Vier Wochen vor der Stunde null: Initiator Toby Hüther schaltet sich mit seinen Freunden Oliver Berghamer und Markus Göbel per Videokonferenz zusammen, um die Planung für eine imposante Tour voranzubringen: Mit E-Bikes und SUPs wollen sie quer durch die Alpen – von Prien am Chiemsee nach Grado an die Adria. Die Fragen drängen: Wie viel Gewicht haben wir eigentlich auf unseren Anhängern dabei? Schaffen die E-Bikes die zwei Anhänger bergauf zu ziehen, wenn sie mit SUPs, Wildwasser-Equipment, Zelten, Schlafsäcken, Verpflegung, Klamotten und allem Weiteren, was sonst noch für eine Alpenüberquerung benötigt wird, beladen sind? Wo werden wir übernachten?
Bei maximaler Beladung wird der eine Anhänger bis zu 100 Kilogramm auf die Waage bringen, der zweite rund 70 Kilogramm. Was macht das eigentlich bergab mit den Bremsen der E-Bikes?
Am Starttag treffen sich Markus, Oliver und Toby an der SUP-Station in Prien am Chiemsee. „Haben wir alles, was wir benötigen?“, fragt Oliver. „Der Feuertopf muss unbedingt noch mit“, ruft Toby. Die Abenteurer packen alles in Kisten, große wasserfeste Reisetaschen und Rucksäcke. Erst nach mehreren Versuchen ist alles sicher auf den Anhängern verstaut. Paddel, Pumpen und Schwimmwesten werden in die letzten Zwischenräume gestopft. Erst um 18.00 Uhr ist alles fest verzurrt. Da verdunkelt sich der Himmel über dem Chiemsee. Es sind heftige Gewitter vorhergesagt.
Sie entscheiden, erst am nächsten Morgen aufzubrechen. Das heißt aber auch: Die erste Etappe wird 60 Kilometer länger und damit gleich zu Beginn ein echter Härtetest für Mensch und Maschine. Denn neben den Kilometern auf der Straße steht auch eine Wildwasser-Tour auf der Saalach auf dem Etappenplan. Für den Wechsel zwischen Pedal und Paddel wird auf der gesamten Tour, wie immer beim Flusspaddeln, bei den einzelnen Etappen ein Shuttle nötig sein. Also vor der Flusspassage schon Räder und Gepäck zwischen Start und Ziel mit Hin- und Herfahren sinnvoll verteilen. Den Shuttle wollen die drei, falls möglich, immer mit den E-Bikes organisieren. Am Ende wird sich zeigen: Ganz ohne Daumen raus und per Anhalter oder ohne Unterstützung des mitfahrenden Fotografen war das, auch wegen unerwarteter Widrigkeiten, nicht immer umzusetzen.
Tag 1 (Samstag, 21. Mai 2022)
- Prien am Chiemsee → Ramsau bei Berchtesgaden
- Rad: 92 km / 950 Meter rauf / 740 Meter runter
- SUP: 8 km / WW I-III / Saalach
Am nächsten Morgen haben sich die Gewitter der Nacht verzogen. Noch einmal wird die Anhängerbeladung optimiert, dann startet das Projekt Alpenüberquerung. Bis zum ersten, ungeplanten Stopp nach 23 Kilometern: An Tobys Fahrrad benötigt die Bremse eine Feinjustierung und Oliver kauft für sein geliehenes E-Bike Schutzbleche. Eine gute Idee – das wird sich später noch zeigen. Nach gut 30 Minuten geht es weiter. Die drei holen auf dem Weg nach Lofer alles aus ihren E-Bikes heraus, um etwas Zeit wieder aufzuholen.
Bei der Ankunft an der Kajakhütte an der Saalach in Au bei Lofer sind die E-Bike-Akkus so gut wie leer. Als Retter kommt ein Kajaker, der Zugang zur Hütte samt Stromversorgung hat. Er ist beeindruckt von dem, was die Jungs noch vor sich haben, und lässt sie gratis aufladen. Während sich Toby um das Aufladen der Akkus kümmert, bereiten die beiden anderen die Wildwasser-SUPs vor und beladen die Hänger mit allem, was nicht auf dem Wasser benötigt wird.
Beim Blick auf die Saalach kommen kurz Zweifel: Der Fluss hat durch den Regen der Nacht Hochwasser, ist braun verfärbt. „Sollen wir das wirklich befahren?“, fragt Toby in die Runde. Die Paddler diskutieren kurz, wägen ab. Letztendlich steht die Entscheidung: Sie wollen ihren Plan durchziehen und die anspruchsvolle Strecke mit vielen Stromschnellen und Verblockungen angehen. Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit wird die Strecke etwas gekürzt. Die Saalach ist heute deutlich anspruchsvoller als bei üblichen Wassermengen. Dann eignet sich diese Etappe auch für einen Wildwasser-Kurs, um mit professioneller Begleitung erste Erfahrungen im Fließwasser zu machen.
Vor der Durchfahrt der gefährlichen Passagen erkunden die drei erfahrenen Wildwasserpaddler zu Fuß den besten Wasserlauf und bis auf einen Finnenverlust bei Markus meistern sie die schwierigen Teilstücke so ohne größere Probleme. Auch die letzte Herausforderung, der Unkener Schwall, kurz vor Ende der Paddelstrecke am Freizeitzentrum Unken wird gekonnt durchpaddelt. Es ist schon Abend und bis zum Campingplatz Simonhof in Ramsau bei Berchtesgaden sind es noch gut 20 Kilometer und einige Höhenmeter auf dem Fahrrad.
Das Material-Shuttlen nimmt einiges an Zeit in Anspruch und erst gegen Mitternacht erreichen die Freunde den Campingplatz. Die Schranke ist zu. Nur ein kleiner Durchgang bietet um diese Uhrzeit noch Zugang. „Mist! Da kommen wir mit unseren Anhängern nicht durch“, stellt Oliver resigniert fest. Die Anhänger außerhalb des Campingplatzes stehen zu lassen, ist auch keine Option. Eine andere Lösung muss her – und das schnell. Oliver zückt sein Smartphone und entdeckt auf der digitalen Karte einen Feldweg, der um den Campingplatz herumführt, und einen weiteren Zugang. „Vielleicht ist dieser offen? Wir probieren es!“ Es geht noch mal steil 50 Höhenmeter hoch. Oliver und Markus müssen die Anhänger abkoppeln und zu zweit schieben, bei kompletter Dunkelheit, nur im Schein der Stirnlampen. Eine Dreiviertelstunde später erreichen sie den Zugang, der glücklicherweise offen ist. Geschafft von der Mammut-Etappe am ersten Tag, fallen die drei in ihre Schlafsäcke. „Was für ein verrückter und erlebnisreicher Auftakt“, fasst Toby müde zusammen.
Tag 2 (Sonntag, 22. Mai 2022)
- Ramsau bei Berchtesgaden → Golling
- Rad: 48 km / 250 Meter rauf / 650 Meter runter
- SUP: 15 km / Königsseer Ache + Berchtesgadener Ache
Bei Traumwetter starten die Abenteurer früh in Tag zwei. Nach rund 18 Kilometern auf dem E-Bike – die Bremsen haben die flotte Abfahrt ausgehalten – erreichen Markus, Oliver und Toby die Einsetzstelle der Königsseer Ache knapp unterhalb des Ausflusses aus dem Königssee. Wieder werden die SUPs vorbereitet, das Wildwasser-Equipment wird angezogen und rauf geht’s auf eine spritzige Fahrt mit leichten Verblockungen, hervorragend zu befahrenden Kehrwässern sowie einigen Schwällen bis zur Mündung in die Ramsauer Ache in Berchtesgaden. Ab da wird weiter auf der Berchtesgadener Ache gepaddelt, die wildwassertechnisch nicht mehr ganz so anspruchsvoll wie die ersten vier Kilometer auf der Königsseer Ache ist. Türkisgrünes Wasser, ein schmaler Wasserlauf und bewaldete Ufer – ein Traum für alle Flusspaddler! „Wir haben den perfekten Tag für diese Tour erwischt – besser geht’s nicht“, ruft Markus den anderen zu.
Nach einer landschaftlich wunderschönen und sportlich herausfordernden Tour endet die heutige Paddeletappe inklusive des dazugehörigen Bike-Shuttles in Marktschellenberg. Von dort aus geht es als Gruppe noch 22 Kilometer nach Golling. Ab Hallein folgen die Abenteurer dem offiziellen Alpe-Adria-Radweg, der von Salzburg nach Grado führt. Ihr Nachtlager schlagen sie – nach einem leckeren Einkehrschwung in Golling – erneut im Dunkeln auf dem idyllischen Campingplatz Torrent auf. „War das schön heute – so kann es gerne weitergehen. Gute Nacht“, ruft Markus aus 3seinem Zelt den anderen zu.
Tag 3 (Montag, 23. Mai 2022)
- Golling → Bad Gastein uns
- Rad: 112 km / 1330 Meter rauf / 1040 Meter runter
„Määäh! Määh!“ Sanft werden die drei Freunde am nächsten Morgen von Schafen geweckt. Ihr Nachtlager hatten sie auf der Zeltwiese direkt neben einer Schafweide aufgeschlagen. Markus wirft den Kaffeekocher an. Und das bei Sonnenschein und schon vormittags 23 Grad. Heute steht für die Abenteurer die Königsetappe der Alpenüberquerung an: 112 Kilometer zum „Dach der Tour“ nach Bad Gastein – auf gut 1.000 Meter Höhe. „Heute wird leider nicht gepaddelt. Dafür haben wir einiges zu strampeln. Wir machen heute über 1.330 Höhenmeter. Das wird anstrengend. Aber die Tour und die Landschaft sind ein Traum und werden uns für die Strapazen belohnen“, läutet Oliver die dritte Etappe ein. Tobys Meinung dazu: „Klingt super! Erst mal stärken und ordentlich frühstücken.“ Auf der Sonnenterrasse des Gasthofs werden Semmeln, Rührei, Wurst und Käse aufgetischt. Die vollbepackten Anhänger mit den SUPs sorgen auch hier für Aufmerksamkeit. Die drei Freunde werden angesprochen, was sie vorhaben, und die Reaktionen auf die Antworten sind durchweg eine Mischung aus Erstaunen und Bewunderung.
Auf dem berühmten Alpe-Adria-Radweg radelt das Team weiter entlang der Salzach Richtung Süden. Sie kommen an der imposanten Burg Hohenwerfen vorbei und in Bischofshofen werfen sie einen kurzen Blick auf die Skisprungschanze, wo jährlich die Vierschanzentournee endet. Nach drei Stunden und 70 Kilometern auf dem Rad ist eine Pause fällig. Im Ortskern von Sankt Johann im Pongau finden sie ein nettes Café für einen kurzen Zwischenstopp. Der nächste Stopp ist ein kurzer Einkauf im Supermarkt, um die Getränke- und Snack-Vorräte wieder aufzufüllen. Mittlerweile hat es an die 30 Grad, da ist viel trinken nötig. Die größten Strapazen stehen für heute erst noch an. In Schwarzach im Pongau verlassen die drei das Salzachtal. Von dort an geht es stetig bergauf. An steilen Rampen spüren die Biker das Gewicht der Anhänger – zeitweise ist Mitschieben notwendig, um voranzukommen.
Zunächst wird auf ein Hochplateau mit imposantem Blick auf die umliegenden Berge geradelt. Aufregend wird es dann mit Einfahrt in den rund 1,5 Kilometer langen Klammtunnel, der den Eingang ins Gasteinertal bildet. Der Fahrradweg ist zwar von den Autospuren getrennt, aber dennoch sehr schmal für Fahrräder mit Anhängern hintendran. „Hoffentlich kommen da nicht viele entgegen“, beschwört Oliver. Doch ohne Probleme kommen sie aus dem Tunnel heraus – vor ihnen der spektakuläre Blick nach Gastein. Stetig bergauf radelt die Truppe bis nach Bad Hofgastein. Dort ist ein erneuter Stopp an einem Fahrradladen nötig. Nach all den Höhenmetern macht die Gangschaltung an Tobys E-Bike Probleme, die aber mit ein paar Handgriffen des Technikers behoben werden können.
Richtung Bad Gastein, dem Tagesziel, zieht es bedrohlich am Himmel zu. Die Wolken werden dichter und grauer. Die drei schaffen es gerade noch, einen Unterstand unter einem Vordach eines Ladens zu finden, bevor ein kurzes, aber heftiges Gewitter mit Starkregen über den Ort zieht. „Wo übernachten wir eigentlich heute?“, fragt Markus in die Runde. „Ich ruf bei ein paar Pensionen an“, antwortet Toby und zückt sein Telefon. „Alle zu oder ausgebucht. Dann bleibt nur der Campingplatz.“ Aber auf Zelten hat heute keiner Lust. Auf dem Campingplatz Erlengrund buchen sie sich daher kurzerhand ein Mobilheim. Nach einem Einkauf tischt Chefkoch Markus am Abend eine große Portion Pasta mit leckerer Tomatensoße und Gemüse auf. Perfektes Radleressen.
Tag 4 (Dienstag, 24. Mai 2022)
- Bad Gastein → Villach
- Rad: 91 km / 710 Meter rauf / 1050 Meter runter
- SUP: 13 km / WW I-II+ (III) / Möll
Frühstück gibt es an diesem Morgen selbst gemacht im Mobilheim. Mit Müsli oder Porridge starten Markus, Toby und Oliver in Tag vier. Vom Bundesland Salzburg wollen sie heute nach Kärnten radeln. Vor dem Ziel in Villach steht dabei eine Wildwasser-Tour auf dem Programm. Nach dem Packen schwingen sie sich bei morgendlichen 17 Grad auf ihre Räder – für eine kurze Sightseeing-Tour durch Bad Gastein. Dafür sind aber auf kurzer Distanz zunächst rund 200 Höhenmeter zu überwinden – mit bis zu 18 Prozent Steigung. Gut, dass die Akkus über Nacht voll geladen werden konnten! Beeindruckt ist die Truppe von der mondänen Belle-Époque-Architektur mit den Grandhotels und einem spektakulären Blick von der Brücke auf den Wasserfall und den Ort. Ein absolutes Highlight der Alpenüberquerung.
Nach weiteren 150 Höhenmetern erreichen sie die Bahnverladestation der Tauernschleuse in Böckstein. Die Abenteurer werden von verwunderten Blicken anderer Radfahrer getroffen, die dort warten. Man kommt ins Gespräch, tauscht sich über die bisherigen Erlebnisse aus. Respekt über das Vorhaben erhalten sie von allen Seiten. Der Kassierer schaut zunächst irritiert auf die vollbepackten Radanhänger – so etwas hat er wohl hier noch nicht gesehen. Man sieht förmlich, wie er sich eine Befestigung der Gespanne auf dem Autozug überlegt, denn in den Fahrradwaggon gehen die schweren Anhänger nicht. „Klappt schon irgendwie – die Jungs machen das schon – hier eure Tickets!“ Die Mitarbeiter der ÖBB helfen gekonnt, die Fahrräder und Anhänger mit Spanngurten auf dem Pkw-Verladewaggon festzuzurren. Im Personenwagen geht es in elf Minuten durch den Tauerntunnel.
Nach dem Entladen steht den Bremsen der E-Bikes ein echter Härtetest bevor: Auf nur sechs Kilometern geht es über 500 Höhenmeter bergab. Keiner der Jungs weiß, wie sich die Scheibenbremsen verhalten und verändern – vor allem wenn bis zu 100 Kilo schwere Anhänger von hinten schieben. Sie lassen es zunächst vorsichtig angehen, steigern aber dann die Geschwindigkeiten auf der rasanten Abfahrt. Keine Probleme mit den Bremsen! Im Mölltal angekommen, empfängt das Team des Aktiv-Sport- Erlebnis-Camps die Radler mit frisch zubereitetem Kaffee.
Nach einem mittlerweile routinierten Equipment-Shuttle geht es aufs Wasser – für 13 Kilometer auf der wilden Möll. Direkt nach dem Einstieg warten drei größere Schwälle darauf, gemeistert zu werden, was allen gelingt. Die Truppe paddelt gemütlich die vom Regen des Vortags schön wuchtige Möll herunter, die an vielen Stellen breit genug ist, um zu dritt nebeneinander zu paddeln und sich unterhalten zu können. Büsche und Bäume zieren das Ufer, an lichten Stellen kann der imposante Blick auf die Hänge des breiten Tals genossen werden. Dabei gibt es auch längere Passagen mit leichten Verblockungen, Stromschnellen und höheren Wellen, die ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Nach einer teilweise herausfordernden Passage beim Ort Oberkolbnitz erreicht die Truppe das Ziel, den Campingplatz Campanula, der direkt beim Einlauf der Möll in einen Stausee liegt. Die Inhaber bieten sofort ein „Erholungsradler“ an, welches Markus, Toby und Oliver dankend annehmen. Toby wird für den Material-Shuttle eingeteilt, Markus und Oliver genießen währenddessen die Sonne am Ufer der Möll.
Wieder auf den Rädern, kommt die Gruppe, zunächst entlang der Möll, dann der Drau folgend, dem Tagesziel Villach näher. Für eine große Portion Eis und einen Kaffee wird vorher aber an der Café-Konditorei Moser in Spittal an der Drau angehalten. Von dort aus sind es noch gute 40 Kilometer bis zum Camping Seehof, etwas außerhalb von Villach. Nach Ankunft springen die drei direkt in den See. „Was für eine geniale Abkühlung nach einem tollen, erlebnisreichen Tag! Das tut gut“, resümiert Toby.
Tag 5 (Mittwoch, 25. Mai 2022)
- Villach → Chiusaforte
- Rad: 71 km / 650 Meter rauf / 800 Meter runter
Am nächsten Morgen wird auf der weitläufigen Zeltwiese gefrühstückt. Mittlerweile ist das Packen und Verstauen des gesamten Equipments auf den Anhängern so weit optimiert, dass jeder Handgriff sitzt und alles in Rekordzeit dort ist, wo es sein soll. „Alle abfahrbereit? Auf der heutigen Etappe wartet das absolute Highlight des Alpe-Adria Radwegs“, stimmt Oliver ein. Dass der Tag anders verlaufen sollte, ahnen die drei noch nicht. Bei schönem Wetter startet das Team mit einem kurzen Abstecher durch Villach. Sie lassen den Fluss Gail rechts liegen und steuern direkt die österreichisch-italienische Staatsgrenze bei Tarvis an.
Nach gut 35 Kilometern ist eine Pause fällig. In der Osteria al vecchio mulino in Tarvis werden Paninos, belegt mit lokal produziertem rohem Schinken und Käse, serviert, dazu ein italienischer Espresso. Die Inhaber machen alles möglich, dass auch die E-Bike-Akkus wieder geladen werden können. Beim Blick aus dem Fenster schlägt dann die zuvor noch gute Laune um. Dunkle Wolken sind am Himmel zu erkennen, wenig später setzt Regen ein. Eingepackt in Regenklamotten, machen sich die Jungs – bei teils heftigem Dauerregen – wieder auf den Weg. Trotz – oder gerade wegen – des Regens wirken Landschaft und Radstrecke besonders beeindruckend.
Von Tarvis nach Resiutta führt der Alpe-Adria-Radweg auf knapp 50 Kilometern über die ehemalige Pontebbana-Bahnstrecke. Im Oktober 1879 wurde diese Bahnstrecke erstmals eröffnet und mit EU-Mitteln zum Radweg umgebaut. Markus, Oliver und Toby radeln über historische Viadukte, spektakuläre Brücken mit grandiosen Ausblicken ins Tal und durch mal besser und mal schlechter beleuchtete Tunnel. Sie kommen an den alten, heruntergekommenen Bahnhöfen vorbei und trotz des Regens aus dem Staunen nicht heraus.
Der alte Bahnhof von Chiusaforte, der direkt am Radweg liegt, ist zu einem äußerst charmanten Café und Restaurant umgebaut. Er war eigentlich als Zwischenstopp gedacht, sollte aber zum Etappenziel werden – nach 71 gefahrenen Kilometern. Die frisch zubereitete Kartoffelsuppe ist perfekt zum Aufwärmen. Es ist bereits später Nachmittag und dann kommt Markus die Idee: „Können wir heute Nacht unter dem Bahnhofsvordach übernachten?“, fragt er die Inhaberin. Die schaut etwas verdutzt, versteht zunächst das Vorhaben nicht. Markus zeigt ihr die Anhänger mit den SUPs, die als Matratze dienen können. Sie stimmt zu und sagt: „Das habe ich auch noch nicht gehabt.“
Nachdem der Schlafplatz feststeht, machen sie es sich im Restaurant gemütlich und bestellen die ersten Gläser Wein. Die Inhaberin deckt im Nebenzimmer einen Tisch zum Abendessen ein. Sie serviert wenig später Frico, ein italienisches Speck-Käse-Omelett, sowie köstliche Polenta. Nachdem alle Gäste den Bahnhof verlassen haben, werden die Schlafstätten für das Nachtlager unter freiem Himmel ausgebreitet. Bevor die Inhaberin das Restaurant im Bahnhof zuschließt, drückt sie ihren sonderbaren Gästen noch eine Flasche Wein in die Hand, die sie auf der Terrasse genießen.
Tag 6 (Donnerstag, 26. Mai 2022)
- Chiusaforte → Braulins
- Rad: 30 km / 190 Meter rauf / 380 Meter runter
- SUP: 33 km / WW I-III / Fella + Tagliamento
Am nächsten Morgen haben sich die Regenwolken des Vortags verzogen. Bei leicht bewölktem Himmel gibt es ein ausgiebiges Frühstück auf der Terrasse. Dafür hat die Inhaberin sogar etwas früher als üblich die Kaffeemaschine angeworfen. Noch bevor die ersten Radfahrer und Einheimischen vorbeikommen, ist alles zusammengepackt, um das Rad-Shuttlen nach Braulins zu starten. Und dann geht für alle drei ein Traum in Erfüllung: Paddeln auf den Flüssen Fella und Tagliamento. „Dass wir heute hier paddeln können, ist fast ein Wunder. Denn das ist nur durch den ergiebigen Regen am Vortag möglich! Daher war es im Rückblick überhaupt nicht schlimm, dass wir gestern etwas leiden mussten. Einfach Wahnsinn“, sagt Toby.
In Chiusaforte ist kein sichtbarer Einstieg, weshalb Markus, Oliver und Toby eine steile Leiter zum Fluss runterklettern und die SUPs über eine Mauer herunterlassen müssen. Direkt folgen die ersten schönen Wildwasserpassagen. Der Pegel hat gerade so gereicht, um nur kurze Passagen tragen zu müssen. Im engen Tal fließt die Fella in einem ausgedehnten Schotterbett mit verzweigten Gerinnen. Die Paddler müssen entscheiden, welchem Flussarm sie folgen und welcher genügend Wasser hat. Nicht so einfach. Bis zum Zusammenfluss mit dem Tagliamento müssen sie zudem drei Wehre umtragen. Ausgeschilderte Umtragestellen sucht man hier vergeblich. Mit dem Zusammenfluss mit dem Tagliamento führt der Strom mehr Wasser. Aber: Das Schotterbett wird immer weiter, die Flussarme mehr und dadurch das Wasser pro Arm weniger. Das Flussbett des Tagliamento, einer der letzten Wildflüsse Europas, ist an einigen Stellen über 500 Meter breit, der Wasserlauf aber nur wenige Meter.
Voller Freude ruft Toby, als die Gruppe nach 33 aufregenden Kilometern auf dem SUP am Tagesziel in Braulins ankommt: „War das mega heute! Wir haben den perfekten Tag erwischt!“ Und dann wird für alle noch ein weiterer Wunsch erfüllt: Sie übernachten bei sternenklarem Himmel direkt am Wasser auf dem Schotterbett des Tagliamento. Vorher kommt aber erst noch der Feuertopf zum Einsatz, der seit dem Start als Ballast dabei ist. Toby zaubert darin einen hervorragenden Jägertopf – auch Shepherd’s Pie genannt – mit Kartoffeln, Hackfleisch, Paprika und Champignons. Der perfekte Abschluss des vorletzten Tages der Transalp-Tour.
Tag 7 (Freitag, 27. Mai 2022)
- Braulins → Grado
- Rad: 106 km / 270 Meter rauf / 460 Meter runter
Nach einer kühlen Nacht ist für die letzte Etappe mit noch mal über 100 Kilometern eine ordentliche Stärkung nötig. Gefrühstückt wird direkt am Tagliamento auf den SUPs als Sitzunterlage. Dann ruft das Meer!
Mit der Fahrt über die Brücke über den Tagliamento lassen die drei das breite Tal des Wildflusses hinter sich. Die Strecke führt schnurstracks Richtung Udine, dem ersten Zwischenziel. Bei Buja werden die Alpenüberquerer allerdings von einer anderen Rad-Etappenfahrt gestoppt: dem Giro d’Italia. Die 19. Etappe kreuzt den Alpe-Adria-Radweg. Zwangspause für rund 30 Minuten am Straßenrand. Das Fahrerfeld rast vorbei, da bleibt nur kurz Zeit zum Zujubeln.
Die Truppe lässt es am letzten Tag entspannt angehen – so ist eine kurze Sightseeing-Tour auf dem E-Bike durch Udine drin. So radeln sie vorbei am Schloss, am Dom und an den zentralen Plätzen. In der Altstadt gönnen sie sich dann noch ein Eis. Auf halbem Weg zum Meer wartet dann das architektonische Highlight des Tages: die sternförmig angelegte Festungsstadt Palmanova, die nicht umsonst seit 2017 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Der Grundriss, der im 16. Jahrhundert angelegt wurde und bis heute erhalten ist – mit Graben, Stadtmauern und beeindruckenden Stadttoren –, fasziniert jeden. „Wie einmalig ist diese Stadt bitte? Wir wären fast daran vorbeigefahren, um etwas abzukürzen. Das wäre ein großer Fehler gewesen“, sagt Markus, als er mit Oliver und Toby auf dem Stadtplatz mit großer Italien-Flagge auf dem Mast inmitten der Altstadt steht und mit ihnen abklatscht.
Von Palmanova aus fährt die kleine Karawane entlang der Via Iulia Augusta über Aquileia zur Küste. Der erste Blick auf das Meer, die Lagune und den Zielort Grado am Horizont löst pure Freude aus: „Wir haben es gleich geschafft!“, jubelt Toby. Über eine Straße, die auf einem Damm liegt, und die historische Brücke Giacomo Matteotti erreichen die Abenteurer kurz nach 22.00 Uhr Grado. Am Campingplatz warten Freunde mit einer Sektdusche auf sie. „Was wir die letzten sieben Tage erlebt haben, ist einmalig. Die gemeinsame Tour mit euch macht mich glücklich und stolz zugleich“, sagt Oliver mit Tränen in den Augen. „Danke euch, dass ihr die Tour mit mir gemacht und einen Punkt auf meiner Bucketlist abgehakt habt. Es war einfach grandios. Fantastico!“, fasst Initiator Toby zusammen. Nach über 35 Stunden im Sattel und knapp 10 Stunden auf dem SUP – reine Radel- und Paddelzeit – um von Prien am Chiemsee nach Grado an der Adria zu kommen – für alle ein einmaliges Erlebnis. Und es soll nicht das letzte bleiben! Das schwören sich die drei Freunde in diesem Moment.