Interview mit Ricardo CampelloRicardos ewige Jagd nach dem Titel

Andreas Erbe

 · 02.12.2023

Seit Ricardo Campello sich auf Maui niedergelassen hat, verpasst er keinen großen Swell in Jaws.
Foto: Archiv Campello
Ricardo Campello ist schon heute eine Legende – mit Weltmeistertitel in der Welle oder ohne. Sein Name wird immer in der Reihe der radikalsten Windsurfer aller Zeiten genannt werden. Wir sprachen mit ihm über Pläne, Träume und ein mögliches Karriereende - und zeigen Ricardos Action-Jahresrückblick.

“Der Unvollendete“ war die Headline der letzten Geschichte über Ricardo Campello 2019. Auch vor diesem Interview kann der 38-jährige Brasilianer noch nicht Vollzug melden, was den Weltmeistertitel in der Welle angeht. Beim World Cup auf Sylt sprachen wir mit Ricardo über seine Ziele und Pläne - inzwischen ist klar, dass er auch 2023 seinen Traum vom WM-Titel nicht erfüllen konnte.

Freestyle-Weltmeister war er in jungen Jahren bereits drei Mal, hat unzählige Moves erfunden und gehört zu den furchtlosesten und radikalsten Windsurfern überhaupt. Und er hat eine klare Haltung: „Ich riskiere Kopf und Kragen bei dem, was ich tue. Da werde ich mich bei meinen Sponsoren nicht unter Wert verkaufen.“ Lieber geht er auch mal eine Saison ohne Materialsponsor an den Start.

Nachdem du lange Zeit immer mal wieder auf Maui warst, bist du kurz vor der Pandemie komplett dorthin umgezogen. Wie ist das Leben derzeit für dich?

Sehr gut, danke. Ich bin so viel auf dem Wasser wie nie zuvor. Letztes Jahr habe ich geheiratet und bin mit meiner Frau Diana sehr glücklich. Die Covid-Zeit war für uns auf Maui eigentlich sehr gut. Wir konnten surfen, und es war absolut entspannt, da es nicht voll auf dem Wasser war und keine Touristen auf die Insel konnten. Wir waren einfach jeden Tag surfen. Für uns Windsurfer war es wie im Paradies. Sehr viele Leute waren in der Zeit sehr neidisch auf uns (lacht).

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Seit du auf Maui bist, hast du auch Naish als Sponsor. Wie läuft es, seit Robby sich zurückgezogen hat?

Das läuft super. Ich wohne fünf Minuten vom Naish-Headquarter entfernt und arbeite weiter sehr eng mit dem Entwickler Michi Schweiger zusammen. Er baut weiterhin meine Boards und bislang hat sich in der täglichen Arbeit dort nicht viel verändert. Ich hoffe, das unsere Beziehung noch lange so weitergeht. Ich treffe Robby oft auch in Hookipa – er rippt immer noch so hart dort. Mit 60 Jahren, das ist unglaublich. Ich hoffe, dass ich in seinem Alter überhaupt noch surfen kann.

Ricardo Campello und Robby NaishFoto: Archiv CampelloRicardo Campello und Robby Naish

Bevor du zu Naish kamst, hattest du eine Saison keinen Segelsponsor und du bist Custom-Segel gefahren. Wer hat die gemacht, sie hatten ja durchaus Ähnlichkeit mit NeilPryde-Segeln?

Das stimmt. Ich bin viele Jahre für NeilPryde gefahren und die Segel haben mir immer sehr gut gefallen. Ich habe Robert Stroj (NeilPryde-Segelmacher) deshalb gefragt, ob er für mich privat die Segel machen kann. Das hat er getan. Zu dem Zeitpunkt hatte es nicht geklappt mit einem neuen Vertrag mit meinem damaligen Segelsponsor und bei anderen Firmen waren alle Budgets für das Jahr schon verplant oder man wollte mir nicht das zahlen, was ich gefordert habe. Da habe ich gedacht, lieber kein Sponsor als mich unter Wert zu verkaufen. Ich habe meinen Preis. Ich bin Profi, muss eine Familie und mein Leben finanzieren. Sonst macht das alles keinen Sinn. Ich bin kein Millionär, der das alles nur zum Spaß macht. Am Ende war es gut, dass ich mich mit meinen kleinen Sponsoren im Segel selbst finanziert habe und meine Saison bestreiten konnte und danach wieder einen guten Vertrag mit Naish abschließen konnte.

Deine ehemaligen Wahlheimat El Yaque auf der Isla Magarita in Venezuela war einmal eine absolute Windsurf-Hochburg, die von Europäern und Nordamerikanern geliebt wurde. Leider ist durch die politischen Entwicklungen nach 2014 der Tourismus aus dem Ausland fast vollständig zum Erliegen gekommen. Von Reisen nach Venezuela wird weiterhin abgeraten. Sehr traurig oder?

Absolut, ich kann mich an Zeiten erinnern, da waren 300 Segel in El Yaque auf dem Wasser. Heute sind nur ein paar Einheimische da, die an Wochenenden und Feiertagen den Strand bevölkern. Aber es wird langsam wieder besser. Es gibt wieder Flüge über Caracas auf die Isla Magarita, und es soll auch bald wieder einen Direktflug von Madrid nach Porlamar auf der Insel geben. Ich würde gerne den Windsurf-Tourismus wieder anschieben und Windsurfstationen in El Yaque und auf Los Roques eröffnen. Es ist wirklich schade, in El Yaque ist jeden Tag Wind, es gibt weiterhin die schönen Hotels am Strand, und ich arbeite hart dafür, dass wieder mehr Windsurfer dorthin kommen können.

Die Inselgruppe Los Roques vor Venezuela ist immer wieder der Spielplatz für Ricardo. Auch mit dem Wingfoil ist er dort unterwegs.Foto: Archiv CampelloDie Inselgruppe Los Roques vor Venezuela ist immer wieder der Spielplatz für Ricardo. Auch mit dem Wingfoil ist er dort unterwegs.

Was sind deine sportlichen Ziele in diesem Jahr – endlich Weltmeister in der Welle werden?

Wie jedes Jahr (lacht)! Ich fighte seit 15 Jahren dafür. Ich war oft so nah dran, ich war zigmal Zweiter, Dritter oder Vierter, ich war eigentlich immer bereit für den Titel. Auch in diesem Jahr. Ich gehe als Führender in der Weltrangliste zum letzten Event nach Maui. Ich versuche, mir nicht zu viele Gedanken zu machen. Aber Maui ist jetzt meine Heimat, das ist sicher ein Vorteil. Allerdings ist Maui auch die Heimat einer Menge anderer guter Jungs wie Brawzinho oder Bernd Roediger. Auf Maui kann viel passieren und ich kann nur mein Bestens geben und dann hoffen, dass es reicht. Wie gesagt, ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken.

Was glaubst du ist schiefgelaufen, dass es bislang noch nicht zum Titel gereicht hat, obwohl du ohne Zweifel zu den besten Wavesurfern an fast jedem Spot der Welt gehörst? Manchmal hat man bei dir das Gefühl, dass, vor allem wenn dein Heat für dich nicht gut startet, du nervös wirst und geradezu kopflos wirkst.

Das war vor fünf, sechs Jahren wahrscheinlich wirklich oft so. Aber ich glaube, ich bin deutlich erwachsener geworden im Wettkampf. Einer meiner wirklichen Schwachpunkte ist sicher das Surfen bei auflandigem Wind wie auf Sylt mit großen Segeln. Da kann ich das Windsurfen einfach nicht genießen. Und um ehrlich zu sein, habe ich auch einige Male Pech gehabt, teilweise mit den Bedingungen, teilweise beim Judging. Manchmal ziehen sie Contests durch, obwohl die Bedingungen meiner Meinung nach nicht ausreichen. Letztes Jahr in Pozo in meinem Heat ums Podium gegen Marc Paré war es auch so. Marc hat seine zwei Sprünge auf dem ersten Schlag nach draußen im Kasten gehabt, während ich zehn Minuten vergeblich auf der Suche nach einer guten Rampe war. Auf unserem Niveau, wenn du gegen Marc oder Marcilio oder Philip fährst, da reicht halt kein einfacher Forward, da musst du schon Top-Sprünge bringen. So bin ich in Pozo dann in der Rangliste zurückgefallen und der Traum vom Titel war wieder ausgeträumt. Aber ich schaue nicht zurück, ich greife dieses Jahr wieder an.

Ricardo hat an fast allen Spots der Welt so gut wie keine Schwächen. Nur bei den ganz besonderen 
Bedingungen auf Sylt fühlt er sich einfach nicht wohl – 
auch wenn’s nicht so aussieht.Foto: Archiv CampelloRicardo hat an fast allen Spots der Welt so gut wie keine Schwächen. Nur bei den ganz besonderen Bedingungen auf Sylt fühlt er sich einfach nicht wohl – auch wenn’s nicht so aussieht.

In diesem Jahr gibt es erstmals eine gemeinsame Wave-Tour von der PWA und IWT. Dadurch gibt es mehr Wettbewerbe an teilweise sehr guten Spots.

Natürlich ist es toll, dass es jetzt Events auf Fidschi, in Chile und Peru gibt, aber es ist auch nicht alles gut. Von Seiten der IWT fehlt mir manchmal das Verständnis dafür, dass wir Profis sind und nicht einfach so zum Spaß um die Welt fahren und an tollen Plätzen Windsurfen wollen. Wir müssen mit dem Sport auch unseren Lebensunterhalt verdienen, wir haben Verträge, die eingehalten werden müssen. Ich wünschte mir, dass sie ein wenig auf uns von der PWA hören, damit alles einen etwas professionelleren Standard bekommt. Aber grundsätzlich ist es wichtig, dass wir mehr Events an Spots mit unterschiedlichen Bedingungen haben. Am Ende soll derjenige Weltmeister werden, der in allen Bedingungen overall am besten ist. Mal sehen, wie es da weitergeht.

Wenn Ricardo eine Welle am Spot Cloudbreak auf Fidschi abreitet, haben die Kameraleute die Garantie für Top-Bilder.Foto: Archiv CampelloWenn Ricardo eine Welle am Spot Cloudbreak auf Fidschi abreitet, haben die Kameraleute die Garantie für Top-Bilder.

Du bist jetzt 38 Jahre alt und gehörst damit mittlerweile zu den erfahrenen Profis auf der Wave-Tour. Wer sind deiner Meinung nach die besten Youngster, die nachrücken?

Da ist sicher Marc Paré, der ist aktuell in den Top Drei und einer derjenigen, die dieses Jahr noch Weltmeister werden können. Man muss bedenken, dass er auch erst 25 Jahre alt, aber schon lange dabei ist, und sein Surfen ist sehr „erwachsen“. Er trainiert sehr intensiv, testet Material und ist im Heat sehr fokussiert. Aber es gibt auch noch andere junge Fahrer. Baptiste Cloarec oder Marino Gil und Liam Dunkerbeck aus Pozo. Julian Salmonn ist ein Ripper beim Abreiten bei Wind von links. Aber auch Lennart Neubauer dürfte in den nächsten Jahren nicht nur im Freestyle, sondern auch in der Welle zu beachten sein. Das Niveau ist unheimlich hoch geworden bei den Youngstern.

Denkst du in deinem Alter schon daran, deine Profikarriere zu beenden?

Schwer zu sagen. Das hängt von vielen Dingen ab. Ich weiß es wirklich noch nicht, wie lange ich das weitermachen will und kann.

Du stammst aus Brasilien, startest aber für Venezuela. Warum?

Ich habe einen brasilianischen Pass, aber alles, was ich bin, bin ich in Venezuela geworden. Die Isla Magarita hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Dort habe ich alles gelernt. Meine Mutter lebt noch immer dort.

Bist du noch oft dort?

Es ist im Moment nicht so einfach. Durch die Sanktionen gibt es aus den USA keine Direktflüge, sodass ich immer erst über die Dominikanische Republik fliegen muss, um nach Caracas zu kommen. Aber ich habe meine Mutter erst vor Kurzem besucht.

Ricardo hat auch keine Berührungsängste mit dem Kitesurfen – vor allem an so außergewöhnlichen Spots wie den Salinen von Pampatar auf der Isla Magarita.Foto: Archiv CampelloRicardo hat auch keine Berührungsängste mit dem Kitesurfen – vor allem an so außergewöhnlichen Spots wie den Salinen von Pampatar auf der Isla Magarita.

Möchtest du später einmal zurück auf die Isla Magarita?

Ich würde gerne helfen, dass wieder mehr Windsurfer dorthin kommen. Wie schon erwähnt, es verändert sich einiges und es wird wieder einfacher, dorthin zu kommen. Es halten sich auch immer noch die Gerüchte, dass es extrem gefährlich in Venezuela ist. Aber das stimmt aus meiner Sicht so nicht.

Ich könnte mir vorstellen, dass ich eventuell auch ein Center auf Los Roques aufmache. Das ist ein wunderbarer Platz. Los Roques besteht aus mehreren Hundert kleinen Inseln und liegt rund 160 Kilometer nördlich von Caracas. Es ist unglaublich, wie wunderschöne Wasserfarben es dort gibt, alle Varianten von Blau und Türkis und glasklar. Teilweise gibt es auch richtig gute Wellen. Allerdings auch teilweise nicht ungefährlich. Ein Riff wird auch „Gillette“ genannt – schon klar, warum (lacht). Ich habe dort vor einigen Jahren mal Fahrtechnik-Camps gemacht und die Leute waren einfach begeistert. Vielleicht ergibt sich dort etwas. Wir werden sehen. Jetzt geht es aber erst mal direkt nach Maui, und ich versuche, beim Aloha Classic endlich Weltmeister zu werden.

Viel Erfolg, ich denke, es drücken dir sehr viele Leute die Daumen. Du hättest es verdient.

Das Interview führten wir während des World Cups auf Sylt. Kurz vor Redaktionsschluss endete der Aloha Classic auf Maui und es steht fest, Ricardos Traum ist wieder einmal im letzten Moment geplatzt. Ein sichtlich geknickter Ricardo sagte anschließend unter Tränen: „Das wird schwer zu verarbeiten sein. Dieses Jahr war es echt eng, und mein letzter Heat war mein bester hier beim Aloha Classic. Ich war so oft so nah dran, es ist echt frustrierend. Ich bin jetzt 38 Jahre alt – ich wollte diesen Titel wenigstens einmal im Leben gewinnen. Ich bin immer noch oben dabei, mal sehen, was nächstes Jahr passiert.“

Der Moment, in dem Ricardo auch 2023 der Wave-Weltmeistertitel aus den Händen glitt – pure Enttäuschung.Foto: Fish Bowl DiariesDer Moment, in dem Ricardo auch 2023 der Wave-Weltmeistertitel aus den Händen glitt – pure Enttäuschung.

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