Wieder einmal, wie schon so oft an diesem Tag, überschlägt sich die Stimme von Livestream-Kommentator Ben Proffitt. Der Grund: Gefühlt aus nur wenigen Metern Entfernung sieht er, wie einer der Slalom-Piloten an der letzten Boje beim PWA World Cup in Pozo den sicher geglaubten Sieg im Atlantik versenkt. Die Drohne und die Flugkünste von Johannes Hertel liefern nicht nur Ben, sondern auch uns allen die Dramatik des Windsurfens so unmittelbar auf den Bildschirm wie nie zuvor. Gerade im Slalom spielen sich die meisten spannenden Kämpfe weit draußen auf dem Meer ab – vom Strand weder mit dem bloßen Auge noch mit einer Kamera einzufangen. Wer gerade in Führung liegt, wer crasht, wer einen Fehlstart fabriziert hat, bleibt meist Mutmaßung und nimmt den Wettkämpfen ihre Faszination.
Damit ist spätestens seit dieser World-Cup-Saison Schluss. Schon beim IWT-Event auf Fidschi begeisterte der australische Drohnenpilot Paul van Bellen mit seinen Aufnahmen die Windsurf-Szene. Gestochen scharf in höchster Qualität und nur wenige Meter von den Profis entfernt nahm er uns mit an einen Platz, den nur die wenigsten Windsurfer jemals in ihrem Leben live besuchen können. Dabei waren die Aufnahmen auf Fidschi noch vergleichsweise einfach zu produzieren. Sehr wenig Wind, große Wellenabstände und die Surfer immer am gleichen Platz, um ihre Wellenritte zu starten. Dafür war Paul immer da, wo sich Triumphe und Dramen abwechselten. Niemand wird den spektakulären Waschgang von Marcilio Browne je vergessen – die Drohne hat das Massaker im Millisekunden-Takt und 4K-Qualität für die Nachwelt festgehalten.
Die Voraussetzungen beim World Cup in Pozo waren für Johannes Hertel das krasse Gegenteil: 40 bis 50 Knoten Wind, Staub am Strand, Salz in der Luft und ein heilloses Chaos auf dem Wasser. Doch der in Portugal lebende Tutzinger trotzte mit seiner Drohne allen Widrigkeiten und bescherte uns beste Windsurf-Unterhaltung.
Gleich mal eine heikle Frage vorab: Wie viele Drohnen hast du schon im Meer versenkt?
Leider zwei Stück – aber ich habe sehr lange eine weiße Weste gehabt. Für mich hat es immer oberste Priorität, dass die Drohne wieder heil zurückkommt. Bei manchen Leuten scheint es eine Art Statussymbol zu sein, wie viele Drohne man schon versenkt hat – das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich möchte auf keinen Fall eine Drohne verlieren, geschweige denn, jemanden gefährden. Deshalb habe ich mir auch unglaublich viel Zeit zum Lernen gelassen.
Du lebst in Portugal, stammst aber aus Deutschland. Erzähl doch mal kurz deine Lebensgeschichte.
Ich lebe jetzt seit drei Jahren in Lagos an der Algarve. Geboren bin ich in München und in Tutzing am Starnberger See aufgewachsen. Meine Jugendzeit war extrem von Musik, Fotografie und Actionsport bestimmt. Ich habe in Big Bands aber auch Metal Bands gespielt. Mein Vater war sehr früh vom Windsurfen gecatcht und mein älterer Bruder und ich haben auch ganz jung – ich war fünf – angefangen. Später habe ich dann sehr intensiv gesegelt, Opti und 420er, aber das war so das Ernste, Windsurfen war für mich immer das Nonplusultra. Ich glaube, das lag am Film „RIP“ von Robby Naish. Den habe ich bestimmt 30 Mal gesehen. Mich haben vor allem die Helikopter-Aufnahmen auf dem offenen Meer und in „Jaws“ fasziniert. Zusammen mit der Musik hat mich das geprägt. Da hat vielleicht vieles seine Ursprünge – ich habe Filmmusik studiert und Personal-Trainer-Lizenzen gemacht.
Wie bist du dann auf Portugal gekommen?
Ich hatte Portugal eigentlich gar nicht auf dem Zettel. Eigentlich wollte ich dort hin, wo wir auch immer Sommerurlaub gemacht haben. Nach dem Studium und der Ausbildung wollte ich einfach mal ausprobieren, am Meer zu leben und theoretisch jeden Tag aufs Wasser zu können – ob zum Windsurfen, Kiten, Stand-up-Paddeln oder Surfen. Irgendwie war dann aber plötzlich doch Portugal auf dem Plan, aber eigentlich eher Peniche, was ich aus Magazinen kannte. Das war, kurz bevor Covid ausbrach, und mehr oder weniger durch Zufall bin ich in Lagos gelandet. Dort hat es mir gleich sehr gut gefallen. Es ist für nichts der perfekte Spot, aber man kann in der näheren Umgebung alles einigermaßen gut machen. Mir gefiel die Stadt, die Natur und dass man dort gut mit Englisch klarkam. Außerdem bekam man wegen Covid zu der Zeit ziemlich gut eine Wohnung.
Bist du mit Freunden oder alleine losgezogen?
Ich war alleine. Ich habe das Wohnmobil vollgeladen mit allem, was ich auf dem Wasser gebrauchen kann, und bin völlig überladen darunter. Ich wollte es einfach ausprobieren. Ich habe auch nie gesagt, dass ich auswandere. Es hätte auch sein können, dass ich nach sechs Wochen heulend wieder nach Hause gefahren wäre.
Das ist aber dann wohl nicht passiert. Hast du einen festen Job?
Mittlerweile lebe ich von meinen Drohnenaufnahmen. Anfangs habe ich Musik für Filmtrailer gemacht, ich mag diese epische Hollywood-Filmmusik. Dann bin ich durch Zufall als Trainer in einen Wakeboard-Park gekommen und habe da schon viel mit GoPro gefilmt, auch beim Kiten und Windsurfen. Und irgendwann hatte ich die Gelegenheit, einmal mit einer Drohne zu filmen. Das Ergebnis war sehr überschaubar, aber es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich bin jemand, der sehr gerne übt. Dazu habe ich am Strand Surfer angesprochen, ob ich sie filmen darf, damit ich so viel wie möglich lernen konnte. Es bringt mir nichts, wenn ich Hochzeiten filme, wenn ich später im Wassersport gut werden will. Bei der Drohne fasziniert mich besonders, dass ich zu Plätzen komme, an die ich sonst als Mensch nicht oder nur unter großer Gefahr komme. So kann ich draußen hautnah dabei sein, ohne selbst draußen zu sein. Meinen ersten größeren Job hatte ich für eine Bootsmesse in Lagos, dann habe ich für Surfcamps gefilmt und so war es ein schleichender Prozess, dass ich mein Geld immer mehr mit dem Filmen mit der Drohne verdient habe.
Du hast, bevor du bei dem Windsurf World Cup warst, auch viel an der riesigen Welle in Nazaré gefilmt.
Nazaré ist ein einziger großer Spielplatz zum Filmen, aber auch nicht ungefährlich. Manchmal sind sehr viele Drohnen in der Luft und du weißt nie, wie die Welle genau bricht. Der Spot ist niemals gleich. Und durch den Shorebreak sind so viel Salz und Wasser in der Luft, dass das Funksignal gerne mal ausfällt.
Wie kam es dann dazu, dass du beim World Cup in Pozo den Livestream gefilmt hast?
Wie gesagt, ich übe sehr gerne und ich wollte einfach besser werden beim Windsurf-Filmen. In Portugal hatte ich schon einige Sachen mit Ben Proffitt und Simmer Style gemacht, aber ich dachte, wenn ich wirklich gut werden will, muss ich dahin, wo die besten Bedingungen und die besten Surfer sind. Deshalb habe ich beschlossen, für vier Wochen nach Gran Canaria zu fliegen. Ich wollte mindestens zwei Wochen vor dem Event da sein, damit ich genug Zeit zum Üben hatte. Ich konnte bei Ben wohnen und habe in der Zeit sehr viel mit Alessio Stillrich gefilmt. Aber auch mit Lennart Neubauer und Takuma Sugi, die hatten richtig Lust darauf und wir haben viel experimentiert, auch mit Sounds. Anfangs hieß es, es gebe für den Livestream im Slalom einen Drohnenpiloten, doch dann gab es offensichtlich Probleme und Björn Dunkerbeck sagte mir, ich solle zum PWA-Direktor Rich Page kommen. Wir haben dann kurz gesprochen und fanden einen guten Deal. Und 40 Minuten später bin ich im Livestream geflogen. Zum Glück hatte ich alles vorbereitet, weil ich ohnehin filmen wollte.
War es ein großer Unterschied, für den Livestream zu fliegen oder nur für sich?
Ich hatte das Glück, dass es einen Assistenten von der Produktionsfirma gab, der sich mit der Technik extrem gut auskannte und selbst Drohnenerfahrung hatte. Ich konnte mich voll aufs Filmen konzentrieren. Er hat die Drohne gefangen, die Akkus gewechselt und ich konnte mich zwischendurch etwas ausruhen. Teilweise habe ich sechs bis sieben Stunden gefilmt, das ist schon anstrengend, vor allem, wenn man, wie in Pozo, den ganzen Tag von neun Windstärken durchgerüttelt wird.
Wie hält die Technik das durch?
Ich bin wirklich fasziniert, wie gut die funktioniert, auch bei viel Wind. Gut ist diese Dauerbelastung für die Drohne bestimmt nicht. Ich stelle mir das immer so vor, als wenn ein Auto immer im roten Drehzahlbereich führe. Am ersten Tag im Waveriding in Pozo bin ich nonstop 28 Akkuladungen hintereinanderweg geflogen.
Welche Drohne benutzt du?
Eine Mavic 3, die ist für mich sehr gut, ist schnell und wendig und wiegt nicht so viel. Ich habe auch noch eine größere Inspire, aber die wiegt schon deutlich mehr und das ist mir einfach zu gefährlich, wenn sie doch unkontrolliert irgendwo reinfliegt oder auf jemanden fällt.
Die Livestreams von Pozo und auch Fuerte, in denen du den Freestyle gefilmt hast, kam in der Szene extrem gut an. Glaubst du, diese Art der Berichterstattung erreicht auch eine größere Zielgruppe?
Natürlich ist es wichtig, erst einmal die Core-Community zufriedenzustellen. Aber ich versuche immer eher von draußen darauf zu schauen. Es muss gelingen, jemanden, der überhaupt nichts mit dem Sport zu tun hat, von der ersten Millisekunde dafür zu begeistern. Dabei können die Drohnenaufnahmen ein wichtiger Teil sein.