Als das PWA-Jugend-Event in Dänemark nach einem extremen Tag auf dem Wasser an der Fischfabrik in Hanstholm zu Ende war, musste ich schnell zurück in mein Haus in Klitmøller, um die Fotos für einen Pressetermin um 17 Uhr zu bearbeiten. Es war ein wilder Tag mit über 30 Knoten Wind und großen Wellen, vollgepackt mit Action von den Young Guns.
Als ich den Parkplatz verließ, plauderte ich kurz mit dem kanarischen Überflieger Marino Gil, der zusammen mit seinem Kumpel Liam Dunkerbeck zum Training vor dem Worldcup auf Sylt hierhergekommen war. Marino ist über 20, was bedeutet, dass er nicht mehr an Jugend-Wettkämpfen teilnehmen kann, aber er hatte eine tolle Trainingswoche hinter sich, während Liam gerade seinen ersten Weltmeistertitel bei den unter 20-Jährigen gewonnen hatte. Marino erwähnte, dass sie vielleicht später noch einmal rausfahren würden und dass er mir Bescheid geben würde, wenn es gut aussähe, um noch ein paar Fotos zu machen.
Auftanken
Ein warmes Haus, im Kühlschrank ein kaltes Sixpack Bier und viel Arbeit vor der Nase – trotzdem musste ich noch mal raus!« - John Carter
Als ich wieder zu Hause ankam, war ich froh, dem Wind und den Wellen entkommen zu sein und musste mich mit einer Mammutaufgabe an Fotobearbeitung herumschlagen. Im Kühlschrank stand ein Sixpack eiskaltes Bier, das die perfekte Ergänzung zu diesem gewaltigen Arbeitspensum zu sein schien. Würde Marino anrufen? Ich bezweifelte es. Ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt meine Nummer hatte. Wollte ich noch einmal in diesen Sturm hinausgehen? Nicht wirklich. Ich machte mir ein kaltes Bier auf, warf den Computer an und machte mich daran, mich durch die mehreren tausend Fotos des Tages zu arbeiten. Ich schaffte es, die geforderten Aufnahmen rechtzeitig vor dem Abgabetermin abzuschicken, und beanspruchte nun meinen armen Laptop bis an den Rand seiner Leistungsfähigkeit, während ich mich durch die übrigen Bilder des Tages wühlte, um sie auszuwählen und zu bearbeiten. Die Sonne schien immer noch durch die Fenster und der Wind schien noch einmal zuzulegen und das Haus buchstäblich in seinen Grundfesten zu erschüttern! Das erste Bier hielt nicht lange und ich wollte gerade eine weitere Dose öffnen, als der Rest der Event-Crew, mit der ich zusammen war, zum Haus zurück kam. Sie waren nach dem Event an der Fischfabrik gesurft und berichteten, dass es jetzt total wild sei mit riesigen Wellen.
Später Anruf bei Marino
Ich hatte immer noch nichts von Marino gehört und nahm an, sie hätten beschlossen, für heute Schluss zu machen. Vorsichtshalber schaute ich nach, ob ich Marinos Nummer in meinen Kontakten hatte, und da war sie. Obwohl ich einen Stapel Arbeit zu erledigen hatte, sagte mir etwas, dass dies vielleicht eine dieser epischen Sessions werden könnte, von denen man später nichts mehr hören will, wenn man sie verpasst hat. Also schickte ich eine kurze Nachricht auf WhatsApp, um Marino daran zu erinnern, mir Bescheid zu geben, wenn sie noch mal raus gehen würden. Fünf Minuten später piepte mein Telefon mit einer Nachricht von Marino. Liam und er würden wohl in Middles in Hansholm surfen, weil es dort wahrscheinlich noch wilder zugehen würde als an der Fischfabrik.
Hanstholm: zum Springen ideal
Hanstholm ist als idealer Spot zum Springen bekannt, aber damals, als die PWA in Cold Hawaii gastierte, war die Action auf Klitmøller beschränkt, weil der Livestream dort installiert war, so dass wir einige Male bei platt auflandigem Wind antraten, obwohl in Hanstholm feinste Sideshore-Bedingungen herrschten. Ich erinnere mich lebhaft an einen Abend, an dem es ähnlich stürmisch war: Ich blieb im Büro und arbeitete, während einige Fahrer zu einer späten Session naxch Hanstholm eilten. Später hörte ich, dass Philip Köster und Ricardo Campello sich dort bei Rekordbedingungen Sprünge von bis zu 20 Metern Höhe geliefert hatten. Stell dir vor: 40 bis 50 Knoten, die besten Bedingungen der Welt und masthohe Rampen! Unnötig zu sagen, dass ich enttäuscht war, das Spektakel verpasst zu haben. Aber heute würde ich denselben Fehler nicht ein zweites Mal machen! Die Arbeit würde auf Eis gelegt und später erledigt werden müssen! Ich klappte den Deckel meines überhitzten Laptops zu und eilte zum Auto, um meine Kameraausrüstung einzuladen. Kurz bevor ich losfuhr, rief ich den Jungs im Haus zu, ob jemand mitkommen wolle. Und glücklicherweise meldete sich Andreas, einer der Judges, der auch ziemlich gut mit der Kamera umgehen kann, um mir seine Unterstützung anzubieten.
Draußen bogen sich die Kiefern wild im Wind, und als wir auf die schnurgerade, zehn Kilometer lange Strecke nach Hanstholm kamen, wurden Sand und Gischt über die Straße geweht, während das Meer über den Dünen nur als eine Ansammlung von weißen Schaumkronen und chaotischen Wellen zu erkennen war.
Wir kamen gerade rechtzeitig an, um zu sehen, dass Liam und Marino ihre 3,3er- und 3,7er-Segel aufgeriggt hatten und nun bereit waren. Draußen auf dem Meer war es wahnsinnig windig, mit masthohen Rampen. Die beiden waren zusammen mit den Delgado-Schwestern gekommen, die sich die Show vom warmen Van aus ansehen wollten. Es würde vielleicht noch 30 bis 40 Minuten hell bleiben und im Westen zeichneten sich dunkle Wolken am Horizont ab. Wir brauchten die Glücksfee auf unserer Seite, damit die Sonne nicht völlig hinter diesem launischen Himmel verschwand. Ich eilte zum Auto, um mein lichtstarkes 500-mm-Objektiv auf dem Stativ zu befestigen und übergab Andreas mein 100-500er Zoom, damit wir ein paar anständige Perspektiven einfangen konnten.
Wild und windig
Wer Liam und Marino schon einmal beim Surfen zugesehen hat, weiß, dass sie immer Vollgas geben und dass sie auch bei diesen extremen Bedingungen nicht zurückziehen würden. Von dem Moment an, als sie aufs Wasser gingen, hatte ich das Gefühl, dass etwas Besonderes passieren würde. Das Licht schimmerte durch die Wolken, der Wind blies weiterhin mit 40 bis 50 Knoten und es gab logo- bis masthohe Rampen, die nur so nach Raketenflügen schrien. Marino eröffnete die Session mit einem monströsen Backloop, der von meinem Aussichtspunkt in den Dünen aus leicht den Horizont überragte. Seine Freunde in ihrem Van schrien, als er abhob und einfach hoch, höher, einfach wahnsinnig hoch flog. Liam war nicht weit dahinter und raste mit voller Geschwindigkeit auf die nächste Rampe zu, nachdem er gesehen hatte, wie sein guter Kumpel das erste Highlight setzte. Eine riesige, masthohe Rampe baute sich weiter draußen auf, und er schaffte es, das wilde Weißwasser zu überwinden und mit voller Geschwindigkeit und unerschütterlichem Selbstbewusstsein darauf zuzuhalten. Marinos Backloop sah hoch aus, aber Liam war schneller und traf mit voller Geschwindigkeit auf eine größere Welle. Er flog mindestens 15, 16 Meter in die Luft, bevor er zu einem absolut verrückten Frontloop ansetzte. Ich konnte hören, wie die Mädels im Van schrien: „Oh mein Gott, das war verrückt!"
An die Grenzen gehen
Aus dem Schutz der Dünen konnten wir sehen, dass Marino Liams Heldentat schon mitbekommen hatte und seinem Freund mit der Faust zuwinkte, um diesen wahnsinnigen Sprung zu würdigen. Und eines weiß ich über Marino: Er lässt sich nicht gerne übertrumpfen! Vor allem nicht in seinen Lieblingsbedingungen, und von nun an würden sich die beiden gegenseitig an die Grenzen treiben. Ich habe in meinem Leben schon eine Menge gesehen, aber diese Session gehört zu den verrücktesten und extremsten, die ich je fotografiert habe. Jedes Mal, wenn die Jungs einen Sprung machten, jubelten die Mädchen im Van. Einige Sprünge schienen zu hoch zu sein, um einen Vorwärts- oder Rückwärtsloop zu machen. Aber genau dann, wenn man dachte, dass es ein gerader Rocket-Air werden würde, zogen sie den Abzug und rotierten vorwärts oder rückwärts als sei das alles gar nichts und völlig selbstverständlich. Es dauerte nicht lange, bis Marino und Liam die gleiche Höhe erreichten. Und um ehrlich zu sein: es flogen beide so hoch, dass es schwer zu sagen war, wem am Ende der Ruhm gebührt. Marino landete einen verrückten Pushloop into Forward, bei dem er nach dem Pushloop so hoch war, dass er auf dem Weg nach unten leicht einen Doppelloop hätte ansetzen können. In der Zwischenzeit revanchierte sich Liam mit einem perfekten Double in den chaotischen Bedingungen. Mit erhobener Faust feierte er sich für diese Heldentat!
Die beiden U-17 Worldcupper, Luca Bühler, der auf Gran Canaria lebt und der Spanier Toni Pijoan, die zum Strand gekommen waren, um sich die Show anzuschauen, konnten das nicht länger im Trockenen ertragen. Also riggten auch sie ihre kleinsten Segel auf und stürmten ins Wasser, um bei dieser wilden und einmaligen Abendsession dabei zu sein. Allerdings konnten sie noch nicht ganz mit den atemberaubenden Flügen der anderen beiden mithalten.
Sundown
Die ersten fünfzehn Minuten etwa spielte die Sonne noch mit, aber dann gewannen die Wolken die Oberhand. Im Westen färbte sich der Himmel rosa, und ein unglaublicher Sonnenuntergang trug zur Dramatik der Action auf dem Wasser bei. Marino beendete seine Session mit einem letzten Monstersprung, der sich vor dem rosa Himmel im Hintergrund in die Umlaufbahn erhob und zu den größten Sprüngen gehörte, die ich je gesehen habe.
Als Liam und Marino nach einer intensiven Stunde auf dem Wasser endlich zum Strand zurückkehrten, waren sie beide sichtlich aufgeregt und voller Adrenalin von dieser wilden Session. Ich war selbst noch ziemlich aufgewühlt, nachdem ich angespannt so oft den Auslöser gedrückt hatte, um die imposante Action einzufangen. Doch dann wurde mir klar, dass ich wieder nach Hause musste, um an den anderen Aufnahmen des Tages zu arbeiten! Aber wenigstens hatte ich dieses Mal nichts verpasst und war froh, dass ich Zeuge dieser epischen Show auf dem Wasser war.
Liam Dunkerbeck
„Das war vermutlich eine der wildesten Sessions meines Lebens. Es gab wahrscheinlich Böen von 50 Knoten mit masthohen Rampen. Ich glaube, ich habe die größten Sprünge meines Lebens gemacht. Meine Uhr zeigte an, dass ich über zehn Meter hoch gesprungen bin, und einige Sprünge waren über zwölf! Das war wohl die beste Sprung-Session, die ich je hatte. Mein kleinstes Segel, das ich hier in Dänemark hatte, war ein 3,3-Quadratmeter-Segel, was in Ordnung war. Marino ist einer meiner besten Kumpels, wir surfen immer zusammen. Da draußen zu sein und diese abgefahrene Session zu teilen, war einfach ein Traum. Wir haben uns auf dem Wasser gegenseitig angeschrien, es war einfach so verrückt.“
Marino ist einer meiner besten Kumpels. Mit ihm diese abgefahrene Session zu teilen, war ein Traum.« - Liam Dunkerbeck
Marino Gil
„Es war unglaublich da draußen! Ich war mit dem 3,7er total überpowert. Wir hatten einige perfekte, masthohe Rampen und es war einfach episch. Ich glaube, das war eine der besten Sessions, die ich je gemacht habe! Es waren wohl einige der größten Sprünge dabei, die ich in meinem Leben gemacht habe. Es hat super viel Spaß gemacht, ich hatte keine Angst. Hätte ich einen 3,4er Segel gehabt, hätte ich alles vielleicht etwas besser unter Kontrolle gehabt. Aber es ging bei dem perfekten Sideshore Wind, und es war genug Platz zwischen den Wellen, um die Rampen mit voller Geschwindigkeit zu treffen und sich abzuschießen. Es war großartig, diese Session mit Liam zu teilen. Wir sind beste Freunde und lieben es, uns gegenseitig zu pushen."