Bereits 1999 entstand Windfinder als ein (damals gab es den Begriff noch gar nicht) Digital-First-Unternehmen in Kiel. Vier begeisterte Wassersportler entwickelten mit Programmierern einen SMS-Vorhersagedienst. Seither hat sich Windfinder zu einem der wichtigsten Vorhersagedienste für Wassersportler entwickelt. Nicht nur die Vorhersagen, sondern mittlerweile auch 20.000 Wetterstationen, die Wind- und Wetterdaten in Echtzeit übertragen, sind aus dem modernen Windsurferleben nicht mehr wegzudenken. Nahezu jeder nutzt die App auf dem Smartphone, Tablet oder Computer.
Wenn jemand weiß, wie man die verschiedenen Vorhersagen richtig liest, um das Beste aus Windfinder herauszuholen, dann ist es Geschäftsführer Jonas Kaufmann. Wir haben uns mit ihm über sein Produkt unterhalten und versucht ein paar Tipps zu sammeln, um zu vermeiden, dass man sich als Surfer ständig zu früh freut oder von der Vorhersage irregeführt fühlt und unnütz Sprit mit dem Auto zum falschen Spot verfährt.
Unser letzter Besuch bei euch ist schon eine Weile her, genau genommen zehn Jahre. Was hat sich seitdem getan? Kann man sagen, dass Windvorhersagen in den letzten Jahren zuverlässiger geworden sind?
Ja, definitiv. Die Windvorhersagen haben sich stetig verbessert. Eine gute Vorhersage braucht vor allem eines: sehr viel CPU-Power (Anm. der Red.: CPU = Zentrale Rechen- und Steuereinheit eines Computers). Die Leistung der Prozessoren hat sich verbessert und ist zugänglicher geworden. Heutzutage kann man zum Beispiel einfach große Server mieten. Das führt dazu, dass man Modelle mit höheren Auflösungen berechnen kann – wie unser Superforecast.
Und in der Firma?
Wir sind aktuell ein Team bestehend aus zehn wassersportverrückten Software-Entwicklern, Produktdesignern und Marketing- und Supportspezialisten, die ihr Produkt selbst gerne und regelmäßig verwenden. Unsere Apps waren bei eurem letzten Besuch noch in den Kinderschuhen, jetzt sind sie fast das Wichtigste bei uns. Außerdem sind wir mittlerweile sehr stark global unterwegs: die USA ist aktuell auf Platz Eins unserer Zugriffe. Windfinder – egal, ob als Webseite oder unsere Apps – entwickelt sich kontinuierlich weiter. Wir starten regelmäßig Befragungen und kriegen Verbesserungsvorschläge, die wir dann entsprechend einbauen. Unser Ziel ist es, ein umfängliches, intuitiv zu bedienendes Tool für Outdoor-Sportler zu schaffen, um sich über die Bedingungen weltweit informieren zu können.
Bist du selbst auch Software-Entwickler?
Ja. Und das, was wir bei Windfinder machen, ist in vielen Fällen auch tatsächlich Software-Entwicklung. Wir haben eine große Menge an Daten, die aus den verschiedenen Modellen und Wetterstationen herausquellen. Unsere Aufgabe ist es, diese Daten benutzerfreundlich aufbereitet und mit gutem Funktionsumfang an die Leute zu bringen.
Wo kommen diese Daten her?
Das muss man ein wenig unterscheiden: Der Forecast basiert auf dem GFS-Modell des amerikanischen Wetterdienstes, und unseren Superforecast rechnen wir selbst auf eigenen Servern. Die Messwerte sind davon getrennt zu sehen – das ist ein Netzwerk, das wir uns über die letzten zwanzig Jahre aufgebaut haben. Wie zum Beispiel kleine Wetterstationen von Surfschulen oder wichtigen Flughäfen.
Wie funktioniert eine Windvorhersage in etwa?
Vereinfacht gesagt wird zunächst ein Initial-Zustand der Atmosphäre ermittelt. Hier spielen Messwerte mit rein, aber auch Satellitenmessungen oder Radiosonden-Aufstiege. Daraus wird dann ein dreidimensionales Gitternetz über der Erde aufgebaut. Basierend darauf wird mittels verschiedener physikalischer Algorithmen die Vorhersage berechnet – kurz gesagt: Wie bewegt sich eigentlich ein Luftpaket durch die Atmosphäre, und wie verändert sich dessen Temperatur und Feuchtigkeit? Und dieser gesamte Prozess passiert viermal am Tag, das sind die unterschiedlichen Vorhersageläufe.
Dass diese Vorhersagen nicht immer zu 100 Prozent zutreffen, mussten wir alle schon einmal erfahren. Was sind deine besten Tipps, um die nächste Schneiderfahrt an den Spot mit Sicherheit zu vermeiden?
Da gibt es einige, sehr wichtige Punkte: Verschafft euch einen großräumigen Überblick auf der Windkarte und schaut nicht nur auf die Spotansicht. Denn vielleicht streift das Windfeld den ausgewählten Spot nur ganz knapp, und zehn Kilometer weiter nördlich oder südlich zieht es deutlich stärker entlang. Verschiedene Orte in eurem Radius zu vergleichen, macht immer Sinn. Wer immer stur denselben Spot anschaut und auch nur diesen anfährt, läuft Gefahr am Strand zu stehen und sich über nicht ausreichenden Wind zu beklagen. Während andere, direkt um die Ecke, eine nette Session haben. Generell sollte man in der Planungsphase des Surftages auch immer die Vorhersagemodelle vergleichen – also bei uns den Forecast mit dem Superforecast. Denn je mehr diese übereinstimmen, desto stabiler ist meist die Großwetterlage. Das ist ein wichtiges Kriterium für die Eintrittswahrscheinlichkeit der Vorhersage.
Noch einmal zum allgemeinen Verständnis: Was ist der Unterschied zwischen Forecast und Superforecast?
Der Superforecast ist unser hochauflösendes, regionales Vorhersagemodell für Europa, Nordamerika, Südafrika, Ägypten und die Kanaren. Dadurch, dass es regional beschränkt ist, können wir eine deutlich höhere Auflösung, also die Maschenweite des Gitternetzes über der Erde, berechnen. Zudem verwendet der Superforecast fortgeschrittenere, physikalische Modelle, die auf Windvorhersagen optimiert sind. Damit schaffen wir es, auch kleinräumige Effekte wie zum Beispiel Kapeffekte oder Thermik besser vorherzusagen.
Der Forecast hingegen basiert auf dem GFS-Modell des amerikanischen Wetterdienstes NOAA. Dieser ist für die nächsten zehn Tage in die Zukunft verfügbar und hat eine weltweite Abdeckung. Somit eignet er sich auch für die längerfristige Planung. Generell empfehlen wir aber immer den Vergleich der Vorhersagemodelle, damit man die bestmögliche Interpretation der Vorhersagen für seinen Surfspot erlernen kann.
Wenn die beiden sich einigermaßen einig sind und man sich für seinen Spot des Tages entschieden hat, man jedoch immer noch Zweifel hat: Was kann man tun, bevor man das Auto packt und losfährt?
Man kann sich die aktuellen Messwerte vor Ort oder in der Umgebung anschauen. Wenn zum Beispiel ein Winddreher von Westen in der Vorhersage angegeben ist, kann man nachschauen, ob die Stationen westlich vom präferierten Spot den Winddreher bereits anzeigen, um sicherzustellen, dass dieser auch tatsächlich zur angegebenen Uhrzeit eintrifft.
Außerdem haben wir mittlerweile viele Spot-Webcams in der App, die man sich anschauen kann, um zu checken, ob vor Ort die Bäume wackeln oder schon Leute auf dem Wasser sind – bestenfalls erkennt man sogar eine Segelgröße. Dazu kommen Unwetterwarnungen bei uns in der App, die man beachten sollte. Wird es gewittern? Ist das Wetter dadurch sehr wechselhaft? Entsteht ein Frontenwind? Das sind alles Dinge, die man im Hinterkopf haben sollte. Und auch der gute, alte Blick aus dem Fenster sollte nicht fehlen (lacht). Einfach, um das Wetter an dem Tag erst mal grob einzuordnen. Unter Berücksichtigung all dieser Punkte, kann man versuchen, das Beste aus Windfinder und somit seinem Surftag herauszuholen. Also die beste Interpretation aus der Vorhersage zu schaffen, wann und wohin man fährt. Und vor allen Dingen, die nächste Schneiderfahrt ans Wasser zu vermeiden.
Wieviel Tage im Voraus darf man sich freuen? Und wann kann man den Bulli packen?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Die meisten schauen ja schon ab montags für das nächste Wochenende rein. Das kann man machen (lacht). Da ist der Forecast (GFS) super, um sich einen groben Überblick zu verschaffen, ob ein Tief im Anmarsch ist und man eventuell sogar Urlaub für die nächste Woche einreichen sollte. Oder ob erst mal Windstille zu erwarten ist. Frühestens am Mittwoch würde ich jedoch erst den Bulli fürs Wochenende packen. So Pi mal Daumen drei Tage im Voraus hat man eine sehr gute Wahrscheinlichkeit, dass die Vorhersage auch zutrifft.
Es ist und bleibt trotz allem nur eine Vorhersage. Der Blick in den Himmel während der Session ist wichtiger als jede Vorhersage.” - Jonas Kaufmann
Möchtest du den surfenden Windfinder-Usern noch etwas mit auf den Weg geben?
Erfahrung macht den Meister, um Vorhersagen zu interpretieren. Wer regelmäßig reinschaut, Spots vergleicht, Webcams anschaut und unterschiedliche Spots anfährt, wird mit der Zeit ein gutes Gefühl für die Vorhersagen in seiner Region bekommen. Es ist und bleibt trotz allem nur eine Vorhersage, die den Wassersportler nicht von der eigenen Verantwortung entbindet, das Wetter vor Ort im Blick zu behalten. Der Blick in den Rückspiegel und in den Himmel ist während der Session wichtiger als jede Vorhersage.
Das große Wind-Special:
- Der Westwind
- Der Ostwind auf der Ostsee
- Ora und Vento am Gardasee
- Der Föhn in den Alpen
- Der Meltemi in Griechenland
- Die Bora in Kroatien
- Der Schirokko im zentralen Mittelmeer
- Der Mistral in Südfrankreich
- Der Tramontana im nördlichen Mittelmeer
- Der Levante in Südspanien
- Die Passatwindzone
- Die Wurzeln der Passat-Winde
- Kernpassat – Im Zentrum des Passats
- Passat-Auslaufzone – Das Ende des Passats
- Interview: Klimaforscher Dr. Michael Sachweh – “Stürme jagen ist meine Leidenschaft”
- Windfinder: So entstehen Wind-Vorhersagen, das unterscheidet Forecast und Super-Forecast