ZeitreiseWindsurfer 1975 gegen Windsurfer LT 2020

Stephan Gölnitz

 · 14.04.2023

Zeitreise: Windsurfer 1975 gegen Windsurfer LT 2020
Foto: Stephan Gölnitz
Der Windsurfer LT boomt: Jeder, der schon mal draufstand, ist begeistert, zu Regatten kommen hunderte Starterinnen und Starter aller Altersklassen. Wir haben vor einigen Jahren einen Ex-Weltmeister und eine Newcomerin auf die Ur-Version und die New-School-Variante Windsurfer LT gestellt und beide Varianten verglichen.

In diesem Artikel:

Kaum vorstellbar: Der „Windsurfer“ hatte mal ein echtes Monopol. „Wenn du Windsurfen wolltest, musstest du dieses Board haben. Es gab ja nicht viel anderes, so bis 1975 oder ’76 vielleicht.“, erinnert sich Frank Spöttel, der ab dieser Zeit fleißig Medaillen bei Deutschen-, Europa- und Weltmeisterschaften sammelte und heute wieder auf dem Windsurfer steht – dem neuen „Windsurfer LT“. Immerhin gab es Farbauswahl, „es ging damals mit den orangenen und gelben von Ten Cate aus Holland los, danach kamen die weißen.“ Variationen, die eher an die Bestellmöglichkeiten für den Trabant im Autohaus der DDR erinnern – ohne die Optionen für „LTD“, „Carbon Reflex“ oder „Pro“ zum Ankreuzen in der Ausstattungsliste.

Doch wenn 2020 sogar 15-Jährige die schwarzen Schallplatten der Eltern wieder aus dem Keller kramen, hat der Windsurfer LT vielleicht auch heute, zwischen neu aufgelegten Schlaghosen und Buffalo-Boots, beim Windsurf-Nachwuchs wieder eine Chance auf ein Revival – und nicht nur in der „Old-School-Windsurfer“-Facebook-Gruppe.

Windsurfer LT 2020Foto: Stephan GölnitzWindsurfer LT 2020

Dabei dürfte ungemein helfen, dass das neue Board nicht nur reichlich Retro-Charme versprüht, sondern vom absoluten Windsurfanfänger bis zum Gleit- und Schlaufeneinsteiger wirklich sehr gut geeignet ist und sich auch zum trendy Stand-up-Paddeln bestens verwenden lässt (siehe Test der Wind-SUPs).

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Wenn man denn das Board bei Flaute dem sonnenbadenden Teil der Familie überhaupt wegnehmen kann – denn der großflächige, weiche Deckbelag hat das Zeug, einen Handtuchkrieg um den besten Liegeplatz an der Sonne zu entfachen.

Alt (links) und neuFoto: Stephan GölnitzAlt (links) und neu

Der alte Windsurfer war nichts für zarte Gemüter

Die Anfänge auf dem original Windsurfer waren dagegen weniger kuschelig: „Da gab es schon mal blaue Flecken oder das Schwert an den Kopf, das war schon ein Mörderinstrument“ schildert Frank Spöttel lebhaft. Unvorstellbar: Das Steckschwert wird nach dem Aufkreuzen, vor allem bei Starkwind, auf Raumkurs komplett herausgezogen und baumelt an einem schlechteren Rolladengurt am Arm in der Ellenbeuge. Technikfuchs Spöttel hatte sich sogar eine kleinere Schlaufe am Schwert angebracht, „damit konnte ich das Schwert an den Daumen hängen und so bei Regatten an der Tonne schneller wieder in den Kasten stecken“.

Bei starkem Wind konnte das Board den Mastfuß raushebeln und man hatte plötzlich das Rigg der Hand.“ (Alois Mühlegger)

Wie bitte? Das Schwert am Daumen halten? Unbewusst mustere ich Franks Hände und zähle die Finger mal durch. Na, zumindest war der Mast am Board mit dem berühmten Kardangelenk – das übrigens beängstigende Verwandtschaft mit einem Nussknacker aufweist – befestigt. Sonst hätte Jim Drake schon vor 50 Jahren unfreiwillig das Wing-Surfen erfunden. Aber knapp dran am freien Flug war es offensichtlich des öfteren schon. „Bei starkem Wind neigte das schmale Brett zum Aufkentern“ ergänzt nämlich Regatta-Oldie Alois Mühlegger, „dann konnte das Board den Mastfuß raushebeln und man hatte plötzlich das Rigg der Hand.“

Frank Spöttel checkt das Oldie-RiggFrank Spöttel checkt das Oldie-Rigg

Kein Wunder, die einzige Verbindung ist ein eingeklemmter Holzklotz, als Tuning mit Tape umwickelt. „So eine Aktion hat im Rennen Zeit gekostet, aber mit etwas Gefühl konnte man das Board auf der Kreuz meist halbwegs unter Kontrolle halten oder man musste schnell genug mit einem Fuß aufs Schwert steigen und das Board zurück drücken, wenn die Kante hoch kam“, erzählt Spöttel.

„Schlimmer war aber eigentlich, wenn man an der Leetonne auf dem wackeligen Board das Schwert verloren hat. Ich habe einige Leute hinter dem Schwert herschwimmen gesehen und mir ist’s auch passiert.“ Das Klappschwert wird auf dem neuen breiteren Board mit einem einzigen Fußtritt bedient, und der Schwertkasten bleibt jetzt dabei – selbstverständlich – dicht. Ohne das Schwert schaut man auf dem Classic Windsurfer dagegen in ein schwarzes Loch ohne die elastischen Gummi-Dichtlippen – im besten Fall. Denn bei viel Wind spritzt es dort raus, wie aus einem Wasserwerfer des BGS. Beim „LT“ wird bei zu viel Wind an der Kreuz das Schwert einfach halb weggeklappt, außerdem gebärdet sich das Board mit acht Zentimeter mehr Breite deutlich zahmer bei viel Wind, es rollt nicht so einfach, mir nichts dir nichts, unter den Füßen auf die Kante.

Oben in der Galerie gibt es alle Details vom original Windsurfer und Windsurfer LT

Das Rigg war die Schwachstelle beim Windsurfer

Dabei gibt das moderne Rigg soliden­ ­den­ Halt, nichts baumelt. Die origina­­le schwere Holzgabel dagegen vermit­telt ähnlich viel Kontrolle­ und Si­cher­heit wie ein Auto bei 140 mit plat­tem Reifen vorne links. „Also ganz so hat meine Gabel nicht gewackelt, das konnte man früher schon besser“, begutachtet Frank den Stopperstek an unserem Testrigg kritisch.

Am Gardasee lief 2019 die erste WM für den neuen Windsurfer LT.Foto: Andrea MochenAm Gardasee lief 2019 die erste WM für den neuen Windsurfer LT.

Die Gabel schlabbert, dass die Holme wahlweise oben oder unten am Mast anschlagen können. So wie bei der obligatorischen Knotenprüfung für den Segelschein auch heute noch die Schüler verzweifeln lässt – brachten es allerdings damals auch nicht alle Windsurfer zur perfekten Knotentechnik mit fest sitzendem Stopperstek am Mast. Dank Schnellverschluss, wird das seemännische Auge heute nur noch selten von kreativen Fädelvarianten am Mastfuß und von Knotenkunstwerken am anderen Gabelende beleidigt. Und die Übung verliert man anscheinend auch, wie unser locker zusammengeschnürtes Test-Rigg beweist.

2020 hält der Windsurfer kein Monopol, ist eines von Hunderten verfügbaren unterschiedlichen Boards, aber Frank hat sich schon für ein neues entschieden: einen Windsurfer LT. „Meine Frau lernt gerade Gleitsurfen und ich möchte beim Kalterer See Cup mal wieder mitfahren.“

Unser Fotoshooting auf dem Wörthsee wird nach zehn Minuten unerwartet schnell von den ersten Böen mit 20 Knoten erschüttert, die unsere kleine Gruppe zersprengen. Es bleiben drei wilde Ritte über den See, ein Windsurfer-Kapitän versteckt sich unter einem Fischerboot am anderen Seeufer, ich wate mit eingezogenem Kopf unter dem Donnergrollen am Ufer entlang, nur Frank kämpft sich 20 Minuten an der Grenze zum Kentersturz zurück und hat das Segelgefühl von damals wieder: „Das neue Rigg ist natürlich überhaupt nicht mehr vergleichbar mit dem alten Windsurfer-Rigg. Das war einfach schlabberig, man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie man damit überhaupt fahren konnte zu der Zeit. Mit so einem alten Set-up bin ich lange nicht gesurft, aber bei so viel und drehendem Wind war das heute brutal. Wenn da Wind rein kommt, ist das ein einziger Bauch, das ist grausam. Einfach grausam.“


1967 - 1986: Windsurfer

Das Original: WindsurferFoto: Stephan GölnitzDas Original: Windsurfer
  • Preis komplett: 1690 D-Mark
  • Breite: 65 cm
  • Länge: 365 cm
  • Gewicht: 20 Kilo (mit Finne)
  • Segel: Dacron, 5,7 qm
  • Holz-Steckschwert, eine Mastposition, Holzgabel in Fixlänge, einteiliger GFK-Mast

Wer 1975 mit einem gelben Ten Cate (im holländischen Almelo in Lizenz hergestellt), oder noch besser sogar einem weißen Board aus amerikanischer Produktion auf dem Autodach zum See fuhr, kam sich vor wie der Super-Surfer-Star. Ein Brett, ein Rigg, für alle Bedingungen – von null bis neun Beaufort. Bei wenig Wind wurde getrickst, ab 1976 war Kante-fahren angesagt – vorwärts, rückwärts. Gab’s mal Hack, tauschte man zum Freeriden das Regattaschwert gegen ein kürzeres Sturmschwert, damit konnte man das lästige Aufkentern vermeiden. Das Polyethylen-Board war unverwüstlich, mit Fullspeed auf den Strand, dann lässig abgestiegen. Bei fünf Windstärken fünf, sechs Stunden mit diesem Ballonsegel auf dem Wasser, heute unerklärlich. „Wir hatten nichts anderes“, so Alois Mühlegger, der 1979 in Deutschland das Trapez bei Windsurfer-Regatten einführte. Auch heute steigt er noch ab und zu auf seinen Oldie – aber nur bei wenig Wind. Bläst es, lässt er es mit seinem neuen Windsurfer LT krachen.

Ab 2018: Windsurfer LT

surf/M4082544Foto: Stephan Gölnitz
  • Breite: 73,9 cm
  • Länge: 365,6 cm
  • Gewicht: 16,0 Kilo (mit Finne)
  • Segel: Mylar, 5,7 qm
  • Klappschwert, Mastspur, fast durchgehendes Deckpad, Alu-Variogabel, 60-Prozent-Carbonmast (zweiteilig)

Der aktuelle Windsurfer (LT = Light) ist in gleichem Shape von mehreren Marken erhältlich. Nur als Rumpf oder als Komplettpaket mit Rigg, das kostet dann „segelfertig“ rund 2200 Euro. Weiter besteht die Wahl zwischen einem breiten und einem schmalen Klappschwert. Für Windsurfregatten ist auf jeden Fall das breite Schwert vorteilhaft, das schmale Schwert steht dafür im eingeklappten Zustand nicht an Deck über und ist die Option für Windsurf-Einsteiger und es kann beim Stand-up-Paddeln eher drin bleiben. Die Alugabel und ein 60-Prozent-Carbon-Mast liegen auf üblichem Stand dieses Jahrhunderts.


Windsurfer History

Original Windsurfer

  • 1967 Konstrukteur Jim Drake lässt im Mai in Marina del Rey/Kalifornien seinen ersten Windsurfer zu Wasser.
  • 1970 Hoyle Schweitzer erwirbt von Drake das Patent und produziert nun in Serie, vergibt später eine Lizenz an Ten Cate in Holland, die mit gelben PE-Boards auf den Markt kommen.
  • 1972 importiert Calle Schmidt die ersten zwei Windsurfer nach Deutschland.
  • 1973 Im Herbst sorgen 130 Starter auf Sylt bei der ersten Windsurfer-Europameisterschaft für ein Riesenfeld.
  • 1974 Erste WM in USA, 1975 folgen Bendor in Südfrankreich, 1976 die WM auf den Bahamas, wo Robby Naish (13)mit seinem ersten WM-Titel eine beispiellose Karriere startet.
  • 1984 Statt Windsurfer ist Windglider olympisch. Damit beginnt der Niedergang – durch den Boom der kurzen Funboards zusätzlich beschleunigt.

Windsurfer ASA 2000

  • 1985 In Italien wird der Windsurfer ASA 2000 mit Alugabel und Klappschwert hergestellt, der dort bei Regatten bis 2017 gefahren wird. Auch in Australien wird damit gesurft.

Windsurfer LT

  • 2018 Bruce Wylie und Ricardo Giordano entwickeln den neuen Windsurfer LT. Cobra in Thailand produziert, den Vertrieb übernimmt die Windsurfer Class (IWCA) in Rom, später vertreiben auch Exocet, GA, I-99, Mistral, Naish, NSP, Starboard und Thommen unter ihrem Logo die LT-Boards.
  • 2019 Zur ersten Weltmeisterschaft mit dem Windsurfer LT treffen sich in Torbole am Gardasee 170 Regattafahrer aus aller Welt.
  • 2020 Die Deutsche Windsurfing Vereinigung (DWSV) übernimmt wieder die Klassen-Organisation
  • 2023 Weltweit gibt es weiterhin eine sehr aktive Windsurfer-Szene. Die deutsche Meisterschaft 2023 ist für September am Wannsee geplant

Auch interessant:

Meistgelesen in der Rubrik Windsurfen