Nordspanien oder vielmehr Galicien ist in der Windsurfwelt, spätestens seit den Big-Wave-Abenteuern von Thomas Traversa, kein unbeschriebenes Blatt mehr. Also reiste ich hin und musste feststellen: Wenn man sich selbst auf die Suche nach fahrbaren Bedingungen begibt, die dem eigenen Fahrkönnen entsprechen, steht man plötzlich ziemlich alleine da.
Rückblick: Mein erster Trip an die spanische Nordküste war vor zwei Jahren, und ich war direkt verliebt in die Landschaft, das Klima und die unglaublich guten Wellenreitbedingungen. Damals schafften wir es leider nur bis ins weiter östlich gelegene Kantabrien, weil die Wellen entgegen der Vorhersage einfach nicht aufhören wollten, sodass wir kurzerhand bis zum Ende des Urlaubes einfach dortblieben. Zuvor versuchte ich jedoch, einmal im Baskenland Windsurfen zu gehen, der Spot der Wahl war damals der legendäre Wellenreitspot Mundaka.
Das Debakel von Mundaka
Die Vorhersage hätte damals eigentlich nicht besser sein können: Starker Wind aus Südsüdwest und für Mundaka eine entspannte Wellenvorhersage mit zwei Metern Höhe und einer 16-Sekunden-Periode waren vorhergesagt. Ich wartete gegenüber der Flussmündung von Mundaka auf die Ebbe, das schien mir das Sinnigste zu sein, um kontrolliert durch die Wellen zu gelangen und nicht durch den Fluss aufs offene Meer gezogen zu werden. Bei ablaufendem Wasser bildet sich durch die Flussmündung ein ziemlich wilder Chop auf den ersten 50 bis 100 Metern, die ich jedoch souverän meistern konnte. Ordentlich angepowert, klopfte ich mir innerlich auf die Schulter für mein gutes Timing, die Wellen zu passieren. Der Peak mit den Wellenreitern war schon in greifbarer Nähe, also fiel ich etwas weiter ab, um den Locals nicht in die Quere zu kommen. Außerdem liegt die bei Wellenreitern beliebte Welle etwas im Windschatten des Ortes, und dass ich dort eine Welle bekommen würde, schien mir eh aussichtslos.
Die Gleitfahrt endete abrupt, und ich fand mich balancierend auf meinem Board in der Winddeckung wieder – jetzt bloß nicht reinfallen. „Eigentlich müsste ich aber schon weit genug draußen sein, und mir würde ja auch die Welle weiter Richtung Strand ausreichen“, sprach ich mir gedanklich selbst zu. Da kam auch schon das erste schmackhafte Set angerollt. „Ich nehme die zweite oder dritte Welle“, schoss es mir durch den Kopf, „dann kann ich mir erst mal ansehen, wie schnell die erste Welle läuft.“ Ehe ich mir weitere Gedanken über meine Wellenauswahl machen konnte, war das Set auch schon vor mir, und die jetzige Überlegung war eher, ob ich alles festhalten oder doch lieber loslassen sollte. Ich entschied mich fürs Festhalten, schließlich bin ich auf der Nordsee schon über größere Wellen rübergekommen. In diesem Moment wurde mir bewusst, was eine 16-Sekunden-Periode bedeutet: Deutlich mehr Wellenenergie! Die erste Welle brach genau in mein Unterliek und zerfetzte mein Segel, sodass ich etwas frustriert den Rückweg antreten musste. Das war bis dato meine einzige Windsurfsession in Nordspanien gewesen, es konnte diesmal also nur besser werden.
Galiciens Todesküste mit Monsterwellen
Beim diesjährigen Trip wollten wir weiterkommen als beim letzten Mal, und so hielten wir nur kurz in Kantabrien, schnappten uns die ersten Wellen und fuhren weiter nach Galicien. Ein ordentliches Windfeld schmiegte sich an den nordwestlichsten Zipfel Spaniens. Drei Tage am Stück sollte ein kräftiger Südwind um A Coruña wehen. Leider hatte ich meinen Stormrider Guide zu Hause vergessen, doch die heimische Crew konnte via Smartphone schnell aushelfen und mir brauchbare Beschreibungen zusenden. Der stärkste Wind sollte an der „Costa da Morte“ (Todesküste) durchziehen. Der Name klang jetzt nicht sonderlich einladend, und die Swell-Vorhersage sah auch eher nach Tod und Zerstörung aus. Ich fragte noch mal bei meinem Kumpel Leon Jamaer nach, der bereits mit Thomas Traversa auf einer Big-Wave-Mission in Galicien unterwegs gewesen war, ob er vielleicht einen Tipp hätte. Natürlich kannte er nur Big-Wave-Spots und irgendwelche hohl brechenden Monsterwellen. Das überlasse ich dann eher den Profis und denen, die einen Drang nach Selbstzerstörung verspüren.
Der Name “Todesküste” klang nicht sonderlich einladend, und die Swell-Vorhersage sah auch eher nach Tod und Zerstörung aus.
Da der Wind wirklich exakt aus südlicher Richtung, teilweise sogar mit einem östlichen Einschlag wehen sollte, musste ich jetzt selbst auf die Suche gehen. Die Informationen aus dem Stormrider Guide und einem Galicien Spotreport aus dem surf Magazin berichteten von Spots für Wind aus nordöstlicher Richtung. Mein Abendprogramm bestand also darin, alle möglichen Videos, Bilder und Berichte zu checken und mithilfe von Google Maps die Locations zu erspähen. Leider gab es da nicht allzu viel zu entdecken, und die Spots, die Thomas Traversa in seinen Guided Tour Videos surft, muss ich jetzt nicht unbedingt haben, zumindest nicht allein, denn andere Windsurfer hatte ich hier bisher nicht gesehen.
Vermisst: Windsurf-Trapez
Am ersten Windtag checkte ich Doniños, der Spot sollte eigentlich bei Südwest funktionieren, und der Wind wehte an diesem Tag sogar aus einer leicht westlichen Richtung. Die Wellen sahen ziemlich chaotisch aus, und Wind war auch keiner. Ich wartete noch zwei Stunden darauf, dass sich etwas veränderte, aber irgendwie wollte der Spot nicht so richtig in Gang kommen. Also eine Bucht weiter nach San Xorxe. Google Maps hatte leider wieder Straßen erkannt, die eigentlich keine sind, und so fuhren wir uns bei der Spotsuche beinahe mitten in einem schlammigen Wald fest. Überglücklich, wieder eine geteerte Straße unter dem Fahrzeug zu haben, erreichten wir die Bucht von San Xorxe. Beim Aussteigen merkte ich bereits, dass der Wind hier deutlich spürbarer war, es wirkte fast so, als würde er sich durch die umliegenden Berge verstärken. Die Wellen mitten in der Bucht sahen ziemlich entspannt aus, sodass ich mich entschied, nun endlich aufs Wasser zu gehen und damit Kapitel 2 meiner Windsurferfahrungen in Nordspanien zu eröffnen. Doch es sollte anders kommen.
Voller Vorfreude zog ich mein Material aus dem Bus und verschnürte alles zu einem Paket, sodass ich es die wenigen hundert Meter zum Strand tragen konnte. Schnell noch das Trapez um alles wickeln, damit nichts verrutschen kann, und rein ins Vergnügen…
Leider war nun der Moment gekommen, an dem ich feststellen musste, dass ich nicht nur den Stormrider Guide zu Hause vergessen hatte, sondern auch mein Trapez. Fluchend streunte ich um den Bus herum, als müsste es da irgendwo liegen, vielleicht tauchte es ja wie durch Zauberhand plötzlich wieder auf. Innerlich wusste ich natürlich, dass es wohlbehütet im Keller lag.
Das Do-it-yourself-Trapez aus dem Baumarkt
Jetzt hieß es lösungsorientiert denken und keine Zeit zu verlieren – auf nach Ferrol in den nächsten Surfshop. Nach 20 Minuten Autofahrt musste ich leider feststellen, dass es hier zwar sehr gut ausgestattete Surfshops gab, diese jedoch kein Windsurfequipment führten. Immerhin sollte es in Ferrol einen Windsurfclub geben, den ich kurzerhand ansteuerte. Die Schaumkronen auf der Ria de Ferrol vor dem Vereinsgelände machten die ganze Sache nicht einfacher – als Windsurfer verspürt man in solchen Situationen ja schnell etwas Druck. Der Spot des Vereins schien eher ein Freeride- oder Freestyle-Spot zu sein, und der Club machte gerade eine Pause, sodass ich enttäuscht und ohne Trapez wieder abfahren musste.
Inmitten all der Frustration hatte ich plötzlich einen Gedankenblitz und steuerte mit neu gewonnener Zuversicht einen Baumarkt an. Irgendetwas mit Spanngurten würde sich da schon machen lassen, ich brauchte nur einen Haken, der sich nicht sofort aufbiegen würde, überlegte ich mir, als ich durch die verschiedenen Abteilungen des Baumarktes streifte. Spanngurte und einen passenden Haken hatte ich bereits gefunden, auf dem Weg zur Kasse entdeckte ich in der Heizungsabteilung noch Rohrisolationen, die ich als Polsterung für den Rücken verwenden könnte. Ich überlegte kurz, ob das nicht etwas übertrieben sei, aber gönnte mir dann doch den Luxus von zwei Rohrisolationen à 95 Cent.
Ich überlegte kurz, ob das nicht etwas übertrieben sei, aber gönnte mir dann doch den Luxus von zwei Rohrisolationen à 95 Cent.
Besser Rückenschmerzen als nicht surfen zu gehen
Zurück in San Xorxe bastelte ich mir schnell einen ersten Prototypen, und an Land machte das Ganze einen ziemlich soliden Eindruck. Mein umgerechnet 7,50 Euro teures Trapez brachte mich sicher durch die Brandung nach draußen und ließ mich etwa eine Stunde windsurfen. Zugegeben: Danach hatte ich amtliche Rückenschmerzen, aber immer noch besser, als gar nicht zu windsurfen. Der Haken musste noch etwas optimiert werden, denn ich hatte große Schwierigkeiten, mich wieder auszuhängen, aber mir standen ja noch zwei weitere Windsurftage bevor.
Am zweiten Windtag schaute ich mir den Spot Ponzos an, eine weitere Bucht etwas nördlich von San Xorxe. Der Wind wehte recht konstant, war allerdings komplett ablandig. Die Strömung, die Kraft und Größe der Wellen waren dazu recht sportlich. Ich beobachtete zwei Bodyboarder, die durch den starken ablandigen Wind Schwierigkeiten hatten, überhaupt auf eine Welle zu kommen. On top gab es dann noch saftige Sets auf die Mütze, die die beiden zurück an den Strand spülten und sie einige hundert Meter zurück zum Channel laufen ließen. Irgendwie hatte ich dabei nicht so ein gutes Gefühl, sodass ich zurück nach San Xorxe fuhr. Die Wellen waren größer als am Tag zuvor, aber der Wind wehte etwas mehr sideshore, sodass es eigentlich ganz gut klappen sollte. Leider drückte die Flut so viel Weißwasser in die Bucht, dass ein Rauskommen zu diesem Zeitpunkt unmöglich war. Also wurde alles wieder zusammengepackt und nach Santa Comba, eine Bucht neben Ponzos, gefahren. Komischerweise waren hier überhaupt keine Wellen, obwohl es wenige Meter weiter ziemlich massiv war. Die letzte Chance, jetzt vielleicht noch mal aufs Wasser zu kommen, war im südlichen Teil der Bucht von San Xorxe, so meine Überlegung.
Down-the-Line in San Xorxe
Dort angekommen, sah es endlich fahrbar aus, der Wind wehte ebenfalls sehr ablandig, aber die Wellen waren nicht so groß wie im mittleren Teil der Bucht. Es wurde nicht lange überlegt, sondern aufgeriggt und mit dem Trapez, Prototyp Nummer 2, das Wasser geentert. Der geweitete Haken funktionierte etwas besser als die vorherige Version, sodass ich doch noch in den Genuss von tollen Down-the-Line Bedingungen kam.
Vor dem Schlafengehen recherchierte ich noch etwas zu dem Spot Santa Comba, den ich am kommenden Tag ansteuern wollte, und konnte herausfinden, dass dieser wohl nur bei Niedrigwasser funktioniert, also noch mal alle Gezeitentabellen überprüft und ab ins Bett.
Am dritten und somit letzten potenziellen Windsurftag stand ich pünktlich zur Ebbe in Santa Comba, und siehe da: Sideoffshore und Wellen in einer entspannten Höhe schälten sich schnell über eine flache Sandbank. Dieses Mal schien es so, als würde endlich alles passen, und die Sonne zeigte sich ebenfalls gnädig.
Santa Comba macht das Galicien-Glück perfekt
Die guten Bedingungen wollten sich wohl auch die rund 30 Surfschüler und Surfschülerinnen, die sich gerade umzogen, nicht entgehen lassen. Das fehlt mir jetzt noch! Endlich gute Bedingungen, ein hinnehmbarer Trapezersatz und dann ein überfüllter Line-up voller Surfanfänger. Vorsichtig fragte ich die wilde Horde, wo sie denn jetzt ins Wasser gehen würden, es sei ja schließlich sehr windig. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass die Gruppe bis an das andere Ende der Bucht laufen wollte, um dort im Windschutz eines Steines zu surfen. Puh – was ein Glück!
Die folgende Session machte einfach nur Spaß: Down-the-Line – ganz allein! Wie eigentlich immer, denn Windsurfer sind hier offensichtlich eine Seltenheit. Wenn man sich die Windkarten ansieht, wird Nordspanien eigentlich ganz gut belüftet, durch die vielen steil abfallenden Klippen und versteckten Buchten ist es jedoch schwierig, einen geeigneten Spot zu finden. Was zum Wellenreiten ein Paradies ist, ist ein Fluch zum Windsurfen, denn die Beachbreaks halten dem einhergehenden Swell, der mit den Stürmen kommt, nicht lange stand und werden dann chaotisch.
Zwar hat mich der Haken meines DIY-Trapezes die eine oder andere gute Welle gekostet, aber mit dem Provisorium konnte ich wenigstens ein bisschen windsurfen gehen. Mit dem auflaufenden Wasser verschwanden auch wieder die Wellen in Santa Comba, und ich rollte zufrieden mein Segel zusammen. Leider blieb es den Rest des Urlaubs im Auto verstaut, denn der Wind kam nicht mehr zurück. Man kann also in Galicien windsurfen gehen, auch wenn man nicht das Big-Wave-Abenteuer sucht, landschaftlich schön ist es allemal, und die Temperaturen bewegten sich im April immer um die 15 bis 20 Grad – für mich als Nordlicht genau die richtige Wohlfühltemperatur. Galicien, ich komme wieder! Dann aber mit einem richtigen Trapez.