ZeitreiseZu Besuch bei den Seenotrettern der DGzRS

Manuel Vogel

 · 21.01.2024

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Foto: Oliver Maier
3500 Menschen hat die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) im Jahr 2023 bei fast 2000 Einsätzen auf Nord- und Ostsee gerettet. Jedes Jahr geraten auch Windsurfer in Seenot. Besonders bei Kälte oder einbrechender Dunkelheit entstehen oft lebensbedrohliche Situationen. Aus der Klemme helfen fast immer die Seenotretter. 2015 waren wir zu Besuch bei den Schutzengeln der Wassersportler und haben die Reportage von damals noch einmal herausgesucht!

Mitte September 2014. Am späten Nachmittag wassern zwei Windsurfer am Ostseestrand bei Ummanz ihr Material: „Lass uns einen Schlag zur Insel Hiddensee machen“. Die vorgelagerte Ostseeinsel ist nur fünf Kilometer entfernt, das Wasser mit 17 Grad noch warm, der Wind weht konstant mit fünf bis sechs Windstärken aus Nordost. Einmal halbwind rüber und zurück, das ist eigentlich eine Sache von einer viertel Stunde – so als würde man bei satter Ora einmal quer über den Gardasee und zurück heizen.

Nur einer kommt auf Hiddensee an, der Zweite, ein Surfer aus Leipzig, stürzt und verletzt sich auf dem Weg. Der Kollege fährt alleine weiter, um Hilfe zu holen. Wie immer in solchen Fällen werden die Seenotretter verständigt. Die Zeit drängt, denn das Tageslicht wird knapp. Gegen 20:15 Uhr machen sich zwei Seenotrettungsboote auf den Weg ins Suchgebiet, sie beziehen auch Polizei-Einheiten und ein DLRG-Boot in die Suche ein. Dass der Surfer um kurz nach halb zehn, in völliger Dunkelheit im Kegel des Suchscheinwerfers bis zur Brust im Wasser stehend auftaucht, verdankt er einer großen Portion Glück und der Erfahrung der Seenotretter – denn diese konnten unter Beachtung von Wind- und Strömungsverhältnissen sowie der Wassertiefen das Suchgebiet derart einschränken, dass sie den orientierungslosen und völlig unterkühlten Surfer trotz Dunkelheit auffinden konnten. Seine Körpertemperatur war bereits auf 34,6 Grad gefallen, die Nacht hätte er im Wasser wohl nicht überlebt.

Grundanspannung gehört bei den Seenotrettern dazu

Dass solche Situationen oft glimpflich enden, ist Männern wie Stefan Prahl zu verdanken. Seit über 20 Jahren leistet der Prototyp eines Norddeutschen – groß, freundlich und etwas wortkarg – seinen Dienst auf dem in Grömitz stationierten Seenotrettungskreuzer „Hans Hackmack“. Als Teil einer vierköpfigen Crew, bestehend aus zwei Nautikern und zwei Technikern, verbringt er zwei Wochen am Stück an Bord des 23 Meter langen Schiffs. „Eine Schicht”, so Prahl, “dauert 14 Tage. Man schläft, kocht und isst an Bord und muss immer bereit sein, innerhalb weniger Minuten auszulaufen. Nach Schichtwechsel hat man dann zwei Wochen am Stück frei“, schildert Prahl seinen Berufsalltag. Was während dieser 14 Tage passiert, hängt von vielen Faktoren ab: Wind, Wetter und oft auch dem Zufall: „Manchmal geschieht tagelang nichts, dann geht es plötzlich wieder Schlag auf Schlag. Man kann sich nie sicher sein, eine gewisse Grundanspannung gehört immer dazu“, so Prahl.

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Prahl gehört zu den 180 festangestellten Seenotrettern, die in der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ihren Dienst tun. Hinzu kommen über 800 freiwillige Seenotretter. Seit die Gesellschaft nach einer Folge von schweren Schiffsunglücken 1865 in Kiel gegründet wurde, hat sich viel verändert. Kämpften sich die ersten Seenotretter noch zu zehnt und mit Ruderbooten stundenlang durch Sturm und Wellen zum Unglücksort vor, wissen die Mitarbeiter heute eine Flotte aus 60 Kreuzern und Rettungsbooten hinter sich, die auf 54 Stationen – von Borkum im Westen bis Ueckermünde nahe der polnischen Grenze – verteilt sind. Einzig das Finanzierungskonzept der Organisation ist auch nach 150 Jahren gleich geblieben: Der komplette Finanzbedarf von heute gut 40 Millionen Euro pro Jahr wird, 300.000 Förderern sei Dank, komplett aus privaten Spenden gedeckt.

Ein Spaß ist die Fahrt auf einem Seenotrettungskreuzer nicht

Kommt ein Notruf in der Seenotleitung in Bremen an, alarmiert die Rettungsleitstelle die nächstgelegene DGzRS-Station. Beim Team von Stephan Prahl kommt dann durchschnittlich 60-mal im Jahr Bewegung in den manchmal etwas gemütlich wirkenden Alltag. Dann werden die 2700 PS starken Dieselmotoren angeschmissen und, wenn es sein muss, der Fahrhebel auf den Tisch gelegt. Mit bis zu 24 Knoten zieht die „Hans Hackmack“ dann durch die Lübecker Bucht.

Wer die romantische Vorstellung eines gemächlich durch die Wellen schneidenden Kreuzers vor Augen hat, wird an Bord schnell enttäuscht – einerseits, weil die kurzen und steilen Wellen der Ostsee den Kreuzer ordentlich durchschütteln, andererseits auch, weil die Konstruktion des Schiffs mit der anderer Schiffstypen wenig zu tun hat. „Seenotrettungskreuzer wie dieser“, erklärt Maschinist Stephan Litschen, „müssen sich trotz ihres geringen Tiefgangs von nur 1,6 Metern selbst wieder aufrichten können, wenn sie im Sturm von großen Brechern überrollt und umgeworfen werden. Damit das funktioniert, sind sie wie Stehaufmännchen konzipiert. Das führt im normalen Einsatz aber dazu, dass jede Dünungswelle sehr harte und schnelle Bewegungen des Schiffs produziert. Ein Spaß ist der Einsatz auf dem offenen Meer damit also nicht.“

Auch wer es selbst an den Strand schafft, sollte die Retter informieren

Damit im Ernstfall alles glatt läuft, wird regelmäßig trainiert. Mehrmals im Jahr finden Übungen statt, bei denen die Retter unbekannte Situationen meistern müssen und auch mit Rettungsorganisationen der Nachbarländer kooperieren. Hinterher wird dann alles ausgewertet und Abläufe optimiert. Trotzdem hält der Berufsalltag immer wieder Unvorhergesehenes bereit. So kam es schon vor, dass bei der Suche nach einem in der Lübecker Bucht vermissten Surfer per Zufall ein weiterer Windsurfer gefunden wurde. „Dann”, so Stefan Prahl, „denkt man das Problem sei gelöst und stellt erschrocken fest, dass der ursprünglich vermisste Surfer noch draußen treibt.

Der Grund für solche Verwechslungen liegt oft darin, dass viele Beobachter Entfernungen auf dem Wasser komplett falsch einschätzen und unsere Informationslage bei Einsatzbeginn erstmal dünn ist. Immer wieder finden wir im Einsatz auch herrenloses Surfmaterial oder losgelassene Kites, ohne dass es einen Notruf gibt. Dann weiß man natürlich nicht, wo der dazugehörige Surfer gerade ist – sicher am Strand oder irgendwo auf dem Wasser. Es hilft also, wenn man uns auch dann benachrichtigt wenn man es ohne unsere Hilfe an den Strand zurückgeschafft hat. Zudem besteht dann die Chance, dass man sein verlorenes Material wiederbekommt“, erklärt Prahl die Problematik.

Eine kurze E-Mail mit Beschreibung des Materials, einer Telefonnummer und dem Ort des Verlustes an die E-Mail-Adresse mrcc@seenotretter.de genügt. Aber Achtung: Eine Alarmierung im Notfall sollte immer sofort telefonisch oder per Funk erfolgen, nie per Mail! Für die Alarmierung im Notfall sollte immer die zentrale Nummer 0421-5368 70 rund um die Uhr kontaktiert werden. Diese Nummer sollte im Handy eines jeden Wassersportlers gespeichert sein.

Für Wings und Boards bietet die DGzRS darüber hinaus spezielle Sticker an. Findet jemand Material auf See oder an Land, können die Seenotretter Kontakt aufnehmen und leichter ermitteln, ob eine Notlage vorliegt. Das spart Zeit, vermeidet unnötige Suchen und sorgt am Ende noch dafür, dass man sein verloren gegangenes Material auch wieder zurück bekommt. Kiter und Surfer können das praktische und spurenlos wieder zu entfernende Aufkleberset für ihren persönlichen Bedarf bei den Seenotrettern kostenlos über die Website bestellen.

Auf See hilft man sich

Abgetriebene Surfer machen unterm Strich aber nur einen kleinen Teil der Einsätze aus. Etwa 70- bis 100-mal im Jahr, schätzt Dirk Hinners-Stommel, Leiter der Seenotleitung in Bremen, werden Retter deswegen gerufen. Der „Rest“ verteilt sich gleichmäßig – von spektakulären Einsätzen wie auf der 200 Meter langen Fähre „Lisco Gloria“, die im Oktober 2010 vor Fehmarn in Brand geriet, über aufgelaufene Segler bis hin zu ins Wasser gefallenen Hunden ist alles dabei, und die Seenotretter sind erstmal zuständig.

„Auf See”, so Stefan Prahl, „gilt nach wie vor das eherne Gesetz, dass man sich gegenseitig hilft. Genau genommen ist jedes Wasserfahrzeug, egal ob Segelboot oder Kreuzfahrtschiff, zur Hilfeleistung verpflichtet.“ Für die Rettung von Personen tragen Rettungskreuzer wie die „Hans Hackmack“ ein kleineres Tochterboot huckepack. Einmal ausgeklinkt rauscht dieses vom Heck des Kreuzers ins Wasser und kann dann wesentlich schneller und vorsichtiger an die Unglücksstelle oder zu im Wasser treibenden Personen vordringen als der große Kreuzer.

„Rettung aus Seenot ist immer kostenlos“, erklärt Rettungsleitstellen-Chef Dirk Hinners-Stommel. „Technische Hilfeleistung, bei der keine unmittelbare Gefahr bestand, berechnen wir dagegen mit maximal 400 Euro“. Bleibt die Frage, ob sich die Seenotretter bei manchen Einsätzen die Frage nach Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit stellen, beispielsweise wenn, wie im August 2015, der Halter eines erkrankten Hundes die Retter alarmierte, weil sein Tier schnell zum Arzt aufs Festland musste? „Nein“, antwortet Prahl ohne zu zögern. „Die Frage, wieviel ein Einsatz kostet, ob etwas verhältnismäßig ist, oder ob beispielsweise ein in Not geratener Surfer seine Notsituation fahrlässig selbst verschuldet hatte, weil er bei ablandigem Wind alleine aufs Wasser gegangen ist, können und wollen wir nicht beantworten. Unsere Aufgabe ist es zu helfen, egal wer Hilfe braucht. Fertig.“

Extremsituationen für die Retter

Dass diese Berufseinstellung in Extremsituationen auch Gefahren für die Crew bedeuten, gehört zum Berufsrisiko. Brennende Frachter mit unbekannter Ladung oder die Suche nach Vermissten bei Nacht und Sturm erfordern viel Vorsicht. Für solche Fälle tragen alle an Bord eine spezielle Rettungsweste, die mit Notfunksender und Positionslicht ausgestattet ist und sich leicht lokalisieren lässt, sollte ein Crew-Mitglied bei Dunkelheit über Bord gehen.

Den Seenotrettern der Kreuzer „Adolph Bermpohl“ sowie „Alfried Krupp“ hätte vermutlich auch das nicht geholfen – ihre Schiffe havarierten in den Orkannächten 1967 vor Helgoland und 1995 in der Deutschen Bucht.


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