Kann es einen besseren Job geben als Testfahrer für eine der großen Windsurfmarken? Du bekommst laufend das neueste und tollste Material und darfst es ganzjährig in einem erstklassigen Surfrevier auf Herz und Nieren ausprobieren. Eine traumhafte Vorstellung, oder? Aber natürlich sieht das echte Leben eines Cheftesters bei einer Segelmarke etwas anders aus. Wir haben Sebastian Kornum, der für Segelmacher Robert Stroj die NeilPryde-Segel testet und Phillipe Vigneron, der Renato Morlotti bei der Entwicklung der Gun-Segel unterstützt, über ihren „harten“ Berufsalltag gesprochen.
Sebastian Kornum - Segeltester für NeilPryde
Sebastian Kornum stammt aus einer dänischen Windsurffamilie, surft seit jungen Jahren Regatten und ist im Worldcup eine feste Größe. Dabei ist Größe eher im übertragenen Sinne gemeint, denn für einen Slalom-Racer ist er eher klein.
Wie ist es möglich, bei deinen nicht optimalen körperlichen Voraussetzungen so erfolgreich zu sein? War es die Basis als Segel-Cheftester für deinen Sponsor NeilPryde?
Ja, das Wissen um mein Equipment, ein effizientes Testen, dieses Equipment auch erfolgreich tunen zu können und Erfahrungen in der Produktentwicklung geben mir den Vorteil. Auf dem Wasser fühle ich schnell Unterschiede im Material und Trimm und seien sie noch so klein, ich erfasse diese innerhalb von nur wenigen Minuten. Und, ja, da habe ich gute Fähigkeiten, die sich gut auf der Regattabahn auswirken und die ich mir auch durch meine Arbeit bei NeilPryde angeeignet habe.
Nur „gute Fähigkeiten“? Das Adjektiv „exzellent“ trifft es wohl besser, oder?
Okay, ja. Als kleiner und leichter Slalomprofi habe ich immer einen vollen Fokus auch auf die kleinsten Details zu legen, um überhaupt auf diesem hohen Worldcup-Level Erfolge feiern zu können. Und heutzutage bleiben auch die schweren Jungs nach den Halsen noch im Foilen, wodurch es für mich noch schwerer geworden ist.
Wie bist du zum Job des Chef-Segeltesters bei NeilPryde auf Maui gekommen?
Ich hatte schon in jungen Jahren an Regatten teilgenommen und meinen Sponsoren JP Australia und NeilPryde stets Erfahrungen über mein Material gegeben. Sie wussten, dass ich ein gutes Gefühl für mein Equipment habe. Nach meinem Erfolg im Sommer 2012 bei der Formula WM, ich wurde überraschend Siebter, gab mir der NeilPryde-Segeldesigner Robert Stroj die Möglichkeit, über den Winter hinweg auf dem Wasser alle Segellinien für ihn zu testen.
Wie waren die Anfänge?
Ich kam im November 2012 auf Maui an und habe mit Pieter Bijl sofort mit dem Testen von Prototypen gestartet. Das waren alle Segellinien, also von race-orientierteren Linien bis hin zum Wavesegel. Ich habe dabei so viel über die Segel gelernt, es hat mich so gepusht, dass ich schon ein Jahr drauf sehr viel schneller unterwegs gewesen war. Und im nächsten Winter war ich der Segel-Cheftester.
Wobei auch bei NeilPryde andere Teamrider aktiv mit in die Segeltests eingebunden sind, oder?
Ja, zum Beispiel waren im Winter drauf für die Tests im Racebereich Antoine Albeau, Mateus Isaac, Arnon Dagan dabei und Robby Swift und Jason Polakow waren für die Wavesegel involviert.
„Testen“ – steckt dahinter der Antrieb, Segel immer besser zu machen und „das Beste“ zu erreichen?
Grundsätzlich möchte ich mich in allen Bereichen des Lebens verbessern. Und je mehr Segel ich auf Maui testen konnte, desto selbstbewusster wurde ich mit der Zeit, desto mehr Verantwortung bekam ich auch von Robert Stroj. Zu Robert schauen alle auf, er ist der beste und erfolgreichste Segeldesigner, und ich war einfach nur glücklich, mit ihm auf Maui eng zusammen arbeiten zu dürfen.
Wie hat ein normaler Arbeitstag auf Maui ausgesehen?
Um Formulasegel zu testen, sind wir um sechs Uhr morgens im Hafen von Kahului gestartet, das heißt die 10er-, 11er- und 12er-Segel haben wir so früh am Tag über vielleicht zwei Stunden getestet, weil es nur dann noch schwachwindig ist. Am Strand zurück, rufen wir Robert Stroj an, um ihm direkt die Testergebnisse – „fresh Feelings“ – mitzuteilen, was so wichtig ist, denn es gilt, die gerade eben auf dem Wasser gewonnenen Eindrücke sofort übermitteln zu können. Ich beschreibe dabei auch, welche Dinge ich am Segel verändert haben möchte. Und erst anschließend gilt es, die Ergebnisse Robert in einer Mail zu geben.
Häufig kommt von Robert die Bitte, ihm die Segel direkt zum Segelloft zu bringen, damit er einen „Re-Cut“ machen kann, um am vorhandenen Prototyp kleine Änderungen in der Werkstatt vorgenommen werden können, wie zum Beispiel die Änderung der Vorliekskurve. Schon am Tag später wird das „neue“ Segel weitergetestet.
Wie lange dauert dieser gesamte Prozess?
Wir entwickeln so lange weiter und investieren so lange in weitere Prototypen und Re-Cuts, wie wir noch ein weiteres Potenzial sehen. Da gibt es bei Robert überhaupt keine Kompromisse.
Wie viele Prototypen und Re-Cuts gibt es pro Segelgröße?
Das sind pro Größe bis zu sechs Prototypen mit bis zu drei Re-Cuts. Wie gesagt, Robert macht da gar keine Kompromisse. Jede einzelne Größe wird entwickelt und ein super funktionierendes 6,2er-Segel wird nicht einfach auf 6,7 Quadratmeter hochprojiziert. Es werden lediglich gewonnene Erkenntnisse auf eine andere Segelgröße „mitgenommen“. Und es sind ja nicht nur einfach Segel, in die investiert wird, sondern auch unendlich viele Stunden.
Werden die Dateien mit den Daten von einem Segel nicht einfach nach Asien in die Produktion gesendet und Tage später erhaltet ihr auf Maui genau dieses Segel?
Nein, die Prototypen werden meistens direkt von Lovisa, der Näherin, in dem eine halbe Autostunde vom Strand entfernten Segelloft genäht, was wesentlich schneller funktioniert, denn bereits am nächsten Tag kann so ein Wavesegel-Prototyp auf dem Wasser getestet werden, während das Nähen eines Slalomsegels etwa drei Tage braucht. Hingegen braucht ein Segel-Prototyp, welcher in Asien genäht wird, aufgrund längerer Lieferwege etwa sechs Tage!
Dateien mit den endgültigen Schnitten gehen jedoch nach Asien, damit wir diese als finalen Prototypen wie- derbekommen und auf dem Wasser dem letzten Check unterziehen, ob auch alles so herausgekommen ist, was umgesetzt werden sollte.
Und wie viele Prototypen inklusive der Re-Cuts hast du während deiner Jahre als Tester in den Händen gehabt?
Ich erinnere mich, dass ich einen großen Van nur mit Prototypen zu befüllen hatte, was vom Boden bis zur Decke weit mehr als 50 Segel gewesen sind. Aber wie viele es insgesamt gewesen sind? Keine Chance, diese zu zählen – viele!
Habt ihr bei den Segeltests immer dieselben Eindrücke gewonnen?
Ja, die meiste Zeit sind es Eindrücke, die genau deckungsgleich sind. Nur seltener gehen diese auseinander. Es gab auch mal zwei Formulasegel, die richtig gut gewesen sind. Das erste Segel war ein wenig schneller und war der Favorit von meinem Testpartner Gabriel Browne und das zweite Segel war ein bisschen besser auf der Kreuz, was meine Wahl gewesen ist. Wir haben dann über Wochen hinweg an diesen Segeln gearbeitet.
Auf dem Wasser bekommst du von den Prototypen, wie du schön sagst, „fresh Feelings“. Dabei musst du eine gemeinsame „Sprache“ mit deinem Testpartner und Segeldesigner sprechen, also auf eine gleiche Weise Erfahrungen artikulieren, damit diese beim Gegenüber genauso so verstanden werden, wie du sie gemeint hast.
Ja! Die Kommunikation spielt eine so wichtige Rolle und es braucht Zeit, bis man sich mit seinem Testpartner und Robert perfekt austauschen kann und diese gemeinsame „Sprache“ erlangt hat, um diese Dinge auszudrücken. Die Ergebnisse werden – nachdem sie mündlich übermittelt worden sind – immer noch mal in einer Mail zusammengefasst.
Sprecht ihr bereits während der Arbeit auf dem Wasser über eure Eindrücke?
Nein, nie! Das würde einen psychologischen Effekt mit sich bringen, denn wir wollen nicht von der Meinung des Testpartners beeinflusst werden. Und die Tests funktionieren so, dass wir die Segel auf dem Wasser tauschen, damit wir weder Zeit noch unsere „fresh Feelings“ verlieren. Für einen Masttausch geht es hingegen zum Strand, aber auch da sprechen wir nicht miteinander und gehen möglichst jedem noch so kleinen Small Talk am Beach aus dem Weg. Das habe ich von Pieter Bijl gelernt und mache das genauso bei einer Vorbereitung hier auf diesen Worldcup auf Sylt. Ich renne dann zum Auto und wieder zurück und versuche mit niemanden zu sprechen.
Stichwort „lernen“. Je mehr Segel du testest, desto effizienter geht der gesamte Prozess, oder?
Zum Beginn meiner Testarbeit habe ich eine Stunde gebraucht, um zu guten Testergebnissen zu kommen, während Pieter Bijl bereits nach zehn Minuten so weit gewesen ist, also bereits die Segel wechseln wollte. Aber nach einiger Zeit bin ich bei einer genauso kurzen Testzeit angelangt. Ein weiterer Faktor ist die Zeit, die man auf dem Wasser ist, denn nach zwei Monaten auf Maui wird man durch die vielen Tage auf dem Wasser immer sensibler.
Und noch ein weiterer Punkt ist zu nennen. Bereits während des Testens frage ich mich, was für ein Gefühl mir das Segel gibt und was wir ändern können. Mit mehr und mehr Stunden wird dieser Prozess immer besser.
Sebastian, wir sind vom Thema abgekommen. Wie sieht nach der Frühschicht dein weiterer Tagesablauf aus?
Es schließt sich ein Frühstück an und noch während der Autofahrt fordert Robert den Prototyp an, damit Lovisa am selben Tag die Änderungen vornehmen kann und wir am nächsten Tag dieses „neue“ Segel testen können. Genauso kann es sein, dass Lovisa auf der Grundlage unserer Erkenntnisse sofort beginnt, einen komplett neuen Prototyp zu nähen.
Im Verlaufe des Vormittages schließen sich Slalomsegeltests in Kanaha an und bei guten Bedingungen Wavesegeltests in Hookipa, was sehr interessant, aber auch der größte Spaß ist. Teilweise testet Robert selber die Segel, was bei ihm meistens die Wavesegel sind. Eine Wellenreitsession gehört gern zum Ausklang des Tages dazu.
Wie verteilt sich deine Arbeitszeit auf die Arbeit auf dem Wasser, am Strand und den administrativen Part?
Das sind etwa 40 Prozent Zeit auf dem Wasser, 40 Prozent Arbeit am Rigg mit dem Vorbereiten, Messen, Organisieren und Reparaturen, was direkt am Strand, in der Garage oder im Segelloft stattfindet. Und der Rest ist Kommunikation, was genauso mit dem Marketing stattfindet oder wo ich mal produktbezogene Fragen von Hobby-Windsurfern beantworte.
Macht es eigentlich einen Unterschied, ob du oder Robert Stroj selber die Segel testest?
Nein, das macht keinen Unterschied, denn die Ergebnisse weichen grundsätzlich nicht voneinander ab. Aber Robert weiß es noch besser, Dinge erfolgreich am Segel zu verändern. Er ist der Beste.
Stichwort „der Beste“. Mit den Monaten und Jahren der Arbeit als Segel-Cheftester wirst du immer sensibler für die Fahreigenschaften des Equipments. Kommst du irgendwann auch mal zu einem Punkt, an dem du sagst, ich könnte da auch in verantwortlicher Position stehen?
Ich werde in meiner Arbeit immer sicherer, das ist klar. Aber ich vertraue Robert immer noch mehr als mir selber in den Dingen, die am Segel verändert werden müssen. Er war schon immer besser darin, genau zu sagen, um wie viele Millimeter etwas verändert werden muss. Ich habe immer auch meine Meinung, aber in die Arbeit am Computer bin ich nie involviert gewesen.
Du sagst das jetzt mit einem gewissen Anflug eines Lächelns. Auch Robert hat damals bei Monty Spindler mal als Tester angefangen.
Ich denke, dass alles möglich ist, was aber schon ein ganz dickes Projekt wäre und Robert hat so viel Erfahrung und ich wiederhole es gern, er ist der Beste.
Okay, Themawechsel. Für den Job musst du physisch topfit sein.
Der Job ist physisch anstrengend, was aber nicht nur von dem Testen auf dem Wasser herrührt, sondern auch von der vielen Arbeit am und mit dem Rigg. Unzählige Segel am Tag auf- und wieder abzubauen erfordert eine gute Physis. Ich habe da schon auf meinen Körper aufzupassen und nichtsdestotrotz habe ich immer mal wieder kleine Verletzungen davongetragen. Aber es hat viel Spaß gemacht!
Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie machst du den Job nicht mehr. Hättest du Lust, diesen Job wieder zu übernehmen?
Lust? Maui?! Ja! Ich würde es so gern wieder machen, weil es so viel Spaß gebracht hat. Nun bin ich mittlerweile 30 Jahre alt und als hauptamtlicher „National Coach“ bei der dänischen Segelfederation angestellt, verdiene meinen Lebensunterhalt, um die Dänin Lærke Buhl Hansen zu trainieren. Das ist ein Projekt, was mich noch mindestens bis zu den Olympischen Sommerspielen 2024 ausfüllt und wodurch es einfach nicht möglich ist, für diesen Job nach Maui zu gehen. Aber wenn ich ein „second Life“ haben würde, dann würde ich es machen. Es war bis hierher so ein großartiges Leben.
Werner Gnigler, Boardshaper bei deinem Boardsponsor JP Australia, testet ja nicht nur auf Maui. Wäre Boardtest noch mal eine Herausforderung für dich?
Ja, du hast mich erwischt, das ist sehr interessant. Da durfte ich mit Werner Gnigler ein bisschen mitmachen, was sehr interessant gewesen ist. Ich chatte immer mal wieder mit Werner über die neuen Shapes unserer Slalomboards – mal sehen, was daraus wird.