Erst 72 Stunden vor dem Startschuss gab die Wettfahrtleitung grünes Licht für das Saisonfinale am Brouwersdam. Eine zehntägige Standby-Phase war für den Contest angesetzt. Aufgrund einer soliden Windvorhersage und um nichts anbrennen zu lassen, wurden direkt die ersten drei Tage des Zeitraums für die Durchführung des Contests ausgewählt.
Eine volle Flotte von 32 Herren und sechs Damen schaffte es kurzfristig an den Brouwersdam. Damit dass der Wind im Endeffekt leider doch nicht zu einhundert Prozent mitspielte, so wie es bei einem auf Vorhersage gestarteten Standby-Event eigentlich zu erwarten ist, hatte keiner gerechnet. Dennoch konnte eine vollständige Single Elimination ausgefahren und die Europameister für 2023 gekürt werden. Erst in den letzten Heats der Rückrunde legte am Freitagabend eine starke Regenfront den Wind endgültig lahm.
Poolparty?
Der Plan war ursprünglich, eine große “Poolparty” aus dem Event zu machen und erstmals einen Wettkampf in dem berühmten, kleinen Freestyle-Pool direkt vor dem Surfzentrum auszufahren. Das Becken ist jedoch so klein, dass man eine gewisse Windstärke braucht, um auf dem kurzen Schlag ausreichend Speed für Manöver zu sammeln und gleichzeitig Höhe zu halten. Der Wind war am Vormittag des ersten Tages jedoch nicht annähernd stark genug. Somit wurde die Single Elimination zunächst in marginalen Bedingungen auf der Außenseite des Grevelingermeers gestartet.
Single Elimination, viel Aufregung an Tag eins
Die ersten, die am Morgen versuchten, in den anspruchsvollen Leichtwindbedingungen die Rangliste zu erklimmen, waren der einheimische Bodhi Kempen und Tour-Neuling Kiril Kirilov. Kiril, der extra aus Bulgarien angereist war, beeindruckte bei seinem Debüt, konnte aber leider nicht mit Kempens Erfahrung mithalten. Kempen gewann zusammen mit dem Dänen Mathias Vingaard, der aktuell nach einer Verletzung sein Comeback feiert. Brouwersdam Local Kempen musste später gegen Lennart Neubauer antreten, trotz eines guten Laufs unterlag er dem in Form befindlichen Tour Leader. Neubauer hatte sich nämlich gut aufgewärmt, als er in der ersten Runde den Einheimischen Nick van Ingen zugelost bekam. Van Ingen wurde bei diesem Event als Geheimfavorit gehandelt, und er machte es dem jungen Griechen nicht leicht. Mit einem Heatscore von über 30 Punkten machte der Niederländer Lennart das Leben schwer und landete dabei einen beeindruckenden Kabikuchi. Am Ende lag Neubauer jedoch mit einem Punkt vorne und seine Titelhoffnungen blieben damit greifbar.
Mit Sebastian Gux war neben Niclas Nebelung, Felix Volkhardt und Julian Wiemar ein weiterer Stammgast der German Freestyle Battles bei diesem Event vertreten. Das Matchup gegen George Grisley war sicherlich eines der spannendsten in der ersten Runde. Der Wind war noch nicht ganz da, was Gux begünstigte. Grisley hatte Mühe, sein Scoresheet zu füllen und musste sich daher dem Kieler geschlagen geben. Gux musste anschließend gegen den Flachwasserspezialisten Sam Esteve antreten. Obwohl der Lauf noch draußen im Chop gefahren wurde, konnte er mit Esteves Manövern nicht ganz mithalten. Esteve, der in der Gesamtwertung eine gute Position innehat, traf dann auf einen weiteren titelhungrigen Konkurrenten: Steven Van Broeckhoven erzielte den zweithöchsten Heat-Score des Tages und zeigte mit einer Reihe von Double-Moves, dass er es ernst meint. Dabei schaltete er Esteve aus und sicherte sich einen Platz im Halbfinale.
Auf der anderen Seite der Tabelle stürmten zwei Fahrer nach oben: Niclas Nebelung und Jacopo Testa hatten einen Lauf. Nebelung setzte sich bei seinen Lieblingsbedingungen, im Flachwasser, gegen Stefan de Bell und Tim Gerdes durch und traf im Viertelfinale auf Testa. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Wettbewerb bereits in den Pool verlagert, und die versammelten Zuschauer bekamen eine wahnsinnige Show geboten. Nebelung schaffte es, sich mit einer soliden Performance, bei der er viele Powermove-Kombinationen zeigte, knapp aber verdient gegen Testa durchzusetzen. Damit stand der Deutsche in den Top Vier, seine bisher beste Platzierung bei einem internationalen EFPT-Event.
Mit Neubauer, Van Broeckhoven und Nebelung, die bereits für das Halbfinale qualifiziert waren, war der frischgebackene Weltmeister Yentel Caers der Letzte, der sich ihnen anschloss. Yentel spazierte ohne große Strapazen durch die Single Elimination. Als der Wettbewerb in den Pool verlegt wurde, entschied er sich dafür, seinen Lauf außerhalb des Pools zu beginnen und seine Punktzahl mit ein wenig Chop zu erhöhen. Erst nach der ersten Hälfte des Heats surfte er in den Pool, um dem einheimischen Tigo Kort dort den finalen Schliff zu bescheren.
Bei den Damen kämpften während der Poolparty Arianne Aukes und Lisa Kloster um einen Platz im Finale. Aukes erkannte die sich verschlechternden Windbedingungen, griff zu Beginn des Heats noch schnell zu einem größeren Segel und sammelte damit schnell einige gute Punkte ein. Die Deutsche Lisa Kloster hatte Mühe, ins Gleiten zu kommen, und als sie ebenfalls das Segel wechselte, war es bereits zu spät, um zurückzuschlagen. Da der Wind immer schwächer wurde, wurde der Heat zwischen den anderen Halbfinalistinnen de Bruijn und Maaike Huvermann abgebrochen. Kurz darauf wurde schließlich der gesamte Wettkampf aufgrund von Windmangel für den Tag abgebrochen. Alle schauten nun gespannt auf die Vorhersage für Freitag, den zweiten Tag für diese Veranstaltung.
Vollendung der Single Eliminations am Morgen von Tag zwei
Mit einer weiteren frühmorgendlichen Patrouille begann der Tag zunächst mit dem Abschluss der Single Eliminations. Der Wind kam am Freitag generell zu südlich, um einen Wettkampf im Flachwasser-Pool zu ermöglichen, daher wurde den ganzen Tag auf der Außenseite getrickst. Nur die Top Vier der Damen und Herren waren noch im Rennen. Der Wind aus Südwest frischte langsam aber sicher auf, bis die erste grüne Flagge geschwenkt wurde und es zum Showdown kam.
Bei den Damen hatte es Arrianne Aukes bereits ins Finale geschafft und traf dort auf Maaike Huvermann, die zuvor gegen die lokale Nachwuchshoffnung Maud de Bruijn gewann. Huvermann zeigte ihre Wettbewerbserfahrung und füllte ihre Punkteliste mit einigen sicheren Moves in den immer noch recht kniffligen Bedingungen. Aukes hatte Mühe, das Gleiche zu tun, und musste sich in der Einzelausscheidung mit dem zweiten Platz begnügen. Im kleinen Finale um den dritten Platz fand Lisa Kloster nach einem enttäuschenden Halbfinale am Vortag wieder zu ihrem Rhythmus und wurde Dritte.
Im Halbfinale der Herren hatte Lennart Neubauer ein klares Ziel vor Augen. Wenn er es ins Finale schaffen würde und Steven Van Broeckhoven nicht, hätte er den Europameistertitel bereits sicher gehabt. Yentel Caers war wahrscheinlich der härteste Gegner auf seinem Weg, denn der Belgier hatte es ebenfalls auf einen Podiumsplatz in der europäischen Rangliste abgesehen. Caers erzielte im Heat gegen Neubauer mit einem Air Funnel Burner, einem Double Culo und einem stylischen Air Flaka Shaka neben anderen Weltklassemanövern den zu diesem Zeitpunkt höchsten Heat-Score des Events und gewann mit satten vier Punkten Vorsprung. Neubauer hatte somit nun eine große Aufgabe vor sich, um noch die Spitze der Jahreswertung zu erklimmen.
Daran änderte auch der Erfolg von Van Broeckhoven im anderen Halbfinale nichts. Durch den Sieg über einen beeindruckend surfenden Niclas Nebelung zog er in ein rein belgisches Finale gegen Caers ein. Caers wiederholte seinen Flow aus dem Halbfinale und gewann die Single Elimination.
Ohne Zeitverlust in die Rückrunde
In der 32-köpfigen Fahrerflotte gab es eine Reihe spannender Geschichten in der Rückrunde, denn in der professionellen Freestyle-Szene vollzog sich ein wahrer Generationswechsel. Um nur einige zu nennen, sahen wir den jungen einheimischen Tim Gerdes, der Freestyle-Veteran und Legende Nick van Ingen aus dem Rennen schmiss, den 14-jährigen Leander Halm, der seinen ersten EFPT-Heat überhaupt gewann, sowie Eugenio Marconi, der die Rangliste über die Rückrunde nach oben stürmte. Besonders Marconi beeindruckte, als er in der vierten Runde des Wettbewerbs Sam Esteve ausschaltete. Ein weiteres Aushängeschild war Tim Ruyssenaars, der sich auf Platz neun verbesserte und sich nun einen Rang mit etablierten Namen der Szene teilt.
Gegen Mitte des Nachmittags traf schließlich der vorhergesagte Starkwind ein. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, drehte der Wind innerhalb weniger Minuten von durchschnittlich 25 auf weit über 40 Knoten auf. Die Ausrüstung flog am Strand umher und die Fahrer beeilten sich, ihre 3,6er und 4,0er aufzuriggen – die Spannung auf das Finale stieg! Der erste Heat bei den verrückten Bedingungen war ein Matchup zwischen Testa und Kempen. Beide hatten mit dem starken Regen und den 50-Knoten-Böen zu kämpfen, aber es war der zweifache Europameister Jacopo Testa, der die Bedingungen besser in den Griff bekam und sich den Einzug in den Kampf um Platz vier sicherte.
Dann wurde den durchnässten, treuen Zuschauern eine einmalige Show geboten: In einem Re-Match des Single Elimination Halbfinals, traf Testa erneut auf das deutsche Kraftpaket Niclas Nebelung. Der starke Wind kam dem mehrfachen Champion der Freestyle Battles zugute, denn er erzielte den mit Abstand höchsten Heat-Score des gesamten Events und schickte Jacopo Testa zurück an den Strand.
Besonders beeindruckend war Nebelungs Double Air Culo, mit dem er das Publikum und die Kampfrichter überraschte. Testa antwortete mit seinem typischen Shove-It Spock into Spock, stylischen Kabi's auf beiden Seiten und einem Spock Culo, aber ohne Erfolg. Nebelung bewies, dass der Sieg über Testa in der Single nicht nur Glück war, sondern dass er jetzt ein ernsthafter Anwärter auf die Spitzenplätze bei internationalen Events ist.
Der entscheidende Heat: Neubauer gegen Nebelung
Nebelung stellte nun, nach seinem Sieg gegen Testa, eine echte Bedrohung für die Titelambitionen von Neubauer dar. Im Kampf um Platz drei ließ der Wind allerdings bereits etwas nach, und die Erfahrung des jungen Griechen mit größeren Segeln machte sich bezahlt. Nebelung musste sich mit dem vierten Platz begnügen, sagte aber hinterher, dass er sich dennoch sehr gut geschlagen fühle, da er nun ein echter Konkurrent in der ersten Liga sei. Mit dem Sieg hatte Neubauer sich den Freestyle- Europameistertitel gesichert, unabhängig davon, wie der Rest des Events verlaufen würde, denn Steven van Broeckhoven konnten ihn nun punktemäßig diese Saison nicht mehr einholen. Der fünffache Europameister Steven van Broeckhoven muss sich dieses Jahr mit dem zweiten Platz zufrieden geben.
Ruhe nach dem Sturm
Als der Wind nach dem Durchzug der Sturmfront deutlich nachgelassen hatte, gewann Yentel Caers das Event dank seines Sieges in der Single Elimination. Damit liegt er vor Jacopo Testa und steht auf dem Podium der Gesamtwertung der Saison.
Auch bei den Damen war der Wind nach dem Sturm zu schwach. In der Double Elimination reichte es dennoch für ein kleines Comeback: Janika Rayers aus Deutschland kletterte auf Platz vier, nachdem sie bei verrückten Sturmbedingungen gegen Maud de Bruijn gewonnen hatte. Im Kampf um Platz zwei konnte sich Arianne Aukes erneut gegen Lisa Kloster durchsetzen, und zwar in einer ähnlichen Situation wie in der Hinrunde, als der Wind abflaute und Aukes' Wettkampferfahrung ihr zu einem Vorsprung verhalf. Da im Finale kein Wind mehr herrschte, behielt Huvermann ihren Spitzenplatz und festigte ihre Platzierung als Freestyle-Europameisterin. Sie wurde dort von Lisa Kloster auf dem zweiten Platz begleitet, die ihr Ergebnis vom Brouwersdam dieses Jahr mit einem beeindruckenden dritten Platz in Vieste untermauert. Dritte in der Jahreswertung wurde Oda Johanne Brodholt, die am Brouwersdam leider nicht dabei sein konnte.
Eines ist sicher, es ist ein Paradigmenwechsel in der Freestyle-Szene im Gange, und wir können es kaum erwarten, zu sehen, was die neue Generation von Freestyle-Talenten nächstes Jahr mitbringen wird, nachdem Lennart Neubauer gezeigt hat, was möglich ist.
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