SUP & The CityParis - 1000 Paddler können nicht irren

Stephan Gölnitz

 · 05.12.2023

SUP & The City: Paris - 1000 Paddler können nicht irren
Foto: Stephan Gölnitz
Mit einer Mischung aus Kulturtrip, Karnevalsstimmung und ernsthaftem SUP-Rennen lockt das "Nautic Paddle"-Race jedes Jahr 1000 Hobby-Paddler und SUP-Profis nach Paris. Zu Recht, denn nicht nur die elf Kilometer auf der Seine sind ein unvergessliches Erlebnis. Vor zwei Jahren waren wir dabei - und zehren noch immer von den einmaligen Erinnerungen!

"Wer bis 09.30 Uhr nicht unter der 'Pont d'léna' durch ist, wird eingesammelt." Heißt konkret, spätestens nach eineinhalb Stunden sollte man das Ziel in Schnupperweite haben. Die strenge Warnung begegnet uns gleich mehrfach. Bei der Anmeldung, beim Skippers Meeting – na ja, das betrifft uns vermutlich eh nicht, denke ich, "ist mit unserem Gepäck zwar sportlich, aber gut machbar", auch mit Blick auf unsere Mitpaddler. Nicht wegen deren Fitness, sondern weil gefühlt vom 10-Fuß-Wave-SUP über sehr kompakte Allrounder, bis zum Raceboard so ziemlich alles bunt gemischt am Start ist, was der SUP-Markt bietet. Da dürften wir mit unseren recht sportlichen Tourern gut mithalten. Und es wird ja wohl kaum das halbe Feld eingesammelt werden.

Es gelten strenge Regeln: "Wer bis 09.30 Uhr nicht unter der 'Pont d'léna' durch ist, wird eingesammelt."Foto: Raoul DobremelEs gelten strenge Regeln: "Wer bis 09.30 Uhr nicht unter der 'Pont d'léna' durch ist, wird eingesammelt."

Einmal im Jahr ist die Seine für SUPs freigegeben

Das Feld, das sind tatsächlich 1000 Stand Up Paddler, die einmal im Jahr auf die Seine dürfen. Auf eine Wasserstraße, die das restliche Jahr für SUP-Touristen absolut tabu ist. Und dementsprechend exklusiv ist auch das Feeling auf dem Fluss. Die Seine ist an diesem Morgen offiziell für die Veranstaltung frei gegeben, aber es bleibt der Reiz des ganz Besonderen, dessen, was sonst unmöglich erscheint. Kein Frachter fährt, keine Ausflugsboote, nur wir mit unseren SUP's. Okay, zusammen mit 997 anderen. So muss es sich an den autofreien Sonntagen in den 70ern angefühlt haben. Als schon einmal das Erdöl knapp zu werden drohte und an einigen Sonntagen die Autobahnen für Fußgänger, Kinder mit Dreirädern und picknickende Familien frei gegeben wurden. Denn eine richtige Schiffsautobahn dürfte die Seine üblicherweise ebenfalls sein, davon zeugen die unzähligen Kähne, die überall längsseits liegen.

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Von Verkehr ist an diesem Sonntag, morgens um sieben aber erst mal nichts zu sehen. Hektisch ist nur das bunte Treiben auf dem Startplatz. In Reisebussen werden die Teilnehmer vom Messezentrum heran gebracht, die meisten haben ihre Boards am Vortag bereits aufgepumpt dort abgegeben und suchen diese jetzt in den hierher transportierten 40-Fuß-Containern. Im Dunkeln flackern rundherum Stirnlampen, die Straßenlaternen werfen ihren Schein glänzend auf den ruhigen Fluss.

Mit Reisebussen werden die Teilnehmer zum Startplatz geshuttelt.Foto: Julien De RosaMit Reisebussen werden die Teilnehmer zum Startplatz geshuttelt.

Wir haben Glück: Es ist nahezu windstill und trocken. Da bleiben die ein bis zwei Grad an diesem 5. Dezember erträglich. In unseren Trockenanzügen und dicken Schuhen bauen wir auf. Rundherum wuseln Paddler mit Cowboyhüten oder üppigem Federschmuck auf dem Kopf durcheinander. Glitzernde Meerjungfrauen, Menschen im Clownsanzug oder sogar komplett im gigantischen Entenkostüm beschäftigen sich emsig mit Paddeln und Leashes. Einige tanzen sich zur Musikbeschallung in kleinen Gruppen warm, wärmen sich an Tee aus Thermoskannen: Wir erleben SUP-Fasching im Dezember.

Dann ist es endlich soweit: Das "Boarding" – 1000 Paddler müssen über eine Handvoll Rampen ihre SUPs in den Fluss lassen – dauert fast eine halbe Stunde. Nach und nach füllt sich die Wasserfläche immer mehr, bengalische Fackeln von einem Mega-SUP erleuchten die Nacht. Irgendwo da draußen paddelt auch SUP-Weltmeister Casper Steinfath. Diesmal mit den Amateuren in der "Leisure Group". Weil, wie er sagt, er hier bereits mehrfach das Pro-Rennen gefahren ist und dabei von Paris nahezu nichts gesehen hat, sondern eigentlich nur seine Boardspitze. "Jetzt will ich das auch mal genießen", erzählt er beim Skippers Meeting am Vorabend auf der Bühne in der Pariser Messehalle – ein guter Plan.

Der Startschuss fällt um 8:00 Uhr, es ist dunkel in Paris um diese Zeit im Dezember

Um Punkt 08:00 Uhr fällt der Startschuss – und genau fünf Minuten später leider auch der erste Nieselregen. Wir schnüren die Kapuzen unserer Anzüge tiefer ins Gesicht und hoffen, dass es schnell vorüber geht. Die nassen Finger klammern sich ums Paddel, jetzt wirken die zwei Grad – bei der zusätzlichen, leichten Brise – auch nicht mehr gemütlich. Doch gleich zu Anfang wollen wir noch keinen Stopp einlegen, nur um Handschuhe aus den Packtaschen zu holen. Unser berechneter Zeitpuffer ist ja bereits für Foto-Stopps eingeplant. Und wir wollen auch den Anschluss ans Feld nicht verlieren. Dabei ist in unserer Umgebung wenig von Rennfieber zu spüren. Gemächlich hatte sich der gigantische Paddelwurm in Bewegung gesetzt, ohne Gedrängel, hier will vor allem einfach keiner ins Wasser fallen. Und im Zweifel, wenn es mal zu kabbelig wird, knien einige auch streckenweise auf dem Board.

Überhaupt: Das sind hier alles keine Profis, sondern ganz normale Hobbypaddler. Die wenigsten tragen High-Tech-Trockenanzüge, sondern normale Neos. Viele paddeln vermutlich im Winter nur dieses eine Mal. Und so paddeln auch wir gemächlich, sind erleichtert, dass der Schauer nur von kurzer Dauer war und freuen uns im jetzt schnell anbrechenden Tageslicht auf die kommenden Highlights. Der weltberühmte Obelisk aus Ägypten wurde am Ende der zwei Jahre dauernden Schiffsreise auch hier über die Seine transportiert und Notre Dame und der Eifelturm liegen praktisch am Wegesrand.

Eine Mischung aus Kultur und Karneval
Foto: Julien de Rosa

Mit dem SUP auf der Seine - ein Traum für Paris-Fans

Für Liebhaber der Stadt ist diese SUP-Tour, als dürfte ein leidenschaftlicher Fußball-Fan am Wochenende einfach mal mit Freunden im Stadion seines Lieblings-Clubs eine Runde kicken. Anfangs sind außer ein paar Hundebesitzern noch nicht viele Menschen am Ufer zu sehen, wir passieren zahlreiche Brücken – erst zum Ende sammeln sich dort immer mehr Zuschauer, winken uns zu, feuern an. Doch nicht alle der zahlreichen, zu Restaurants oder Clubs umgebauten Schiffe am Ufer sind um diese Zeit verlassen. Dumpf wabern jetzt satte Beats übers Wasser zu uns herüber. Das muss dann wohl ein "House"-Boot sein. Am Heck stehen ein paar Gestalten, die sich sicher nicht gerade erst zum Frühschoppen dort getroffen haben, schwenken freundlich ihre Longdrink-Gläser in unsere Richtung und können sich aber in das, was wir da tun, vermutlich ähnlich gut hinein versetzen wie umgekehrt. In unserer "Gruppe" sind wir die einzigen, die regelmäßig stoppen, um unsere Fotos zu bekommen. Schnell muss es gehen, Kamera raus – Klick – Kamera in den Koffer und weiter. Anlegen während des Rennens ist strikt verboten. Wir halten uns daran und jonglieren abwechselnd auf den wackeligen Boards mit unseren Kameras.

An einem der folgenden Stopps passiert es dann: "Jetzt ist er durchgedreht", denke ich. Thomas – der sonst jedes potenzielle Risiko schon vorab eliminiert – kniet auf seinem SUP, legt die Kamera vor sich aufs rutschige Deck und bringt sich mit einigen Paddelschlägen im kabbeligen Wasser neu in Position. In diesem Moment fließt vermutlich proportional genauso soviel Adrenalin durch seinen Körper, wie Seine-Wasser durch Paris. Immerhin ist die Situation einmalig. Es gibt kein "zurück" und auch kein "nochmal", wie sonst bei Fotoausflügen.

Schnell paddeln kann man auch woanders

Erbarmungslos zieht uns die Seine, das Feld und der Zeitdruck stromabwärts. Und jede Sehenswürdigkeit verschwindet schnell auf Nimmerwiedersehen in den unendlichen Weiten des Objektivs. Glücklicherweise hatten wir am Vortag bereits die Strecke besichtigt und uns ein paar Stellen für unsere Erinnerungsfotos gemerkt und Thomas' gewagter Einsatz geht ebenfalls gut aus.

Wir passieren Notre Dame, aber es ist  keine Zeit für Sightseeing.Foto: Thomas PfannkuchWir passieren Notre Dame, aber es ist keine Zeit für Sightseeing.

Aber wir haben auch Glück – nämlich glattes Wasser und kaum Wind. Dass die Seine auch anders kann, bezeugen Berichte aus vergangenen Jahren. Denn sobald der Wind erkennbare Wellen bildet, werden diese von den seitlichen Wänden reflektiert und türmen sich anschließend erbarmungslos und chaotisch gegeneinander auf. Ein zu schmales Board ist bei solchen Bedingungen der größte Fehler, sollte man diesen Trip planen. Sportlicher Ehrgeiz auf schmalen Raceboards ist hier vielleicht grundsätzlich Verschwendung – wie mir Olaf, ein alter Renn-Spezl, vor der Reise geraten hatte: "Einfach nur genießen! Schnell paddeln kann man auch woanders".

Und so hatten wir unsere Ziele mehr im Bereich Sehenswürdigkeiten und Kulturprogramm definiert. Drei Tage vollgepackt mit Programm und immer wieder der Verwunderung, welches Treiben in Paris an einem trüben Corona-Dezember-Wochenende herrscht. Kein Restaurantbesuch ohne Reservierung oder ewige Wartezeiten, ein 200 Meter langer Besucherwurm schlängelt sich, streng nach vorab vergebenen Eintrittszeiten, in den Louvre. Nur die Metro pumpt die Menschen unaufhörlich im Minutentakt, wie lebensnotwendige Blutkörperchen, unterirdisch durch die Stadt. Allerdings wirken wir dort im hektischen Pariser Alltagsgewusel, schwer bepackt mit Reisegepäck und sperrigen SUP-Säcken, wie drei Lastesel in einem Termitenhaufen.

Paris ist die Stadt, der man alles verzeiht.

Doch Paris ist die Stadt, der man irgendwie alles verzeiht. Selbst dicke Regentropfen auf Kopfsteinpflaster wirken hier nicht deprimierend, sondern romantisch. Das große Bier für 9,80 Euro? Na ja, "Denk dir einfach es wären Francs", spaßen wir – und genehmigen uns noch einen Cappuccino für weitere vier Euro hinterher. So ein Trip ist in den meisten Fällen eine "once in a lifetime"-Veranstaltung. Also: Zahlen und genießen! Gespart haben wir uns dafür den Eifelturm. Aus eigener Kraft in Reichweite daran vorbei zu paddeln – das erhebende Gefühl können auch tausende Touristen, die täglich mit dem Aufzug hoch fahren, wohl kaum nachempfinden.

Nach eineinhalb Stunden beeindruckender Tour klettern wir am Ziel die senkrechte Spundwand hinauf, entlüften unsere Boards für die Heimreise mit der Straßenbahn und genießen jetzt auch unseren heißen Tee in vollen Zügen – da schießt auch schon ein gut 90 Meter langes und acht Meter breites Frachtschiff mit rasanter Fahrt die Seine hinauf. So schnell es auch vorbeirauscht, es ist doch klar zu erkennen – einen Aufkleber "Ich bremse auch für Paddler" hat der Käpt'n nicht am Heck.

Beeindruckt verstehen wir, warum die immer wieder beschworenen 09.30 Uhr eine erbarmungslose, echte "Deadline" markiert. Denn unser Zieleinlauf ist gleichzeitig der Startschuss für den Berufsverkehr. Das kleine Zeitfenster ist damit definitiv geschlossen und wird sich erst in einem Jahr wieder öffnen.

Für 1000 verrückte Paddler – und wir wären sicher nicht die einzigen, die wiederholt am Start stehen.


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