Nick Spangenberg: „Hey Nick, sag mal, hast du Lust, morgen am späten Nachmittag nach Sankt Peter-Ording zu kommen? Ich hab da eine ganz gute Idee“, hieß es um 21 Uhr abends von Axel am Telefon. Da ich sowieso etwas früher in den Norden wollte, um vor dem Weltcup-Start auf Sylt noch einmal ein wenig zu trainieren, habe ich nicht lange gezögert. Der erste Herbststurm stand nämlich an, und Axel berichtete mir bereits während eines Fotoshootings in Ägypten Anfang März von einer coolen Idee. Bei viel Wind und Flut wird häufig der Strand von Sankt Peter-Ording überspült, und es bildet sich ein Freestyle-Spielplatz. Das Ziel war es, die Orte, an denen normalerweise Autos parken, Kinder Fußball spielen oder schaukeln und Menschen in Strandkörben sitzen, zu einem Windsurf-Playground umzugestalten. Nach einem Radiointerview am frühen Morgen ging es dann fix mit dem Auto in Richtung Nordsee. Umgestürzte Bäume am Fahrbahnrand prognostizierten eine gute Chance für unser Vorhaben.
Nur ein kurzer Slot mit den richtigen Bedingungen
Die Strandüberfahrt war bereits gesperrt, und die Uhr tickte. Wir hatten nur einen kurzen Zeitslot bei Flut, um an den passenden Spots auf dem großen überfluteten Strandparkplatz Windsurfen gehen zu können, bevor der Strand wieder zu sehen war. Schnell baute ich ein kleines Sturmsegel auf, schraubte die kleinste Finne, die ich finden konnte, unter mein Freestyleboard und war „ready“ für ein aufregendes Erlebnis. Während die meisten Urlauber schnell zu ihren Apartments rannten, um keine nassen Füße zu bekommen, fing der Spaß bei uns erst richtig an. Die Flut kam immer höher und die damit verbundene Strömung wurde immer stärker, sodass Höhe laufen kaum mehr möglich war. Schnell hatten wir bereits gute Shots im Kasten. Wir hatten jedoch noch einen Spot an dem Pfahlbaurestaurant 54 Grad im Visier. In Lee der Stelzen war der Wind recht böig, im Wasser schwammen Bojen, und mit Respekt nahm ich Anlauf, um nur wenige Meter vor dem Café einen Sprung dicht neben dem Pfahlbau zu machen.
Komplett k.o. am Auto musste ich die Session noch mal im Kopf verinnerlichen und fand es rückblickend verrückt, wie man mit etwas Fantasie, genauem Vorhersage-Check und dem richtigen Timing den üblichen Playground zum Windsurf-Playground umstrukturieren konnte! Früh am nächsten Morgen ließ der Wind nach, und ich konnte den großen Strandparkplatz am Hauptstrand in Ording wieder in normalen Zustand sehen, also relativ trocken. Mit dem Auto ging es bis ganz nach vorne an den Strand, wo ich am Vortag noch mit einem 3,7er Spaß hatte. Dann habe ich noch aufs Tor kicken können, um das ich 14 Stunden zuvor noch Windsurfen konnte. Ein wirklich einzigartiges Gefühl. Ich bin dankbar, bei diesem Projekt dabei gewesen zu sein, denn diese Story hat mir die Augen geöffnet, öfters mal einen „Different Playground“ ausfindig zu machen.“
Wenn Sonne, Mond und Erde in einer Achse stehen, kommt die Springtide
Axel Reese: Dieses Fotoshooting war schon länger im Kopf, aber die Bedingungen, es tatsächlich auch mal machen zu können, gibt es nicht allzu häufig. Tatsächlich brauchen wir hierzu eine Springtide, meistens auch als Springflut bezeichnet. Verursacht wird die Springtide, also ein größerer Tidenhub durch Gezeitenkräfte bei Flut, wenn Sonne, Mond und Erde in einer Achse stehen, was bei Voll- und Neumond gegeben ist. „Diese Springtide gibt es in der Deutschen Bucht insbesondere in den ersten Tagen nach diesem Voll- und Neumond, weil sich die Auswirkung auf die Tide verzögert“, grenzt es Jannes Ahlers, SPO-Local und 1. Vorsitzender des lokalen Boardsportvereins, noch besser ein.
Je stärker und je auflandiger dann an diesen Tagen der Wind weht, desto größer ist dann auch zur Flut der Wasserstand, was neben den allgemein bekannten Windvorhersagen beim BSH genauso vorhergesagt wird: „Bei mindestens 0,75 Meter über Normal ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Strandparkplatz in St. Peter-Ording überflutet sein wird“, fügt Jannes hinzu, „solche Springtiden sind meistens dann, wenn am frühen Nachmittag Hochwasser ist.“
Die Bedingungen in St. Peter-Ording verändern sich ständig
Die Autofahrer werden an solchen Tagen schon Stunden vor der Flut nicht mehr auf den Strand gelassen. Ein Warnlicht am Übergang macht jeden darauf aufmerksam, dass das Wasser sehr hoch kommen wird. Nicht selten aber, dass Autofahrer bereits zur Ebbe auf dem Strand parken und dann von der Flut überrascht werden und das Auto „plötzlich“ unter Wasser steht. Dass die Wellen gegen das Nummernschild klatschen, passiert aber nicht nur ortsunkundigen Windsurfern. Denn im Verhältnis zum normal auflaufenden Wasser kommt das Wasser an solchen Tagen sehr viel schneller, und das Auto steht schnell mal bis zu den Türen im Wasser und bekommt eine salzige Unterbodenwäsche. Um diesen Materialmord am Blech zu verhindern, leistet auch der Tidenkalender, den es am Strandübergang gibt, eine gute Orientierung.
Die Wasserbedingungen zum Windsurfen sind am Ordinger Hauptstrand nie genau vorherzusagen. Denn neben der Tide, der Stärke und Richtung des Windes spielen auch die weiter vorn zur Nordsee verlaufenden Priele eine Rolle. Diese natürlichen Wasserläufe verändern sich in St. Peter-Ording ständig und beeinflussen die Bedingungen zum Windsurfen. Man weiß nie genau, wie sie morgen auf dem Wasser werden. Wie wird bei auflaufendem Wasser die Welle laufen, wird es kabbeliger oder auch schon bei auflaufendem Wasser glatter? Zudem holt sich die Nordsee Jahr für Jahr etwa sechs bis acht Meter des Ordinger Hauptstrands, während weiter südlich der Böhler Strand an Fläche gewinnt.
Ja, die Wellen laufen auf Rømø geordneter und haben mehr „Punch“, aber immerhin gibt es in SPO mittlerweile eine lokale Wellenreitszene(!) mit dem wohl bekanntesten Gesicht Tobias Seemeier vom Wellenreitshop und Café Good Times. Gehen die Wellenreiter direkt am 54 Grad-Pfahlbau raus, so finden sich die besten Wellen zum Windsurfen nördlich der großen Pfähle am FKK-Strand. Meistens sind viele Windsurfer dann auf dem Wasser zu finden, wenn der Wind aus Süd- bis Südwest kommt und das Wasser wieder abläuft, die Strömung also wieder in südliche Richtung zeigt. Als Booster für mehr Windsurfer auf dem Wasser gibt es noch die Windvorhersagen, bei denen an der Ostsee kein vernünftiger Wind angesagt ist und es nur an der Nordseeküste anständig bläst.
Und unser Fotoshooting?
Es war ein aufregendes Abenteuer, mit Nick die Actionshots auf dem großen Strandparkplatz, dem Kinderspielplatz und um die verschiedenen Pfahlbauten herum zu machen.
Und eine Durchfahrt vom Strandparkplatz in Richtung Wasser darf normalerweise nur von Rettungs- und Versorgungsfahrzeugen durchfahren werden oder eben von Nick während dieser besonderen Session auf dem Freestyleboard! Die Touristen bleiben stehen, beobachten ihn und sind von dessen Akrobatik auf dem Windsurfboard begeistert.
14 Stunden später
Am Morgen danach sind bei Ebbe alle Kinderspielgeräte, die Fussballtore, die Strandkörbe wieder frei vom Wasser, und die Urlauber haben häufig gar nicht mitbekommen, dass ein paar Stunden zuvor hier noch alles unter Wasser gestanden hat. Nick, der diesen Strand bislang nur von einer Teilnahme am Windsurf Cup kennengelernt kennt, ist sichtlich fasziniert.“
SPO ist mehr!
Ruhe, Stille, die fast endlose Weite, der Horizont, das flache Land, unberührte Natur, Sonnenuntergänge, Lichtstimmungen, tosende Nordsee – das alles ist St. Peter. Füße hoch und das Glas Wein im Strandkorb oder im VW Bulli, man kann sich kaum sattsehen! Tausende Touristen aalen sich bei schönem Wetter in der Sonne, und bei „Schietwetter“ ist kaum eine Menschenseele am Strand. Die Stimmungen am Leuchtturm von Westerhever schaffen es immer wieder mal als Aufmacherbild in die Tagesschau – und damit in Millionen von Wohnstuben.
SPO verändert sich!
In den 90er-Jahren war es noch die angesagte „Surfakademie“ und die Serie „Gegen den Wind“. Heute gibt es Hotels wie das Strandgut oder das Urban Nature, die deutsche Songwriter wie Johannes Oerding oder Philipp Dittberner für kleine Konzerte einladen. Und das Beach Motel und die Zweite Heimat sind in der ersten Reihe am Deich des Ordinger Strandes zu finden. Dazu eine coole Rooftop-Bar im Ortsteil Bad und im Dorf das Tanzen bei Salsa-Musik oder das hippe Tamatsu-Restaurant mit einem exzellenten Sushi-Angebot im Ortsteil Dorf. Einmal im Monat gibtʼs die Party im Gosch-Restaurant. Im Good Times spielen ab und an Solokünstler auf. Im Juni ist direkt am Deich ein Skatepark fertiggestellt worden. Und, und, und!
Spot-Infos St. Peter-Ording
Wind- und Wasserstandsvorhersagen
Lokaler Surfverein
Shops
- Good Times Surfshop, @goodtimesspo
- Kite-Power-Shop, direkt am Ordinger Deich, kite-power-shop.de