1993: Sylter Kurzarbeiter
Im Jahr nach dem Ostwindbedingten Umzug nach List weht es beim World Cup 1993 wieder ablandig. Im Uferbereich parken die meisten ein, auf dem Kurs einen Kilometer vor der Küste hackt es mit sieben Windstärken und mehr und ist bitterkalt. Robby Seeger fährt mit Mütze und muss Strafe zahlen: “Die Tonne lag so blöd und ich musste wenden. Da hab ich mich bei der Regattaleitung beschwert. Und weil’s so kalt war, blieb an meiner rechten Faust der Mittelfinger senkrecht stehen!”
Bernd Flessner wird derweil für den Fairness-Preis nominiert, er leiht Robby Naish nach einem Mastbruch sein Material. Robby muss also auf einem ungeliebten No Nose-Hobel über den Kurs heizen und wird überraschend Zweiter. “Das Ding war so nervös und tanzte wie verrückt”, berichtete er anschließend kopfschüttelnd. Ganz vorne gewinnt natürlich Björn Dunkerbeck, während an Land über 100.000 Zuschauer das Mega-Setup genießen.
1994: Robby two jagt Robby one
Sensation im Waveriding: Mit Robby Seeger arbeitet sich der beste Deutsche in der Losers Round bis ins große Finale vor und trifft dort auf jemand anderen namens Robby. Was nach einem kitschigen Drehbuch klingt, ist das Resultat von viel Talent und Training, denn Seeger springt reihenweise die angesagten einhändigen Manöver oder Kombinationen mit Table Tops. Zum Glück wird erstmals im Double Elimination-Modus gefahren, so dass sich der Preetzer über Matt Pritchard, Josh Angulo, Nik Baker und Björn Dunkerbeck bis ins Finale arbeitet. Dort zeigt er wieder einmal seine spektakulären Moves, während Robby I. kleinlaut zugeben muss, keine einhändigen Sprünge auf dem Scoresheet zu haben.
Doch “es heißt schließlich Waveriding und nicht Wavejumping”: Weil Wellenritte mehr zählen, liegt am Ende doch Naish vorne und verhindert ein richtiges Happy End des Sylter Märchens. Bei den Damen gewinnt Natalie Siebel und bleibt auf Titelkurs, während Jutta Müller und Robert Teriitehau im Slalom gewinnen. Hinter den Kullisen rumort es derweil: PBA-Präsident Christian Herles will Slalom und Kursrennen zum “Racing” zusammenlegen und das Windlimit senken.
1995: 10 Beaufort
Mit zehn Windstärken und mehr zieht in der Mitte der World Cup-Woche ein Sturm über Sylt hinweg. Die Brandung reicht bis an die Ufermauer, die Friedrichstraße ist unpassierbar, Material im Wert von 50.000 wird zerstört. Weil das Unwetter plötzlich kommt, haben die Organisatoren alle Hände voll zu tun, die Zuschauer vom Strand wegzulotsen (”Bitte verlassen sie den Strand. Wir können nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren.”) und die Damen, die noch für Kursrennen auf dem Wasser waren, sicher zurück an Land zu bringen.
Am Tag nach dem Sturm läuft dann das Waveriding-Finale. Während viele Deutsche Starter früh ausscheiden, stehen im Finale wieder einmal Niash und Dunkerbeck. Weil die Wellen pures Chaos sind, zählen vier Sprünge und nur ein Ritt. “War vorher klar, dass ich gewinne”, kommentiert Dunki locker. Naish hingegen ist nur eingeschränkt motiviert, der WM-Titel war vorher schon entschieden und der sprunglastige PBA-Kalender war nicht im Sinne von Robby. Bei den Damen sind “gerade Mal” 21 Starterinnen beim Waveriding gemeldet, im Slalom nur 19 - was heute für Jubelschreie sorgen würde, war 1995 noch Anlass für ernsthafte Sorgen um die Wertigkeit der Ergebnisse. An Land kommt der World Cup derweil bunt wie selten daher: Der Künstler Jim Avignon hat Boards, Flaggen und andere Elemente verziert - die 150.000 Zuschauer freut es!
1996: Cool Running
“Beim Hunde-Baden wäre der Tierschutz eingeschritten, bei Hobby-Surfern die Seenotrettung” - ein Sturmtief bringt einen Wave-Tag mit viel Blut und Drama beim Word Cup 1996. Dunkerbeck holt sich im ersten Heat eine Platzwunde, marschiert aber dennoch bis auf Platz vier nach vorne. Im kleinen Finale muss er sich bei immer schwächer werdendem Wind hinter Bernd Flessner einreihen, der quasi alleine fährt. Ganz oben steht am Ende Jason Polakow, der vorher Robby Naish rausgeworfen hatte. Im Racing hingegen ist Dunkerbeck nahezu unschlagbar, das letzte Rennen kann er auslassen, weil der WM-Titel schon sicher ist.
1996 wird ansonsten viel im legendären Hangar 401 gefeiert, Anders Bringdal hat eines der ersten Segel mit Peitschen-Topp dabei, und die Kursrenn-Boards werden kürzer und breiter. surf produziert täglich eine World Cup-Zeitung und AOL lädt zum Internet-Surfen an 18 PC-Terminals ein.
1997: Showdown
Neun Windstärken und masthohe Wellen sorgen 1997 für ein spektakuläres Waveriding. “Das brutalste, was ich je gesurft bin”, stöhnt Josh Stone. Vorjahressieger Polakow fährt 3,3, er ist mit Stone, Dunkerbeck und Naish im Rennen um den WM-Titel. Robby hat Formel-1-Pilot David Coulthard als Gast auf Sylt dabei, der sichtlich beeindruckt ist: “Heute habe ich echte Männer gesehen. Wir sind dagegen nur kleine Jungs.” Die Top 4 in der Rangliste sind dann auch die Top 4 auf Sylt, das Finale gewinnt Polakow knapp gegen Josh Stone.
Eher unspannend ist das Racing: Dunkerbeck gewinnt nach Belieben und sichert sich den zehnten Overall-Titel. Bei den Damen dominiert Andrea Hoeppner ebenfalls das Racing und holt sich den Sieg beim Heim-World-Cup. Kuriosum am Rande: Trotz guter Bedingungen darf laut der PWA-Regeln am letzten Tag nicht mehr gefahren werden. Zu viel Wind fürs Kursrennen (mehr als 20 Knoten laut Regeln nicht zulässig), aber weil es bereits drei Rennen gab, darf auch nicht auf Slalom gewechselt werden.
1998: Eiskalt erwischt - der Frust, der aus dem Osten kam
Das Windsurf-Material an der Grenze zur Neuzeit: 1998 hieß die Frage “kurze, breite Kursrenner” oder “lange, gestreckte Raceboards”? Die kurzen Stummelchen würden heute kaum auffallen, damals mussten sich Fahrer und Fans an den ungewöhnlichen Anblick gewöhnen, oftmals sogar mit Flapper am Heck - einer kleinen Gummilippe, die verhindern sollte, dass die weit hinten liegende Finne Luft ansaugt. Dunkerbeck greift naserümpfend zum neuen Shape, der fünf von sieben Kursrennen gewinnt.
Diese Kursrennen gerieten jedoch zum Überlebenskampf: Ostwind machte einen Kurs weit draußen notwendig, dort entpuppte sich das laue Lüftchen aber als ordentlicher Sturm. 8,3er oder 7,8er, was die meisten Fahrer aufgeriggt hatten, waren deutlich zu groß, die Rennleitung musste mehrere Havaristen im Boot einsammeln. Der Wechsel zum Achter-Slalom machte das Renngeschehen sicherer, allerdings mussten die Fahrer auf kleinen Starkwindboards in der Windabdeckung rausdümpeln und anschließend wieder zum Ufer kreuzen.
Die arbeitslosen Waverider tauchten ins Sylter Nachtleben ein, so dass Ralf Bachschuster forderte, sie doch zum Rasing zu verpflichten um Langeweile zu verhindern. Sieger Dunkerbeck stapfte derweil im knallgelben Neo am Strand herum, der Hauptsponsor hatte ihm statt Lycra gleich einen Maßanzug spendiert. Darin treib er seine Caddies an, die 20 Segel aufbauen und 56 Fußschlaufen auf 16 Boards schrauben mussten.
1999: Ern(e)st-Fall
Ein Sturmtief namens “Ernest” (daher das Headline-Wortspiel) brachte ordentlich Wind nach Sylt, der im Laufe der Woche immer weiter zunahm. Los ging es mit Kursrennen, eine klare Sache für Dunkerbeck. Im Waveriding flog der Terminator dann gegen seinen Gran Canaria-Kumpel Vidar Jensen raus. Doch in der Double Elimination arbeitete sich Dunki wieder nach vorne und gewann das Super Final gegen Jensen.
Zum Ende des Events dann noch ein Highlight: Slalom in der Brandungszone mit Le Mans-Start! Jede Menge Action für die Zuschauer, viele Fahrer waren jedoch zögerlich und nahmen das Rennen als Streicher. Bei den Damen rüttelten die Moreno-Schwestern am Thron von Karin Jaggi, konnten die Schweizerin aber noch nicht besiegen. Mit Jutta Müller und Andrea Hoeppner gaben zwei deutsche Legenden ihr World Cup-Comeback, um das dünne Damenfeld aufzufüllen.
2000: Wenig Moos, wenig los
Kein Racing beim World Cup im Jahr 2000! Zu wenig Preisgeld, weil im gleichen Sommer die Olympischen Spiele die größte Aufmerksamkeit bekommen hatten. Also nur Waveriding am Brandenburger Strand - der dummerweise im festen Griff einer stabilen Ostwindlage war. Nur einen Nachmittag erbarmte sich der Wind ein wenig, flugs wurde eine Fun Session bei drei bis vier Windstärken und etwa zwei Meter Welle angesetzt, die Josh Angulo gewann. Das Preisgeld wurde dann mangels offizieller Wertung unter allen Startern verteilt, so dass jeder mit 700 Dollar nach Hause ging.
Wie viel davon schon vorher im Hangar, im American oder sonstwo gelandet ist, will vermutlich niemand wissen. Mangels Beschäftigung auf dem Wasser ließen es die meisten Fahrer im Sylter Nachtleben krachen. Für die Zuschauer gab es derweil einen Wave-Simulator, Strandfußball, einen großen NeilPryde-Stand und allerlei anderes Programm.
2001: Poli bleibt am Ball
Auch 2001 nur Waveriding, auch in diesem Jahr nur Ostwind - und dementsprechend viel Rahmenprogramm und Party statt Windsurfen. Doch in den Wetterprognosen deutet sich ein Sturmtief an, das soll jedoch erst kommen, wenn der Event eigentlich vorbei ist. Die Fahrer sprechen sich für eine spontane Verlängerung aus, um noch eine Wertung zu bekommen. So läuft dann am Montag nach der Schluss-Veranstaltung das Waveriding, während auf der Promenade bereits die Zelte abgebaut werden.
Doch die Bedingungen sind mehr als grenzwertig, platt auflandiger Wind schaufelt monströsen Shorebreak an den Strand. Von den Damen kommen einige gar nicht raus, ansonsten ist Taktik gefragt: Draußen einen Sprung sichern, dann erst die vermeintlich beste Welle bis zum Strand reiten - die Gefahr ist groß, dass man danach nicht wieder raus kommt und ordentlich gewaschen wird. Am Ende gewinnt Jason Polakow vor Scott McKercher und Kevin Pritchard, bei den Damen kann Karin Jaggi weiterhin die Oberhand gegen Iballa Moreno behalten.
2002: Endspurt
Ein umgekehrtes Bild im Jahr 2002: Der World Cup Sylt war gleichzeitig die WM in der Formula Windsurfing, elf Rennen waren am Ende der Woche im Sack. Zur Erinnerung: Formula, das waren die mega-breiten Boards mit schwertartigen Finnen und Segeln bis zu 12,5 Quadratmeter. Nicht gerade das optimale Equipment für den Sylter Shorebreak, doch trotz sechs bis sieben Windstärken gab es nicht genug Welle fürs Waveriding. Entsprechend der Regeln hatten die Racer drei Segel registriert, die häufig schlicht zu groß waren für den Wind - nur ein Bruchteil kam ins Ziel. Zudem gab es im Shorebreak reichlich Kleinholz, der die “kleinen” Riggs - um zehn Quadratmeter - reihenweise zerstörte. Bis zu 25.000 Euro schade, schätzte die surf damals.
Oft mussten Helfer das sperrige Equipment über den Shorebreak bringen, so auch beim jüngsten Teilnehmer Oliver-Tom Schliemann, damals elf Jahre alt - und heute nach einer aktiven Racing-Karriere einer der Organisatoren des Racer of the Sea. Sieger und Formula-Weltmeister ist am Ende Kevin Pritchard, der eigentlich nur nach Sylt gekommen war, um seinen Wave-Titel sicher zu machen. Er und Antoine Albeau sind die Stars beim World Cup 2002, denn Dunkerbeck, Naish, Stone, Polakow und Co. sind nicht auf die Insel gekommen.
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