Schon in den 80er Jahren erfand Tom Magruder vom Columbia River Gorge in den USA mit der Wind Weapon (HIER gibt’s eine spannende Reportage dazu) einen Flügel für Windsurfboards, mit dem das Windsurfen zum Flugsport werden sollte: „Ist die Wind Weapon das Rigg der Zukunft?“ titelte damals das surf-Magazin. Dieser Flügel war fest mit dem Windsurfboard verbunden und die beim Windsurfen etablierten Aluminiumstangen und Segellatten ergaben ein festes Profil. Aber: Noch nicht mal ansatzweise setzte sich diese Erfindung am Markt durch. Genauso erging es dem Wing-Rig, welches Anfang der 80er Jahre probiert wurde.
Erste Anfänge des Kitesurfens gab es in den 1980er Jahren unter anderem mit Bill und Corey Röseler in den USA und mit Bruno und Dominique Legaignoux in Frankreich. Die Legaignoux-Brüder waren es auch, die 1997 ein Patent für einen Drachen mit aufblasbaren Tubes anmeldeten, welches die Grundlage für die heutigen Tubekites bildet. Flash Austin gewann den ersten Kitesurfwettbewerb auf Maui und war in den folgenden Jahren der Star des Kitesurfens. Die ersten aufblasbaren Wings werden Tony Logosz von Slingshot zugeschrieben, der diese um das Jahr 2012 auf großen, klassischen Windsurf- und SUP-Boards ausprobierte. Einen durchschlagenden Erfolg hatte auch diese Entwicklung nicht.
Vom Downwinden zum Wingfoilen
Etwa 2014 begannen auf Hawaii immer mehr Stand-Up-Paddler auf zumeist 14 Fuß langen SUP Boards Downwinder zu machen, was zu Beginn der 2020er Jahre mehr und mehr durch das SUP-Foiling abgelöst wurde. Die Idee dahinter: Durch das Foil - das schon seit einigen Jahren im Kitesurfen mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hatte und stetig weiterentwickelt wurde - konnte man mit dem Board vom Wasser abheben und, ohne gebremst zu werden, leicht die Geschwindigkeit erhöhen. Kitesurf-Legende Flash Austin war dann einer der ersten, der sich auf Hawaii so ein SUP-Foilboard schnappte und mittels eines Flügels aufs Foil ziehen ließ. Der Flügel hatte damals allerdings noch keine aufblasbaren Tubes, sondern ein sperriges Aluminium-Gestänge.
Ebenfalls auf Hawaii machte zu dieser Zeit der Kitedesigner Ken Winner regelmäßig Downwinder auf klassischen SUPs mit Finnen, hatte aber eine Schulterverletzung, die ihn beim Paddeln hinderte. Als er Flash Austin an einem Tag im März 2018 in Kanaha/Maui sah, wie dieser auf einem SUP-Foilboard und einem 3,5 qm Wing locker ins Foilen kam und nicht nur Halbwind, sondern auch auf Kreuzkursen Speed machen konnte, war es um Ken Winner geschehen: „Flash gab mir den Impuls, aber eine Frage kam sofort in mir auf: Warum nehmen wir keinen aufblasbaren Wing?”, erinnert sich Ken an seinen ersten Kontakt mit dem Wingfoilen. „Schon ein paar Monate später, im Juni 2018, probierte ich meinen ersten selbst konstruierten inflatable Wing. Ich kam sofort aufs Board und er war einfach zu benutzen“, erinnert sich Winner.
Viele weitere Prototypen folgten und schon im Frühsommer 2018 gab er seinem Kite-Test-Sparringspartner und Boardshaper Sky Solbach einen aufblasbaren Prototypen zu einer Testveranstaltung in Tarifa mit, um den anwesenden Wassersport-Händlern das Wingfoilen zu präsentieren. Das Interesse hieran? Fehlanzeige! Ken war es dann selber, der Wochen später zu einer weiteren Veranstaltung am Columbia River Gorge einen Prototypen mitnahm: “Niemand hatte daran Interesse“, schmunzelt Ken rückblickend.
Der erste Wing wurde bei einer Testveranstaltung für Surfshop-Betreiber präsentiert. Interesse? Fehlanzeige
Klaas Voget, heute Wingfoil Brand Manager bei Duotone, erinnert sich: „Ken Winner hatte schon ziemlich früh und sehr intensiv Wings entwickelt, wurde aber von niemanden so richtig ernstgenommen. Irgendwann im Herbst 2018 war ich zum Testen von Windsurf-Foils in Camp One, Maui, draußen. Plötzlich schoss Ken draußen am Riff mit einem SUP-Foilbard und einem aufblasbaren Wing-Prototypen raumschots runter, um dann, mit vollem Speed, auf Halbwind und zurück auf die Kreuz zu gehen. Mir war bis dahin gar nicht klar, dass man mit Foil und Wing so sportlich auf Halbwind- und sogar Amwindkursen unterwegs sein konnte. Klar war mir aber, dass ich es unbedingt ausprobieren wollte. Bereits die beiden Jahre zuvor war ich auf Reisen immer wieder zum Pronesurfen (Surfboard mit Foil, die Red.) auf dem Wasser gewesen und war davon ziemlich angefixt. Und wenn man das nun mit einem Wing kombinieren könnte, dann hatte das in meinen Augen ein riesiges Potenzial”, erinnert sich Klaas Voget.
Und Ken Winner? Der steckte in sein Wingfoilprojekt weiter viel Zeit und konnte im Herbst 2018, an einem Tag mit glattem Wasser, letztlich Till Eberle, den Geschäftsführer der Boards and More Group, zu der auch die 2018 neu gegründete Marke Duotone gehört, dafür gewinnen, mal ein Foilboard mit einem Wing-Prototypen zu probieren. Und vielleicht war genau dieser Tag jener Schlüsselmoment, den dieser junge Sport brauchte, um aus der Taufe gehoben zu werden. Till Eberle, selbst ein exzellenter Kitesurfer und früherer Snowboard-Profi, erkannte sofort das Potenzial was hinter diesem neuen Sport, der ja noch gar nicht so richtig existierte, steckte: „Das Wingfoilen ist easy, das können viele Leute machen!“, resümierte Eberle. Rückblickend bewies er damit sicher unternehmerischen Mut, traute er sich doch, Geld zu investieren, um erhebliche Entwicklungskapazitäten für Ken Winner bereitzustellen.
I am a toy designer!
Bis die Sache in der Wassersportszene Akzeptanz fand, sollte es jedoch noch etwas dauern. Ken entwickelte zwar mit viel Energie weitere Prototypen, meldete Patente an, fand aber an den Spots weiterhin wenig Beachtung, mehr noch: Seine Aktivitäten wurden von anderen Wassersportlern eher belächelt.
Ein Videoclip geht viral - der Durchbruch
Auch 2019 fand wieder ein Händler-Meeting von Duotone statt. Mit dabei waren verschiedene Profi-Wind- und -Kitesurfer der Marke. Erst als sich einer der Pros auf ein SUP-Foilboard stellt, den aufblasbaren Wing in die Hand nimmt und jemand die Aktion filmt, kommt der Stein ins Rollen. Als Reaktion auf den viral gegangenen Clip klopfen andere Marken an, um Einzelheiten zu dieser neuen Wassersportart in Erfahrung zu bringen. Klaas Voget bringt den ersten Wing mit nach Deutschland und ist so für eine erste Keimzelle an der Ostsee verantwortlich. Was daraus geworden ist, kann jeder selbst sehen - auf Hawaii, an der Ostsee und im Rest der Welt.
Ken Winner - von damals bis heute
Ken´s Vater arbeitete bei einer Firma, die eine Zusammenarbeit mit dem US-Militär hatte. Und so lebte die Familie Winner zwei Jahre in Stuttgart. “Da war ich etwa 15 Jahre alt, ging zum Gymnasium und habe währenddessen auch meine Liebe zur Klassik entdeckt. Franz Schubert zum Beispiel”, erinnert sich Ken. Danach ging es für die Familie für ein Jahr nach England. Erst im Alter von 20 Jahren begann Ken mit dem Windsurfen, wurde in frühen Jahren des Windsurfsports mehrfacher Weltmeister und battelte sich im Windsurf World Cup mit Legenden wie Robby Naish, Alex Aguera und anderen. Nach seiner Profi-Laufbahn arbeitete Ken für mehrere Windsurf-Magazine und zog zum Columbia River Gorge im Bundesstaat Oregon/USA.
Im Sommer 2000 war es die Idee von Dave Johnson, damals Geschäftsführer von North in Nordamerika, unter der Flagge von North Sails Windsurfing „North Kiteboarding“ zu gründen. Aus dem Headquarter in Deutschland gab es grünes Licht “und so war ich der erste Mitarbeiter von North Kiteboarding“, lacht Ken Winner. Der heute 67-jährige sollte eigentlich als Produktmanager arbeiten, was sich aber recht schnell änderte. Im November 2000 wurde erst ein Kanadier als Kitedesigner eingestellt, der aber wegen „zu viel Druck“ postwendend kündigte. Im März 2001 wurde dann ein Italiener angeheuert, der auch schnell wieder abdankte. Und so war es Ken Winner, der seit diesen Anfängen –notgedrungen- als Kitedesigner für North Kiteboarding arbeitet. “I am a toy designer“, sagt Ken Winner heute scherzhaft.
Auch heute brennt das Feuer in Ken noch immer lichterloh: Er lebt auf Maui, um 5:00 Uhr, spätestens um 6:00 Uhr, steht er auf. Bis zu zehn Webseiten werden als erste Amtshandlung gecheckt, zuerst natürlich die Seiten für Wind, Swell und von Wetterbojen, die weit vor Maui im Wasser liegen. Daraus ergibt sich das Tagesprogramm für Ken: „Entweder heißt es erstmal Büroarbeit oder auch mal eine Runde Tennis. Und die Arbeit auf dem Wasser hängt eben von Wind und Wellen ab“, führt Winner schmunzelnd aus. Ist es windig, geht es natürlich ohne Umschweife aufs Wasser, denn Verbesserungen fallen nicht vom Himmel. Pro Woche sendet er bis zu fünf Datensätze für Prototypen in die Produktion nach Sri Lanka. Vom Senden der Daten bis zum Erhalt der Prototypen vergehen etwa sieben Tage. Dann wird getestet: „Es kann passieren, dass wir bis zu 20 Prototypen brauchen, um eine Verbesserung bei einem Wing zu erzielen. Wichtig ist für uns immer, alle Größen eines Modells zu testen und nicht nur, ausgehend von einer mittleren Prototyp-Größe, die kleineren und größeren Größen am Computer zu entwerfen. Klar werden die Daten nach unten oder oben projiziert, aber sie geben nur Anhaltspunkte. Jede Größe sollte auch auf dem Wasser ausprobiert, der Trimm und einzelne Daten angepasst werden“, zeigt sich Ken bestimmt. Fünf bis sechs Mal pro Woche ist Ken daher auf dem Wasser zu finden - manche Dinge im Leben von Ken Winner ändern sich, zum Glück, scheinbar nie.