Die kamen fast wie die berühmte Kommune 1 unter Rainer Langhans und Uschi Obermeier daher“, sagt ein Zeitgenosse. Mit ihrem lustigen Treiben hatte sich die Berliner Surftruppe, die schon ab 1973 auf den Windsurfer-Ranglistenregatten mit Kind und Kegel für Stimmung sorgte, einen legendären Ruf erworben. Dem Establishment in den 70ern eine andere Lebenseinstellung aufzeigen – das allein brachte schon auch dieser neue Sport Windsurfen mit, der heute als Mutter aller Funsportarten bezeichnet wird. Wo auch immer in Deutschland damals um die Bojen gesurft wurde, am Starnberger See, Boden- oder Biggesee, auf Sylt oder an der Möhne, am Dümmer und natürlich auf der Havel am Großen Fenster in Berlin: Die Crew vom WSV stand oft im Mittelpunkt des Geschehens – und auf den Siegertreppchen.
1972 - 1980: Die Anfänge – fünf Mann und eine Dame
Im Frühjahr 1972 erreichte ein Ami-Spleen Europa – und zwar in einem Bericht der Zeitschrift Yacht. Thema war eine neue Wassersportart: das Windsurfen. Im von der DDR isolierten Berlin unternahm Peter Raatz, dort Urvater des Windsurfens genannt, seine ersten Turnversuche auf der Havel am Großen Fenster. Seine diversen Freunde und Bekannte eiferten ihm nach, und so gründete sich aus unterschiedlichen Antrieben am 18. August 1972 der erste reine Windsurfing-Verein der Welt: der WSV an der Havel. Die Gründer waren Peter Raatz, Karl-Heinz und Barbara Schombara, Wille Schalge, Werner Komm, Lutz Oppermann und Peter Czada. In der ersten Hauptversammlung wurde als Zweck des neuen Vereins im Paragrafen zwei folgendes festgehalten: „Der WSV Berlin bezweckt, den Segelsport einer breiten Allgemeinheit zugänglich zu machen. Das soll durch ein neuartiges Segelgerät, dem Windsurfer, erreicht werden.“
Werner Komm wurde zum 1., Peter Raatz zum 2. Vorsitzenden, Wille Schalge zum Schriftführer und Karl-Heinz (Hein) Schombara zum Sportwart im Windsurfing Verein Berlin gewählt – und der Beitrag auf fünf Mark monatlich fixiert.
Als Korsar-Segler sah ich einen Surfer am Großen Fenster, so kam ich zum Club. (Wolf Zins, Regattawart und (fast) ein Mann der ersten Stunde)
Nicht nur die soziale Komponente wurde hier schon verankert. Auch das Motto des Vereins (der später das kleine „e“ ins Logo WSeV hängte, um sich vom Wander Segler Verein zu unterscheiden) stand somit fest: „Vom Konkurrenzkampf zum Sozialspiel“ – das Zitat des Urvaters wurde in der WSV-Zeitung 1/74 so beschrieben: „Der Windsurfing Verein Berlin ist bestrebt, nicht nur Einzelkönner für die Regatten vorzubereiten, Jugendliche zu fördern und Anfänger zu schulen, sondern auch den Familienangehörigen das Dabeisein möglich zu machen.“
Das war also der Plan: Man duzte und küsste sich, benahm und verhielt sich ungezwungen mit seinen zahlreichen Freunden, unternahm viel gemeinsam, war nie einsam – so bildete sich schnell ein harter Kern heraus, der fast alles gemeinsam als Surf-Kommune unternahm.
1973 fanden schon die ersten Regatten vom Bootshaus Irmgard und zurück statt, aus denen sich die beiden Traditionsregatten, der Havel-Cup und der Berliner Bären-Cup, entwickelten. Aber noch hatten die Mitglieder und deren Material kein Heim. So begann die Domizilgeschichte, die 18 lange Jahre dauern sollte, aber dann doch ein glückliches Ende fand. Die Einzelheiten im harten Kampf gegen die Berliner Behörden würden Bücher füllen, doch soviel ist zu sagen: „Ohne dem Engagement und finanziellen Einsatz einiger Clubmitglieder, darunter vor allem der Ex-Präsidenten Peter Raatz und Karl-Heinz Pumpi Fiedler, würde heute keine WINDANNA schwimmen“, so Konni Weise, der im November 1972 dem Verein beitrat, nachdem ihn Windsurfen auf der Wassersportmesse fasziniert hatte.
Nicht einfach, die Balance zwischen Spitzen- und Freizeit- sport zu finden. (Boris von Maydell, alter und neuer 1. Vorsitzender des Windsurfing Verein Berlin)
Zunächst fanden die Surfer Unterschlupf am Großen Fenster, in dem 60 Meter langen und sechs Meter breiten, ausgedienten Restaurantschiff „Blankenburg“. Es wurde gemietet, innerhalb einer Woche von Freiwilligen entrümpelt und gereinigt – und hieß von nun an WINDANNA. Kaum war alles gemütlich hergerichtet, sogar Gardinen genäht und der Bau einer Toilette mit einem fröhlichen „Anscheißen“ besiegelt, traf die WSV-ler ein harter Schlag: Die Selbstständigkeit des Vereins passte den Behörden nicht in den Kram. Die Wasserbehörde verweigerte kurzerhand die Liegegenehmigung „aufgrund dringender Gefahr für Berlins Wasserversorgung“ und schleppte die WINDANNA in den Spandauer Südhafen. Das ließen sich die Surfer natürlich nicht gefallen. Sie kaperten das Schiff und brachten es zurück an den angestammten Platz.
Wenige Tage später wurde die WINDANNA jedoch unter Polizeischutz erneut verbracht – diesmal tief ins Berliner Kanalsystem. Pächter und Windsurfing Verein Berlin klagten vor dem Verwaltungsgericht dagegen – mit Erfolg! Der Beschluss sah vor, dass dem WSV ein „geeigneter Ort zur Ausübung des Sports zur Verfügung gestellt wird“. Mittlerweile firmierte der Club als eingetragener Verein, was die Behörden wiederum verpflichtete, einen geeigneten Ort fürs Schiff zu finden.
Die alte WINDANNA wurde vor Schwanenwerder verankert – in der stillen Hoffnung, Zehlendorf würde den Surfern den Zugang über sein Bezirksgrundstück gewähren, was aber nicht geschah. Die WINDANNA sank in einem Wintersturm. Der Senat musste das Schiff auf eigene Kosten bergen und verschrotten, denn er hatte es versäumt, den Pott ordentlich an Pfählen zu befestigen, so wie es vor Gericht vereinbart worden war. Die Surfer waren heimatlos, und die Presse informierte unter dem Titel „Kleiner Seekrieg“ über die Vorkommnisse. Auf den Seekrieg folgte ein Papierkrieg. Die Vereinsmitglieder selbst suchten nach einer dauerhaften Bleibe.
Neue Schwierigkeiten brachte am 1. April 1977 (kein Scherz!) eine Verordnung des Bundesverkehrsministeriums, das „das Fahren mit Segelbrettern auf Binnenschifffahrtsstraßen generell verbieten und nur auf bestimmten Strecken erlauben“ sollte.Durch das Engagement von Peter Raatz sowie des damaligen Vorsitzenden der Windsurfer-Klassenvereinigung Prof. Dr. Heinrich Schoop konnte dieser Unsinn zusammen mit dem DSV abgewehrt werden. Aber ab dem 1. Januar 1978 war der „Berliner Segelboot-Führerschein für Boote/Bretter mit Segel über fünf Quadratmeter“ Pflicht. „Es wurde jetzt im Club geschult oder die Segel auf 4,999 qm reduziert“, so Wolf Zins, der den ersten Shop in Berlin aufzog.
1981 - 1990: Ein großer Plan – die neue WINDANNA entsteht
Die Suche ging weiter. Zwar wurde mit der Vertagsverlängerung durch den Senat eine wassersportliche Nutzung des Bereiches Großes Fenster auch nach 1982 nicht völlig ausgeschlossen, aber diese Äußerung reichte nicht aus, um sich zurückzulehnen und abzuwarten.
Zwar war der WSeV 1978 mit über 400 Mitgliedern schon der viertgrößte Segelverein Berlins und größter Surfverein Deutschlands, doch nach wie vor war er auf der Suche nach einer verbindlichen Bleibe. Das Bootshaus Hamburg war in sehr bedenklichem Zustand – schließlich stand der Abriss in Kürze bevor. Dennoch bemühte man sich, den Zustand einigermaßen ansehnlich zu erhalten – aber „det is nu mal Berlin“.
Der Windsurfing Verein Berlin beziehungsweise sein Domizil-Ausschuss gaben nicht auf und starteten 1985 erneut eine Großoffensive. Das Ergebnis war im Dezember eine positive Entscheidung der Behörde für den Standort Großes Fenster, möglicherweise zwischen den anderen Bootshäusern.
Ich bin noch immer sehr glücklich im Verein, so wie am ersten Tag. (Konni Weise, seit November 1972 im Club und aktueller Platzwart)
Peter Raatz entwarf ein 40 x 9 Meter großes Vereinsschiff für 400 Mitglieder, geplanter Standort war zwischen dem Bootshaus Hamburg und dem Bootshaus Irmgard. Der Bauplan wurde inklusive aller Zielkonzeptionen von Klaus-Jürgen Fiedler als Bauantrag bei den Genehmigungsbehörden eingereicht. Keiner konnte es glauben, als der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz tatsächlich am 13. Mai 1987 die Genehmigung für den Bau eines Domizils erteilte. Doch Skepsis war angebracht: Denn als bereits die Pfähle gerammt, Kostenvoranschläge und Werftangebote eingeholt und verglichen worden waren, wurde die Genehmigung im Frühjahr 1988 vom CDU-Senat schlichtweg widerrufen. Im Jahr 1990 wurde das unermüdliche Bemühen endlich mit Erfolg gekrönt. Die Ereignisse überstürzten sich: Am 1. Mai erhielt der Verein den Pachtvertrag für 31 qm Land und 681 qm Havel-Wasserfläche zunächst auf zehn Jahre – mit der Option auf weitere zehn. Die 450 Mark Jahrespacht lagen beträchtlich unter der hierfür veranschlagten Summe. Standort und Liegegenehmigung waren inzwischen geklärt und sogar der Finanzierungsplan von der Sportbehörde abgesegnet.
Kaum war die Finanzierung beschlossen, eilten Pumpi Fiedler und Rolf Gaa am 29. Mai 1990 nach Hamburg. Denn es war längst klar, dass die Heinrich Grube Werft den Bauauftrag bekommen würde. „Mir zitterten die Hände, als ich den 16-seitigen Vertrag über zunächst 1,3 Millionen Mark unterschrieb“, so Pumpi Fiedler.
Ein Schiff mit drei Stockwerken, im Keller der Fäkalientank, darüber das Lager für 300 Boards, im Mitteldeck die Hafenmeisterwohnung, Technik, Toiletten mit Dusche, eine Küche, unterm Sonnensegel Raum zum Entspannen oder Feiern, ganz oben Freiraum – und im Winter Lagerraum für die Clubboote. Das Ganze konnte natürlich nicht nur aus der Clubkasse bezahlt werden, es gab kräftig Förderung durch den Senat.
Nun fehlte eigentlich nur noch die WINDANNA selbst. Sie sollte bis zum 30. September 1990 in Berlin abgeliefert werden. Natürlich gab es WSeV-Mitglieder, die den Moment miterleben wollten, an dem die geschmückte WINDANNA von der Grube Werft in Hamburg bei Flut zu Wasser gelassen wurde. Der Sekt, den Peter Raatz auf das Schiff goss, war ihm Jahre zuvor von einem ausscheidenden Vorstandsmitglied übergeben worden – mit der Auflage: Falls es jemals ein WSeV-Domizil geben sollte, sie in einem würdigen Moment zu köpfen.
Etwa 1,5 Meter tiefergelegt erreichte die WINDANNA ihren jetzigen Liegeplatz, über den Untiefen der Elbe und unter den Brücken war nicht mehr viel Platz. Die Geländer wurden montiert, der Krahn aufgestellt und die WINDANNA durch das Einbringen von etwa fünf Tonnen Steinen über Plattform und rechter Wasserecke getrimmt. Wasser- und Elektroanschlüsse wurden in Betrieb genommen und so manche Kleinigkeit angeschafft oder umgesetzt, so dass schon am 3. November 1990 die erste Versammlung im eigenen Heim stattfand. Die Mitglieder konnten es noch gar nicht richtig glauben, einige überhaupt nicht: Über 200 traten Ende der 90er ob des finanziellen Risikos aus, der Verein schlitterte in die Krise.
Ab 1991: Mit SUP und Foil in die Zukunft
Mittlerweile sind die Mitglieder wieder begeistert, die Hütte ist voll. Seit einigen Jahren besteht ab 450 Mitgliedern eine Aufnahmesperre, darüber hinaus existiert eine Warteliste, die sich auf nochmal fast 200 Eintrittswillige beläuft. Ist doch sportlich eine Menge los – rund um die neue WINDANNA.
Zusätzlicher Aufschwung kam durch das Stand-up-Paddling hinzu – der Motor dahinter heißt Colori Schilling. „Durch das regelmäßige Training konnten wir viele Jugendliche in den Club holen“, so der erfolgreiche SUP-Racer, der auch als Windsurf-Trainer aktiv ist.
2015 bekam der Windsurfing Verein Berlin vom Deutschen Segler-Verband (DSV) die Ausrichtung des Finals der Surf-Bundesliga zugesprochen. Des Weiteren die Deutsche Raceboard-Meisterschaft und die Deutsche SUP-Meisterschaft, in Kooperation mit dem Berliner Kanu-Verband in Spandau und alle beiden Berliner Meisterschaften im SUP und Windsurfen. Mit bis zu 100 Teilnehmern sprengte das fast die Kapazität auf der WINDANNA. „Das war anstrengend, aber einfach nur toll“, schwärmt heute noch Ex-Präsident Dirk Meyer.
Oder 2018, als der Windsurfing Verein Berlin als Ausrichter der Deutschen Jüngsten- und Jugendmeisterschaften in der Techno 293-Klasse eine aufsehenerregende Erfolgsstory generierte, von den 15 zu gewinnenden Medaillen der Plätze 1 bis 3 gewannen die Jüngsten und Jugendlichen des WSeV elf und heimsten sämtliche Titel ein.
Olympia ist mein Traum. Mein Vater schaffte es zweimal – 1984 und 1988. (Sophia Meyer, Kader-Surferin in der DSV-Jugendnationalmannschaft)
Erfolge, die sich 2019 am Dümmer wiederholten und so zur Grundlage eines neuen Jugendteams wurden. Mittlerweile surfen fast alle Jugendlichen in der neuen Olympiaklasse auf dem iQFOiL. Mit der 17-jährigen Sophia Meyer, die in dem neu errichteten Kader des DSV (Jugend-Nationalmannschaft) aufgenommen wurde, wächst das nächste Regatta-Juwel heran. Weitere WSeV-Jugendliche stehen dicht vor einer Nominierung. Aber nicht nur Spitzensport wird angestrebt – mit dem Havel-Cup und dem Berliner Bären-Cup sind seit 1973 zwei Veranstaltungen auf dem jährlichen Terminkalender, die auch Breitensportler auf dem Longboard ansprechen.
Vom vielfältigem Clubleben im Windsurfing Verein Berlin zeugen eine Menge an Aktivitäten: Rock on Board, Kino, Day of the Bay, Wildschweinessen, die Alten kochen für die Neuen, Kinder-Olympiade, Inter-CLUBtinentel mit dem Nachbar-Segelclub SV03, das SchlappStick Race, Jazz-Konzert, Segel-Picknik, An- und Absurfen – und, und, und. Es ist immer was los, der WSeV ist schließlich ein Mitmachverein! Im August 2022 stand das Highlight an: die 50-Jahre-Feier.
Auf dass die Ideen in den kommenden fünf Jahrzehnten nicht ausgehen mögen!