Das Feuer des Kamins lässt vereinzelt die Gesichter aufleuchten, aus dem Plattenspieler erklingen längst vergangene Rock’n’Roll-Songs, nur das Klappern der Scheunentore dringt hin und wieder zu uns durch. Die erhoffte Wärme kriecht nach einem langen Surftag allmählich zurück in die Knochen. Dennie kommt herein und will wissen, wie es denn heute gewesen sei, er selbst konnte nicht raus. Müde Gesichter schauen langsam auf und beantworten seine Frage mit einem breiten Grinsen.
Dennie Hilding war wohl einer der ersten Surfer auf Bornholm, er kam, surfte und blieb. Vor drei Jahren war das, mit Frau und Kind ging es von Schweden nach Bornholm, dauerhaft. Ein Resthof dient als Bleibe und da er es selbst kaum glauben konnte, dass es trotz perfekter Gegebenheiten keine Surfer auf der Insel gab, gründete er die "Bornholmer Surffarm". Der Hof wurde umgebaut, so dass es nun einen Wohnraum mit vier Schlafplätzen gibt, der durch einen Kamin beheizt wird. Im Sommer kann auf dem Gelände gecampt oder direkt unter dem Scheunendach mit Meerblick geschlafen werden. Es gibt weder Fernseher, Internet noch moderne Duschen – dafür steht ein Eimer, der mit warmem Wasser befüllt werden kann, bereit. Lediglich der Plattenspieler, ein Longboard und ein Billardtisch lassen auf den ersten Blick die Freizeitgestaltung an wellen- und windlosen Tagen auf der Farm erahnen. Bei dem ersten Rundgang waren wir ehrlich gesagt etwas überfordert, wie wir hier die nächsten zweieinhalb Wochen aushalten sollten – wenn es keinen Wind oder Wellen gäbe. Dennie erzählte uns, dass dies ein Teil seines Konzeptes sei. In der heutigen Gesellschaft haben wir von allem zu viel, nur nicht von "Zeit". Wir sollten uns während des Aufenthaltes auf die wesentlichen Dinge des Lebens fokussieren, deshalb auch die primitive Dusche sowie der Verzicht auf moderne Medien. Klingt einleuchtend, fällt aber schwer, wenn man tagtäglich auf "Zeit ist Geld" getrimmt wird. Ich konnte mir schwer vorstellen, dass diese Methode innerhalb weniger Tage mein gewohntes Selbstkonzept über den Haufen werfen würde, aber ich wurde eines Besseren belehrt.
Analoge Tage
Der erste Morgen begann wie gewohnt früh. "Wo wollen wir zu erst nach Spots suchen? Wie sieht die Vorhersage für die nächsten Tage aus?" Typische Surferprobleme. Wir brauchen verdammt nochmal Internet. Also schnell das EU-Datenpaket gebucht und die Vorhersage gecheckt, dann nochmal schnell Google Maps abgescrollt, um virtuell potenzielle Spots zu "entdecken". Jetzt nur noch schnell die Mails checken, könnte ja etwas Wichtiges reingekommen sein. Das Internet lädt nicht weiter, mein Handy vibriert und es erscheint eine SMS: "Ihr Datenvolumen ist aufgebraucht." Das war’s, wir werden nie den richtigen Spot finden! Wie haben die Surfer vor uns das bloß ohne Internet gemacht? Ich lege mein Handy beiseite und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. An der Wand hängt eine alte Seekarte von Bornholm, die ich vorher gar nicht wahrgenommen habe. Sie soll uns von nun an als Navigator dienen.
Wir entscheiden uns, den Süden zu erkunden, da bei unserem jetzigen nördlichen Standpunkt, bei einem Blick aus dem Fenster, kein Spot zu funktionieren schien. Der Kontrast zwischen dem Norden und dem Süden der Insel ist viel größer, als man es bei 45 Kilometern erwarten würde. Der Norden ist bergig, mit Steigungen bis zu 15 Prozent, großen Felsen, Wasserfällen und von Laubbäumen übersät. Der Süden hingegen zeigt sich eher flach, voller Nadelwälder und erinnert mit seinen langen Sandstränden und seinem türkisfarbenen Wasser an Rügen. Zudem sieht man hier tagtäglich so viele Fasane, Rehe und Hasen wie in Deutschland in zwei Jahren. Wir sind auf jeden Fall mehr als beeindruckt und finden im Süden tatsächlich eine kleine, aber sehr saubere Longboardwelle, so dass wir uns die Reisestrapazen aus den Knochen surfen können.
Die nächsten Tage gestalten sich wind- und wellenlos. Außerdem absolvieren wir ein Alternativprogramm mit Wanderungen entlang der Küste, gemeinsamen Ausflügen mit den angereisten schwedischen Studenten und langen Abenden am Lagerfeuer. Im Vorfeld haben wir etwas von einer Skatehalle gelesen, halten dies aber eher für ein Gerücht, da wir es uns beim besten Willen nicht vorstellen können, so etwas hier im Nirgendwo zu finden. Wir fragen Dennie und ohne zu zögern bestätigt er uns, dass es tatsächlich eine in Nexo gäbe. Zudem habe er einen Freund, der im Besitz eines Schlüssels ist...
Skunk & Skaten
Die Skatehalle ist riesig und bietet neben Skaten auch die Möglichkeit zum Klettern. Nach einiger Zeit kommt ein alter mintgrüner BMW vorgefahren und es steigt ein Mann mit Schlaghose, Weste und einem Hut, an dem eine Fasanfeder steckt, aus. Er umrundet sein Auto, öffnet den Kofferraum und holt ein Skateboard heraus.
Nach einer kurzen Musterung beiderseits kommt er auf uns zu und grüßt mit einem lauten "Moin! Ihr seid die Jungs aus Deutschland, oder?" Der Typ stellt sich mit "Jan" vor. Er kehrte Deutschland vor zehn Jahren den Rücken und ging nach Bornholm. Aber warum? Arbeitsplätze sind hier eigentlich Mangelware, es sei denn, man ist Spezialist in dem was man tut. Die Frage was Jan besonders gut kann, lässt mich nicht los. Vielleicht ist er Handwerksmeister der alten Schule, der die alten Gebäude restauriert? Zuerst mal konnte Jan verdammt gut skaten, sein Style glich dem vom Jay Adams, dem legendären Mitglied der Dogtown Boys. Nach der Session lud er uns auf ein Bier ein und beantwortete damit meine noch immer schwelende Frage. Es war nicht "ein" Bier, sondern "sein" Bier. Weil ihm nach dem Studium des Brauereiwesens der Markt in Deutschland zu konservativ war, ging er nach Bornholm und experimentierte in der Inselbrauerei "Svaneke" mit verschiedensten Zutaten.
Derzeit arbeitet er an einem Sommerbier namens "Skunk", welches aus jamaikanischem Hopfen hergestellt wird, in grünen Flaschen verkauft wird und beim Öffnen extrem nach Marihuana riecht. Er ist überzeugt von der Idee und eine erste Testladung, die nach Schweden verschickt wurde, ist bereits ausverkauft. Und auch wir sind begeistert – vom Bier und seiner Vita...
Photoshop-Fakes?
In der Nacht werde ich vom Geklapper der Scheunentore wach und konnte es kaum erwarten, endlich die Küste entlangzufahren. In meinen Träumen hatte ich die Bilder vor Augen, die ich zuvor im Internet gesehen hatte. Offshore-Wind bläst die kopfhohen Wellen glatt und ein Set nach dem anderen rollt in eine der unzähligen Buchten Bornholms. Am nächsten Tag die Ernüchterung, der erhoffte Spot funktioniert nicht, vielleicht war der Wind zu schwach, zu westlich oder war das alles nur ein Photoshop-Fake? Wir fahren zur Nordwestküste und weiter Richtung Süden. Wir stoppen an einem kleinem Hafen, der an einer Steilküste liegt, wo trotz des auflandigen Windes eine recht saubere Welle hereinläuft. Die Welle sieht auf den ersten Blick ziemlich klein aus, lediglich der felsige Einstieg macht mir etwas Sorgen. Überall tauchen Steine auf, als ich mit flauem Gefühl auf meinem Wellenreiter hinauspaddle. Die erste Welle kommt aus dem Nichts und wird plötzlich verdammt steil, beim Take-off sehe ich durch das klare Wasser den Untergrund und der gemächliche Hügel entlädt sich als druckvoller Brecher, der über eine seichte Riffkante bricht. Nach einigen wirklich guten Ritten ist klar, dass diese Insel großes Potenzial an Wellenreitspots hat. Aber hier muss man doch auch Windsurfen gehen können!
Wir fahren weiter Richtung Süden, der aufgrund seiner flachen Landschaft und ausgedehnteren Strände zum Windsurfen besser geeignet erscheint. Es dauert nicht lange, bis wir einen Platz finden, der mir tauglich erscheint. Der Wind kommt zwar von rechts, aber immerhin ist er konstant und weiter draußen brechen einige Wellen auf einer Mischung aus Stein und Sandbank. Auch an diesem Spot schauen ab und zu einige Felsen unter der Wasseroberfläche hervor, deren Lage ich mir versuche einzuprägen.
Als wir am Abend nach "getaner Arbeit" vor dem Kamin sitzen und ins Feuer schauen, war ich mir sicher, dass wir wiederkommen würden, um die Nordküste zu surfen. Dies blieb uns bei diesem ersten Trip aufgrund der westlichen Windrichtungen leider noch verwehrt, doch ich bin mir sicher, dass es hier unglaublich gute Wellen und mit Sicherheit auch gute Windsurfbedingungen vorzufinden sind – vorausgesetzt es weht aus Ost oder Nordost. Dennie erzählte uns, dass die besten Wind- und Swellbedingungen aus östlicher Richtung kommen und ein Blick auf die Karte lässt erahnen, dass dies nicht gelogen ist. Bis zum nächsten Fleckchen Land sind es in dieser Richtung 450 Kilometer, und die Ostsee ist dort über über 400 Meter tief. Trotz eher magerer Ausbeute war der Trip toll, denn Bornholm bietet viele Alternativen: Skateparks, Bier, das nach Hanf riecht und vor allem jede Menge Entschleunigung und Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
INFO BORNHOLM
Alternatives Freizeitprogramm: SUPen entlang der Steilküste, Skaten, Angeln, Tauchen, Fallschirmspringen, Wandern, Klettern, freilaufende Bisons im Naturareal suchen, Mountainbiking, Snowboarden (im Winter mit Skilift!), Museen besuchen oder einfach mal in der Hängematte liegen und nichts tun.
Anreise: Die einzige Fähre von Deutschland aus fährt von Sassnitz (Rügen) nach Rønne. Diese Fährlinie wird im Winter jedoch eingestellt, so dass diese Linie nur von Ende März bis Ende September genutzt werden kann. Die günstigsten Tickets gibt es unter: www.faergen.de Alternativ kann man auch von Hamburg das Flugzeug besteigen, Mitnahme von Surfgepäck ist aber nicht möglich. Eine weitere Möglichkeit besteht durch die Anreise mit Zug und Fähre. Mit dem Zug geht es nach Kopenhagen. Von dort per Zug/Bus nach Südschweden und von dort wiederum per Fähre nach Bornholm. Das ist die günstigste, wenn auch anstrengendste Route
Unterkunft: Empfehlenswert ist die "Bornholmer Surffarm", sehr guter Standort und ein Treffpunkt für Menschen aus aller Welt. Zudem kann man hier seinem Gehirn eine Pause gönnen und einfach in den Tag hineinleben. Bei Wind- und Wellenvorhersagen, Spotsuche, Essenstipps oder landschaftlichen Sehenswürdigkeiten steht euch Dennie jederzeit zur Verfügung. Außerdem stehen verschiedene Wellenreiter oder SUPs zum Verleih bereit, im Sommer soll es auch eine kleine Surfschule geben (www.bornholmsurffarm.com). Alternativ dazu gibt es viele Campingplätze oder Hotels, die allerdings teurer sind als die Farm.
Windsurfen & Wellenreiten: Windsurfen findet hauptsächlich im südlichen Bereich statt, Wellenreiten eher im nördlichen Teil. Schnappt euch eine Karte und klappert die Buchten ab, diese liegen meist nur wenige Kilometer auseinander und bieten unterschiedlichste Bedingungen für jede Könnensstufe.