Der Inn, er hat seine Quelle in der Schweiz nahe dem bekannten St. Moritz und fließt dann durch Österreich nach Deutschland. Die Stadt, die vermutlich jeder mit dem Fluss verbindet, ist das schöne Innsbruck, der Startort für unsere Expedition. Von dort aus soll es dann etwa 300 Kilometer nach Passau gehen. In der sogenannten Drei-Flüsse-Stadt fließt der Inn mit der Donau und der Ilz zusammen. Der ganze Trip von Innsbruck nach Passau sollte in drei Tagen abgehakt sein. Mario Stecher habe ich bereits im Sommer 2015 gefragt, ob er auf diese Tour Lust hat. Wie es nicht anders zu erwarten war, war er sofort begeistert und sagte mir zu.
Wir trainierten oft und viel zusammen, planten und probierten neue Sachen, die uns auf der Expedition helfen sollten. Am Osterwochenende ging es dann wirklich los. Wir waren nachmittags am Hauptbahnhof in München verabredet und fuhren mit dem Zug nach Innsbruck. Abends checkten wir noch mal das Gepäck und vor allem das Material. Wir paddelten beide auf iSUP-Boards und hatten mehrere Finnen sowie ein Ersatzpaddel pro Person dabei. Für den nächsten Morgen stellten wir den Wecker auf 4:30 Uhr.
Wir schoben unsere Boards und das Gepäck am frühen, dunklen Morgen mit einem am Vorabend ausgeliehenen Einkaufswagen einen guten Kilometer durch das noch schlafende Innsbruck zum Fluss. Mario fixierte die Trockentaschen auf den Boards, ich brachte den Einkaufswagen zurück zu LIDL. Das Licht des Mondes wurde von den verschneiten Bergen reflektiert. In einer sternenklaren Nacht um 5:30 Uhr war es dann nach der ganzen Planung und dem Training endlich so weit. Wir kletterten mit unserem Material und Stirnlampen am Kopf durch die Böschung und begannen bei -4 Grad den ersten Tag.
Tag 1 – Biber, Müsliriegel und Pech
In den Morgenstunden war es wirklich kalt, aber wir hatten zum Glück oft probiert, welche Kombination an Neoprenschuhen die beste ist, um unsere Füße für einen ganzen Tag warmzuhalten. Die Trockenanzüge waren ein wichtiger Teil unserer Ausstattung. Der erste Tag begann sehr schön, wir hatten uns vorgenommen, alle zwei Stunden auf dem Brett für fünf bis zehn Minuten Pause zu machen, um möglichst wenig Zeit zu verlieren. So gab es das Frühstück also noch in der Dämmerung auf dem Wasser. Die kleine Wassermahlzeit bestand aus einem Müsliriegel. Mario und mir war klar, dass die nächsten Tage kulinarisch wenig Spaß machen werden, denn jeder von uns hatte drei Kilogramm Müsliriegel dabei. Das Paddeln war wundervoll, von der Böschung hörten wir es gelegentlich platschen. Wir brauchten einige Zeit, bis wir rausgefunden hatten, dass es sich um Biber handelte, die vor Angst ins Wasser hüpften und untertauchten. Wir waren schnell unterwegs, hatten gute Strömung.
Gegen Mittag wurde es dann auch angenehm warm und die Sonne begleitete uns über den ganzen Tag. Zur Abwechslung des eintönigen Essens genossen wir einen Döner auf der Flusspromenade in Kufstein. Kurz danach machte dann das erste Stauwehr mit uns Bekanntschaft. Mit einem eigens dafür entwickelten Zugwagen schafften wir unsere Bretter um das massive Betongebilde. Gegen Abend wurde es dann immer schwerer mit der Konzentration – so schaffte ich es gleich am ersten Tag, mein Paddel während einer Pause zu zerstören. Rückwärts auf meinem Brett sitzend trieb ich gegen große eckige Steine. Dummerweise schaute der Paddelknauf ein wenig über mein Brett hinaus und wurde kurzerhand zertrümmert. Nur gut, dass wir Ersatzpaddel dabei hatten. Auf die Dauer zehrte das Paddeln an unseren Kräften und wir erklärten Rosenheim zum gut machbaren Tagesziel. Gegen 19.30 Uhr und nach mehreren mühsam an Land überbrückten Stauwehren waren wir am Zielort der ersten Tagesetappe angekommen. Das erste Kilo Müsliriegel war aufgebraucht. Mit unseren Boards im Gepäck gingen wir zu einem Hotel in Flussnähe. Wir achteten enorm darauf, früh ins Bett zu kommen, um den Schlaf nachzuholen, den wir durch das frühe Aufstehen verloren hatten. Den Wecker stellten wir für den nächsten Morgen auf 5:30 Uhr.
Tag 2 – Stromausfall und Telefonterror
Tag zwei startete mit verklebten Augen, wenig Motivation und ein paar Blasen an den Fingern. Schnell noch auf dem Zimmer in den warmen Trockenanzug reingeschlüpft und los ging’s. Das Taxi hatten wir bereits am Vorabend für kurz vor sechs Uhr bestellt. Die Unterkunft war auch bezahlt. Also alles wie gestern Morgen einfach wiederholen, Drybags drauf, Trockenanzug zu, schnell noch den Frühstücks-Riegel und los. Wir waren zum Glück nicht mehr so tief im Inntal, es war wärmer und schon ein bisschen heller, so konnten wir die Stirnlampe weglassen. Uns begleiteten wieder die Biber durch die Morgenstunden. Leider merkten wir nach einigen Stunden, dass die Strömung sehr schwach geworden war, da der Fluss oft aufgestaut wurde. Dass es viel Wehre gab, wussten wir – um genau zu sein – es gab 20 von ihnen. Wir hatten allerdings gehofft, dass das Wasser maximal einen Kilometer vor dem Wehr zum Stehen kommt, aber nein, es war anders. Meist versiegte die Strömung bereits neun Kilometer vorher. Trotz unserer guten Transportmöglichkeit der Boards an Land ist ein Wehr, das man einen Kilometer umtragen muss, nicht ganz easy. Wir hatten das Wetter auf unsere Seite, so konnte man tagsüber den Trockenanzug obenrum ausziehen.
Die Stimmung war gereizt, da wir merkten, dass es einfach nicht voranging. Als wir dann hinter einem Wehr auch noch durch die Böschung einstiegen, um abzukürzen und uns dabei an Brennesseln und an Dornen verletzten, war unsere Laune ziemlich im Keller. Im Laufe des Tages beschlossen wir, unser Tagesziel nach Altötting zu legen. Es stellte sich relativ schnell heraus, dass es dumm war, sich die eine Stunde Schlaf am Morgen mehr zu genehmigen, denn es wurde richtig spät. Wir brauchten unsere Stirnlampen mal wieder. Unsere Boards legten wir einfach in einen Vorgarten eines Hauses, das nicht mehr so ganz belebt aussah. Es war 21:30 Uhr und wir waren ziemlich entkräftet. Danach wollten wir uns ganz bequem ein Taxi rufen. Doch das wurde komplizierter als erhofft. Der Frau am Telefon erklärte ich unsere Situation: Dass wir irgendwo am Fluss sitzen und uns da bitte wer abholen soll, um uns zum Gasthof zu bringen. Sie fragte dann, was wir an dem Fluss machen und ob wir nicht irgendwo an eine größere Straße kommen könnten. Ich antwortete leicht genervt mit "nein", weil wir gerade vierzehneinhalb Stunden gepaddelt sind und uns arschkalt ist. Die Taxi-Frau lachte mich daraufhin aus – ich legte genervt auf. Mario bekam darauf einen klitzekleinen Wutanfall, in dem er mir erzählte, wie dumm wir sind, dass wir sowas auch machen und wie Scheiße die Welt ist und, und, und...
Völlig genervt rief ich beim dritten Unternehmen an. Ich merkte sofort, dass die Dame am anderen Ende der Leitung versuchte, sich das Lachen zu verkneifen – was ihr nicht gelang. Während ihres Lachanfalls wurde mir langsam klar, dass die Taxiunternehmen offensichtlich eine gemeinsame Telefonzentrale haben. Daraufhin bekam ich dann den Wutanfall und Mario durfte weitertelefonieren. Letztendlich haben wir den kleinen Streit dann verloren und ein Taxi holte uns in der nächstgelegenen Ortschaft ab – wir mussten also noch mal ein bisschen paddeln. In der Pension angekommen bestellten wir uns dann zur Feier des Tages zusammen noch drei Portionen Pommes, zweimal Schweinsbraten mit Knödeln und einmal Spätzle. Nach mehr als 14 Stunden paddeln hat man halt Hunger, erklärte Mario der Bedienung, die sich offenbar ein bisschen gewundert hat, dass zwei stinkende Typen in langen Unterhosen hier eine Familienbestellung abgaben. Um 23:00 Uhr fielen wir dann hundemüde ins Bett.
Tag 3 – Wehre und Blasen im Überfluss
Am dritten Tag war die Motivation wieder hoch, denn die Schlussetappe von Altötting nach Passau lag vor uns. Der Wecker holte uns diesmal um 4:00 Uhr aus dem Bett, damit wir nicht wieder Zeitstress bekamen. Gleich am Morgen tapte ich mir die Hände, denn die Blasen waren nicht weniger geworden. Die Müdigkeit und Anstrengung der letzten Tage steckte uns in den Knochen. Wir paddelten wieder im Dunklen los und passierten einige Ortschaften noch bei Nacht. Es war ein komisches Gefühl, die ersten Frühsportler mit ihren Hunden an den Ufern laufen zu sehen, während wir schon einige Stunden Sport hinter uns hatten. Das Flussbett war breit und tief, obwohl es uns teilweise sehr flach vorkam. Wir vermuteten dann, dass das an der leicht eingeschränkten Wahrnehmung liegen musste. Wir paddelten stur voreinander her, aber es machte Spaß, kein Wind störte und wie an den anderen Tagen wurde es gegen Mittag wieder angenehm warm. Doch die Stauwehre machten den Tag hart, sie folgten so dicht wie noch nie aufeinader. Die Kilometer verstrichen langsam auf der GPS-Uhr. Gegen Abend paddelten wir nach Passau rein, die Erleichterung war bei uns beiden riesig. Total schlapp erreichten wir das Ufer direkt an dem Punkt, an dem Inn, Donau und Ilz zusammenfließen. Es war ein super Gefühl, angekommen zu sein.
Mit dem Taxi ging es zurück zum Bahnhof. Während der Zugfahrt nach München zählte ich 18 Blasen an den Fingern, Mario hatte mit nur acht Stück mehr Glück. Das Geradeausgehen fiel uns allerdings beiden sehr schwer. Total zerstört kamen wir in München an. Mario stolperte zu seinem Verbindungszug ins Allgäu und ich wankte mit größter Müdigkeit und Übelkeit zum Auto meiner Mutter. Am nächsten Morgen rief mich Mario an, er sagte kurz: "Hey Dude, wir sind 42,5 Stunden in drei Tagen gepaddelt. Alter, ist das krass, oder ?" Ich glaube, erst in dem Moment wurde uns klar, dass wir es wirklich geschafft hatten.