Wir Windsurfer sind gewissermaßen ständig auf der Suche – nach exotischeren, unbekannten Spots, höheren Wellen und mehr Wind. Das ganze Fernweh, die Bilder in den Magazinen, der Dauerbetrieb des Video-Streams – all das lässt uns häufig vergessen, dass das Gute doch oft so nah liegt. Ein gutes Beispiel dafür sind die unzähligen, im Herzen von Mecklenburg-Vorpommern gelegenen Seen: Jedes windige Wochenende hetzen die Surfsüchtigen hoch zur Ostsee, nach links und rechts blicken nur die Wenigsten.
Doch meine ersten Surfversuche unternahm ich genau hier vor etwa 20 Jahren auf einem nur ein paar Kilometer von meinem Haus entfernten Tümpel – dem Plauer See. Als Schüler fuhr ich nach dem Unterricht mit dem Moped samt Anhänger ans Wasser und übte die damals angesagten Freestyle-Moves: Carving 360er, Duck Tacks und Willy Skipper auf einer 2,70 Meter langen Fanatic Bee. Nach dem Surfen malten mein Cousin und ich uns aus, wie wohl die Spots an der Ostsee aussähen. Für uns war das damals eine andere Welt. Wir träumten von langen Sandstränden und echten Wellen, wie wir sie nur aus dem surf Magazin kannten.
Alles, was wir wollten, war, endlich einmal weg von unserem kleinen See zu kommen und auf dem offenen Meer surfen. Wir leisteten Überzeugungsarbeit bei unseren Eltern und konsultierten vor jedem Wochenende den Seewetterbericht oder lauschten der Vorhersage im Radio – so war das damals ohne Internet. Leider fanden wir nicht sehr häufig die erhofften Bedingungen an der Ostsee vor. Denn nur selten kam es zu der beinahe einzigartigen Fügung des Schicksals, dass ein arbeitsfreies Wochenende der Eltern mit einer passenden Windvorhersage korrelierte. Viel öfter aber blieb es bei einem Wochenende am Plauer See und wir machten das Beste aus den Bedingungen mit unseren großen Racesegeln. Da wir unser Material an einem Campingplatz direkt am See unterbrachten, konnte beinahe jede Böe genutzt werden. Frischte der Wind auf, sprangen wir einfach nur in die Neos, nahmen das aufgebaute Material und los ging es.
Im Zuge meines Studiums änderte sich dann doch einiges: Die Ostsee und die umliegenden Boddengewässer wurden zu meinen Homespots und ich musste mit ansehen, wie immer mehr Spots von Kitern übervölkert und Hektik auf dem Wasser anstatt Entspannung an der Tagesordnung waren. Oft ertappte ich mich dabei, wie ich die ruhige, familiäre Atmosphäre herbeisehnte, die ich vom Plauer See kannte. An einem Tag mit sehr südlichen Winden, die an der Ostsee kaum brauchbar sind, fuhr ich Jahre später dann auf die A19 gen Süden anstatt mich in den Stau der B105 einzureihen, die Urlauber aus allen Ecken Deutschlands auf den Darß bringt.
Am See angekommen, riggte ich entspannt auf und während ich über das Wasser glitt, umgeben von grünen Wäldern und Wiesen, wurden Kindheitserinnerungen geweckt. Die Farbe und der Geruch des Wassers, das Zwitschern der Vögel – man fühlte sich inmitten einer Szenerie, die idyllischer nicht hätte sein können.
Nicht umsonst gehört der Müritz-Nationalpark zu den größten in Deutschland. Hier trifft man auf Seeadler, Moorochsen und Waschbären. Damit die Artenvielfalt und das ökologische Gleichgewicht der Region nicht gestört werden, sind große Teile der Seenlandschaft als Naturschutzgebiete durch gelbe Bojen gekennzeichnet. Als Windsurfer stehen wir mit der Natur allerdings in einem sehr harmonischen Verhältnis. Der Sport macht kaum Lärm, erzeugt keine Schadstoffe und nutzt eine der natürlichsten Energien der Erde – den Wind.
Nach Jahren der Abstinenz hat mich „mein“ See wieder als echten Fan gewonnen. Mir wurde bewusst, dass es auch im Landesinneren tolle Surfbedingungen geben kann. Dabei geht es hier um mehr als das bloße Surfen mit Scheuklappen vor den Augen, ohne Blick nach rechts oder links. Es geht um das Gesamterlebnis. Im Frühjahr blühen unter strahlend blauem Himmel leuchtend gelbe Rapsfelder über dunkelgrünem Wasser, und am Abend versinkt die Sonne rot am Horizont. Die Mecklenburgischen Seen sind nicht zuletzt deshalb zu einem Sehnsuchtsort vieler Naturliebhaber geworden.
Auch für Windsurfer ist einiges geboten. Zum einen überzeugt die recht große Auswahl an Spots. Es gibt hier wirklich unendlich viele Gewässer, die oft sogar durch mit dem Boot befahrbare Flüsse verbunden sind. Eine Surfsafari mit dem Boot, bei der man einfach am Spot der Wahl ankert und surfen geht, ist auf den Seen ohne Weiteres möglich. Hausboote, auf denen man auch Platz für das Surfmaterial findet, lassen sich mittlerweile auch ohne Bootsführerschein mieten. Das ist Segen und Fluch zugleich. Denn immer mehr Boote ziehen jeden Sommer ihre Bahnen durch die Fahrrinnen der Seen.
Die besseren Windsurfspots der Seen werden aber aufgrund der dann recht steilen Wellen von vielen Skippern gemieden. Und die guten Spots sind wirklich zahlreich und nicht schwer zu finden.
Es wäre unmöglich alle potenziellen Spots aufzuzählen. Denn einen Spot Guide über die Mecklenburgische Seenplatte zu schreiben, der Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, muss zwangsläufig einer Sisyphusarbeit gleichen. Von oben betrachtet erinnert die Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns dann auch fast schon an einen Käse mit vielen Löchern. Unzählige Seen prägen die Landschaft. Oft sind sie klein und von Wäldern umgeben, einige von ihnen zählen jedoch zu den größten Deutschlands, allen voran die Müritz, die bekanntlich noch vor dem Bodensee das größte Gewässer auf deutschem Boden ist.
Von stürmischen Herbstwinden bis hin zur lauen Sommerthermik aus Ost ist alles dabei. Mit Wind und Wetter verändert sich auch die Stimmung an den Spots. Wo es bei welcher Richtung hingeht, verrät ein Blick auf die Karte. Wenn ihr also das nächste Mal gen Norden hetzt, im Stau steht oder es euch an der Ostsee zu wild ist, biegt einfach mal früher ab und habt Spaß in der zweiten Reihe. Das Gute liegt oft sehr nah, ihr werdet sehen.
Allgemeine Infos:
Anreise: Die Spots der Mecklenburger Seenplatte liegen strategisch gesehen recht gut, das heißt oft in Autobahnnähe. Die Spots bieten sich so für einen kurzen Abstecher auf dem Weg zur Ostsee an.
Wind, Wetter & Neopren: Wie alle Spots im Norden ist auch die Mecklenburger Seenplatte von der Großwetterlage abhängig. Kommt die Ostsee unter Tiefdruckeinfluss, wird es auch hier windig. Allerdings weht der Wind meist ein bis zwei Windstärken schwächer als an der See, was manchmal auch ein Vorteil sein kann. Vor überfüllten Spots muss man sich hier aber nicht fürchten. Auch während der frühsommerlichen, mitunter wochenlang anhaltenden, Nordostphasen wird die Region regelmäßig belüftet, dann allerdings meist moderat mit zehn bis 15 Knoten.
Windvorhersage Müritz: www.windfinder.com/forecast/waren_mueritz
Im Sommer tut es meist ein 4/3er-Neo, im Frühjahr und Herbst muss ein dicker Wetsuit und Schuhe ins Gepäck. Im Frühjahr erwärmen sich die flachen Gewässer deutlich schneller als die Ostsee, sodass man hier bei einer warmen Phase auch mal den Shorty auspacken kann. Ein Sturm mit kaltem Wetter dreht den Spieß dann allerdings schnell wieder um.
Wohnen & Campen: Die Region ist touristisch gut erschlossen, es gibt eine Vielzahl von Fremdenzimmern und Hotels aller Preisklassen. Des Weiteren finden sich zahlreiche Campingplätze, teilweise direkt an den Surfspots, wo man gut das Wochenende verbringen kann. Hier eine kleine Auswahl:
Gleich neun verschiedene Plätze in der Region bei www.haveltourist.de
Alternativen:
- www.weicamp.de (Müritz)
- www.campingplatz-naturfreund.de
- www.mueritz.com (Müritz)
- www.m-vp.de (Müritz)
- www.seecamping.de (Schweriner See)
Es gibt noch zahlreiche weitere Plätze, sie alle zu nennen würde den Rahmen sprengen. Googelt einfach die Suchbegriffe „Camping Müritz“ und ihr werdet fündig.
Surfschulen:
- Surfschulen gibt es an fast allen hier vorgestellten Seen, mit Ausnahme des Kölpinsees.
- An der Müritz findet ihr in Boek die Surfmühle (www.surfmuehle.de)
- Die Surfschule am Plauer See befindet sich in Quetzin: www.wassersport-plauer-see.de
- Am Fleesensee kann man über den dortigen Club Robinson Material mieten und Surfkurse buchen. www.robinson-fleesensee.de/leidenschaftliche-aktivitaeten/wassersport/
Mecklenburgische Seenplatte - die besten Windsurfspots
1) Müritz/Boek
Am populärsten Spot der Müritz, Boek (1), baut sich eine sehr gute Windwelle bei Belüftung aus westlichen und vor allem aus nordwestlichen Richtungen auf. Dieser Chop ist wirklich spaßig und lädt zu Freestyle-Tricks und Loops ein. Zusätzlich besteht der Grund hier aus weichem Sand, was sich auch beim Einstieg als ein wahrer Segen erweist. Welleneinsteigern, die sich noch nicht trauen, auf der Ostsee zu surfen, sei empfohlen, an einem Tag mit sechs bis sieben Windstärken aus Nordwest nach Boek zu fahren. Hier gibt es außerdem direkt am Spot einen großen Campingplatz mit den üblichen Einrichtungen.
2-4) Müritz/Ludorf (2), Nitschow (3) & Sietow (4)
Alternativen zu Boek. Alle drei Spots haben eines gemeinsam: Man kann auf einem Campingplatz direkt am Wasser stehen und es gibt schönes Flachwasser mit besten Freeride- und Freestyle-Bedingungen. Unsere Empfehlung: Ludorf und Nitschow bei Nordost bis Südost, Sietow nur bei Nordost.
5) Kölpinsee
Wer es noch etwas ruhiger als in Boek mag, der kann bei Wind aus West bis Nordwest an das Ostufer des Kölpinsees (25) fahren. Hier findet man ein schönes Stehrevier, wobei der Boden allerdings recht steinig ist und man bei eventuellen Nose Dives oder bei hartem Aufsetzen mit der Finne in die Reparaturkiste greifen muss. Außerdem sollte man sich am Kölpinsee nur im Areal vor dem Einstieg aufhalten, da das Süd- und Nordufer Naturschutzgebiete sind, die nicht befahren werden dürfen. Am Kölpinsee werden die Wellen dann auch nicht mehr so groß wie an der Müritz und man kann entspannt cruisen oder ein paar Freestyle-Moves raushauen. „Kölpin“ ist übrigens die slawische Bezeichnung für einen Schwan. Die wurden allerdings bei unserem Besuch nicht gesichtet. Der Wind hätte ihnen wahrscheinlich sowieso einige Probleme bereitet.
Die Einstiegstelle erreicht man vom Örtchen Klink. Der Parkplatz liegt auf einem Hügel und bietet einen schönen Blick auf den See, ist jedoch einige Minuten Fußmarsch vom Wasser entfernt, so dass man hier ein bisschen laufen muss. Aufriggen kann man direkt am Wasser im Schutz von ein paar urigen Bäumen.
Gerade im Frühsommer ist das satte Grün am Kölpinsee eine echte Augenweide. Hier scheint die Zeit ein wenig stehen geblieben. Außer weiten Feldern, urigen Bäumen, Sümpfen und Mooren sowie einigen verstreuten Dörfern gibt es wenig zu sehen. Doch gerade deshalb kommen die Liebhaber der Gegend hier her. Auch mich hat die Urtümlichkeit der Landschaft in den Bann gezogen. Der gleichmäßige Wind tat sein Übriges.
6) Fleesensee
Den Fleesensee kennt man vor allem durch den hier ansässigen Club Robinson, an dem es sogar so etwas wie eine kleine Surfschule gibt. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Instruktoren auch wirklich surfen, denn die Sessions hier verbringt man eigentlich immer alleine. Dabei geht der See sehr gut bei Winden aus West und Ost. Bläst es aus westlichen Richtungen, verträgt der Spot mehr Süd als der Kölpinsee. Probleme könnte hier das Parken bereiten. Denn durch das Urlaubsressort und die Ruhe liebenden Anwohner gibt es in der Nähe des Wassers eigentlich keine legalen Parkmöglichkeiten. Zur Not muss man also sein Material auf einen Trolley laden und am Ortseingang Göhren oben auf dem Hügel parken, oder eben in Untergöhren in Seenähe „undercover“ parken. Als Windsurfer ist man hier eher ein Kuriosum, denn die Zahl der Golfer überwiegt dann doch um Einiges. Trotzdem findet man direkt an der Strandbar des Club Robinson einen sehr schönen Sandstrand, von dem man leicht starten kann, um anschließend vor Cocktail schlürfenden Pauschal-Urlaubern ein paar Manöver zu zirkeln.
7) Plauer See
Funktioniert am besten bei sehr südlichen Winden, die oft genauso stark wie an der Ostsee wehen. Westliche und nordwestliche Winde sind weniger ideal, frühsommerliche Nordost-Brisen hingegen ein Traum zum Freeriden. Der Haupteinstieg für Windsurfer, der sehr populär ist, befindet sich auf der Insel Werder. Vor dem Wald, der durch künstliche Baumanpflanzungen, die mittlerweile bis direkt ans Wasser reichen, noch vergrößert wurde, hat man einen kleinen Luvstau, aber auch einen recht großen Stehbereich. Man kann allerdings gen Süden Richtung Lenz surfen, um freieren Wind und besseren Chop zu haben. Allerdings surft man dann auch in der Fahrrinne, die gerade bei schönem Wetter stärker frequentiert wird.
8) Schweriner See / Flessenow
Bekanntester Spot des Schweriner Sees, Südwest zieht konstant durch und bildet bei viel Wind einen netten Chop zum Springen. Stehbereich an der Einstiegsstelle vor dem Seecamping Flessenow (2,50 Euro/Tag). Etwas weiter nördlich kommt kann man über eine Wiese umsonst aufs Wasser. West bis Nord geht auch, das Wasser ist dann perfekt glatt, allerdings drosselt die vorgelagerte Insel Lieps dann den Wind ein wenig.
Ein besonderes Erlebnis ist das Surfen vor dem Mecklenburger Landtag. Der Wind weht hier zwar oft etwas böiger und man teilt sich das Wasser mit zahlreichen anderen Sportlern, doch die Kulisse und das Ambiente sind wirklich etwas Besonderes. Während also im Hintergrund über Gesetzesentwürfe debattiert wird, zieht man im Vordergrund genüsslich seine Halsen. Beste Windrichtungen hierfür ist Nordost.