Der charismatische Franzose Thomas Traversa begeistert und inspiriert seit etlichen Jahren die Windsurf-Fans mit seinen Reisen zu nahen und fernen Orten. Dabei gleichen sich die Zutaten seiner Missionen. Es beginnt mit der minutiösen Analyse der Wetterkarten. Darauf folgt eine häufig sehr kurzfristige Entscheidung die Reise zu einer aufregenden – meist eher furchteinflößenden – Welle anzutreten. Vor Ort trifft er auf Bekannte oder Gleichgesinnte. Die mutigen Ritte beim Big Wave Surfen werden von talentierten Foto- und Videografen festgehalten und erscheinen einige Monate später auf den Titelseiten der Magazine, finden sich in Reiseberichten wieder oder werden in spannenden Geschichten mithilfe von imposant gedrehten Filmen erzählt. Thomas ist dabei stets er selbst. Wenn die Bedingungen einmal nicht mitspielen, dann geht’s eben wieder nach Hause und zurück zu den Wetterkarten.
Viele Windsurfer lieben diesen natürlichen, ungezwungenen Ansatz und bewundern seinen beispiellosen Mut. Ganz egal, wie lange die letzte Windsurf-Session schon her ist, wie weit der nächste Wavespot entfernt ist, wie sehr der Büro-Job an einem nagt oder die Wehwehchen des Körpers einen plagen – sich für einen Moment von den beeindruckenden Bildern fesseln lassen, schon ist die Routine durchbrochen und der Windsurf-Spirit neu entflammt.
Ich muss meinen persönlichen Windsurf-Spirit dringend neu entflammen. Eine unschöne Verletzung nach dem Aloha Classic 2019 und die dann beginnende Corona-Pandemie legten den Windsurf-Zirkus für mich mehr oder weniger auf Eis. Es gab kaum Wettkämpfe oder Veranstaltungen, die Reisemöglichkeiten waren stark eingeschränkt. Also beschäftigte ich mich mit sehr deutschen Dingen, wie ein neues Auto kaufen, ein Haus ausbauen, Familienplanung und am seriösen Plan-B feilen – zwischendurch gab es mal eine gute Session mit Nordwest-Wind in Weißenhaus oder in Dänemark.
Anfang Januar 2022 im Flieger nach Portugal kann ich mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal richtige Groundswell-Wellen abgeritten bin. Mein Fußgelenk ärgert mich schon seit einigen Wochen und die Fitnessstudio-Mitgliedschaft hat sich diesen Winter auch noch nicht bezahlt gemacht. Gut, dass am 7. und 8. Januar die größten Wellen des Winters auf dem Atlantik anrollen sollen. Meine Theorie ist, weniger Muskelmasse bedeutet weniger Energieverbrauch beim Waschgang. Das wiederum bedeutet eine entspanntere Zeit beim Hold-Down unter Wasser.
Nazaré – stundenlang gucken wir uns jedes heranrollende Monster an und analysieren, wie die Wellenberge aus unterschiedlichen Richtungen kommend aufeinanderstoßen, sich zu gigantischen Wedges auftürmen und dann krachend überschlagen. Ein tiefer Graben, der sich von Nazaré ausgehend in den Atlantik zieht, reflektiert den Swell und ermöglicht dieses einzigartige Naturschauspiel. Obwohl der Nortada mittlerweile stark genug bläst, sieht der Spot alles andere als einladend aus. Vielleicht kommen die Wellen ein paar Grad aus der falschen Richtung oder deren Abstände sind einige Sekunden zu lang, vielleicht hat es auch ein anderen Grund – die Wellen brechen heute nicht so, wie Thomas es will.
Planänderung – es geht nach Peniche zum Big Wave Surfen. Erleichterung. Dort brechen die Wellen weniger chaotisch und kraftvoll und dafür sauber aufgereiht an einer kleinen Felsnase. In Lee befindet sich statt steiler Klippen ein Channel. Auf der schnellen Dünung Richtung Land zu gleiten fühlt sich nicht nur gut an – die Seele ist nach dem dunklen Winter in Deutschland regelrecht befreit. Sonne, Strand und Salzwasser haben selten so gut geschmeckt. Thomas beeindruckt mich mit vertikalen Turns und furchtlosen Aireals.
Die Welle ist schwer zu lesen und ein falsch platzierter Turn schickt mich mit gebrochenem Mast in Richtung Felsen. Mit zerknittertem Segel, neuem Mast und reichlich Adrenalin im System mache ich einen zweiten Versuch. Die Wellen werden immer größer. Die Session wird von einem soliden Set beendet, das mich von hinten überrollt, bevor ich überhaupt in den Bottom-Turn gehen kann. Der Waschgang gehört eben zum Waveriding, wie die kalte Dusche zur Sauna. Thomas schließt seine Session ebenfalls auf den Steinen ab. Selbst für das Leichtgewicht war es unter Land zu böig. Auf den Felsen treffen wir Matt, selbst Windsurfer aus Portugal und unser Fotograf auf dieser Reise, sowie Jamie und Luke. Die beiden Briten filmen für das nächste „Windsurfing Project“.
Jamie produziert schon seit einigen Jahren grandiose Windsurf-Videos. Das „Windsurfing Project“ ist eine Herzensangelegenheit des ehemaligen PWA Fahrers. Zuletzt waren wir gemeinsam in Namibia, wo er unser Abenteuer an der Skeleton Bay in bewegten Bildern festgehalten hat. Bei anderen Projekten folgt er Thomas von Sturm zu Sturm quer durch Europa. Mit seinen Filmen möchte er eine Geschichte erzählen, sagt er, und hält dafür die Windsurfaction aus dem Wasser, mit der Drohne aus der Luft oder von Land aus gefilmt fest.
Es komme auf Abwechslung, das richtige Licht, gute Musik und natürlich solide Windsurf-Action an. Teilweise wurden die Projekte von Sponsoren finanziert, diesmal steht kein größeres Budget zur Verfügung. Letztendlich bleibt für inszenierte Auto-Fahrszenen auch wenig Zeit. Die Freiheit zu haben, so ein Projekt ohne die Vorgaben und Anforderungen von Externen durchzuziehen, sei ebenfalls reizvoll, so Jamie.
Die untergehende Sonne färbt die Wellen grün und den Spray gold-gelb, doch für ein Parkplatz-Bier und die Trauer um das zerstörte Material bleibt keine Zeit. Eine sechsstündige Autofahrt nach Galicien zum Big Wave Surfen liegt vor uns. Auf dem Weg zum Big-Wave-Spot Isla Pancha erreicht uns die Nachricht noch bevor wir das Meer erblicken – der Atlantik-Swell hat nun auch die spanische Küste erreicht. Thomas freut sich. Bei mir löst die Nachricht, gepaart mit dem starken spanischen Kaffee und dem Tortilla-Frühstück, andere (Bauch-)Gefühle aus.
Thomas kennt nicht nur die Unterschiede sämtlicher Vorhersagemodelle, sondern auch so gut wie jeden Spot der Welt – einige aus Erzählungen und Berichten, die meisten jedoch aus eigener Erfahrung. Er weiß, welchen Wind man braucht, wie die Tide sein muss, welche Periode und Richtung der Swell haben muss und welches Wetter sich förderlich oder hindernd auf die Bedingungen auswirkt. Außerdem ist er bestens vernetzt, kennt Locals vor Ort und Big-Wave-Surfer aus vielen Ländern, genießt deren Respekt und kann meist am Tag X auf deren Unterstützung bauen.
Bis ins letzte Detail durchplanen lässt sich so eine Big-Wave-Surfen-Mission dennoch nicht. Unser Jetski-Fahrer lässt uns überraschend im Stich. Die Welle von Isla Plancha ist einfach perfekt – und ein wahres Biest. Der Jetski-Support hätte viele Vorteile gehabt, doch ohne geht’s auch. Wir betrachten die Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten, wiegen Risiken und Schwimmdistanzen ab und gehen, sobald der Wind mittags, so wie von Thomas zuvor angekündigt, stark genug ist, aufs Wasser.
Es ist ein absoluter Hochgenuss die doppelt masthohen Wellen mit perfektem Face und einer vollen Schulter herunter zu jagen. Wie anders dieses Gefühl ist, zu dem was in den letzten Monaten Routine war. Thomas ist ebenfalls begeistert und kann seine Freude kaum verbergen. Dann dreht der Wind plötzlich ablandiger und stirbt fast komplett. Eine gute Stunde schwimmen wir im Lineup und warten darauf, dass der Wind wieder auffrischt. Er kommt zurück aber hat nun Sideshore gedreht. Auf der nächsten Welle bin ich viel zu tief und komme vor der herunterfallenden Lippe nicht rechtzeitig in Sicherheit. Nach einer haarigen Schwimmeinlage geht’s mal wieder über zerklüftete Felsen an Land.
In dem Moment erleidet Thomas exakt das gleiche Schicksaal. Die Strömung zieht ihn jedoch nicht wie mich in die kleine Nische zwischen den beiden Inseln, sondern weiter in den Fluss in Richtung einer Felskante, die ganz eindeutig keine Ausstiegsmöglichkeit bietet. Um nicht auf die gefährlichen Felsen gewaschen zu werden opfert er in letzter Sekunde den Großteil seines Riggs und paddelt, nur mit Brett und Gabel, weiter den Fluss hinauf, wo das Wasser ruhiger ist.
Der Wind ist mittlerweile voll zurück, und wir betrachten eine perfekte Welle nach der anderen. Ohne Jetski haben wir aber keine Chance, rechtzeitig vor Sonnenuntergang noch einmal aufs Wasser zu kommen. In der Zwischenzeit haben Matt und Jamie das Leuchtturmhaus, welches als Apartment ausgebaut ist, gemietet.
Dass ich so eine einzigartige, beeindruckende und perfekte Welle surfe, von einer riesigen Lippe abgeräumt werde, um dann auf einen privaten Leuchtturm zu klettern und dort einige Stunden später völlig erschöpft einzuschlafen, hätte ich mir wenige Tage zuvor nicht vorstellen können. In der Reisebeschreibung war davon zumindest nichts zu finden. Auch wenn das verlängerte Wochenende einiges an Opfern gefordert hat, bin ich dankbar für die Erfahrungen und, dass Thomas mir diesen Ort gezeigt hat. Die Crew um Matt, Jamie und Luke waren mit mindestens genauso viel Begeisterung und Engagement dabei. In Galicien verabschieden wir uns. In unterschiedlichen Himmelsrichtungen geht es zurück zu den „normalen“ Tätigkeiten oder nach Hause zur Familie. Dem nächsten Abenteuer und Ausbruch aus der Routine fiebern alle bereits entgegen.
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