DeutschlandSUP & The City - Tour de Ruhr

Sonnige Herbsttage bieten sich für die Tour besonders an. Auf dem Fluss ist dann praktisch kein Verkehr mehr, die umsäumenden Hügel leuchten in den prächtigsten Farben, wie hier an der Einstiegsstelle am Hengsteysee.
Foto: Stephan Gölnitz
Von Hagen bis Duisburg, auf gut 100 Kilometer Länge, erzählt die Ruhr am südlichen Rand des Ruhrgebietes vom historischen Erbe des „Kohlenpott”, vom strukturellen Wandel und bietet dazu ganz unerwartete Paddelerlebnisse in einsamer Natur.
Die Vier-Tages-Tour-de-Ruhr in der ÜbersichtskarteFoto: Stephan GölnitzDie Vier-Tages-Tour-de-Ruhr in der Übersichtskarte

1. TAG

Ich versuche das Gewimmel aus Kreisen, gebogenen Pfeilen und Zahlen auf dem Papier vor mir zu verstehen. Die Skizze ist ein Zwischending aus New Yorker U-Bahn-Plan und Intelligenztest für Hochbegabte. So soll also unsere Übernachtungstaktik aussehen? Für vier Tage Paddeln auf der Ruhr hatte Jochen eine logistische Masterarbeit abgeliefert: wie wir von Hagen bis Duisburg ruhrabwärts paddeln könnten und uns dabei – mit taktischer Unterstützung von Land – sein Wohnwagen mittels zwei Autos und einer zusätzlichen Fahrerin irgendwie immer an den nächsten Übernachtungsplatz voraus eilt. So wie bei der Geschichte von „Der Hase und der Igel” hatte den Plan bis zum Schluss außer ihm selbst keiner verstanden. Doch er funktionierte.

Hätten wir vorher geahnt, wieviele wirklich coole, fertig präparierte Übernachtungs-Plätzchen wir auf der Tour passieren würden, hätten wir diesen Teil der Planung sicher anders gestaltet. Apropos stromabwärts – die Ruhr ist vom Hengsteysee bis zum Rhein von vier großen Stauseen und zahllosen Wehren unterbrochen, die Strömungsgeschwindigkeit auf der gesamten Strecke eigentlich nicht vorhanden. Jeden Meter, den du hier paddelst, bist du auch wirklich gepaddelt. Wir haben die Strecke in vier Etappen eingeteilt, jeweils maximal 25 Kilometer, die sich über einen langen Tag verteilt gut paddeln lassen.

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Hengsteysee bis Witten

In Hagen, dem „Tor zum Sauerland”, finden wir direkt am Nordrand des Hengsteysees einen Parkplatz und eine Einstiegstelle an der verlassenen DLRG-Station (Foto ganz oben). „Na toll, und wer rettet uns dann?” spotten wir noch. Doch würden wir am Ende noch auf Hilfe angewiesen sein. Beim gemächlichen Einpaddeln diskutieren wir, ob wir Fotos ohne Leash veröffentlichen können – wir haben nämlich nur zwei dabei. Aber wir sind zu dritt, es herrschen hochsommerliche Temperaturen – eigentlich alles safe. Als einer einwirft, wir könnten als „Unverantwortungslos” dastehen, brechen wir nach kurzer Pause in Gelächter aus, haben damit für den Rest der Tour unser Codewort und über die Leash wird einfach nicht mehr diskutiert. Hoch oben trohnen bei der Einfahrt in den See die Ruinen der Hohensyburg aus dem 12. Jahrhundert.

Als erste Etappe zieht sich der Hengsteysee schon ziemlich lang, zum Glück entdecken wir rechter Hand nach einer Weile das „Köppchenwerk”, ein gigantisches Pumpspeicherkraftwerk, in dem seit den ’80er Jahren überschüssiger Strom genutzt wird, um Wasser in das hoch oben am Berg gelegene Becken zu pumpen und bei Bedarf dann wieder Strom zu erzeugen. Die Fallrohre reichen bis 45 Meter unter die Seeoberfläche, wo die Turbine in einem Schacht unter uns die energiespendenden Wassermengen verschlingt. Am Seeende ruht sich dann nicht nur die „Freiherr v. Stein” bereits vom Sommerbetrieb aus, auch wir genießen direkt vor dem Stauwehr im Restaurant „Proto im Schiffwinkel” zwei schnelle Cappuccinos während eine steife Herbstbrise bunte Blätter durch den Biergarten wirbelt.

Cappuccino-Pause an der „Freiherr v. Stein”Foto: Stephan GölnitzCappuccino-Pause an der „Freiherr v. Stein”

Ein Zeichen für uns, weiter zu paddeln, denn fehlende Wasserströmung plus Gegenwind kosten richtig Zeit. Denn auch wenn Christoph, unser SUP-Neuling, von seiner trotzigen Einstellung vor der Fahrt „ich paddel im Sitzen” schnell abgekommen ist – unser Durchschnittstempo als Genusspaddler liegt bei unter vier Kilometer in der Stunde. Wir tragen die Boards durch einen kleinen Tunnel im Wehr und folgen jetzt der Ruhr. Ab Witten ist Wassersportland, hier stehen die Vereinshäuser am Ufer wie die Begrenzungspfosten auf der Autobahn. Uns bleibt reichlich Zeit, zu philosophieren, warum bei den einen in verblasster Schrift Ruder-„Gesellschaft” auf den Hallen prangt, bei den anderen Kanu-„Verein”. Am Harkortsee macht die Ruhr einen scharfen Knick, der Wind dreht leider auch und kommt genau auf die Nase. Wir kämpfen uns durch ziemlich viele Algen, Enten und Gänse schauen uns dabei zu. Als wüssten die Inhaber, wann Paddler hungrig werden – lockt am Ende des Sees das „Boje”. Leider haben die sonnengeblendeten Augen übersehen, dass der Schnäppchenpreis „Folienkartoffel mit Garnelen” nur für die Kartoffel war – die Krabben kosten „on top”. Darauf genehmigen wir uns noch ein Weißbier, wir sind so langsam in guter Sommerferienstimmung.

Bis Witten paddeln wir durch saftig grüne und herbstliche Natur – wie überhaupt im gesamten ersten Abschnitt – mit Ausnahme der Passagen von Herdecke, Wetter und Bommern. Die folgende 200 Meter lange Umtragestrecke nehmen wir gelassen, dafür folgen Passagen mit spürbarer Strömung. Eine kurze Finne ist hier Pflicht, dann macht es richtig Spaß, flott geht es durch die saftigen Ruhrauen dahin. Leider hat „Biergarten Steger” auf der linken Seite im Oktober geschlossen. „Ein Muss”, weiß Local Jochen, „mit billigem Bier, Kartoffelsalat, Frikadelle und Bockwurst”. Wir hocken statt dessen mit Wasser und Brot auf dem Wehr in Witten (rechts). Die letzten vier Kilometer – entlang der „Wiege des Ruhrkohlebergbaus” mit der ehemaligen Zeche Nachtigall – bis zum KC Witten ziehen sich etwas, dort steigen wir in der Dämmerung aus.

Gestrandet: Bei Wasser und Brot auf dem Wittener WehrFoto: Stephan GölnitzGestrandet: Bei Wasser und Brot auf dem Wittener Wehr

2. TAG

Witten bis Bochum-Dahlhausen

Am zweiten Tag locken als Highlight der Kemnader See und ein angeblich etwas flotterer Abschnitt hinter Hattingen. Wir starten wieder am Wittener Kanuclub, der See ist schnell erreicht. Für mich eine Reise in die Vergangenheit. Was zu Kindeszeiten wie ein Baggerloch mit insolventer Baumschule drumherum aussah, empfängt uns in bunten Herbstfarben und üppiger Vegetation. Reiher, Gänse, sogar Kormorane entdecken wir in großer Zahl. Kaum vorzustellen, dass der künstlich gestaute See erst 1980 mit Wasser gefüllt wurde. Allerdings gedeiht hier auch unter Wasser alles prächtig, es erwarten uns Algenfelder der Extraklasse, was kombiniert mit Gegenwind für zähes Vorankommen sorgt.

Wir machen nach etwa zwei Drittel Seelänge bei der „Surfschule Westufer” auf der „Kemnader Seeterasse” Rast, wo reges Treiben herrscht. Die ebenfalls dort gelegene „Zeche Gibraltar” war Goldgrube für eineinhalb Jahrhunderte Kohlebergbau, hat dann ein schweres Erbe als Behausung der NSDAP angetreten. Eines der Gebäude ist heute als Bootshaus der Ruhr-Universität Bochum in erfreulicher Funktion zu neuem Leben erweckt worden – wo auch ordentlich gepaddelt wird. Auch die Wasserqualität hat sich geändert. Waren bei Windsurfregatten in den 90ern am zweiten Tag nur noch die Hälfte der Teilnehmer startfähig, ist die Ruhr heute eine wichtige Trinkwasserquelle – die wuchernde Wasserpest ein Zeichen guter Qualität. Durch die Bootsrutsche mit beängstigender Stahlarmierung lassen wir die Boards „solo” rutschen. Danach endlich etwas Strömung, wir fühlen uns für die Plackerei gegen Wind und Algen entschädigt und genießen den Ausblick auf die „Burg Blankenstein”, die Natur, die Stille und die Ruhe mitten im Ruhrgebiet.

Die letzten zwei Kilometer von der Kosterbrücke bis Hattingen verbuchen wir als „muss man ja durch” – geradeaus und etwas eintönig geht es hier entlang eines Radweges, vorbei an der ehemaligen Henrichshütte. In meiner Kindheit hatte der Hochofenabstich den schönsten, glutroten Sonnenuntergang bis nach Bochum-Wattenscheid vorgegaukelt. Dann wurde die Technik nach China verkauft, von wo wir jetzt billigen Stahl einkaufen – oder so ähnlich zumindest. Zur Belohnung für die Schinderei kehren wir noch vor dem Hattinger Wehr mit Bootsrutsche im „Landhaus Grumm” ein. „Weißbier – gut, Apfelkuchen – na ja”. So gestärkt und übermutig probieren wir die für uns neu entdeckte Rutsche erst im Sitzen, dann im Stehen. Bei Stürzen spült es das Board weit die Ruhr hinunter. Auf Höhe Isenburg freuen wir uns über einen wilden Ritt auf einer kleinen „Stromschnelle”, es folgen einige Kilometer mit wenigen rostigen Eisenbahnbrücken, Graffities, einer Rinderherde und eine recht lange, naturnahe Strecke nach Dahlhausen. Das Eisenbahnmuseum dort ist von nationalem Ruf, etwa einen Kilometer davor erreichen wir beim Linden-Dahlhauser Kanuclub auf dem Campingplatz „Wasserfreunde Ruhrmühle” unser Nachtquartier. In der spanischen Bodega „La Posta” servieren „Ralle” und „Barbie”, Tapas und andere Leckereien, überzeugen aber in Gusto und Masse – wobei unsere gierigen Energiespeicher auch nicht mehr wählerisch sind.

Die Bootsrutsche in Hattingen war zu verlockend. Beim nächsten Mal aber bitte mit Helm!Foto: Stephan GölnitzDie Bootsrutsche in Hattingen war zu verlockend. Beim nächsten Mal aber bitte mit Helm!

3. TAG

Dahlhausen bis Baldeneysee

Der dritte Tag startet in urbanem Umfeld, die Ruhr verläuft erst recht geradlinig und ohne Überraschungen. Erst das Horster Wehr bringt wieder Abwechslung in unseren Paddelalltag, auf dem weiteren Weg nach Steele bewundern wir die „Tiffany-Kunst” am Strommast, die unter geeignetem Winkel zu leuchten scheint wie eine Lampe. In Steele stärken wir uns im Cafe & Restaurant „Bootshaus Ruhreck” für die folgende Umtragestrecke am Spillenburger Wehr. Die weckt mit hohen Spundwänden nach dem Wehr und der stählernen Eisenbahnbrücke nicht gerade romantische Gefühle, doch die alte Industriestrecke steht sinnbildlich für den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Auf der Trasse, auf der früher Industriegüter in schweren Waggons tagein tagaus für den wirtschaflichen Aufschwung transportiert wurden, rollen heute leichte Freizeit-Fahrräder auf dem insgesamt 240 Kilometer langen Ruhrtal-Radweg.

Danach geht es wieder in die „Wildnis”. Unzählige Wasservögel, auch viele Reiher lassen sich von uns nicht aus der Ruhe bringen, als wir von Steele auf Essen-Holthausen zusteuern. Und endlich taucht er auf – der erste richtige Förderturm. Das Fotografen-Herz schlägt höher.Was steht sinnbildlicher für diese Region als die stählernen Gerüste, die über Jahrzehnte Generationen von Bergleuten – den „Kumpeln” – in die Tiefe und wieder hinauf gebracht haben – und Abermillionen Tonnen Steinkohle.

In Holthausen ist der erste Förderturm in Sichtweite. Die Gänse hier im Pott haben die Ruhe weg – wie die Bewohner.Foto: Stephan GölnitzIn Holthausen ist der erste Förderturm in Sichtweite. Die Gänse hier im Pott haben die Ruhe weg – wie die Bewohner.

„Vorne der Paddler, dahinter das Wahrzeichen des Pottes – Pottpaddler” – das Foto muss einfach passen. „Plopp”. „Es hat jetzt nicht Plopp gemacht”! Doch, hat es. Eine zwei Grad andere Perspektive sollte es werden, dabei mit dem Paddelgriff gegen die Kamera geschlagen und die versinkt gerade in der Ruhr. Die Gedanken überschlagen sich: „Habe ich die Fotos von gestern gesichert?” „Nein”. Wie sind die Chancen, an die Kamera zu kommen? „Keine Ahnung”. Egal, ich springe rein, tauche runter, zwei, drei, dann vielleicht vier Meter. Ich sehe nichts. Wir beratschlagen unzählige Optionen – die Kamera habe ich abgeschrieben, es geht jetzt nur noch um um die Speicherkarte. Jochens Bruder ist Taucher und im Kanuverein. Der hat aber keine Zeit, kennt aber wen. Volker kennt überhaupt immer wen. Zum Beispiel Sven. Tauch-Kumpel und Rettungstaucher. Der hat zwar kein Auto und auch „keine Luft auf der Pulle”, aber er kann auch Apnoe tauchen und kennt wen mit Auto. „Und außerdem ist er Rettungstaucher bei der Feuerwehr und die haben immer Luft”. Keine Stunde später steigt Sven mit seinem Tauchpartner „Hoschi” in die Ruhr und nach einer Minute mit der Kamera wieder auf. „Unter Wassersportlern hilft man sich doch” ist der lapidare Kommentar. Echte „Kumpels” eben. Danke!

Die Kamera ist am Ende, die Speicherkarte lebt! Wir müssen weiter, im Eiltempo. Die Strecke bis zum Baldeneysee ist wunderschön, vor allem jetzt im milden Licht kurz vor der Dämmerung. Die Ruhr wird hier in einer weiten Rechtskurve sehr breit, bevor es in weitem Linksbogen in den Baldeneysee übergeht.Wir haben uns in den Rhythmus dieses „Okavango-Deltas des Ruhrgebietes” eingelassen: Zweimal Paddeln, einmal aufs Bein klatschen. Denn nicht nur Vegetation und Wasservögel wirken hier unrealistisch tropisch, auch die Moskitoschwärme erinnern mehr an tropischen Sumpf als an Industrielandschaft. Und wir lernen: Der Baldeneysee ist verdammt lang. Unser Ziel, der „Knaus Campingpark”, wartet etwa einen Kilometer hinter dem See. Dort soll man 2019 auch Schlaffässer mieten können, auf uns wartet der Caravan. Also müssen wir die Sache jetzt durchziehen, paddeln schön nahe am Ufer, dicht zusammen und erreichen leider erst bei Dunkelheit das Wehr. Nach erstem Zögern – „ist das wirklich der Weg?” – geht es ab durch den Tunnel, danach, bis Werden, leuchtet uns teilweise die Straße den Weg und glücklich erreichen wir dann doch noch das Ziel. Wir wollen uns jetzt was gönnen. Die Empfehlung des Restaurants „12 Apostel”, nur fünf Minuten zu Fuß vom Platz, war dafür der Hit und wir verweilen dort, bei Portionen für Menschen mit Schuhgröße 47 und mehr, deutlich länger als geplant, bis der Kamera-Frust vergessen ist.

4. TAG

Baldeneysee bis Duisburg

Die letzte Etappe ganz durchzuziehen ist nur für den Eintrag ins persönliche Logbuch. Genusspaddler steigen in Mühlheim aus. Durch grüne Natur verläuft die Ruhr vom Baldeneysee bis Kettwig, das als altes Dörfchen Charme versprüht. Danach lassen sich die Renaturierungsmaßnahmen in den Kettwiger Ruhrauen beobachten. Vor der gigantischen A52-Brücke im „Flusshaus Wasserbahnhof” eine Rast, dann geht es vorbei an mächtigen Villen bei Menden, anschließend rechts in die Stadt. Mitten in der Stadt durch einen riesigen Springbrunnen zu paddeln, wäre dann vielleicht der krönende Tourabschluss. Doch wir hetzen weiter durch Industrieambiente, unsere Abholung ist fix terminiert. Von bedrohlichen, nicht zu erklimmenden Spundwänden bedrängt, darüber unwirtliche Schwerindustriehallen, rufen wir im Vorbeifahren einen Angler um Rat. „Wenn ihr wat von mir wollt, müsst ihr schon herkommen!” schallt es herunter. Woanders wäre man jetzt lieber weiter gepaddelt, doch in einer Region in der die Begrüßung „Na, lebste immer noch?” durchaus freundlich gemeint ist, nehmen wir das einfach wörtlich und fragen aus der Nähe nach. Schnell wird klar. Hier ist Schluss. Aus. Vorbei. Über eine schmale, verrostete Eisenleiter hieven wir Gepäck und Boards ein paar Meter senkrecht die Stahlbewehrung hoch. So stellt man sich vielleicht den Ruhrpott vor. Doch wir wissen: „Es ist alles ganz anders”.

SUP-Redakteur Stephan Gölnitz (Mitte) und seine Retter Sven und "Hoschi"Foto: Stephan GölnitzSUP-Redakteur Stephan Gölnitz (Mitte) und seine Retter Sven und "Hoschi"

Diese Reportage erschien erstmal in SUP 1/2019


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