In einer Welt, in der alles geplant und katalogisiert ist, in der Autos, Flugzeuge und Satelliten um uns herumschwirren wie Insekten um ihren Bau, ist es nahezu unmöglich, noch neue Dinge zu entdecken, unverbrauchte und authentische Flecken zu finden und an Spots zu windsurfen, an denen noch nie jemand zuvor gesurft ist. Trotzdem gibt es sichere Wege, die Jungfräulichkeit deiner Windsurfziele zu gewährleisten: 1. Ein höheres Risiko einzugehen, sich auch mal vergeblich auf die Suche zu machen und 2. Mit Gefahr toleranter umzugehen.
Gefahr. Es ist nicht das, wonach wir suchen, nicht die Nummer eins auf unserer Hitliste. Trotzdem wurde sie bei unserem letzten Besuch in Kapstadt ein stiller Begleiter, mehr, als wir dies vorher antizipiert hätten. Kapstadt – ich war schon zwei Mal dort gewesen, insgesamt zehn Wochen und natürlich hatten wir auch in dieser Zeit die Flautenphasen mit einer Menge Fahrerei überbrückt. Deshalb erwartete ich von meinem dritten Besuch eher neue Moves als neue Spots. Wie sehr ich mich irrte.
Binnensee-Rampen für Backloops
Balz Müller: Für mich war es das erste Mal in Kapstadt, ich war aufgeregt Neues zu entdecken, zu windsurfen und mein Level auf Flachwasser und in der Welle zu verbessern. Den Winter davor hatte ich in Westaustralien bei Karin Jaggi und Patrik Diethelm verbracht, ich wusste also wie es ist, acht Stunden zum „Local Spot“ um die Ecke zu fahren. Die Distanzen dort sind von einem ganz anderen Stern. Südafrika war für mich also pure Entspannung, Surfen konnte man hier wirklich vor der Haustür. Dass wir dennoch auf Tour gingen, lag einfach am unzuverlässigen Wind. Adam erzählte mir an einem Flautentag erstmals vom Brandvlei, einem See, der zwei Stunden entfernt, im Umland gelegen ist, an dem es mit 40 Knoten ballerte und wo die Sonne schien, auch wenn das Kap in Regen und Flaute festhing. Dass man dann angeblich auch noch in Shorts würde windsurfen können und es Rampen, groß genug für Backloops geben sollte, brachte meine Tagträume endgültig in Gang.
Ich freute mich darauf, Balz den im Inland gelegenen See zu zeigen. Ich wusste aus Videos, dass er es mögen würde, schließlich ähneln die Bedingungen dort denen seiner Heimat, dem Urnersee in der Schweiz: Viel Wind und ein ansehnlicher Chop, über den man verrückte Sachen machen konnte.
Als wir losfuhren, beschlichen mich allerdings größere Zweifel, ob das wirklich sinnvoll sein konnte: Bei null Wind und Dauerregen packten wir unsere 4,0er- und 4,4er-Segel ein und fuhren los gen Osten, vorbei am Tafelberg und dem an seinen Flanken gelegenen Nobelviertel Rondebosch, hinüber in die Ebene um Mitchel’s Plain und seinem berüchtigten Township Khayelitsha. Dort, so sagt man, leben im drittgrößten Elendsviertel Südafrikas 400.000 Menschen. Die genaue Zahl kennt niemand, seit das Township 1950 infolge des Group Areas Act – der Schwarzen verbot in den Städten zu leben – gegründet wurde, wuchs dieses weitgehend unkontrolliert und unorganisiert.
In den Bergen sind die Vorhersagen schwieriger
Es regnete weiterhin in Strömen, als wir die Autobahn entlangfuhren. Wir starrten in den dicken Seenebel, der von der Seite des Indischen Ozeans herüberwaberte und die Umgebung noch mysteriöser und skurriler erscheinen ließ. Immer wieder liefen Menschen aus den Slums über die Straße und man musste höllisch aufpassen. Dies war kein Zeitpunkt und kein Ort für eine Autopanne und wir waren froh, als wir Kapstadt hinter uns ließen und in die schroffen Hottentots-Holland-Berge weiterfuhren. Als wir am Ende aus einem Tunnel kamen, blendete uns das grelle Licht der Sonne und ich verriss fast das Steuer wegen des plötzlich herrschenden Seitenwindes.
Wir hatten eine tolle Session am See, mit allerlei verrückter Sachen, Crashes und dies alleine mit ein paar Freunden, auch wenn die Wellen etwas kleiner waren als erhofft. Surfen auf einem Bergsee ist etwas völlig Neues. Du weißt nie was dich erwartet. Zuhause in England schaut man auf die Vorhersage, fährt ans Meer und im Prinzip passiert alles so, wie man es erwartet. In den Bergen ist alles aufregender. Balz wusste bereits von seinen schweizer Homespots wie es ist, andauernd Daten über Luftdruck, Bewölkung, kleinste Temperaturunterschiede und gradgenaue Windrichtungen im Auge behalten zu müssen, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Daher machte er sich auch ein paar Tage später, zusammen mit seinem Mitbewohner, Freestyle-Weltmeister Steven van Broeckhoven, erneut auf den Weg: „Steven und ich fahren wieder ins Inland, ein bisschen Thermik-Wind surfen. Kommst du mit?“ Ich war mir diesmal sicher, dass es eine Schnapsidee sein würde. Am Abend fraß ich meine Faust, als die Jungs völlig fertig und mit leuchtenden Augen zurückkamen, während ich den ganzen Tag mit meinem 5,2er am Sunset Beach herumgedümpelt war. Fuck!!!
Am nächsten Tag war ich natürlich wieder mit dabei. Wir fuhren zuerst in einem Konvoi aus drei Autos, trennten uns aber auf dem Weg, weil wir noch eine andere Route ausprobieren wollten. Als wir eine Brücke über einen Stausee querten, pfiff es uns um die Ohren und wir verlangsamten die Fahrt. Im Uferbereich konnte man noch die abgestorbenen Baumstümpfe sehen, die entstanden waren, als der See vor einigen Jahren geflutet worden war. Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Baumstümpfen! Es sah riskant aus, aber in meinem Kopf lief schon ein Film ab. Letztlich surften wir an einem anderen Spot, aber die Vorstellung es an der Brücke zu versuchen, ließ uns nicht los. Es sollte einige Wochen dauern, bis es soweit kam, denn in Kapstadt kehrte mit der Rückkehr des üblichen „South Easter“ wieder die Routine vor der Haustür ein: Rietvleisee am Morgen, Big Bay am Nachmittag…
Spot Check in Kapstadt aus dem Flugzeug
An einem wolkenlosen Tag ohne Wind, dafür aber mit großer Hitze, stand ein Ausflug auf den Tafelberg oder auf den Lions Head zur Auswahl. Wir entschieden uns gegen Touristenmassen und kletterten auf den Letzteren, von dem man einen unglaublichen Blick auf Kapstadt hat. Dort oben lernten wir zwei Typen kennen, deren Job es ist, andere Piloten aus- und fortzubilden. Wir unterhielten uns, genossen die fast schon kitschige Szenerie und im Tausch gegen ein paar unserer kühlen Bierchen verging nicht viel Zeit, bis wir den Typen einen Rundflug über Kapstadt und das nähere Umland aus dem Kreuz geleiert hatten. Natürlich wollten wir dabei auch aus der Luft nach neuen Spots Ausschau halten und schauen, wo es potenzielle Orte für unseren nächsten Trip ins Landesinnere gäbe – Google Earth 2.0!
Der Flug war unglaublich, in vielerlei Hinsicht. Wir bekamen die Aussicht, die wir uns erhofft hatten, inklusive eines Überblicks über den Spot mit der großen Brücke und den abgestorbenen Bäumen. Wir bekamen aber auch Adrenalinschübe, auf die wir nicht wirklich vorbereitet waren, denn unsere beiden Piloten machten sich einen Spaß daraus, Flügelspitze an Flügelspitze nebeneinander herzufliegen und ein paar Manöver zu machen, bei denen man befürchten musste, dass es einem den Magen auf links dreht. Wir wurden still und trösteten uns mit dem Gedanken daran, dass die Jungs – als Ausbilder für Piloten auf der ganzen Welt – ja wissen müssten, was sie tun.
Einen Tag später standen wir an der Brücke mit den Baumstümpfen. Es stürmte und neben uns donnerten die schwer beladenen LKW auf dem Weg nach Kapstadt vorbei. Ich hatte gerade einmal geblinzelt, da rannte Balz schon völlig unter Strom Richtung Wasser. Ich versuchte ihm zu folgen, als mir zwei Dinge in den Kopf schossen: Das erste war ein ungeahnt waches Gefühl, alle Sinne schienen geschärft, ich schien jede Nuance der apokalyptischen Stimmung – die dunklen Wolken, die über die Berge von Kapstadt herüberdrückten und den modrigen Geruch des Wassers – in mich aufzusaugen.
Ein einziger Adrenalinrausch
Das zweite Gefühl war Angst. Überall um uns herum ragten die schwarzen Stümpfe wie Todesstachel aus dem braunen Wasser, das mir aufgrund des schlechten Wetters noch dunkler und bedrohlicher erschien. Man konnte nicht sehen, ob sich Baumreste auch unter Wasser befanden und uns beim ersten Crash aufspießen würden. Trotzdem war es zu faszinierend, um es nicht zumindest zu versuchen. Der Wind war stark und es liefen amtliche Rampen über den See, was dafür sprach, dass es in der Mitte ausreichend tief und damit halbwegs sicher sein müsste. Nur Balz und ich, die Szenerie, die Gefahr – die Session war ein einziger Adrenalinrausch. Nach einiger Zeit fuhr ich etwas Höhe, an einen Ort, der ein bisschen sicherer aussah. Als ich nach Lee blickte, sah ich wie Balz inmitten einiger Baumstümpfe in einen kopfhohen Air Shaka abhob. „Holy Shit“.
Das war der eigentliche Startschuss. Balz winkte und rief mir zu, dass er umhergeschwommen war und unter der Wasseroberfläche keine Baumstümpfe zu finden gewesen waren. So ganz konnte ich seinen Optimismus zwar nicht teilen, trotzdem gab es von da an kein Halten mehr. Über die steilen Rampen waren sogar Backloops möglich, am Ufer standen Oli Stauffacher und meine Freundin Hanna, die jeden Moment mit der Fotokamera festhielten und mittendrin ich und natürlich Balz, der gerade mal wieder in drei Meter Höhe durch irgendwelche wilden Sachen wirbelte. Nach einer Stunde schlief der Wind ein. Aus. Seitdem waren wir nie wieder an diesem Ort windsurfen. Ich weiß auch nicht, ob ich das noch mal haben muss…
Balz Müller: Es war das intensivste Windsurfen meines Lebens. Einerseits waren die Bedingungen und die Szenerie unfassbar, andererseits war es totaler Schwachsinn und im Nachhinein konnte ich niemandem erklären, was wir uns dabei gedacht hatten. Ob ich es wieder tun würde? Zur Hölle, wahrscheinlich schon, aber ich wäre ein bisschen vorsichtiger… vielleicht.
Kaum ein Tag ohne Surfen in Kapstadt
Die Aktion an der Brücke hatte eine kleine „Lawine der Verrückten“ losgetreten, fast jeden Tag fuhren wir irgendwohin abseits von Kapstadt, um an einem anderen besonderen Ort zu surfen. Wir fuhren hoch Richtung Langebaan, der bekannten Lagune im Norden, wo die meisten Leute nur den Ort und die angrenzenden Buchten kennen. Steven nahm uns mit an einen unglaublichen Spot am Rande des Naturreservats. Man musste vom Ausgangspunkt nochmal einige Langschläge hochkreuzen, aber was uns dort erwartete, war wie aus einer anderen Welt: Das saftige Gras, die Wasserfarben, die Windsurfbedingungen – es war so kitschig, das es schon beinahe wehtat. Einige Freunde – Marco Lufen, Oli Stauffacher, Hanna und andere – kamen hinzu. Man konnte sehen, dass sie alle den gleichen Antrieb hatten wie wir. So viel wie möglich zu windsurfen und die neuen Orte und Eindrücke in sich aufzusaugen. Und das am besten jeden Tag!
Dass wir neben all den tollen Eindrücken, die wir durch unsere Reisen ins Umland gesammelt hatten, auch noch viel öfter auf dem Wasser waren, während sich die Surfmassen an den altbekannten Spots in und um Kapstadt um ein paar Böen prügelten, rundete die Sache ab und zeigte uns: Wer auf Flachwasser seinen Spaß haben kann und bereit für Neues ist, wird in Südafrika kaum einen Tag ohne Windsurfen verbringen müssen. Wer hingegen nur am Sunset Beach sitzt und auf Wellen wartet, schon. Es gab so viel Tage, an denen dort der Wind nicht kam, der Swell zu klein war und das waren im Nachhinein die spannendesten Tage, einfach weil wir uns mit allem zufrieden gaben, was uns geboten wurde. Es war die Verzweiflung, die uns angetrieben hatte, diese Orte zu finden, und es ist die Gefahr, die uns davon abhält manche davon wieder zu besuchen. Zumindest bis nächstes Jahr….
Alternativspots in Kapstadt mit Flachwasser
1) Rietvlei:
Nein, der direkt zwischen Sunset Beach und Milnerton gelegene See ist kein Geheimtipp, aber eine tolle Flachwasseralternative, wenn der Ozean keine oder zu große Wellen schickt. Funktioniert bei typischem South Easter. Einstieg gegen kleines Geld am Milnerton Aquanautic Club
2) Sandvlei:
Flachwasser-Alternative südöstlich von Kapstadt. Oft geht’s hier mit dem 4,2er, wenn Kapstadt noch auf das Einsetzen des South Easter wartet. Oft aber auch nicht. Das Lotteriespiel ist verschmerzbar, es sind von Kapstadt nur 25 Kilometer über die M3 Richtung Muizenberg. Gesurft wird an der Westseite des vielerorts stehtiefen Sees (Lake-side), im Sommer reichen meist Shorts oder Shorty. Auf dem Rückweg lohnt sich ein Abstecher in den vielleicht schönsten botanischen Garten der Welt – den Kirstenbosch Botanical Garden
3) Brandvlei:
Flachwasserspot an einem Stausee mit abgefahrener Kulisse. Die Vorhersage ist meist schwierig, sobald östlich der Hottentots-Holland-Berge aber Sonnenschein und warme Temperaturen angesagt sind, kommt die aus Südosten kommende Thermik in Gang. Dann kann es hier ballern, während sich in Kapstadt kein Blatt rührt. Gesurft wird am Nordwestende des Sees. Anfahrt entweder über die N2 in Richtung Sommerset West und weiter Richtung Worcester. Vor dem Stausee biegt man links ab. Alternativ geht auch die weiter nördlich verlaufende Route N1/R101 bis Rawsonville und dann rechts runter zum Damm. die Anfahrt beträgt in beiden Fällen etwa zwei Stunden.
4) Langebaan Lagune:
Die Lagune von Langebaan liegt etwa eineinhalb Autostunden nördlich von Kapstadt. Der Hauptspot wird seit Jahren als surf-Testbasis bestens promoted und ist daher sehr bekannt. Oft weht hier der South Easter stärker als in Kapstadt und auch die dort unbrauchbaren Südwestwinde werden durch die Topographie in Langebaan noch verstärkt. Vor Ort gibt’s das Cape Sports Center. Die Ecken weiter innerhalb der Lagune sind hingegen oft unentdeckt. Etwa zwei Kilometer weiter in Luv liegt die auch bei Kitern sehr beliebte Shark Bay (keine Angst, namensgebend sind hier nur kleine, ungefährliche Exemplare). Der Wind weht hier etwas leichter als in Langebaan, dafür ist das Wasser warm und flach – perfekt zum Tricksen und Üben. Fährt man die kleine Straße noch weiter gen Süden, gelangt man an einen kleinen Parkplatz mit BBQ, dort surft man oft alleine in kitschig-türkisen Wasserfarben. Traumhaft!
Dieser Artikel erschien erstmals in surf 11-12/2014