Der Kern aus Styropor, darüber Glasfaser, PVC und Kohlefaser, zusammengeklebt mit Epoxidharz: Das war ein Windsurfboard vor 30 Jahren. Heute sieht es bei Wing- und Windsurfbrettern noch genauso aus. Hat sich im Bereich der Board-Entwicklung und der Produktion überhaupt nichts getan? Und verschläft der vordergründig so naturverbundene Sport Surfen gerade die globale Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit?
Wir haben während des Surf-Festivals auf Fehmarn mit Thomas Davies gesprochen, der beim thailändischen Brettproduzenten Cobra im Bereich Produktmanagement auch für das Thema Nachhaltigkeit zuständig ist.
Thomas, wenn man ein Windsurfbrett aus den 80ern mit einem Wing- oder Windsurfbrett von heute vergleicht, könnte man meinen, die Zeit sei stehengeblieben, oder?
Das mag so aussehen, bei genauerer Betrachtung tut sich aber in diesem Bereich eine Menge. Erst mal muss man verstehen, dass ein Produkt auf unterschiedliche Weise nachhaltiger werden kann: bezüglich der Konstruktion, also der eingesetzten Rohstoffe. Dann hinsichtlich des Produktionsprozesses – also der Frage, ob zum Beispiel das gleiche Produkt mit weniger Ressourcen-Einsatz gefertigt werden kann. Und natürlich muss man auch die soziale Komponente berücksichtigen, das heißt: Die Fragen zu klären, unter welchen Bedingungen unsere Mitarbeiter die Produkte herstellen sollen, und wie Gehälter, Gesundheit und Arbeitssicherheit sich entwickeln.
Der Schritt zu mehr Nachhaltigkeit: Muss dieser von den Marken kommen? Oder von Seiten des Produzenten?
Es muss von beiden Seiten kommen. Man muss als Produzent konkrete Angebote machen, manche Dinge kann ohnehin nur der Produzent selber ändern. Wenn es um die Arbeitsbedingungen in unserer Fabrik, Löhne oder Recycling geht. Viele gute Ideen kommen aber auch von Seiten der Hersteller.
Jeder Windsportler weiß, dass fast alle weltweit produzierten Boards von Cobra kommen. Was aber hinter den Fabriktoren passiert, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Unter welchen Bedingungen werden Boards heutzutage hergestellt?
Cobra hatte im Zuge der Corona-Pandemie eine schwere Zeit aufgrund der Lockdowns und der Störung der Lieferketten. Wir haben trotzdem versucht, es über Vier-Tage-Wochen aufzufangen und keine Leute zu entlassen. Die meisten Mitarbeiter konnten wir tatsächlich halten, aber eben nicht alle. Aktuell wachsen wir wieder deutlich und haben momentan knapp unter 3000 Mitarbeiter. Schon seit längerem bekommen alle Angestellten mehr als den in Thailand gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, das ist Teil unserer Philosophie. Auch an der Finanzierung von Stipendien für Familienangehörige der Mitarbeiter und an unserer umliegenden Community beteiligen wir uns. Ich denke, dass wir ein guter Arbeitgeber sind, und viele unserer Mitarbeiter sind schon lange dabei – was wiederum hilft, die Qualität zu sichern. Gerade vor dem Hintergrund steigender Preise muss man sich bewusst machen, dass Windsurfboards überwiegend Handarbeit sind. Wir setzten schon immer mehr Technologie ein. Aber es ist nicht so, dass in der Brettproduktion Roboter die Arbeit machen, und am Ende kommt aus einer Maschine ein fertiges Brett raus.
Betrachtet man das reine Produkt, könnte man meinen, die Produktion von Boards sei hinsichtlich Nachhaltigkeit in den 80ern stecken geblieben. An welchen Stellschrauben kann man konkret drehen, um ein Board „grüner“ zu machen?
Ein einfacher Weg ist zum Beispiel das Offsetting. Also die Finanzierung von Ausgleichsmaßnahmen, welche die negativen Auswirkungen der Produktion wieder ausgleichen.
Man könnte fast Ablasshandel sagen. Das Produkt selbst bleibt schmutzig, wird aber fürs gute Gewissen reingewaschen...
Natürlich ist Offsetting nicht die Lösung des Problems. Aber ein Teil der Lösung. Wir haben bei Cobra ein Projekt gestartet, bei dem Mangroven gepflanzt werden, die im Laufe der Zeit große Mengen CO2 binden. Natürlich reichen solche Maßnahmen alleine nicht aus, sondern sind nur ein kleines Teil des Puzzles. Viele Kunden haben auch seit vielen Jahren ihre eigenen Offsetting-Programme, um den CO2-Abdruck ihrer Produkte und Lieferketten auszugleichen.
Was wären weitere Schritte bezogen auf das Produkt?
Es fängt bei der Wahl der Rohstoffe an. Benutzt man weiterhin Glasfaser oder Karbon? Oder kann ein Wechsel auf natürliche Rohstoffe wie Flachs oder Bambus erfolgen? Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht, einfach Glasfaser gegen Flachs auszutauschen. Wenn das Board hinterher nur noch halb so lange hält, ist der ökologische Fußabdruck unter Umständen sogar größer. Man muss also genau prüfen, wo ein Austausch von Rohstoffen sinnvoll ist – und es über den gesamten Lebenszyklus betrachten.
Nachhaltigkeit ist nie die einfache Lösung. Es reicht nicht, einzelne Komponenten auszutauschen, man muss den gesamten Lebenszyklus eines Boards betrachten.
Werden Materialien wie Flachs, Hanf oder Bambus denn zunehmend eingesetzt?
Um ehrlich zu sein, ist beim eigentlichen Produkt, dem Board, noch ein langer Weg zu gehen. Das Problem ist, dass wir über Faser-Verbundtechnologie reden, das heißt: Mehrere Materialien werden zu einem Produkt verbunden. Natürlich kannst du jetzt Flachs statt Glasfaser einbauen, das hat wunderbare Eigenschaften, ist nachhaltig anbaubar, biologisch abbaubar und stabil. In dem Moment, wo du Flachs aber in Epoxidharz einbindest, kannst du es hinterher nicht mehr isolieren und irgendwo im Garten auf den Komposthaufen schmeißen, weil es mit nicht abbaubarem Harz getränkt ist. Trotzdem gibt es Projekte, die sinnvoll sind und an Lösungen arbeiten: So haben wir zum Beispiel in Kooperation mit einem großen Kunden, der sich auch in Thailand befindet, und einem Finnenhersteller ein Recyclingprojekt gemacht, bei dem ein Epoxidharz entwickelt wurde, welches hinterher wieder gelöst werden kann. Die gewonnenen Bestandteile sind recht hochwertig, man gewinnt aus dem alten Harz noch ein Thermoplast, woraus man Fußschlaufen-Plugs und andere Kleinteile fertigen kann. Wir versuchen aktuell diese Dinge, die im Kleinen schon funktionieren, zu skalieren und in großem Maßstab zu machen. Aber es muss noch viel investiert und geforscht werden, bis wir am Ziel sind.
Den meisten Müll dürfte nach wie vor der Kern aus Styropor verursachen, oder? Gibt es hier Ideen, auf andere Materialien auszuweichen?
Es gibt Ideen, Kernmaterial aus Balsaholz zu gewinnen. Balsa wird im Windanlagen-Bau im großen Maßstab eingesetzt. Das Material ausgedienter Anlagen soll zukünftig verwendet werden, indem das recycelte Balsaholz zu einem aufgeschäumten Kernmateial umfunktioniert wird. Auch ein Kern aus recyceltem PET-Material ist angedacht, allerdings ist das entstehende Kernmaterial noch doppelt so schwer wie Styropor – da liegt also noch Arbeit vor uns. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, Additive beizumischen, die den Abbau von Schaumstoffen unterstützen.
Es gibt wunderbare, biologisch abbaubare Stoffe wie Flachs oder Hanf. Das Problem entsteht, sobald diese mit nicht abbaubarem Harz verklebt werden.
Wie stark orientiert ihr euch dabei an anderen, größeren Industrien?
Cobra ist schon über 40 Jahre dabei, und natürlich sind wir bestens vernetzt mit anderen Industrien. Recycling ist in anderen Branchen wie der Automobil- oder Luftfahrtindustrie ein wichtiges Thema. Natürlich sind hier die Budgets für Forschungsprojekte nicht vergleichbar mit denen in der Surfbranche. Deshalb versuchen wir, durch unsere starke Verbindung mit diesen Industrien, auch über unsere Tochterfirma CAC, neue Verfahren auch für unsere Produktion zu übernehmen.
Wie sieht es mit eurer Produktion aus? Wie kann man sie nachhaltiger gestalten?
Gerade hier ist in den vergangenen Jahren viel Positives passiert. Dinge, die man natürlich als Außenstehender nicht sofort wahrnimmt. Strom ist bei der Faserverbund-Industrie ein massiver Punkt. Wir haben den Stromverbrauch pro Brett um mehr als 20 Prozent im Vergleich zu 2018 reduziert. Auf dem Fabrikgelände wird gerade eine ein Megawatt große Solarstrom-Anlage installiert, mehr ist derzeit von Seiten des Stromversorgers in Thailand nicht erlaubt – aber wir arbeiten daran, das zu ändern. Den Wasserverbrauch haben wir innerhalb der letzten fünf Jahre um knapp die Hälfte reduzieren können. Und auch unsere Müllmenge konnten wir massiv minimieren, wir recyceln mittlerweile 100 Prozent unserer Styropor-Reste, in der Zukunft den Großteil davon direkt bei uns in der Fabrik. Auch die Verwendung von Fasermaterialien konnten wir stark optimieren. Glasfaserreste werden für die Produktion von Finnen verwendet, was die Müllmenge reduziert. Diese Prozesse muss man aktiv anschieben, aber es funktioniert immer besser.
In den letzten Jahren sind die Preise für Boards deutlich gestiegen. Werden diese Maßnahmen in Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit zusätzlich an der Ladentheke durchschlagen?
In die letzten Jahren sind die Kosten für alle Produkte gestiegen. Windsurf- und Wingbretter sind nicht anders. Nachhaltigkeit hat natürlich einen Einfluss besonders mit Blick auf die Löhne der Arbeiter. Aber auch nachhaltige Rohstoffe sind zurzeit noch deutlich teurer als traditionelle, erdölbasierte Optionen. Das bedeutet auch natürlich, dass nachhaltigere Produkte derzeit auch teurer für den Endkunden sein werden. Aber die Technologie entwickelt sich sehr schnell, und ich hoffe, dass sich die Kosten bald nicht mehr so unterscheiden.
Im Wellenreit-Business gibtʼs bereits Marken, die scheinbar schon ein paar Schritte weiter auf dem Weg zum „grünen“ Board sind. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Surfen und Wingsurfen lassen sich nicht direkt vergleichen. Ein Surfboard braucht keine Fußschlaufen oder Foilbox, die Konstruktion ist deutlich einfacher. Trotzdem glaube ich, dass auch Wingsurfboards innerhalb der nächsten Jahre deutlich ökologischer werden. Ob das dann Boards aus recycelten Materialien sind – oder solche, die von vorneherein aus natürlichen Rohstoffen gefertigt werden, ist aktuell noch nicht absehbar. Dabei ist es aber immer wichtig, zu garantieren, dass die Haltbarkeit nicht leidet. Denn ein Brett, was nach einem Jahr kaputt ist, kann nie nachhaltig sein. Vor dem Hintergrund der Haltbarkeit werden die Marken manchmal auch schlicht von der Entwicklung einer Sportart überrascht. Ein aktuelles Beispiel ist das Wingfoilen. Als die Boards dafür entwickelt wurden, cruisten noch alle gemütlich bei Leichtwind hin und her. Ein Jahr später sprangen die Leute meterhoch durch die Luft, das erfordert eine komplett andere Konstruktion der Boards, deren Umsetzung vielleicht nicht so schnell voranschreitet wie der Sport selbst.
Auf einigen Boards prangen schon heute Sticker wie „ocean minded“, oder „hergestellt mit Bioharz“. Ist das Greenwashing? Oder treiben die Marken die echte Entwicklung nachhaltiger Produkte auch von sich aus voran?
Es gibt viele Marken, die diese Entwicklung aktiv einfordern und vorantreiben. Ob durch Offsetting, um in einem ersten Schritt den CO2-Abdruck der Boards auszugleichen. Oder über die Produktgestaltung, indem nachhaltigere Materialien verwendet werden. Jede Marke hat das Thema im Blick. Als wir angeboten haben, ab sofort alle Boards nur noch in Kartons statt Plastik zu verpacken, waren alle sofort dabei. Es sind viele kleine Schritte auf einem langen Weg, den wir gemeinsam gehen werden.