Nach 27 Jahren Windsurfen ist es nun also soweit – ich treibe ab. Wie ein Anfänger schwimme ich bei ablandigem Wind umher, wasserstarte, schleuderstürze, wasserstarte, japse, fluche. Nicht bei einem Jahrhundertsturm oder einem Tag mit Riesenwellen irgendwo an einem einsamen Break Südafrikas, sondern hier, einen Steinwurf in Lee der Mole von Großenbrode. Am Strand hat sich eine kleine Menschentraube gebildet und ein kleiner Rotzlöffel zeigt schon mit dem Finger auf mich. Wenn ich so weitermache, tippt tatsächlich gleich jemand die 124 124 ins Telefon, die Nummer der Seenotrettung. Mein Plan „Speedsurfen gehen“ klingt wie ein mieser Treppenwitz...
Neuland & Kaffeesahne
Einige Tage zuvor sah die Welt noch anders aus. Deutschland wurde von einer Reihe von Frühjahrsstürmen bombardiert und als sich Orkan Niklas auf den Wetterkarten formierte, schien der Moment zu kommen, etwas Neues auszuprobieren. Speedsurfen! Eine Disziplin, die ich noch nie zuvor probiert hatte und die angesichts diverser gut besuchter Events und Regattaformata wie dem Speed Kini in Bayern oder dem German Speed King, mehr und mehr zum Trend zu werden scheint. Als surf-Redakteur sollte man schließlich für alles offen sein.
Die Suche nach einem Sparringspartner führte mich schnell zu Slalom-Ass Vincent Langer:
„He Vinc, nächste Woche kommt Hack. Sollen wir Speeeeeeeden gehen? Zieh dich schonmal warm an, das wird deine erste Niederlage 2015!!! Mein GPS schaltet sich erst über 40 Knoten Geschwindigkeit überhaupt ein, haha.
Grüße! Manueeeeeeeeeeeeeeeeeeeel
p.s. ich trinke nur noch Kaffeesahne, um Gewicht aufzubauen.
p.p.s. Leihst du mir Material?“
Zehn Minuten später habe ich ein Date mit dem Meister vereinbart und große Ziele vor Augen. Erstens: 40 Knoten surfen und zweitens, dem Langer mal zeigen wo der Barthel den Most holt!
Beim Anblick der Vorhersage am Morgen des Tag X wurde mir doch etwas mulmig: 40 Knoten aus West-Nordwest. Eigentlich wären da 3,5er-Segel und 75- Liter-Waveboard erste Wahl, stattdessen verkündete Vincent, dass er zwei 6,3er-Racesegel, ein Speedboard mit 54 Litern und 44 Zentimetern Breite sowie ein kleines Slalomboard organisiert hatte. Ich genehmigte mir noch eine zusätzliche Kelle Nudeln und packte meine Sachen.
Beim Anblick des Speedboards konnten wir uns das Lachen nicht verkneifen. Das Ding erschien so schmal, dass meine 48er-Treter wahrscheinlich auf beiden Seiten im Wasser schleifen würden. Im Nieselregen wurde aufgeriggt, der große Sturm ließ noch ein wenig auf sich warten und es blies „moderat“ mit 30 bis 35 Knoten. Noch ein großer Schluck aus der Pulle und zwei Tofu-Würste reingedrückt und der Spaß konnte beginnen...
Surfboard oder Wasserski?
Ich hatte mir vor der Aktion über alles mögliche Gedanken gemacht – wie ich die nötigen Extra-Kilos auf die Rippen bekomme (Nudelberg und Wasserflasche exen), welche Trapeztampenlänge ich wählen sollte (lange, mit 34 Inch für bessere Kontrolle) und natürlich welche tröstenden Worte ich an Vincent richte, nachdem ich seinen Top-Speed pulverisiert hatte („Vinc, bald is’ DWC, da gibt’s wieder schlechtere Gegner“). Wie ich auf einem 54-Liter-Board wasserstarten und angleiten sollte, wenn dieses einen Meter unter Wasser bremst während oben ein 6,3er zerrt, gehörte offensichtlich nicht zu meinen Überlegungen. Und hier plansche ich nun. Es dauert weitere Minuten, bis ich aufs Board komme und auch bei den Katastrophentouristen am Strand für kollektive Erleichterung sorge. Das Spiel wiederholt sich weiter draußen bei der ersten Halse und auch die Idee, die Trapeztampen wie gewohnt während der Fahrt einzustellen, entpuppt sich als mies.
Nach einem Run japse ich wie nach drei Stunden Wellenaction und stelle erstmal mein vertrimmtes Set-up ein: Trapeztampen zurück, Gabel runter, Wasserflasche exen. Und das GPS startklar machen.
“Zieh dicht, du Lappen!”
Wir tauschen Boards. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen, als ich mit dem 62 Zentimeter breiten Slalomboard entspannt zur Buhne hochziehe, während Vincent mit dem Speedboard in Lee unter der Wasseroberfläche herumstochert und versucht anzugleiten. Nach ein paar Minuten hat er es geschafft und wir gehen auf einen gemeinsamen ersten Run. Als wir drei Meter in Lee der Mole auf Raumwind abfallen und dichtholen, zieht es uns die Falten aus dem Gesicht, der Adrenalinspiegel schnalzt hoch.
Auf spiegelglattem Wasser schießen wir dahin und ich bete, dass Vincent sein 6,3er im Griff hat und mich beim Überholversuch in Luv nicht erschlägt. Dass er mir sofort mal 30 Meter abnimmt und gefühlt zwei Knoten schneller surft, liegt – so rede ich mir ein – sicher nur daran, dass er ja das noch schmalere Speedboard fährt. „Zieh dicht, du Lappen“, denke ich, spanne auch die letzte Muskelfaser an und schiebe den Allerwertesten noch ein wenig mehr raus.
Nach einem Bremsweg wie ein vollbesetzter ICE bringt ein Blick aufs GPS zwei Gewissheiten. Erstens: Dieser Run war 71,49 km/h schnell, das sind 38,60 Knoten und damit 1,40 Knoten weniger als das von mir ausgerufenen Minimalziel und „hauchdünne“ 10,22 Knoten unter dem erwarteten Deutschen Rekord von 48,82 Knoten. Das ist doch zu schaffen! Gewissheit Nummer zwei: Die „wasserdichte“ Handytasche Marke Eigenbau ist undicht und mein mit GPS-App gepimptes Smartphone steht so tief im Wasser wie ich vor einigen Minuten auf dem Speedboard. Trocknungsversuche und eine Vollversiegelung mit Tape schlagen fehl, das Teil ist im Himmel...
Undercover-Rekorde
Der Wind nimmt weiter zu und nach ein paar Runs fängt die Sache an Spaß zu machen – der Amwindschlag durch die Kabbelwellen gleicht zwar, vor allem mit dem zappeligen Speedboard, einem Rodeoritt, sobald man allerdings ins glatte Wasser hinter der Mole kommt und auf tiefen Raumwindkurs abfällt, ist man im Rausch: Jeder Muskel angespannt, dicke Backen, starrer Blick. „Eigentlich hab ich Speedsurfer bisher immer belächelt“, gibt Vincent zwischen zwei Runs zu. „Aber hier mit gefühlten 100 km/h langzunageln hat echt Suchtpotenzial!“
Es gibt nur eine Sache die uns richtig fuchst: Nicht zu wissen wie schnell wir tatsächlich sind. Wir beide sind uns sicher, im Vergleich zum Anfang nochmal richtig einen draufgesetzt zu haben. Sicher haben wir den Rekord längst geknackt und können’s nicht beweisen...
Nach einer weiteren Stunde ist Schluss, die Arme sind lang, der Wind dreht endgültig durch, Orkan Niklas ist auch im Norden angekommen. Beim Abbauen suchen wir vergeblich nach windgeschützten Ecken, in denen man ein Vier-Kilo-Speedboard ablegen kann, ohne dass alles davonfliegt. Es war sicher nicht das letzte Mal, dass wir Speeden gegangen sind, denn eigentlich braucht es nicht viel: Normales Slalom-Equipment, einen Spot mit halbwegs glattem Wasser und, nicht zu unterschätzen, ein wasserdicht verpacktes GPS. Es könnte ja sein, dass man mal schwimmen muss.
Trimm-Tipps für maximalen Speed beim Windsurfen
Auch aus normalem Freeride- oder Slalommaterial lässt sich viel rausholen, wenn du ein wenig an den richtigen Schrauben drehst.
Loose Leech
Das größtmögliche Segel bleibt länger kontrollierbar mit sehr viel Vorliekspannung. Dadurch enspannt sich das Achterliek und kann sich nach Lee wegdrehen.
Gabel runter
Eine tiefe Gabel sorgt für bessere Kontrolle und dadurch mehr Speed.
Mastfuß weiter vor
Im Grenzbereich sinkt die Tendenz des Brettes unkontrolliert zu steigen („Wheelie“), wenn du den Mastfuß etwas vor die Mitte schraubst.
Segel bauchig
Was zählt ist nur der Speed auf Raumwind und der ist mit wenig Trimmschotspannung höher. Der Preis: Kontrollprobleme beim Höhelaufen
Kleine Finne
Du hast die passende Finnengröße für „normales“ Cruisen auf allen Kursen gefunden? Dann montiere für maximalen Raumwindspeed eine 2-4 Zentimeter kleinere.
Hintern raus
Längere Trapeztampen erlauben es dir, den Körperschwerpunkt weiter rauszuschieben und länger dichtzuhalten.
Kleine Fußschlaufen
Stelle die Schlaufen so ein, dass nur die Zehen rausschauen. Herumrutschen ist nicht angesagt!
Dieser Artikel erschien erstmals in surf 6/2015