Wir landen an einem Strand. Er heißt Cala de Biniparratx. Weißer Sand und türkisfarbenes Wasser zwischen hohen Klippen, traumhaft. Eigentlich traumhaft, wären da nicht all die Leute. „Hoffentlich verpissen die sich bald“, sage ich zu Laurin, meinem Paddel-Partner. Er zieht sein Board aus dem Wasser und die Stirn in Falten. Mich besorgt noch etwas: Lady Liz, eine ältere Dame mit hochgesteckten Haaren und traurigen Augen hatte mir Angst gemacht. Ich traf die Engländerin in ihrem Yachtcharter-Büro im Hafen von Mahón und erzählte von unserem Plan, die Insel zu umrunden. Sie sagte: „That’s nice, but you can NOT sleep on the beach. The Police is patroling at night because of Covid!“
Damit haben wir nicht gerechnet. Natürlich wollen wir am Strand schlafen, das macht den Reiz unseres Trips aus. Da schlafen, wo es am schönsten ist: am Strand, unter Sternen. Natürlich mit Lagerfeuer und Rotwein. Und jetzt das! Und noch was nervt: Ich wühle im Packsack und merke, dass ich Unterhose und Wechsel-Short vergessen habe. So dumm! Bei den letzten Trips habe ich es jedes Mal gefeiert, aus der klammen Badeshort zu steigen, rein in die trockene Hose. Doch jetzt: no have! Kleines Versäumnis, große Wirkung!
Impressionen vom SUP-Abenteuer der beinahe Menorca-Umrundung mit den Lehner Brothers findet Ihr in der Bildergalerie:
Menorca ist die kleine Schwester von Mallorca. 50 Kilometer lang, 16 breit, flach wie ein Fladenbrot mit 285 Kilometern Küstenlinie. Seekajak-Fahrer veranschlagen acht Tage für die Umrundung – das wollen wir auch hinkriegen. Im Gegensatz zu Mallorca gibt es hier kaum Bettenburgen, dafür Wald. Die Hälfte der Insel steht unter Naturschutz, seit 1993 ist sie sogar Unesco-Biosphären-Reservat – das klingt gut. Der Satz aus dem Reiseführer noch besser: „auf der Südseite Menorcas ist das Meer immer glatt und türkisfarben“. Also nix wie hin zur Menocra Umrundung! Wir starten im größten Naturhafen des Mittelmeers – in Mahón. Es ist schon Ende September und damit die Nivea-Zeit auf Menorca vorbei – zumindest laut Statistik. In der Statistik liegt die Crux eines solchen Unternehmens. Wir wissen: Insel-Umrundungen sind der Knaller. Allerdings besitzen sie eine Portion Ungewissheit. Diese Ungewissheit ist Fluch und Segen. Fluch, denn: schlägt z.B. das Wetter um, wird’s unbequem. Segen, weil: spannend! Das Leben reduziert sich auf Gedanken wie: Bleibt der Wind zahm? Gibt’s Schwemmholz fürs Lagerfeuer? Wie weit noch bis Cala Blanca? Oder: Geht’s auch ohne Wechsel-Short?
Die Sonne ist weg, der Sand wird klamm, es ist schon spät – doch immer mehr Spanier pilgern in die Bucht. Ein Typ mit schmalen Schultern, dünnem Haar und Tattoos am ganzen Körper schlendert nackt zum Wasser, seine Freundinnen johlen, deren Hunde bellen. Nicht weit von uns dauerknutscht ein Pärchen ohne Luft zu holen – zwei Menschen verschmelzen zu einer Skulptur aus Locken und nackter Haut. Ältere Damen wanken zum Baden, noch ältere Herren mühen sich mit Sand zwischen den Zehen. Ich schließe die Augen und liege am Strand – ein bisschen genervt, ein bisschen enttäuscht. Doch irgendwann ist es soweit. Der Tätowierte mit dem großen Selbstbewusstsein zwängt sich in eine für sein Alter viel zu enge Jeans und zieht mit den Hundefrauen ab – die Dämmerung kommt, die Leute gehen. Was für ein Unterschied: mit Leuten doof, ohne Leute großartig. Laurin baut das Zelt auf, ich entkorke den Rotwein.
Traumstrand, du gehörst jetzt uns! Nachts röchelt das Meer im Fjord der Bucht. Das Wasser gurrt und gluckst, krächzt, stöhnt, pfeift, schnalzt und spricht. Waren da Stimmen – Polizei? Ich strecke den Kopf aus dem Zelt. Nein, niemand da! Das Wasser rauscht, schwillt, plätschert – spült das Meer die Boards davon? Ich schaue raus. Nein, sie liegen friedlich im Sand.
Der Pirat verliebte sich in die schöne Spanierin, doch die Bauern der Umgebung hatten wenig Verständnis für Piraten-Romantik.
In der Morgensonne folgen wir der Südküste. Die Klippen von Cova d’en Xoroi sind von Höhlen durchlöchert, wir müssen unsere Köpfe in den Nacken legen und entdecken Felsenfenster selbst hoch oben, direkt unterm Himmel. Später, im Strandcafé von Cala en Porter lesen wir, dass sich im 17. Jahrhundert ein maurischer Pirat in diesen Höhlen versteckte. Der Pirat verliebte sich in eine schöne Spanierin, doch die Bauern der Umgebung hatten wenig Verständnis für Piraten-Romantik. Sie verrieten den Seeräuber. Soldaten jagten ihn, stellten ihn, doch bevor die Musketenkugeln ihn zerfetzten, sprang der Maure von der Klippe ins Meer und ließ seine Geliebte mit gebrochenem Herzen zurück. Ja, Happy Ends waren selten in diesen Zeiten.
Nach Cappuccino, Omelette und Piratenstory ist Schluss mit Bummeln, wir müssen Strecke machen. Schöne Buchten kommen und gehen. Im letzten Abendlicht biegen wir ab zum Strand von Cala Trebalúger. Wieder ein Name wie aus dem Piratenfilm, alleine sind wir dennoch nicht. Zwei französische Seekajaker, wollen hier auch die Nacht verbringen: Christophe & Françoise. Er ein kantiger Bursche mit Kugelkopf und viel Muskelmasse. Sie mandeläugig, mit schlanken Beinen und den Kurven eines Filmstars. Die zwei campen auf der einen Seite des Strandes, wir verziehen uns auf die andere – und beobachten (vor allem sie), erzählen uns ausgedachte Biographien über die zwei, lachen uns schlapp bis die Dunkelheit sie verschluckt. Erst die zweite Nacht und doch fühlt es sich an, als seien wir schon ewig unterwegs. Am nächsten Morgen klettern wir zum Frühstück die Felsen hoch in die Sonne, essen Orangen und Nüsse. Als die Seekajaker aus der Bucht paddeln, springt Laurin auf, wirft Handküsse und schreit: „Au revoir, Françoise!“ Ich verschlucke mich vor Lachen an meiner Orange.
Auch wir laufen bald aus, paddeln in Wind und Kabbelwelle nach Cala Galdana und halten Kriegsrat bei Bier und Tortillas, denn die Wetter-App meldet eine Kaltfront. Sie drückt die Stimmung. Was tun? Wenn wir weiter paddeln, erwischt uns das Unwetter im Westen direkt von vorne. Wären wir schon an der Nordküste, bekämen wir den Wind zwar ungünstig von der Seite, doch hätten bessere Chancen, es zurück nach Mahón zu schaffen. Einen Haken hat der Shortcut: Wir müssen den Boards die Luft ablassen, denn der Taxifahrer weigert sich, die Gummiwürste aufs Dach zu schnallen. Unsere Pumpe? Sie liegt in Mahón. Was sich wenig aufregend liest, ist für uns ein Problem.
Ich will einen Spanier am Info-Stand fragen, doch der flirtet mit zwei Engländerinnen, will sie zur Fahrt im Glasbottom-Boat verführen. Sonore Stimme, dunkle Augen, gegeltes Haar – Typ Latin Lover. Die Girls: hi hi. Der Spanier: ha ha. Die Ladies zieren sich und nun schaut Mister Gelhaar mich an. Er begreift schnell. Nein, seine Luftmatratzen-Pumpe bringt mir nix, die Auskunft, dass in Cala Morell oft SUPler sind, schon eher.
Wir gehen das Risiko ein: zzzzzssssschhhhhh – die Luft entweicht. 20 Minuten braucht das Taxi nach Norden. Der Fahrer will smalltalken, ich nicht, zu aufgeregt: Was wenn dort niemand eine Pumpe hat? Auch Laurin fiebert, schaut wortlos aus dem Fenster. Raus aus dem Taxi und über Treppen in eine tiefe Bucht hinunter. Weiße Häuser, Badegäste, Cocktail-Trinker, Angler. Doch keine Paddler! Da stehen wir mit unseren Gummi-Rollen unterm Arm, den Packsäcken in der Hand und gucken dumm. Was nun? Weit draußen ankert eine Yacht. Ich kneife die Augen zusammen. „Siehst du den Schatten auf dem Vordeck – das könnte ein SUP sein?“ Laurin scannt die Yacht. „Vielleicht.“ Es ist unsere einzige Chance. Ich springe ins Wasser und kraule die 300 Meter aufs Meer hinaus. „Excuse me!“, schreie ich die Bordwand hoch. Beim dritten Mal, beugt sich eine barbusige Upperclass-Blondine über die Reling. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und erkläre mein Problem. Sie ist Engländerin, grinst selbstbewusst zurück und ruft zu mir hinunter: „Sure, we have a pump!“ Während ich zurück schwimme, begleitet mich Skipper Henry im Beiboot, die Pumpe an Bord.
Kurz drauf sind wir wieder mobil – allerdings hatte Laurin beim Transfer den Bolzen seiner Finne verloren. Jetzt hält der Plastikzinken meiner Campinggabel die Finne im Board – vertrauenswürdig ist das nicht. Und der Seegang wird rauer. 20 Kilometer boxen wir uns durchs Meer. Wir paddeln und paddeln. Nach drei Stunden verschwindet die Sonne. Die Landschaft sieht nordisch aus – eher Irland als Spanien. Wir runden Kaps und kreuzen Buchten. Klippen, Felsen, Geröll – die Nordküste ist unbewohnt. Wo sind wir, wo ist unser Zielstrand? Beim Kartencheck schwemmen die Wellen Laurins Paddel davon. Ein Schreck, der den Atem würgt bis wir das Paddel im dunklen Wasser endlich spotten.
Dann paddeln wir bis uns die Nacht vom Wasser scheucht und landen an einem Steinstrand voller Treibholz, Kuhfladen, einem toten Hai und Plastikmüll. Statt dem anvisierten Traumstrand Cala en Calderer enden wir an diesem Ghetto-Beach. Mit dem Lagerfeuer kommt die gute Laune zurück. Dreck und Müll verschwinden im Schwarz der Nacht. Wir essen, trinken, erzählen, smoken eine Genuss-Zigi und schauen ins Feuer. Es faucht und lodert, weil Böen in die Glut fahren.
Auch am nächsten Tag steigert der Wind seine Wut, drückt zwei Segelboote flach aufs Wasser und zwingt uns in die Knie. Anstrengendes Paddeln. Langes Paddeln. Paddeln bis die Schulter schmerzt. Wir ziehen mehr zur Seite als nach hinten, damit der Bug auf Kurs bleibt. Anhalten geht nicht. Ein Schluck aus der Wasserflasche und wir treiben 100 Meter aufs offene Meer. Nur die Sonne mildert die Dramatik und beruhigt die Sinne. Immer wieder bohrt sich die Boardnase in die Wellen, das Wasser brandet über den Packsack, bremst die Fahrt. Laurin paddelt vor mir, duckt sich‚ unter Böen wie unter Faustschlägen. Sie fahren von den Klippen wie Hagelschauer auf uns nieder. Ich denke an den Plastikzinken der Campinggabel – er sichert Laurins Finne. Bitte, lass ihn halten!
Gerade noch Easy Paddeling, plötzlich Wildwasser – mir fällt kein anderer Sport ein, wo sich die Bedingungen so schnell verschlechtern können.
Am späten Nachmittag biegen wir endlich in eine windgeschützte Bucht. Strand erreicht, schon bleibt die Anspannung im aufgewühlten Meer zurück. Dennoch: Der Wind ist unser Feind, die Idee fragwürdig, die windigste Baleareninsel im Herbst zu runden. Wind ändert alles – gerade noch Easy Paddeling, plötzlich Wildwasser! Mir fällt kein Sport ein, wo sich die Bedingungen so schnell verschlechtern können. Leider gibt es in unserer Bucht kein Feuerholz. Wir sitzen im Dunkeln und kriechen irgendwann mit sandigen Füßen ins Zelt. Nachts kommt der Regen, am Morgen der Sturm. Die Heringe fliegen durch die Luft, die Zeltplane knattert im Wind, Böen drücken das Gestänge auf den Boden und unsere Schlafsäcke platt. Das Meer kocht. Der Sturm soll in den nächsten Tagen noch stärker werden, weiß die Wetter-App. Wir machen lange Gesichter. Ist es Pech, ist es Dummheit? Wir haben gegen die sieben P’s der Royal Marines verstoßen, sie gelten auch für Standup-Paddler: proper planning and preparation prevents piss poor performance. Sprich: Wir brechen die Tour ab.
Unser Fazit: Fast rum um Menorca ist nicht ganz rum. Mich schmerzt es, dass wir die Menorca Umrundung nicht geschafft haben, Laurin nimmt’s sportlich und sagt: „Hey Bruder, kann nicht immer klappen. Neuer Versuch, neues Glück, Dude! Ich wollte schon immer mal um Elba paddeln. Adios, Menorca!“