflaster abdecken. Da sich die meisten durch eine kleine Wunde nicht vom Windsurfen abhalten lassen: Die Wunde mit dem Pflaster zusätzlich mit Leukoplast abkleben. Am Abend dann wieder eine erneute Wundkontrolle durchführen. Aber: Eine frühzeitige professionelle Wundbehandlung erspart viele Komplikationen!
- Infos und Kontakt: surfmedizin.org
Lars Bubelach: “Das ist wirklich eine unglaubliche Unterstützung!”
Nachwuchs-Waver Lars Bubelach kämpft sich nach einer schweren Knieverletzung zurück - auch Dank den Surfmedizinern ist er guter Hoffnung, nächstes Jahr wieder auf dem Brett zu stehen.
Wie bist du auf den Verein Surfmedizin e.V. aufmerksam geworden?
Ich bekam von Philip Richter, der ja auch Windsurfer und Arzt ist, den Tipp, meine Reha in Neumünster zu machen. Und dann kam der Physio-Leiter Björn, einer der Vorsitzenden des Vereins, zu mir und meinte, du bist wieder in guten Händen. Er erzählte dann von dem Surfmedizin-Forum, das kannte ich vorher nicht. Das ist für mich jetzt ein echter Glücksfall, die machen das echt gut.
Wie sieht eure Zusammenarbeit aus?
Björn und ich haben mit meiner Physiotherapeutin besprochen, was mein Ziel ist: wieder Wettkämpfe surfen zu können. Jeder in dem Laden weiß jetzt, wo ich hin möchte. Daraufhin wurde meinen Plan genau darauf angepasst, weil es ja wichtig ist, dass meine Knie wieder Sprünge abzufedern können. Das geht dann in Richtung Muskelaufbau, Beweglichkeitsübungen und so weiter. Die wissen, dass man wieder zum Windsurfen zurück möchte und die Trainer unterstützen mich da voll!
Das heißt, du hättest ohne die Unterstützung der Surfmediziner eine andere Reha gemacht?
Auf jeden Fall. Sonst würde man den Fokus auf den Alltag legen, was natürlich auch nicht schlecht ist, aber wir machen einfach noch ein paar Sachen extra. Andere Physiotherapeuten würden vielleicht dazu raten, dass man nicht wieder Windsurfen dürfe nach so einer schweren Verletzung. Aber die sagen, wir bringen dich da richtig hin, wir tasten uns da ran, wir machen Tests, um zu gucken, ob ich bereit bin oder nicht. Das dauert bei mir noch, aber wir haben ein gemeinsames Ziel!
Was für Übungen sind das, die für dich dazugekommen sind?
Ich muss erstmal allgemein Krafttraining machen. Mir wurde zugesagt, wenn ich jetzt langsam Muskulatur aufbaue, dann können wir ein bisschen weiter gehen in die Richtung, die für mich wichtig ist. Das sind dann mehr Kniebeugen, um das Abfedern zu trainieren. Daneben mache ich auch Gleichgewichtsübungen auf Balanceboards, das ist auch gut zum Windsurfen. Andere würden vielleicht mehr Treppensteigen oder sowas trainieren, damit man wieder in den Alltag reinkommt.
Andere Ärzte würden sagen “Lass es mal lieber sein, geh lieber Tennis spielen!”
Bleibt ihr auch langfristig in Kontakt?
Wir sind eigentlich ziemlich gut im Austausch die ganze Zeit. Björn fragt wie es läuft und bietet mir mehr Übungen an, zu Thomas kann ich für Untersuchungen und zur Kontrolle kommen. Er kann auch immer schnellstmöglich einen Röntgen-Termin für mich organisieren. Das ist wirklich eine unglaubliche Unterstützung. Ich bin sehr froh, dass es überhaupt sowas gibt. Ich finde, die meisten Ärzte verstehen nicht so richtig, was das Ziel eines Windsurfers und Wassersportlers ist. Die meisten können sich einfach nicht vorstellen, ohne Wassersport zu leben. Dieses Forum und die Leute im Verein verstehen genau, dass eines der obersten Ziele ist, wieder aufs Wasser zu kommen. Andere Ärzte würden sagen “Lass es mal lieber sein, geh lieber Tennis spielen!”