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Die deutsch-polnische Nachbarschaft: Nicht Freund, nicht Feind, lebt man in distanzierter Nähe und hat mehr Klischees parat als Städtenamen östlich von Oder und Neiße. Zugegeben, Mauerfall und Schengen-Abkommen liegen zeitgeschichtlich etwa so weit zurück, als hätte der Nachbar gerade erst die Umzugskartons ausgeräumt. Doch vielleicht ist gerade deswegen der richtige Zeitpunkt, sich besser kennen zu lernen.
Über die ab Rostock gespenstisch leere A20 ist man schnell an der Grenze. Wir brauchen drei Autostunden von Hamburg. Hinter einem nicht enden wollenden Basar, auf dem es nach Krakauern, Parfüm und billigem Leder duftet, versteckt sich das Seebad Swinemünde. Hardcore-Flanierer gelangen auch über die längste Strandpromenade Europas von Bansin aus in den Kurort am Ostende Usedoms. Swinemünde ist hübsch – Bäderarchitektur, Hotels in renovierten Villen, feiner Sandstrand. Es ist ein sonniger Sonntagmittag, die Kaffees der Stadt sind voll. Zwei Dauerwelle tragende polnische Damen am Tisch neben uns trinken ihr dunkles Bier leer und bestellen anschließend einen Kaffee mit Schuss.
Mit einer hektischen Lichthupen-Salve stoppen wir den ersten Surfbulli, der uns über den Weg fährt. Natürlich heißt der Fahrer Tomek und spricht Deutsch. Tomek schenkt uns eine Straßenkarte und markiert darauf alle Spots der Umgebung, dazu erhalten wir eine Einführung in die polnische Schimpfwörter-Kunde: "Stettiner Haff kannst du jeden Wind surfen, aber – Curva – ist böig da! Auf der Ostsee – Curva – hast du schöne Welle bei Nordost, vor allem Miedzyzdroje – Curva – da kann hoch werden! Aber heut du hast da nur, wir Polen sagen, Kartoffelwasser, Curva! Besser du fährst zum Leuchtturm – Curva – da ist flach wie Spiegel!".
Wenig später stehen wir vor einem Leuchtturm am Ende einer kleinen Landzunge, hinter der es bei östlichen Winden – Curva (ich will lieber nicht wissen, was das heißt) – tatsächlich spiegelglatt ist und zudem stehtief. Nach einer Freestyle-Session an Tomeks geheimen City-Spot geht es mit der Fähre über die Swine, dann auf einer holprigen Landstraße weiter nach Miedzyzdroje, einem der bekanntesten Badeorte der Ostseeküste.
Trotz des frischen, schräg-auflandigen Windes ist viel los am Strand, der – Curva! – schon wieder karibisch weiß ist und sich anfühlt wie Puderzucker. Eine lange Seebrücke zweigt sich von der Promenade ab und verleiht der Kulisse den Charme vergangener Zeiten. Kaiser Wilhelm II. soll hier oft auf Kur gewesen sein. Ich baue mein 4,8er auf und bedauere den Umstand, dass Windsurfen nicht früher erfunden wurde. Die bunten Segel vor endlosem Sandstrand und bewaldeten Hügeln im Hintergrund – das hätte dem schwermütigen Preußen bestimmt gut getan.
Going to Hel(l)
Einige Zeit später folgen wir einem herbstlichen Tiefdruckgebiet ins östliche Polen. Unser erstes Ziel ist die Landzunge Hel im Norden von Danzig. In der Hauptsaison (Juli/August) soll hier auf und neben dem Wasser so viel los sein, dass sich die lange schmale Halbinsel gerne noch ein zweites L am Ende des Namens dazuverdient. Ein Flachwasserbereich, so groß wie der Chiemsee, mehrere gute Wave-Spots und eine pulsierende Partyszene machen die Gegend zu DEM Windsport-Mekka Polens.
Für uns heißt es jedoch zunächst, 300 Kilometer polnische Landstraßen zu überleben. Während sich der Highway von Stettin nach Warschau anfühlt wie die zu Teer gewordene Reinkarnation des legendären Transrapid, gleicht die Küstenstraße durch Pommern eher einer vereisten Buckelpiste. Achtung ist vor allem bei Tempolimits geboten: Ein 70er-Schild vor einer Kurve bedeutet nicht, dass man mit dieser Geschwindigkeit einlenken sollte, sondern dass man die Kurve mit 70 wahrscheinlich nicht überleben wird. Einen gewissen Überraschungsmoment bergen auch unbeleuchtete Pferdefuhrwerke und Verkaufsstände, die von Adrenalin-süchtigen Rentnern überall platziert werden, nur nicht NEBEN der Straße. Dass die heimtückischen Stände einem oft hinter Kurven auflauern ist marketingtechnisch dagegen clever: Wer gerade eine 70er-Kurve überlebt hat, gönnt sich bestimmt gern ein hausgebranntes Tröpfchen.
Turmzimmer mit Meerblick
Über die Komik von Orts-Phrasen à la „Danzig ist ranzig“ lässt sich streiten. Inhaltlich hat die Hafenstadt das flapsige Wortspiel mit ihrem Namen keinesfalls verdient. Das etwa zwei Autostunden von Hel entfernte Danzig gehört zu den schönsten Metropolen des Ostens und könnte als große Schwester von Wismar oder Lübeck durchgehen: Patrizierhäuser, restaurierte Koggen und natürlich – Polen sind im Allgemeinen gläubige Menschen – die größte Backsteinkirche Europas. Touristen strömen durch die Gassen und auch die Bars der Altstadt sind trotz Kaffeepreisen von umgerechnet bis zu fünf Euro gut gefüllt. Beide Fälle markieren jedoch die Ausnahme, denn Polen ist alles andere als überlaufen oder teuer.
Wir fahren weiter Richtung Leba. Am Strand ein fast schon bekanntes Bild: Hinter uns ein dichter Wald, davor feiner weißer Sand und ein Schloss aus dem 19. Jahrhundert, inzwischen zum Fünf-Sterne-Luxus-Hotel umgebaut. Die Preise sind fair: Die Turm-Suite mit Meerblick gibt’s für unter 100 Euro die Nacht. Direkt vor dem altehrwürdigen Bauwerk einen Cutback in saubere Zwei-Meter-Wellen zu setzen, ist dagegen unbezahlbar. An der äußeren Sandbank vergesse ich beinahe, dass ich auf der Ostsee bin. Obwohl der Wind mit etwa 20 Knoten nicht sonderlich stark und zudem mit leichtem Süd-Einschlag weht, brechen hier erstaunlich dicke Dinger. Auch die Wellenabstände haben annähernd Nordsee-Format. Man merkt, dass die Wassermassen bei westlichen Winden deutlich mehr Anlauf haben, als an der deutschen Ostseeküste. Wir wollen es wissen und begeben uns auf die Suche nach Side-Off-Bedingungen. In Debki macht die Küste einen Knick, die Windrichtung ist schräg ablandig, die Welle dementsprechend kleiner. Einige kopfhohe Sets kommen dennoch durch und erlauben gefühlsechte Down-the-Line-Ritte.
Leider währt der Spaß nicht lange, denn ein Gewitterschauer bereitet der Session ein jähes Ende. Die letzten Meter zum Strand lege ich schwimmend zurück und baue mein Material unter Kiefern ab, die so dicht stehen, dass ich nicht einmal nass werde. Während ich ins Navigations-System „Kiel“ eingebe, säubert ein Reh mit seiner Zunge den Außenspiegel meines Autos. Höchst erfreut über so viel Service treten wir die Heimreise an. Nach dem Indoor-Event in Warschau und dem Ostwind-Ausflug nach Swinemünde war es meine insgesamt dritte Grillparty beim polnischen Anrainer innerhalb eines Jahres. Von einer neu entflammten Nachbarschafts-Liebe zu sprechen, wäre trotz tierischer Gastfreundlichkeit übertrieben. Dennoch: Es fühlt sich gut an, dem Nachbarn, über den man unweigerlich so viel Halbwissen und Vorurteile aufnimmt, einmal die Hand geschüttelt zu haben.
Die besten Windsurf-Spots in Polen
1) Stettiner Haff
In Czarnocin bietet ein großer Stehbereich perfekte Bedingungen für Einsteiger und Manöverfreunde. Westliche Winde kommen auflandig, so dass Abtreiben quasi unmöglich ist. Anfahrt von Goleniow über Stepnica nach Czarnocin. Parkplätze gibt’s am Strand.
2) Swinoujscie
Direkt am Westufer der Swine produziert starker Ost-Nordostwind (von rechts) die besten Wellen Westpommerns, die an einer vorgelagerten Sandbank brechen. Da die Welle moderat ausläuft, ein breiter Sandstrand in Lee liegt und es kaum Strömung gibt, ist dieser Spot auch für Wave-Aufsteiger problemlos fahrbar. Westwind bringt kleine Chops zum Springen mit Wind von links. Parken kann man direkt hinter der Düne. Perfektes Flachwasser zum Tricksen gibt’s bei Ost- bis Nordostwind in Lee der kleinen Landzunge, auf deren Ende der Leuchtturm steht.
3) Miedzyzdroje
Gesurft wird westlich der langen Seebrücke. Vom Wasser hat man einen tollen Blick auf den scheinbar endlosen weißen Sandstrand. Die Surfbedingungen sind allerdings nur bei starkem Nordostwind so gut wie das Ambiente – dann werden aus gemächlichem Bump & Jump ordentliche Wellenbedingungen mit Wind von rechts. Prinzipiell sind auch alle nördlichen Richtungen fahrbar, dann allerdings sehr auflandig und mit kleinem Shorebreak. WNW-Wind bringt nette und harmlose Bump & Jump-Bedingungen mit ein paar Wellen zum Springen.
4) Dzwirzyno
Wie man den Spotnamen ausspricht wissen wohl nur Locals, die Surfbedingungen sind hingegen moderat und bieten für jeden Geschmack etwas: Am Ostseespot läuft bei West- bis Nordwest moderate Brandung an den breiten Sandstrand, lediglich auf die Buhnen sollte man achten. Es gibt diverse Einstiegsmöglichkeiten, westlich der kleinen Hafeneinfahrt sind die Abstände zwischen den Buhnen etwas größer. Bei Nordost ebenfalls fahrbar, allerdings lohnt sich dann der Weg nach Miedzyzdroje oder Swinoujscie. Südwestlich von Dzwirzyno liegt mit dem Resko-See ein tolles Flachwasserrevier mit teilweise stehtiefem Untergrund.
surf-Tipp: Ein noch besserer Wavespot versteckt sich bei Westwind wenige Kilometer weiter in Kolbrzeg. In Lee der großen Hafenmole laufen die Wellen geordneter an den Strand.
5) Rowy
Hier laufen bei starkem Südwest-bis Westsüdwest-Wind die vielleicht besten Wellen Polens! Westlich der Flussmündung, vor dem Campingplatz Slowinska Perla, kann man einsteigen. Die Welle bricht kraftvoll an den vorgelagerten Sandbänken. Gefahren im Wasser gibt’s keine, lediglich etwas Strömung. Auch bei Nordost ein guter Wavespot mit Wind von rechts. Wem es zu heftig wird, der kann nebenan wieder ins Flachwasser: Auf dem Jezioro Gardno kann man gemütlich Heizen und an seinen Manövern feilen, Einstieg bei westlichen und nordöstlichen Winden am besten am südöstlichen Seeende bei Gardna Mala oder Gardna Wielka.
6) Leba
West- bis WNW-Wind sorgt für hervorragende Wave-Bedingungen in Lee der Hafenmole. An größeren Tagen läuft die Welle direkt an der Mole so sauber und kraftvoll, dass man sich mindestens an der Nordsee wähnt. Sprünge sind dank größerem Anlauf an der äußeren Sandbank ebenso drin. Mit größerem Abstand zur Mole nimmt die Wellenhöhe, aber auch die Strömung zu. Auch bei ONO auf der westlichen Seite der Mole gut fahrbar, dann mit Wind von rechts und ebenfalls guten Wellen. Nach der Session wartet am Beach eine beliebte Strandbar, in der in den Sommermonaten der Feier-Abend sehr wörtlich genommen wird. Auf dem nahen und wunderschönen Lebsko-See kommen Flachwasser-Piloten bei allen nördlichen Richtungen auf ihre Kosten. Einstiegsstellen sind rar, denn den See umgibt ein geschützter Schilfgürtel. Am besten geht dies noch am südwestlichen Ende bei Kluki.
7) Debki
Durch einen leichten Knick im Küstenverlauf ist NW-Wind hier immer noch gut zu fahren, wenn der Wind in Leba bereits zu onshore weht und der Shorebreak und die Strömung zu stark werden. Beides ist in Debki kein Problem, da es lange stehtief bleibt. Gesurft wird direkt vor der Mündung des kleinen Flüsschens Piasnica. Zusammen mit dem weißen Sandstrand, der steilen Küste und dem Kiefernwald ein tolles Ambiente.
8) Hel
Entlang der 30 Kilometer langen Landzunge reihen sich Campingplätze, Surfschulen und potenzielle Einstiegsstellen aneinander. Auf der Innenseite der Landzunge findet man einen großen Stehbereich mit Flachwasser – hier schlägt Polens Surfherz, vom Aufsteiger bis zum Freestyle-Crack hat hier – am besten bei West-bis Südwind, jeder Spaß. Auf der Ostseeseite gibt’s bei NW gute Wellen am Spot Jastarnia, hier läuft dann über ein Riff ein feiner Pointbreak für die Cracks. Auch SO-Wind ist hier mit moderater Welle und Wind von rechts surfbar. Bei Nord ist der Spot südlich der Ortschaft Jurata an der Südspitze top!
Revier-Infos Polen
Wind, Wetter & Neopren
Die Windbedingungen an der polnischen Küste sind vergleichbar mit der deutschen Ostseeküste: Vor allem im Frühling und Herbst bringen Tiefdruckgebiete viel Wind und – bei Sturm – bis zu masthohe Wellen. Die Wassertemperaturen steigen oft erst im Mai über zehn Grad, ein warmer Neo, Schuhe und auch eine Haube sind dann empfehlenswert. Im Sommer erwärmt sich die Ostsee auf 18-20 Grad, so dass ein 4/3er-Neo reicht. Auch die oft von April bis August auftretenden Hochdrucklagen mit Wind aus Ost bis Nordost sind eine Reise wert. Die beste Reisezeit, mit bester Kombi aus Wind, leeren Spots und erträglichen Temperaturen sind eindeutig die Monate Mai/Juni und September/Oktober.
Seegras
Im Sommer blüht auch in Polen das Seegras, entsprechende Finnen sind von Juli bis Oktober empfehlenswert!
Campingplätze
Einen deutschsprachigen Camping- und Stellplatzführer für ganz Polen gibt’s im Internet unter www.campingpolska.com. Die Preise für ein Womo und zwei Personen liegen bei etwa 15 Euro. Neben aufgeführten Campingplätzen gibt es zahlreiche private und billigere Stellplätze, die ebenfalls Strom, WC und Wasseranschlüsse bieten. Hierfür folgt man im Ort einfach den entsprechenden Hinweisschildern „Camping“ oder „Pole Namiotowe“. Wildes Campen wird, sofern man sich an die Regeln hält, in der Nebensaison geduldet.
Surfschulen & Shops
- Hel: www.orkasurf.pl
- Danzig: www.surfshop.pl
Sehenswertes
In Warschau treffen postmoderne Hochhäuser auf den Kulturpalast, einen Wolkenkratzer im Zuckerbäcker-Stil der Stalin-Zeit. Außerdem findet man eine blühende Kunst- und Partyszene. Im Nachtleben unbedingt Ausschau halten nach Jazz-Hiphop-Konzerten, eine seltene, aber höchst feiertaugliche Musik-Richtung. Als schönste Stadt und eigentliche Hauptstadt Polens gilt Krakau, das Paris an der Weichsel, dessen Innenstadt vom Krieg verschont und original erhalten bleiben konnte. Auch Breslau, das Venedig Polens, hat sich seinen Beinamen nicht umsonst verdient.
Insgesamt 22 Nationalparks gibt es im Land, von denen der Nationalpark Slowinski zwischen Leba und Rowy mit seinen 50 Meter hohen Wanderdünen und wüstenähnlicher Exotik wohl den spektakulärsten darstellt. Auch die masurische Seenplatte im Nordosten des Landes ist ein landschaftliches Highlight.
Essenswertes
Typisch polnische Mahlzeiten sind „Barszcz“ (eine Rote-Rüben-Suppe), Beefsteak-Tatar oder Karpfen in Aspik. Unbedingt probieren sollte man außerdem Piroggen (fleisch-gefüllte Teigtaschen).
Dieser Artikel erschien erstmals in surf 4/2015