Wind-SpecialSo entsteht der Westwind auf der Nordsee

Dr. Michael Sachweh

 · 14.12.2023

Dänemark: Der Pier von Hanstholm muss der wuchtigen Wasserkraft standhalten.
Foto: Jan Alstrup/FYM Productions
Die Jagdreviere von uns Mitteleuropäern von Norddänemark bis in den Norden Frankreichs und werden größtenteils vom Westwind beherrscht. Kommen und Gehen sowie die Stärke, die vom lauen Lüftchen bis zu extremen Stürmen reicht, wird von der Großwetterlage bestimmt.

In diesem Artikel:

Im Unterschied zum Mittelmeer, wo die Küsten oft unter dem Einfluss lokaler und berechenbarer Windsysteme stehen, werden unsere mitteleuropäischen Spots von wechselnden Luftdruckmustern beherrscht. Es sind, um im Fachjargon zu bleiben, die Großwetterlagen, die über Lust oder Frust auf dem Brett entscheiden.

Gesteuert wird der Wechsel von einer Wetterlage zur anderen oft vom Jetstream. Das ist die Starkwindzone in der höheren Atmosphäre, die uns aus westlichen Richtungen die Tiefs und Zwischenhochs am laufenden Band serviert. Und sollte der Jetstream mal durch Abwesenheit glänzen, schlägt die Stunde des stabilen Hochs, das Beruhigung ins sonst so unbeständige Wettergeschehen bringt - je nach Lage des Hochdruckzentrums mal ohne Wind, mal mit einer gescheiten Gleitwindbrise.

Die Region rund um Klitmøller wird nicht ohne Grund  Cold Hawaii genannt. Hier in Hanstholm gibt es fast hawaiianische Bedingungen – nur kälter.Foto: John Carter/PWADie Region rund um Klitmøller wird nicht ohne Grund Cold Hawaii genannt. Hier in Hanstholm gibt es fast hawaiianische Bedingungen – nur kälter.

Die Fachleute unterscheiden eine ganze Reihe von Großwetterlagen. Wichtig mit Blick auf das Wind- und Wettergeschehen zwischen Knokke, Sylt und Usedom im Norden – sowie Bodensee und Chiemsee ganz im Süden – sind aber nur fünf Großwetterlagen. Beginnen wir mit der wichtigsten, die unser Wetter ganz wesentlich bestimmt: die Westlage.

Die Westlage

Wetterkarte und Hochsaison

Die typische Wetterkarte zeigt Tiefdruck von Island bis nach Skandinavien und hohen Druck von den Azoren bis zum westlichen Mittelmeerraum. Unsere mitteleuropäischen Spots liegen im Zwickel zwischen beiden Hauptakteuren in einer westlichen Luftströmung. Eingebettet in die Strömung sind atlantische Tiefausläufer. Zwischendurch beruhigt sich ab und zu die Atmosphäre, wenn sogenannte Zwischenhochs für ein bis zwei Tage vorbeischauen.

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Westlage – der Dominator

Oft beherrscht die Westlage unser Wetter in Deutschland. Zwischen dem niedrigen Druck im Raum Island-Skandinavien und hohem über den Azoren und dem westlichen MIttelmeer ziehen immer wieder Tiefdruckausläufer – vor allem im Sommer – über Mitteleuropa.

Wind-Special: WestlageFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special. Westlage Häufigkeit in %Foto: Dr. Michael Sachweh

Die Westlage ist die Großwetterlage, die am häufigsten auftritt und Namensgeber für unsere Klimazone ist (Westwindzone). Schauen wir genauer auf die Häufigkeit, dann gilt die Feststellung nicht für den Mai, wohl aber für die übrigen Monate des Sommerhalbjahrs. Hochsaison ist der Sommer, im Juli und August ist die Westlage mit 30 bis 33 Prozent ein Schwergewicht unter den Großwetterlagen.

Die Nordsee kann gnadenloses Chaos liefern, doch so manche Mole, wie hier in Hanstholm, bringt Ordnung ins Durcheinander.Foto: John Carter/pwaworldtour.comDie Nordsee kann gnadenloses Chaos liefern, doch so manche Mole, wie hier in Hanstholm, bringt Ordnung ins Durcheinander.

Typische Wind- und Wetterbedingungen bei Westwind

Der durchschnittliche Wind, meist aus Südwest bis Westnordwest, weht bei Westlage in den Gewässern des Ärmelkanals und der Nordsee mit vier bis fünf Baufort. Für die Spots der Ostsee und des norddeutschen Binnenlands ist die Stärke vier typisch. Und für die süddeutschen Spots meist drei bis vier Beaufort, Gleitwind-Garantie gibt’s hier also nicht.

Mitunter wird es zuviel des Guten, denn die Westlage ist die Großwetterlage mit dem höchsten Starkwind- und Sturmpotenzial. Davon ist unter den heimischen Revieren besonders die nordfriesische Küste betroffen. Man glaubt es kaum, aber ganz im Süden, im Alpenvorland, können sich die Seen bei einer bestimmten Anströmungsrichtung, nämlich Westnordwest, in ausgesprochen anspruchsvolle Reviere mit vielversprechenden fünf bis sieben Beaufort verwandeln. Das liegt an dem sogenannten Leitplankeneffekt der Alpen.

Der Ringkøbing Fjord ist eines der besten Ein- und Aufsteiger-Reviere Nordeuropas. Aber auch der PWA Slalom World Cup gastierte hier schon mehrfach.Foto: John Carter/PWADer Ringkøbing Fjord ist eines der besten Ein- und Aufsteiger-Reviere Nordeuropas. Aber auch der PWA Slalom World Cup gastierte hier schon mehrfach.

Ein Wermutstropfen dieser Großwetterlage ist das wechselhafte Wetter. Warme Luftmassen wechseln mit kalten ab, bisweilen werden wir geradezu am laufenden Band von atlantischen Tiefausläufern überquert. Dann erleben wir eine flotte Abfolge von Warmfront-Regen, Warm-Sektor mit Auflockerungen, Kaltfront-Regen und schließlich dem Rückseiten-Wetter mit seinem Sonne-Wolken-Schauer-Mix. Die wechselhafte Witterung wird durch sonnige Zwischenhochs unterbrochen, die aber eher den Charakter einer Stippvisite haben.

Verlagert sich der Hochdruck-Schwerpunkt vom Süden Europas zum Alpenraum, bessert sich das Wetter. Besonders auf den Binnenseen Süddeutschlands scheint oft die Sonne, dafür lässt die Windausbeute zu wünschen übrig. Ideal ist diese freundliche Variante des Westwetters (antizyklonale Westlage) für alle Reviere Norddeutschlands: Längere, sonnige Abschnitte wechseln mit harmlosen Wolkenfeldern, höchstens ab und zu fällt mal Regen. Das Wichtigste: Es gibt genug Wind für alle Surfer!

Die Nordwestlage

Wetterkarte und Hochsaison

Die Luftdruckverteilung zeigt ein nach Nordosten verschobenes Azorenhoch. Sein Gegenspieler befindet sich über Nordeuropa, mit Schwerpunkt im Raum nördliche Ostsee– Finnland–Baltikum. Im Unterschied zur Westlage mit seinem Wechsel zwischen warm und kühl müssen wir uns hier mit vorherrschend kühlen Luftmassen abfinden. Die in die Nordwestströmung eingelagerten Tiefausläufer ziehen besonders über die Ostseespots hinweg.

Der Häufigkeits-Peak dieser Großwetterlage während der Surfaison fällt auf die Monate Juni und Juli. Für den Mitte Juni auftretenden Kälterückfall (Schafskälte) zeichnet oft eine solche Nordwestlage verantwortlich.

Kommt es neben starkem Westwind noch zu einer Springtide, dann verwandelt sich der Strand von Sankt Peter Ording in eine einzige Wasserlandschaft.Foto: Oliver KrapfKommt es neben starkem Westwind noch zu einer Springtide, dann verwandelt sich der Strand von Sankt Peter Ording in eine einzige Wasserlandschaft.

Typische Wind- und Wetterbedingungen

Der Wind liegt bei vier bis fünf, in Böen sechs Beaufort aus Westnordwest bis Nordnordwest. An den ost-und nordfriesischen Spots sorgt der weite Fetch des Windes über die Nordsee oft für eine anspruchsvolle Brandung. Manchmal entsteht im Windschatten der südskandinavischen Gebirge im Raum Skagerrak–Südschweden ein sogenanntes Lee-Tief. An dessen Südflanke frischt der Wind von den Stränden Jütlands bis zur deutschen Ostseeküste vorübergehend stark auf, dann sind durchaus auch mal sechs bis acht Beaufort drin.

Nordwestlage – kalte Finger

Auf der Wetterkarte sieht man die Verschiebung des Azorenhochs – und damit der Tiefdruckgebiete im Norden. Im Wetterbericht heißt es dann oft, dass kühle Luft polaren Ursprungs zu uns dringt. Vor allem die Ostsee kommt dann in den Genuss guter Winde – was Surfern leider die Finger frieren lässt.

Wind-Special: Die NordwestlageFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special: Nordwestlage Häufigkeit in %Foto: Dr. Michael Sachweh

Die Luft ist überall kühl, das Wetter aber je nach Region recht unterschiedlich. Dank der Nähe zum Hoch zeigt sich an den Stränden des Ärmelkanals bis zu den holländischen Spots immer wieder die Sonne. Weiter östlich ist das Wetter wechselhaft, gelegentliche, schauerartige Regenfälle gibt’s hier besonders ab September. Im Falle einer starken Nordwestströmung profitiert allerdings die deutsche Ostseeküste vom Skandenföhn (föhnartige Auflockerungen im Lee der norwegischen Gebirgskette).

Die Nummer Eins unter den deutschen Windsurfspots: Die Insel Fehmarn  bietet Dutzende Spots für alle Könnensstufen und ist auch deshalb schon seit vielen Jahren Gastgeber des Surf-Festivals.Foto: Marcus FriedrichDie Nummer Eins unter den deutschen Windsurfspots: Die Insel Fehmarn bietet Dutzende Spots für alle Könnensstufen und ist auch deshalb schon seit vielen Jahren Gastgeber des Surf-Festivals.

An den Seen im nord- und süddeutschen Binnenland sieht es kaum anders aus, auch hier herrscht gern mal ein Sonne-Wolken-Mix bei lebhaften Winden. Eine (wenig rühmliche) Ausnahme bilden dabei die Seen im Alpenvorland und direkt am Alpenrand. Dort beschert der Alpenstau den Spots wolkenreiches Wetter – mit gelegentlichen oder gar wiederholten Regenfällen. Je nachdem, ob der Hochdruckeinfluss (antizyklonale Nordwestlage) oder der Tiefdruckeinfluss (zyklonale Nordwestlage) dominiert. Dabei drücken Stau und Regen den Wind sehr oft unter die Gleitwindgrenze.

Nur bei starkem Nordwestwind erwacht der Kultspot Weißenhaus zu richtigem Leben. Dann pilgert halb Kiel dorthin.Foto: Oliver MaierNur bei starkem Nordwestwind erwacht der Kultspot Weißenhaus zu richtigem Leben. Dann pilgert halb Kiel dorthin.

Die Südwestlage

Wetterkarte und Hochsaison

Verglichen mit der Nordwestlage haben Hoch und Tief ihre Plätze getauscht. Bei der Südwestlage dominiert hoher Druck im finnisch-baltisch-russischen Raum sowie im zentralen Mittelmeer, während Tiefs Westeuropa beherrschen. Von der Tiefdruckzone ausgehend überqueren Ausläufer mitunter das westliche Mitteleuropa. Ihr Häufigkeits-Maximum hat diese Großwetterlage im August.

WIssant, südlich von Calais am Ärmelkanal, ist einer der besten Wavespots in Nordfrankreich und profitiert vor allem von starken Südwestwinden.Foto: Jean SouvilleWIssant, südlich von Calais am Ärmelkanal, ist einer der besten Wavespots in Nordfrankreich und profitiert vor allem von starken Südwestwinden.

Typische Wind- und Wetterbedingungen

Meist weht es mit drei bis fünf Beaufort. Von den Stränden des Ärmelkanals bis zu den friesischen Spots sind es meist vier bis fünf, weiter östlich sowie auf den meisten Binnenseen eher drei bis vier Beaufort. Oft ist es schwülwarm.

Die Witterung hingegen könnte unterschiedlicher nicht sein. Über den Ärmelkanal und die Küsten der Nordsee ziehen immer wieder mal Fronten hinweg mit schauerartigen Regenfällen, teils auch kräftigen Gewittern – da sind dann vorübergehend Starkwind- und Sturmböen mit von der Partie. Am westlichen Alpenrand drohen mitunter Wärmegewitter. Ansonsten genießen die Surfer an den Stränden der Ostsee, wie auch auf vielen Binnenseen, oft recht freundliches Wetter.

Bei einer ausgeprägten Südwestlage wird’s am Alpenrand föhnig. Das bedeutet für die Alpenvorlandseen wenig Wind, während die Spots unmittelbar am Alpenrand, wie etwa am Südufer des Bodensees oder des oberbayerischen Kochelsees, den Föhn ganz anders erleben: Hier fallen heftige Föhnböen aus den Alpentälern auf den Spot.

Südwestlage – feuchtwarm

Mit der Südwestlage wird es zwar meist bei uns recht warm, aber auch feucht. Vor allem im Sommer ist dies die Wetterlage, in der sich kräftige Gewitter, sowohl an den Küsten als auch am Alpenrand, bilden können.

Wind-Special: SüdwestlageFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special: Südwestlage Häufigkeit in %Foto: Dr. Michael Sachweh

Die Hochdrucklage

Wetterkarte und Hochsaison

Ein umfangreiches Hochdruckgebiet liegt mit seinem Zentrum über der Mitte Europas. Manchmal ist es auch eine sehr langgestreckte Hochdruckzone über Mitteleuropa, die ein Russlandhoch mit einem Atlantikhoch verbindet (Hochdruckbrücke). Die größte Wahrscheinlichkeit, dass dieser Großwetterlagentyp das Wetter am Spot bestimmt, besteht in den Monaten August und September – mit einem gelegentlichen Maximum in der zweiten Septemberhälfte (Altweibersommer).

Typische Wind- und Wetterbedingungen

Wie der Blick auf die Wetterkarte erahnen lässt: Es ist die Großwetterlage mit dem größten Flauten-Potenzial. Mit Windstille muss besonders am Morgen und frühen Vormittag gerechnet werden – die ideale Wetterlage also für die Langschläfer unter den Surfern! Ansonsten sind schwache Winde der Stärke ein bis drei Beaufort aus wechselnden Richtungen typisch. Einzig an der nordfriesischen Küste weht‘s etwas stärker, in der Regel mit drei Beaufort aus West. Manchmal liegt der Schwerpunkt des Hochs über dem westlichen Mitteleuropa und reicht bis zur südlichen Nordsee. Dann können sich die Surfer zumindest in den Revieren der Ostsee Hoffnung auf Gleitwind machen.

Letzte Hoffnung für den Surfer sind die thermischen Winde. Leider ist die Land-Seewind-Zirkulation an Nord- und Ostsee in unseren Breiten längst nicht so zuverlässig wie in den Tropen oder im Mittelmeer. Besser sieht es da schon im bayerischen Alpenvorland aus. Die Seen dort profitieren von einer thermischen Ausgleichs-Zirkulation am Rande der Alpen, die die Sportler mittags und nachmittags immerhin mit Winden der Stärke drei bis vier aus Ost bis Nordost beschenkt.

Starkwind, ein eher seltener Gast an bayrischen Seen. Hier der Kronthaler See nahe dem Münchner Flughafen.Foto: Dr. Michael SachwehStarkwind, ein eher seltener Gast an bayrischen Seen. Hier der Kronthaler See nahe dem Münchner Flughafen.

Das Wetter lässt, im Unterschied zum Wind, nicht zu wünschen übrig: Es gibt dann viel Sonnenschein bei warmen, im Hochsommer auch heißen Temperaturen. Auf den Binnenseen muss man im September mitunter bis zum späten Vormittag warten, bis sich örtliche Nebel- und Hochnebelfelder aufgelöst haben. Wie schon gesagt, eine gute Wetterlage für Spätaufsteher.

Wenn’s weht, dann ist es grandios. Hier das berühmte Kreuz am Ammersee.Foto: Christoph JordaWenn’s weht, dann ist es grandios. Hier das berühmte Kreuz am Ammersee.

Hochdrucklage – Flautentage

Die typische Altweibersommer-Wetterlage im September, mit der wohl kein Windsurfer brauchbaren Wind verbindet. Dafür entschädigt sonniges Wetter für die Flautentage – aber keine Sorge, die Herbststürme stehen im September schon in den Startlöchern.

Wind-Special: HochdrucklageFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special: Hochdrucklage Häufigkeit in %Foto: Dr. Michael Sachweh

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