Aus deutscher Sicht war die Slalom-World-Cup-Saison 2023 wohl die beste seit den glorreichen Zeiten von Flessi und Bachschuster. Mit Michele Becker (25) und Nico Prien (28) katapultierten sich gleich zwei Norddeutsche in die Top Ten der Weltrangliste. Dabei war es für Becker die erste komplette World Cup-Saison und für Prien ein Comeback nach einem Ausflug auf den Manager-Posten. surf-Autor Axel Reese hat die beiden durch die Saison begleitet und jeweils nach den World Cups auf Gran Canaria, Fuerteventura, Sylt und in Japan interviewt. Dabei erlauben die beiden einen tiefen Einblick in ihr Seelenleben, die Taktik, das Material und die Konkurrenz.
Gran Canaria
Neun Slalom Eliminations bei bis zu 35 Knoten Windspeed! Nico ist mit einem Top-Speed unterwegs und schafft es, sieben Mal ins A-Finale und setzt mit seinem Sieg im letzten Rennen einen Schlusspunkt mit Ausrufezeichen. Michele ist kaum weniger schnell und fährt auf einen ebenfalls beachtlichen achten Gesamtplatz.
Nico, wie war der World Cup auf Gran Canaria?
Nico: Um mich auf die Bedingungen einzufahren, war ich schon eine gute Woche vorher am Spot. Es war supercool, an den Strand zu kommen und zu wissen – heute ist es windig. Insofern war es das komplette Gegenteil vom World Cup am Gardasee. Mental ist es einfacher, nicht die ganze Zeit auf Stand-by und ohne Action bereit zu sein, sondern schon morgens in den Wettkampfmodus zu schalten.
Wie waren deine Starts?
Nico: Ich war ziemlich konstant, immer relativ weit in Luv, Richtung Pin-End mit maximal zwei Ridern unterhalb von mir. Wenn aber darunter zum Beispiel Enrico Marotti ist, bringt mir der Pin-Start nicht mehr so viel, weil er einen Tick schneller als ich ist. Bei fast allen anderen fahre ich schon vor dem Start relativ tief zum Pin runter und sende damit den anderen Körpersignale – nach dem Motto – „das Pin gehört mir!“ (lacht).
„Ziemlich konstant“ klingt für mich etwas untertrieben. Ich würde die meisten Starts eher in die Kategorie „Weltklasse“ einsortieren.
Nico: Ich hatte viele Nullstarts, bin also von den 30 Heats bei etwa 25 mit voller Geschwindigkeit und bei null über die Linie gefahren. Starts sind zu fast 100 Prozent mental, und das zeigt mir, dass ich bei diesem Event einen guten Fokus hatte.
Starts sind zu fast 100 Prozent Kopfsache. Das zeigt mir, dass ich einen guten Fokus hatte. -Nico Prien
Das wird viele Windsurfer interessieren, wie hast du auf Gran Canaria den Fight zwischen Finne und Foil erlebt? Wie war der Speed im Vergleich und insbesondere auch bei den Ridern, die während des Events gewechselt haben?
Nico: Mir war das schnell klar, denn auch vor dem Wettkampf hatten wir viel Wind, darunter einen Tag mit richtig viel Wind. Wir sind unter unseren JP/NeilPryde- Teamkollegen ein paar „Runs“ gefahren, um zu sehen, wie es hier auf unseren Foils funktioniert, haben uns danach angeschaut und einfach nur festgestellt, dass wir hier fast ausschließlich Foilen werden. Das Problem der Finnen-Fahrer war, dass sie in Luv am Boot starten mussten, um downwind auf ausreichend Geschwindigkeit zu kommen, die Foiler sich den Platz an der Startlinie jedoch besser aussuchen konnten.
Und dann kam die erste Halsentonne.
Nico: Zumindest die schnellen Fahrer mit Finne kamen gleichzeitig mit uns an. Dann kam es darauf an, wie stark die Böe war. Bei richtig Druck glitten die auch gut aus der Halse, aber in den Windlöchern gab es für die Finne keine Chance, weil die Foiler eine viel höhere Durchschnittsgeschwindigkeit in der Halse haben.
Und dann?
Nico: Beim Schlag raus geht es gegen die Welle, wo das Foil mehr Schwächen, das heißt Kontrollprobleme und die Finne ihre Stärken hat. Und beim nächsten Schlag, also wieder rein, beim Überqueren der Welle, ist das Foil wieder leicht im Vorteil.
Dann wurde es an der zweiten Innentonne erst so richtig interessant.
Nico: Ja, denn dort wurde der Wind häufig sehr löchrig und die Herausforderung mit der Beschleunigung mit Finne erwähnte ich bereits. Irgendwie mussten sich die Finnen-Fahrer über den Kurs retten.
Der World Cup auf Fuerteventura begann etwa zweieinhalb Wochen nach Gran Canaria. Außenstehende werden sicherlich vermuten, dass du recht schnell weiter nach Fuerte reisen würdest.
Nico: Nein, so war das nicht, denn um die Pause zwischen diesen beiden Events zu überbrücken, bin ich nach Hause geflogen, wo dann der Fokus im Fitnessstudio gelegen hat. Auf Gran Canaria hatte ich etwa 95 kg gewogen und ich versuche auf etwa 97 kg zu kommen.
Michele, auch für dich lief der Cup auf Gran Canaria mit einem achten Platz hervorragend.
Michele: Ich habe ehrlicherweise nicht mit so einem guten Ergebnis in Pozo gerechnet. Viele haben erwartet, dass wir dort vor allem Rennen auf der Finne sehen würden, zum Glück war es aber weniger windig als erwartet. Leider war ich mein kleines Foilzeug das letzte Mal im April gefahren, sodass mir die Vorbereitung auf diesen Worldcup gefehlt hat, muss ich selbstkritisch sagen.
Bei den Starts ist Nico regelmäßig am Pin – mitten im Getümmel – zu finden gewesen und du warst weitaus defensiver.
Michele: Ja richtig, was damit zu tun hatte, wie ich mein eigenen Speed eingeschätzt habe, deshalb war ich oberhalb der Foiler und die Finnen-Fahrer eher noch weiter oben. Und ja, ich habe die Starts in Pozo nicht gut hinbekommen, ich habe einfach kein Gefühl für die Startlinie bekommen. Am Lago konnte ich als Fünfter wegkommen und wegen meiner sehr guten Halsen wusste ich, dass ich immer noch unter die ersten Vier kommen werde, also deswegen die defensiveren Starts. Unter den Top-Ten-Fahrern habe ich auf Gran Canaria sicherlich die schlechtesten Starts gehabt, aber in Sachen der Halsen bin ich einer der Besten!
Ergibt sich dadurch während der Tage so etwas wie ein Flow?
Michele: Am ersten Tag hatte ich noch nicht so viel Selbstvertrauen, und auch mal eine schlechte Halse war dabei, erst ab dem zweiten Tag habe ich meinen „Groove“ gefunden und am dritten Tag volles Selbstvertrauen, oder anders gesagt, das Selbstverständnis, dass ich mich gegenüber jedem Rider für das Finale qualifizieren kann.
Was hast du als Schlussfolgerungen vom World Cup auf Gran Canaria mitgenommen?
Michele: Ich weiß auf jeden Fall, dass egal wie das Rennen läuft und wo ich bin, ich jeden überholen und schlagen kann. Ja, ich muss mich vor niemandem verstecken, ich habe beispielsweise Maciek Rutkowski an der Tonne und Matteo Iachino auf der Geraden überholt. Mit meinem Material von Patrik fühle ich mich so verbunden und sicher, das gibt einfach enorme Freiheit und Selbstvertrauen.
Du sagtest gerade, dass du materialtechnisch nichts oder nicht viel zu ändern brauchst. Ist es für dich möglich, während einer Veranstaltung auf beiden Boards, also auf Foil und Finne, optimale Leistungen zu bringen?
Michele: Grundsätzlich lässt es sich nicht leugnen, dass mein Level auf der Finne etwas geringer ist als auf dem Foil. Außerdem brauche ich bei einem spontanen Wechsel echt ein bisschen Zeit, um mich auf der Finne wieder einzufahren. Das dauert so seine 10 bis 20 Minuten, was im Wettkampf nicht immer gegeben ist.
Auch du bist von Gran Canaria zurück nach Hause geflogen. Wie nutzt du die Zeit bis zum Abflug nach Fuerte?
Michele: Puh, Pozo war so anstrengend, sodass ich eine Auszeit brauchte. Ich kann einfach nicht jeden Tag Windsurfen, Windsurfen, Windsurfen … Ich bin dann auch leer. Es ist unbeschreiblich, wie viel Energie da reingeht, wenn man auf dem Level performen möchte. Neben den Rennen bereitet man auch abends das Essen vor, möchte das Material wieder perfekt haben und muss sich dehnen oder Ähnliches, das schlaucht. Zwischen den beiden Worldcups wollte ich hauptsächlich regenerieren und körperlich wieder topfit werden, dann ist es auch okay, wenn ich nur zweimal pro Woche aufs Wasser gehe.
Ach, doch noch eine Frage zum Material. Das JP/Pryde-Equipment war bei den Pozo-Bedingungen eine Ansage, oder? Die JP/Pryde-Teamrider waren auf den Geraden sauschnell unterwegs und schlussendlich dreimal in den Top Ten. Allen voran Enrico Marotti, der Pozo gewonnen hat, Nico ist Fünfter geworden!
Michele: Ja, Nico war schnell, sie waren aber nicht unschlagbar schnell. Sie sind vom Pin gestartet und haben dadurch Topstarts gehabt. NeilPryde hat eines der schnellsten Foils, was aber auch weniger Kontrolle bietet. Bruno Martini hat im Laufe des Events immer mehr Crashs gehabt, während es bei mir andersrum lief.
Fuerteventura
Michele, du bist nach elf Rennen overall Elfter geworden. Viel Licht und viel Schatten! Neben Eliminations in denen du es nicht in das A- oder B-Finale geschafft hast, stehen auch zwei zweite Plätze zu Buche.
Michele: Ja, die Ergebnisse sehen teilweise nicht so gut aus, teilweise aber sehr gut. Nico und ich sind im Endergebnis nur einen halben Punkt auseinander, aber Nico ist sehr konstant gefahren, ich habe teilweise aber richtig gut abgeliefert oder bin schon in der Vorrunde raus! Ich bin mit 22,5 Punkten gestartet, im nächsten Lauf ein zweiter Platz, aber da merkte ich, wenn es läuft, dann ist alles möglich! Dann ein 26. Platz, direkt wieder gefolgt von einem zweiten. In der Rangliste war ich zu dem Zeitpunkt nicht weit vorne dabei. Als am dritten Wettkampftag der nächste Streicher kam, war ich überraschenderweise zwischenzeitlich auf dem vierten Platz. Leider hatte ich direkt im Anschluss einen Crash mit einem Finnenfahrer, was mich richtig sauer gemacht hat und ein gutes Eventergebnis versaut hat aufgrund zu weniger Streicher.
Inwieweit sind die Halsen der Finnen- und Foil-Fahrer überhaupt „kompatibel“ zueinander?
Michele: Im Prinzip gar nicht. Finnenfahrer nutzen die Möglichkeit, einen viel engeren Radius zu fahren, auch weil sie es müssen, um eine bessere Ausgangsposition nach der Halse zu haben. Die Geschwindigkeitsunterschiede beim Bremsen und Beschleunigen sind einfach extrem schwer einzuschätzen.
Wie lief der World Cup auf Fuerte für dich, Nico?
Nico: Auf Fuerte hat man einfach Lust zu Racen! Ich war eine Woche vorher da, habe trainiert und mein Material eingestellt, denn Sotavento ist ein komplett anderer Spot als Pozo. Es herrscht dort ein steiler, kurzer Chop und sehr böiger Wind, aber weniger Swell. Dadurch ist der potenzielle Topspeed höher als in Pozo. Außerdem geht jeder zum gleichen Zeitpunkt in die Halse rein und es teilt sich an den Halsentonnen nicht wie in Pozo auf. Dadurch gab es an den Halsentonnen mehr Kontakte und es wurde sehr eng.
Der böige Wind hat viel Kontrolle erfordert, die Windunterschiede sind relativ groß und die Böen kommen von oben, vorne oder hinten. So musst du einerseits stabilisieren, um nicht zu crashen, aber gleichzeitig möchtest du auch beschleunigen.
Wie waren deine Starts?
Nico: Deutlich schlechter, ich hatte nicht richtig rausgefunden und weniger Vertrauen in meinen Speed. Wenn du eine gute Geschwindigkeit hast, dann kannst du immer am bevorteilten Pin-End, also in Lee, starten. Wenn Du aber kein Vertrauen hast, dann machst du keine Pin-Starts, dadurch fing ich an, komische Startpositionen zu wählen.
Von dir gab es auch weniger perfekte Halsen zu sehen, du bist häufig „auf der letzten Rille“ gefahren und hast auch mal auf der Geraden Crashs hingelegt. War das die Folge des böigen Windes?
Nico: Ich hatte bei den Rennen eigentlich eine gute Kontrolle, aber wenn wir JP/Pryde-Teamrider alle zwei, drei Plätze schlechter im Vergleich zu den Pozo-Ergebnissen waren, dann liegt es daran, dass unsere Frontwing-Auswahl nicht optimal zu diesem Event gepasst hat. Unser kleiner Frontwing ist größer als von Ridern anderer Marken. Da haben wir Kontrollprobleme, was sich bei uns Pryde-
Teamridern durchgezogen hat. Es ist natürlich schwieriger, einen größeren Wing auf dem gleichen Topspeed zu halten wie andere mit einem kleineren. Und dadurch gab es bei uns auch mehr Katapulteinschläge (lacht).
Da habt ihr bei Pryde in Sachen der Foils noch Potenzial nach oben?
Nico: Ja, aber nicht weil das Foil nicht schnell ist, sondern weil die PWA kurzfristig entschieden hat, nur zwei Frontwings für die gesamte Saison zuzulassen. Wir hatten jedoch die Entwicklung für drei zugelassene Frontwings abgeschlossen.
Hast du immer Ersatzmaterial dabei?
Nico: Wir dürfen drei Boards anmelden. Ich habe die beiden wichtigsten Boards – das heißt auf Fuerte die beiden kleineren – doppelt dabei. Die wichtigsten Segelgrößen habe ich ebenfalls doppelt in der Tasche. Jede Mastlänge habe ich doppelt oder dreifach sowie zwei Ersatzgabeln. Mein Teamkollege Enrico Marotti hat drei Gabelbäume gebrochen und ich habe ihm ausgeholfen. Wir sprechen uns vorher im Team ab, wer welches Ersatzmaterial mitnimmt.
Sylt
Im Anschluss an den Sylter World Cup treffen wir uns im Hotel Wyn am Übergang des Brandenburger Strandes. Michele und Nico haben einen sechsten und 14. Platz overall im Slalom erreicht und nun ist die Anspannung der letzten Tage abgefallen, es ist eine gelöste Stimmung und die beiden geben uns tiefe Einblicke in den bisherigen Saisonverlauf.
Womit fangen wir an?
Michele: Die Starts sind am wichtigsten!
Nur diese Antwort konnte kommen. Also, wie liefen die Starts bei euch?
Michele: Ich habe mich an meine Rennen am Gardasee zurückerinnert und insofern extrem viel Vertrauen in meinen Speed und in mein großes Material gehabt. Das hat mir erlaubt, unten an der Startlinie am Pin zu starten, wenn ich wollte. Denn trotz manch schlechterer Starts auf Sylt bin ich an der Halsentonne regelmäßig weit vorne gewesen.
Nico: Ich habe die Starts ganz gut getroffen, viele vom Pin, habe aber auch mal Platz für andere gelassen. Wann immer ich es nicht ganz getroffen habe, bin ich auf dem ersten Schlag ganz tief runter, um freien Wind zu bekommen und anschließend wieder leicht Amwind in Richtung Halsentonne. Das funktionierte gut, weil ich auf allen Kursen gut unterwegs bin.
Wie waren auf Sylt die Halsen an den Tonnen zu fahren?
Nico: Auf Sylt muss man die Wellen gut treffen, egal wie viel Druck man im Segel hat. Man kann bei den Halsen nicht gegen die Wellen „drücken“, weil sie auf Sylt einfach mehr Kraft als der Wind haben. Das heißt auch, dass man manchmal vor den Halsentonnen fünf Prozent Speed rausnehmen muss, um die Welle richtig zu treffen.
Michele: Die Zeitfenster wurden durch die Dünungswellen minimiert.
Nico: Ja, das waren dann Slots und dadurch konnten nie mehr als maximal drei, vier Leute zum Halsen auf einen Wellenvorderhang. Du bist wie immer eng um die Tonnen gefahren. Mir fällt bei dir immer auf, dass du nach dem Schiften viel Speed nach Luv mitnimmst und dann zum Beschleunigen runtergehst. Deshalb wahrscheinlich die klasse Beschleunigung bei dir.
Michele: Das macht es für mich einfacher, in die Schlaufen zu kommen.
Nico: Ja, um schneller in die Schlaufen zu kommen, direkt die richtige Position zu finden und dann abzufallen.
Michele: Das weite Halsen finde ich insbesondere auf Sylt mit den lang laufenden Wellen instabiler und gruseliger.
Nico: Man hat dann keinen konstanten Druckpunkt im Foil, kein konstantes Drehen, was es in den Wellen von Sylt schwieriger macht. Aber bei den Wellen ist hier alles schwierig.
Welches Set-up hat bei euch in dieser Saison bislang am besten funktioniert und habt euch damit am wohlsten gefühlt?
Nico: Bei mir ist es das 5.1er Slalomsegel, das kleine Board – JP Hydrofoil Slalom 81 – und das kleine Foil, das NP SLR 2 mit 72 Zentimeter breitem Frontwing. Darauf habe ich mich am „stabilsten“ gefühlt, wie eine Einheit. Das Material hat exakt gemacht, was ich wollte und im Resultat bin ich sehr schnell.
Wenn es um Regattaerfolge geht, denken Außenstehende, dass es primär vom Speed abhängt. Aber das ist doch nur ein Teil des Erfolges, wie seht ihr das?
Michele: Ich hadere mit mir selber noch, wie wichtig Speed ist, weil, wenn du nicht schnell bist, dann sind die Starts und Halsen auch egal. Ohne einen Grundspeed fühlt es sich blöd an, die Rennen zu fahren.
Nico: Ja klar, weil du dann nicht mehr die Möglichkeiten hast, taktisch klug zu starten, sondern auf der Startlinie immer weiter oben sein musst. Im Top-Segment haben wir aktuell eine ähnliche Geschwindigkeit, deshalb kannst du Vorteile aus den Halsen ziehen. Im nächsten Jahr halsen vielleicht mehr Fahrer besser.
Michele: Ja, das sehe ich auch so. Gerade weil wir fast alle im Winter auf Teneriffa trainieren, werden dort Fahrstile und Trends gesetzt. Auf Teneriffa haben wir damit angefangen, das Liberty Trapez zu fahren, was sich nun mehr und mehr bei vielen anderen Fahrern im Worldcup durchsetzt, obwohl diese Rider gar nicht von dieser Marke gesponsert werden.
Nico: Genau so etwas kristallisiert sich auf Teneriffa beim Training heraus. Das haben eine kurze Zeit später dann viele Fahrer auf dem Zettel. Hey, das ist hier eine gute Strategiesession!
Wo wird eure eigene Reise noch hingehen? Welche Erfolge werdet ihr zukünftig noch feiern dürfen?
Nico: Fast nichts schlägt die Erfahrung. Die Basis wird mit jedem Regattatag in diesem Feld von World Cup-Profis größer, jeden Tag gibt es situative Entscheidungen während der Rennen, das „Mental Game“, das Materialtuning!
Und auch die Stärken und Schwächen der anderen Top-Fahrer weiter kennenzulernen?
Nico: In den Top Fünf wird es schon eng, und du musst wissen, wie die ihre Halsen fahren, wie sie starten.
Michele: Genauso gilt es, die Tour mit den einzelnen Spots besser kennenzulernen. Ich war zum ersten Mal am Gardasee, in Pozo und auf Fuerte. Ich muss mich nach dieser Saison erst mal komplett neu organisieren, eine Saison, die viel besser lief als gedacht. Beim Wintertraining war ich zwar oft gut, aber ich war nicht auf Augenhöhe mit Maciek Rutkowski und Matteo Iachino, mit denen ich trainiert habe. Mein Level ist nun viel höher.
Dein Level ist ohne Zweifel schon jetzt viel höher. Und, wie eben schon mal gefragt, wohin kann deine Reise im World Cup-Geschehen noch hingehen? Was kann da noch kommen?
Michele: Meine Ziele? Weltmeistertitel? Ich habe es bisher nicht in Betracht gezogen, geschweige denn ausgesprochen, weil es utopisch war. Aber jetzt mit einem Sieg in einer Elimination und generell der guten Saison muss ich mir sicherlich mal Gedanken dazu machen. Grundsätzlich habe ich mit diesem Sieg aber schon einen Kindheitstraum erfüllt und selbst wenn meine Karriere jetzt vorbei wäre, wäre ich zufrieden.
Nico: Es ist die Balance zwischen Dankbarkeit und hungrig zu bleiben, aber gleichzeitig noch immer mehr zu wollen.
Japan
Zum Saisonabschluss ging es für Michele und Nico weiter nach Japan. Auch dort hielt die Erfolgsserie der beiden an. Michele sicherte sich mit dem sechsten Platz in Japan in der Gesamtwertung einen überragenden fünften Platz. Auch Nico konnte sich noch auf den achten Platz in der Jahreswertung vorschieben. Beide haben uns nach dem Trip noch einmal ihre Erfahrungen beim World-Cup in Yokosuka südlich von Tokio geschildert.
Nico: Der World-Cup in Japan war ein ganz schon wilder Saisonabschluss. Michele und ich reisten gemeinsam ins Land der aufgehenden Sonne, um uns gegenseitig logistisch zu helfen und das ganze Equipment an den Strand von Miura Kaigan zu bekommen.
Wir sind absichtlich erst zwei Tage vor Wettkampfbeginn angereist, weil ich mich von den Vorjahren erinnerte, dass die Verpflegung tendenziell nicht unseren europäischen Standards entspricht. Als Vegetarier hat man es dann gleich doppelt schwer. Ich bin ohnehin nicht so der Fan von den meisten asiatischen Gerichten, allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass ich gleich in der ersten Nacht stundenlang über der Kloschüssel hängen würde. Im Krankenhaus neben unserer Unterkunft wurde ich von den japanischen Ärzten per Infusion aufgepäppelt, mir fehlte in den kommenden Tagen jedoch reichlich Gewicht und Kraft.
Erstaunlicherweise sind wir doch viele Rennen auf kleinem Material gefahren. Es war zwar sehr böig, die Wellen kurz und kabbelig und der Wind aus dem Norden ganz schön kalt, aber es hat trotzdem Spaß gemacht, noch ein letztes Mal um die Bojen zu heizen. Mit einigen Ergebnissen war ich nicht so ganz zufrieden. Vor allem in den A- und B-Finalläufen habe ich es selten zusammenbekommen. Am Ende bin ich aber wieder in alle sechs Halbfinals eingezogen und freue mich über meine Konstanz. Ich bin mit dem Ziel, die Saison in den Top Ten zu beenden, in das Jahr gestartet. Japan beende ich auf dem achten, ebenso wie die Saison.
Mir ist es wichtig, realistische Ziele zu haben, denn wenn ich diese fast genau treffe, zeigt es mir, dass ich mich selbst sehr gut einschätzen kann. Das hilft für die nächsten Schritte.
Meine beiden Teamkollegen Enrico Marotti und Bruno Martini sind in der Rangliste Siebter und Sechster. Im direkten Vergleich ist es also sehr eng und auch hier bin ich zuversichtlich, dass wir in den kommenden Jahren mit guter Arbeit am Material andere von den vorderen Plätzen verdrängen können.
Michele: Als ich im Sommer die Flüge für das Event in Japan gebucht habe, war ich noch sehr aufregt und hatte ein bisschen Schiss vor der Reise und dem Aufenthalt. Für mich war es daher superangenehm, dass ich gemeinsam mit Nico angereist bin, der schon einiges mehr an Reiseerfahrung hat. Seit dem Zeitpunkt der Ankunft war alles erstklassig organisiert und man musste sich um wirklich gar nichts mehr kümmern. Wir wurden direkt von einem Guide empfangen und konnten unser Material abgeben. Anschließend wurden wir mit einem Charterbus bis zum Hotel gebracht, in dem alle Fahrer untergebracht waren.
Durch die angenehme Anreise und der ähnlichen Vegetation und Klimaverhältnisse habe ich mich überraschenderweise sehr heimisch gefühlt und war höchst motiviert, diese unvergessliche Reise mit einem entsprechend gutem Resultat zu vervollständigen. Ich wusste, dass es für mich in der Jahreswertung ein bis zwei Plätze nach oben oder unten gehen kann. Dabei muss ich aber ehrlich sagen, dass ich mit der Saison sowieso schon mehr als zufrieden war und mich das daher wenig unter Druck gesetzt hat.
Ehrlicherweise habe ich mich vor allem auf Leichtwind gefreut, aber es kam anders. Am zweiten Tag sind wir direkt die ersten vier Eliminations eingefahren und es ging ordentlich zur Sache. Durch die Bedingungen hatte ich definitiv Flashbacks von Fuerte: Wind von links, bis zu 30 Knoten, kurze Wellen von vorne und böig. Nach einem soliden Start ins Event (9./4./12.) stürzte ich an der letzten Halsentonne in der letzten Vorrunde des Tages. In meinem Heat ist fälschlicherweise Bruno Martini mitgestartet, so dass Matteo Iachino und ich unnötigerweise um den vermeintlich letzten Qualifizierungsspot gekämpft haben, obwohl wir es aufgrund der nachfolgenden Disqualifikation von Martini beide entspannt geschafft hätten. Am Ende des Tages stand ich auf dem zwölften Platz, welchen ich in der Jahresrangliste sowieso gestrichen hätte. Daher habe ich die nächsten Tage mit einem unbefriedigten Gefühl verbracht und gehofft, dass wir entsprechend der Windvorhersage noch mindestens einen Tag fahren.
Zwei Tage später konnten wir dann endlich die weiteren beiden Ergebnisse einfahren. Mir war klar: Heute ist der Zeitpunkt, um ein letztes Mal in dieser Saison abzuliefern und erneut ein Zeichen zu setzen! Es waren ein bisschen einfachere Bedingungen als zuvor, sodass wir 6er bis 7er Segel fahren konnten. Ich konnte mich für beide Finals des Tages qualifizieren und schloss diese mit Platz sechs und Platz vier ab. Insgesamt brachte mich das auf einen hervorragenden siebten Platz des Eventrankings. Gefolgt von der Disqualifikation von Johan Søe hat sich das sogar noch zu einem sechsten Platz im Event und einem fünften Platz im Jahresranking verbessert.
Aus zwei Gründen bin ich mehr als zufrieden mit der diesjährigen Saison: Zum einen waren sowohl die Performance als auch die Ergebnisse einfach Hammer und zum zweiten fühlt es sich so an, als hätte ich ein ganzes Jahr übersprungen. So gut wie ich dieses Jahr gefahren bin, wäre das wahrscheinlich mein Ziel für nächstes Jahr gewesen, somit fühlt es sich für mich wirklich an wie zwei erfolgreiche Saisons in einer. Es dürfte klar sein, dass ich genauso weitermache und auch nächstes Jahr weiter den World-Cup mitfahre. Besonders freut es mich, dass das ganze Patrik-Team weiterhin an meiner Seite ist. Das soll jetzt hier kein klassischer „Sponsor-Talk“ sein, aber glaubt mir, ohne das Material und die Unterstützung von Patrik wäre meine Performance auf dem Racekurs dieses Jahr nicht auf dem Level gewesen!