Er verbringt 180 Tage pro Jahr auf dem Wasser, surft Contests und reist jedes Jahr monatelang von Spot zu Spot. Mitunter kommt mal eine lokale Fernsehcrew vorbei und dreht einen TV-Beitrag über ihn.
Trotzdem ist die Geschichte des Wolfgang "Woife" Strasser nicht die eines Windsurf-Profis. Im Gegenteil: Woife Strasser ist 51, Bayer und schwer krank. Seit seiner Kindheit kämpft er gegen den Knochenkrebs, er bringt es auf annähernd so viele OPs wie Lebensjahre. Doch statt zu jammern nahm Woife sein Schicksal früh selbst in die Hand, lebt das einfache Leben und genießt jeden Tag – zur Not auch bei Schneesturm auf dem Chiemsee. Die Geschichte eines Kämpfers:
Aufgewachsen bin ich in Grabenstätt am Chiemsee und Gott sei Dank habe ich noch eine Kindheit erlebt ohne iPhone, Facebook und Co. Anfang der 70er- Jahre hätte man für sowas gar keine Zeit gehabt, weil man nach der Schule im Freien unterwegs war und Idole wie die Kleinen Strolche oder Huckleberry Finn hatte. Meine Eltern hatten damals gebaut und am Anfang besaßen wir kein Telefon, keinen Fernseher oder Heizung, aber das war kein Problem, denn ich hatte Freunde, machte Sport, hatte Essen und viel Spaß und Erlebnisse.
Obwohl ich damals nur Einser in der Grundschule schrieb, wollte ich nicht auf das zehn Kilometer entfernte Gymnasium nach Traunstein gehen, denn da waren Kinder mit denen ich nichts hätte anfangen können. Mein Plan war nie zu studieren, sondern ich wollte immer im Süden am Meer leben, weil mich Wasser so fasziniert.
Dunkle Zeiten
Im Alter von 12 bis 14 Jahren holte mich die Schattenseite des Lebens in Form einer schwerwiegenden Krankheit ein – im Nachhinein ist mir bewusst, dass dies mein Leben geändert hat und ich dadurch so lebe, wie ich es jetzt tue. Im ersten Jahr hatte ich offene, eiternde Zehen an beiden Füßen und zunächst wusste niemand woher das kam. Die Endgelenke der Zehen wurden verkürzt, da die Infektion die Knochen angegriffen hatte. Die Ärzte wollten mir bereits die Großzehen amputieren, bis dann mein Hausarzt entdeckte, dass die Ursache eine Lymphknoten-TBC war, übertragen durch Kuhmist.
Ich kam dann für etwa neun Monate in ein Krankenhaus nach München und wurde dort mehrmals an der Leiste und den Zehen operiert. Die Leiste war ein halbes Jahr offen und musste täglich gereinigt werden. Am Ende mussten die Pfleger mich fixieren, weil ich nicht mehr stillhalten konnte vor lauter Schmerzen. Wegen der Infektion lag ich im Einzelzimmer und hatte aufgrund der Entfernung zum Heimatort kaum Besuch. Nach dieser Zeit war alles soweit überstanden, aber es wurde zunächst nicht wirklich leichter, denn ich konnte keine Schuhe anziehen, ging mit Gehstützen und wurde viel gehänselt. Heute würde man sagen, ich wurde gemobbt.
Damals war es halt so, dass man sich durchsetzen musste. Mein Glück währte nur ein paar Monate: Ich wollte in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen und konnte nicht, da ich meinen linken Fuß nicht mehr gespürt habe. Ich bekam Panik, rief um Hilfe. Meine Eltern brachten mich ins nächstgelegene Krankenhaus, von dort wieder nach München, wo die Ärzte im linken Sprunggelenk einen Knochentumor feststellten. Wieder ein halbes Jahr Krankenhaus mit kurzen Unterbrechungen, mehrere OPs. Somit habe ich es in zwei Jahren auf 30 Operationen gebracht.
Neue Richtung
Irgendwie hat mich die Zeit, in der ich die weißen Wände des Krankenzimmers anstarrte, verändert. Mein Motto wurde: Mein Leben ist jetzt!
Für mich war ab sofort nur noch die Freiheit wichtig. Ich habe dann eine Ausbildung gemacht, intensiv Sport betrieben und bin dann zum Windsurfen gekommen. Das war die erste Sportart, die ich nicht von Beginn an gut konnte; aber genau dies machte den Reiz aus. Du brauchst viel Ausdauer, Geduld und die Bedingungen sind immer anders. Du kannst nicht gegen die Natur ankämpfen, sondern musst mit dem Wind und den Wellen eins werden. Über 15 Jahre habe ich dann im Ausland im Wassersportbereich gearbeitet, mich dort auch selbständig gemacht. 1996 lernte ich auf der griechischen Insel Samos, wo ich als Stationsleiter arbeitete, meine Frau kennen. Da sie damals in Dortmund studierte und wir einen gemeinsamen Lebensweg gehen wollten, kündigte ich zum Saisonende und zog in das Ruhrgebiet. Ich als Bayer! Berge, Seen, Süden, Meer und dann der "Pott", das war hart und konnte nicht gut gehen. Beim Ummelden im Einwohnermeldeamt fragte mich die Dame, ob ich mir da wirklich sicher sei und dass die Liebe wohl sehr groß sein müsse.
Ich fühlte mich in Deutschland fremd, wollte ja eigentlich auch gar nicht dahin zurück, und die Situation führte unweigerlich zu Beziehungsproblemen. Dann entschieden wir eine Wassersportstation auf Kreta zu kaufen und dort ging alles ganz schnell. Selbständigkeit und Schwangerschaft meiner Frau. Diese hat dann noch im achten Monat Surfkurse auf dem Board gegeben. Es folgten die Geburt unserer Tochter und weitere drei Jahre auf Kreta – für uns eine schöne Zeit: Täglich am Meer, im Pool, Immer draußen.
Im Jahr 2000 hatte ich wieder ständig Schmerzen im Sprunggelenk. Mir war klar, da stimmt was nicht. Erneut bekam ich die Diagnose Knochentumor, es folgten weitere Monate mit Schmerzen und eine OP, bei der mir künstlich neunzehnmal das Sprunggelenk gebrochen wurde. Das Ganze wühlte wieder alles auf. Für mich ist es immer das Allerschlimmste, wenn ich mich nicht bewegen, keinen Sport machen kann, der mir eine gesunde Psyche bringt.
Windsurf-Therapie
Seit dieser Zeit vergeht fast kein Tag an dem ich keine Schmerzen habe. Aber komischerweise hilft mir die "Sucht Windsurfen" und mein Ziel, neue Freestylemanöver zu lernen.
Seit einigen Jahren habe ich die Gewissheit, dass auch an anderen Körperstellen Tumore vorhanden sind. Das größte Problem sitzt in der Wirbelsäule, dort drückt ein Tumor auf einen Nerv. Eine OP ist schwierig wegen der Verletzungsgefahr der Nerven. In Zeiten wie diesen entwickelt man ein anderes Schmerzempfinden. Außerdem ist dies auch mit dem Zustand der Psyche verbunden: Geht es mir gut, dann lässt sich Vieles wegstecken. Jammern bringt auch niemanden weiter!
Was mich extrem reizt und positiv bleiben lässt, ist das Entdecken neuer Spots, die es auch heute immer noch gibt, und das Reisen – es lenkt mich von meinen Schmerzen ab. Wenn wir reisen, dann ohne großen Aufwand in unserem kleinen Fiat Ducato. Wir duschen mit der Wasserflasche und sind immer im Freien.
Wegen der bevorstehenden Einschulung unserer Tochter gingen wir 2002 wieder in die Heimat nach Bayern zurück. Ich landete also wieder dort, wo ich zuerst nicht hin wollte, dahoam in Bayern. Ich erinnere mich noch daran, als damals der erste Surftag auf dem Chiemsee anstand und ich feststellte, dass ich gar keinen langen Anzug oder Surfschuhe besaß. Ich behalf mir mit dem Neo meiner Frau, bei dem ich den Reißverschluss nicht schließen konnte, weil er eigentlich viel zu klein war und presste mich in ihre Surfboots. Aber es war trotzdem ein schönes Erlebnis.
2005 überwand ich meine Angst, wegen meines kaputten Sprunggelenks, und begann mit 39 Jahren die Air Jibe zu üben – mit 115-Liter-Freemoveboard und 7,2er-Segel. Nach einem halben Jahr klappte es und mir war klar: Wer übt und viel Zeit auf dem Wasser verbringt, kann auch als älteres Semester neue Moves lernen. Inzwischen sind es bei mir knapp 60 verschiedene Windsurfmanöver geworden und ich hab’ mir für dieses Jahr den Burner vorgenommen.
Mit meiner Frau habe ich das Glück, jemanden zu haben, der einen ähnlichen Leidensweg in der Kindheit durchlaufen musste – mit zwölf Jahren hatte sie einen schweren Verkehrsunfall, in der Mitte des Lebens einen Schlaganfall – und damit die gleiche Lebenseinstellung hat. Ich sage mit Stolz, dass meine Frau auch mein bester Freund ist – Werte, die man sich nicht kaufen kann.
Wir können es uns so einrichten, dass wir beide viel reisen und auf dem Wasser sein können. Sie arbeitet in Deutschland in einer Notaufnahme, ich versuche als gelernter Kaufmann und Wassersportlehrer genug Geld dazu zu verdienen, um die Reisen zu finanzieren. Welcher Surfer träumt nicht davon, 180 Tage im Jahr auf dem Wasser zu sein, das allerdings bei jeder Jahreszeit, auch wenn es stürmt und schneit.
Dadurch gibt es paradoxerweise natürlich auch viele Neider, aber die haben meistens ein tolles Auto, ein Macbook, das neueste Material und eine Fünf-Sterne-Unterkunft – Dinge, auf die wir gerne verzichten. Freiheit und Erlebnisse haben kein Preisschild.
Aber das spiegelt das Windsurfen der letzten Jahre wieder. Heute gibt es doch fast nur noch von den Eltern gesponserte Windsurfkids, die mit den dicksten Autos und dem neuesten Material an den bekannten Spots unterwegs sind. Wer verreist heute noch mit Zelt oder schläft im Boardbag und erkundet die Welt? Bei jungen Worldcuppern ist es das Gleiche, ohne Sponsoring der Eltern geht es nicht.
Bei mir geht es auch nicht ohne Sponsoren und da habe ich mit Sailloft Hamburg, Wark Boards vom Bodensee, Tim Köpke von Maui Ultra Fins und dem Surfshop Windsurfing Chiemsee Sport Mayer in Chieming eine tolle Unterstützung. Wer mit Material gut umgeht und es pflegt, kann plus/minus Null auskommen. Es ist, wie so oft im Leben, ein Nehmen und Geben.
Seit einiger Zeit habe ich mit Martin Ziegler aus Prien am Chiemsee und seinem veganen Erfrischungsgetränk "Eine Dose Sonnenschein" einen Partner gefunden, der mit mir soziale Projekte in der Zukunft durchführen möchte, falls wir durch den Absatz des Getränks Einnahmen erzielen. Unter dem Motto: Sonnenschein für Alle!