Wind-SpecialDer Mistral in Südfrankreich

Dr. Michael Sachweh

 · 20.12.2022

Nicht nur Südfrankreich, sondern auch die Balearen und vor allem Korsika und Sardinien kommen in den Genuss des Mistral.
Foto: Jean Souville
Wie ein Überfallkommando schießt der Mistral durch das Rhônetal sowie die Garonne-Carcassonne-Senke und schwärmt dann über das Mittelmeer nach Süden und Osten aus. Dabei fegt er nicht nur über die südfranzösischen Spots hinweg, sondern erreicht mitunter auch die Balearen und vor allem Korsika und Sardinien.

Was würde mal wohl entgegnen, wenn jemand behauptet, einer der sturmreichsten Spots der Erde läge im Mittelmeer? Vermutlich so etwas wie: „Was hast du denn genommen?“ Doch es stimmt. Der französische Küstenabschnitt des Mittelmeers zwischen Pyrenäen und Seealpen hat‘s windmäßig in sich, ist in der Sturmhäufigkeit sogar auf Augenhöhe mit Kap Hoorn.

Dies aber nur bei bestimmten Wetterlagen – und im Unterschied zum berüchtigten Kap ausschließlich bei solchen, bei denen es ablandig weht und die Sonne scheint.


Spots mit Mistral:


Mistral heißt dieser Wind. Als Namenspate hat das lateinische „ventus magistralis“ gestanden: „Herrscherwind“. Nomen est omen, denn dieser oft als Starkwind oder Sturm daherbrausende Nordwest beherrscht – zumindest episodenweise – die gesamte Löwengolf-Küste. Wenn er wütet, sucht jeder Schutz. Fast jeder: Wer an Mistraltagen die einsam gewordenen Strände besucht, trifft auf die vom Glück beseelten Starkwindsurfer.

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Typische Wetterkarte

Ein Hoch bestimmt die Wetterlage im Raum Nordspanien-Biskaya-Westfrankreich. Relativ niedrig ist der Luftdruck dagegen in Oberitalien samt dem Ligurischen Meer. Das resultierende Luftdruckgefalle zwischen beiden Gegenspielern konzentriert sich auf den küstennahen Teil des mediterranen Südfrankreichs samt Löwengolf. So gelangen Luftmassen aus West-, Mittel- oder Nordeuropa via Frankreich beschleunigt ins nordwestliche Mittelmeer. Düseneffekte im Ausgang des Rhônetals zwischen Seealpen und Zentralmassiv (bzw. im mittelmeernahen Teil der Garonne-Carcassonne-Senke zwischen Zentralmassiv und Pyrenäen) sowie Fallwinde seeseitig der Berge) sorgen für einen zusätzlichen Speedfaktor.

Wirkungsgebiet

Heimgesucht vom Mistral wird der gesamte Küstenabschnitt von den Stränden Perpignans im Westen bis etwa zur Bucht von Toulon im Osten. Ein starker Mistral vermag den gesamten Löwengolf aufzuwühlen und reicht mit Ausläufern bis nach Korsika und Sardinien. Dort sorgt er an den Westküsten durch den hohen Seegang auch bei den Starkwindsurfern für betrübte Mienen - die sich dann aber in der Meerenge zwischen Korsika und Sardinien wieder aufhellen. Denn dort wirkt der Düseneffekt in der Straße von Bonifacio wie eine Verjüngungskur für den Mistral – und so wandelt sich der starke Nordwest auf dem Weg in die Enge zwischen den Kaps beider Inseln in einen ausgewachsenen Weststurm.

Der Mistral ist ein harter Bursche, oft eiskalt und brutal fällt er über die südfranzösische Küste her.

Hochsaison

Am stärksten weht der Mistral im Winterhalbjahr. Dann hat er fast immer heftge Sturmböen mit im Gepäck, durch lokale Ecken- und Düseneffekte ist der Surfer auch vor Orkanböen nicht sicher. Aber auch in September und Mai ist man bei ausgeprägten Mistralwetterlagen nicht sicher vor schweren Sturmböen.

Juni bis August ist er pflegeleichter und bläst mäßig bis stark, häufig mit vier bis sechs Beaufort. Dann dauert eine Mistral-Episode selten länger als ein bis drei Tage.

Typische Wetter- und Windbedingungen

Der Wind weht mit vier bis sechs, in Böen sieben Beaufort aus Westnordwest bis Nordnordwest. Er ist dicht unter der Kuste außerordentlich böig. Besonders im Sommer schwächelt er mittags und nachmittags ein wenig, die stärksten Böen gibt’s nachts und morgens.

Anfangs ziehen einige Wolkenfelder durch. Später ist es ausgesprochen sonnig. Dabei ist die Atmosphäre von großer Transparenz, die fur eine berauschende Fernsicht und einen leuchtend blauen Himmel sorgt. Gen Osten, in Richtung Côte d‘Azur und Ligurisches Meer, gibt es oft eine scharfe Grenze zu bewölktem oder zumindest sehr diesigem Wetter. Mittags und nachmittags ist es im Sommer relativ warm, sonst eher kühl.

Verstärkungsfaktoren

Bei einer Mistralwetterlage ist der Luftdruck über der Ligurischen See verhältnismäßig niedrig. Intensiviert sich der Luftdruckabfall dort derart, dass ein eigenständiges Tief über dem Golf von Genua entsteht, gibt das dem Mistral einen gewaltigen Kick – aus dem Starkwind wird ein Sturm. Zugleich weitet sich sein Herrschaftsbereich erheblich über den Löwengolf hinaus. Mit einem Mal liegt Menorca voll in der Mistraldüse, und an Korsikas und Sardiniens Westküsten hämmert eine gewaltige Brandung. In Lee der Inseln ist man vor Fallböen nicht sicher, besonders berüchtigt für die Fallböen bei Mistral ist der Nordosten Korsikas rund um Bastia. In der Straße von Bonifacio, der Meerenge zwischen beiden Inseln, herrscht bei einer starken Mistralwetterlage schwerer Sturm oder gar Orkan – aber bei gedämpftem und damit surftauglichem Seegang!

Mistral-Fallböen drohen an der Ostküste Korsikas, wenn sich am Himmel auffällig übereinandergestapelte Wolkenlinsen mit ovalem Grundriss formen.Foto: Dr. Michael SachwehMistral-Fallböen drohen an der Ostküste Korsikas, wenn sich am Himmel auffällig übereinandergestapelte Wolkenlinsen mit ovalem Grundriss formen.

Störfaktoren

Jede Änderung der Großwetterlage, die zu steigendem Luftdruck über dem Ligurischen Meer führt, schwächt den Mistral. Gleiches gilt für das andere Luftdruck-Fundament des Mistrals: Schwächelt das westeuropäische Hoch, etwa weil ein Atlantiktief heranzieht, geht dem Nordwest die Puste aus.

Zudem neigt ein nur schwach ausgeprägter Mistral im Hochsommer ganz gern mal dazu, sich mittags und nachmittags mitunter der thermisch induzierten, auflandigen Seebrise (sie wird durch erwärmtes Land und kühle See erzeugt) geschlagen zu geben. Dies geschieht selten am ersten Tag eines Mistralausbruchs, eher am zweiten oder dritten Tag.

Der Spot La Franqui nördlich von Leucate hat sich zum europäischen Speed-Mekka gemausert. Hier wurden bereits diverse Weltrekorde aufgestellt.Foto: VeranstalterDer Spot La Franqui nördlich von Leucate hat sich zum europäischen Speed-Mekka gemausert. Hier wurden bereits diverse Weltrekorde aufgestellt.

Besonderheiten

Der normale Mistral ist eine Nordwest- bis Nordströmung, dabei wirkt das Rhônetal als Hauptdüse. Manchmal sorgt die Luftdruckverteilung dafür, dass die Luftströmung eine größere West- als Nordkomponente hat. Im dem Fall wechselt die Hauptdüse vom Rhônetal zur Garonne-Carcassonne-Senke (zwischen Pyrenäen und Zentralmassiv). Ein starker Mistral aus West bis Nordwest fegt dann über die gesamte Westküste des Golfs – dort auch Caers genannt – von den Stränden von Narbonne im Norden bis südlich von Perpignan im Süden. Zur Freude der Locals rund um Leucate, wo dann regelmäßig neue Rekorde im Speedwindsurfen aufgestellt werden. Der Spot La Palme, nördlich von Leucate, ist Austragungsort des Prince of Speed.

Der Mistral verzückt sowohl die Wavefreaks als auch die Speed-Ritter. Die Ètangs locken auch Freerider an.

Der Mistral-Fächer

Ein Hochdruckgebiet über der Biskaya und niedriger Druck über dem Ligurischen Meer lassen den Mistral entstehen. Das Rhonetal und Garonne-Carcassone-Senke verstärken den Wind, der bis weit ins Mittelmeer reichen kann. Was viele Windsurfer lieben, ist schon zahlreichen Freizeitkapitänen zum Verhängnis geworden.

Wind-Special Südfrankreich: Der MistralFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special Südfrankreich: Der MistralFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special Südfrankreich: Der MistralFoto: Dr. Michael Sachweh

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