Surfstation in ÄgyptenHarry Nass über 25 Jahre in Dahab und frühere Fehlschläge

Stephan Gölnitz

 · 26.05.2024

Traumhafte Wasserfarben, beständiger Wind und eine top Surfstation lockten bereits unzählige Event-Veranstalter nach Dahab – und auch das surf-Team.  Hier bei einem Fahrtechnik-Fotoshooting.
Foto: Stephan Gölnitz
Wenn man es wirklich will, schafft man es sogar als Windsurfer in den BVB-Kalender. Oder vom Banklehrling zum Beinahe-Windsurf-Billionär. Zumindest wenn man Harry Nass heißt. Seit 25 Jahren ist er im ägyptischen Dahab die Windsurf-Nummer eins.

Anfang standen in Dahab nicht einmal die Palmen. Im Laufe von 25 Jahren wuchs das Harry Nass Center im Süden der Sinai-Halbinsel von einer Station mit vielleicht 70 Boards zu einem Imperium mit 500 Brettern in vier verschiedenen Centern. Wir wollten wissen, wer hinter so einer Erfolgsstory steckt und haben Elke und Harry Nass zum Interview erwischt.

Harry, deine Windsurf-Karriere begann erst mal mit einem Fehlstart?

Harry: Ja, ich bin in der 7. Klasse mit fünf Fünfen und zwei Sechsen sitzen geblieben. Weil ich da in Holland angefangen hatte zu surfen und richtig angefixt war.

Elke: Du hast doch die surf in der Schule unterm Tisch gelesen.

Harry: Nein, das nicht, aber ich habe damals die surf tatsächlich auswendig gelernt – vorwärts, rückwärts. Und zwei-, dreimal in der Woche war ich bei dem Surfshop in Dortmund und habe stundenlang Hawaii-Videos geguckt.

Für viele hätte so eine Ehrenrunde wohl das Ende der Surfkarriere bedeutet.

Ich habe dann doch noch mit mittlerer Reife abgeschlossen und eine Banklehre gemacht. Zum Glück wurde ich danach nur drei Monate übernommen.

Zum Glück?

Ja, dadurch war ich arbeitslos und habe in der Zeit den Surflehrerschein gemacht. 1984 habe ich dann bei Michi Bouwmester am Gardasee als Surflehrer angefangen. Ich hab da mit Ralf Bachschuster zusammen gewohnt. Zu der Zeit kamen auch bekannte Fahrer wie Axel Ohm oder Cesare Cantagalli öfter vorbei.

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Die waren zu der Zeit als Regattasurfer unterwegs?

Ja, der Ralf hatte gerade angefangen, war von Mistral glaube ich gesponsert. Nach der ersten Surflehrer-Saison bin ich gleich nach Lanzarote geflogen – zum Überwintern – so nannten wir das. Wir hatten ein Haus am Strand, mit Ralf Bachschuster, Charly Messmer, Frank Maas. Von Fuerte kam Jürgen Hönscheid rüber. Da waren wir drei, vier Monate, das war eine super Zeit.

Harry in den 80ern auf der RegattabahnFoto: Dieter MenneHarry in den 80ern auf der Regattabahn

Das ging finanziell auf?

Was man als Surflehrer verdient hat, wurde in einem halben Jahr eben wieder verbraten. Zwischendrin habe ich auch mal sechs Wochen Schichtdienst gearbeitet in einem Rohrwerk. Ich habe da Stahlrohre von innen geschliffen. Dafür war ich mir nicht zu schade. In der Zeit von 1984 bis 1986 habe ich viele Regattasurfer kennengelernt und bin dann auch in den Euro-Funboardcup eingestiegen.

Wie passte das mit dem Surflehrer-Job zusammen?

Von 1986 an bin ich eigentlich nur noch herumgereist. Ich hatte einen Sponsor aus der Stahlindustrie, der lokale Sportler unterstützt hat. Ich war damals öfter in den lokalen Medien aufgetaucht, Ruhr-Nachrichten, Westfälische Rundschau und so. Der Sponsor wollte aber gar nicht, dass ich irgendwelche Sticker ins Segel klebe. Die haben mir einfach jeden Monat ein Kuvert mit 3000 Mark gegeben.

Das war damals viel Geld. Haben die Windsurf-Firmen zu der Zeit gut gezahlt?

Nein, ich habe aber viel Material bekommen. Da bin ich häufiger mit meinem Bus zu Fanatic nach Ransbach gefahren, um das neueste Material abzuholen. Das war ein großes Werk, da gab es fünf Laderampen und dort lag mein neues Material. Es kam auch mal vor, dass da niemand zur Übergabe war. Dann hat man das alte Material eben auch wieder mitgenommen und verkauft. So von 1980 bis Ende der 80er haben die Firmen die Fahrer mit Material regelrecht zugeworfen.

Von 1980 bis Ende der 80er haben die Firmen die Fahrer mit Material regelrecht zugeworfen.”

Wie kamst du als Noch-no-Name an die Materialsponsoren heran?

1986 am Gardasee habe ich in Torbole nebenher noch in der angesagten Surferkneipe Cutty Sark als Gläserabräumer gejobbt. Das gab 5000 Lire, das war gut – aber besser war, dass mich jeder kannte. Da kamen dann Leute wie Peter Brockhaus, damals Chef von F2, am Abend rein und haben mich mit „Hallo Harry“ begrüßt. Rainer Ramelsberger war einer der Gäste, er hat damals Gaastra gemacht. Dem habe ich einmal erzählt, dass ich in drei Wochen nach Holland fahren würde zum Funboardcup und der WDR darüber einen kleinen Film drehen würde. Da wollte er sofort wissen, ob ich nicht Material benötige und meine Adresse haben. Ich habe damals so alle drei, vier Wochen meine Mutter angerufen und die war beim nächsten Anruf ganz aufgeregt – der ganze Keller sei voller Surfmaterial. Da hatte Rainer mal eben zwei komplette Sätze Segel – Race und Wave – zu mir nach Hause geschickt. Der Film lief dann nicht mal in ganz NRW, sondern nur in Dortmund. Aber das war egal. Ich habe fast alles Material neu verkauft und kam wieder ein Jahr weiter. 1990 habe ich dann mit Regattafahren abgeschlossen und auf Lanzarote mit einer Surfschule meine erste Selbstständigkeit gestartet.

Wieder mit einem Fehlstart?

Ich hatte damals den falschen Partner an meiner Seite. Das war so eine Art Lude eigentlich. Der hat irgendwann seinen Sohn nachgeholt und mich aus der Schule regelrecht rausgeschasst. Wir hatten ja so surfermäßig gar keinen schriftlichen Vertrag. Bevor ich 1992 die Insel verlassen habe, hat er mir noch alle vier Reifen am Auto zerstochen. Glücklicherweise hatte ich zu der Zeit schon einen guten Ruf in der Branche.

Mein damaliger Partner hat mir vor dem Abschied noch alle vier Reifen zerstochen.”

Was war der genau?

In den zwei Jahren auf Lanzarote haben die Leute gemerkt: „Der ist verlässlich, mit dem kann man arbeiten, der ist nicht nur ein halbes Jahr da.“ Die Reiseveranstalter haben Leute gesucht, die sie an ihre Stationen schicken können.

Das waren die Aufbruchsjahre der Reisebranche?

Ja, ich habe zu der Zeit Franz Schlittenbauer kennengelernt, als er eine F2-Händlerreise nach Lanzarote gemacht hat. Franz meinte, er wolle künftig Surfreisen verkaufen, das sei besser als ein Lager voller Boards zu haben. Franz habe ich später, als ich Stationsleiter auf Kos war, wiedergetroffen. Er wurde dann so etwas wie mein Ziehvater in der Branche.

Eine Fußball-Fangemeinschaft hat euch dabei wohl weniger verbunden.

Der Franz war ja echter Bayer, ich bin Westfale und eigentlich Voll-Borusse. Aber die letzte Saison hat mir den Stecker rausgezogen. Ich freue mich jetzt für Leverkusen, aber ich gucke nicht mehr so gerne.

1995 schaffte es Harry Nass in den BVB-KalenderFoto: privat1995 schaffte es Harry Nass in den BVB-Kalender

Was war dann eure Verbindung?

Franz ist im Alter von meinem Vater gewesen, er hat mich einfach immer unterstützt. Über ihn bin ich auch schon nach Alaҫati gekommen.

Wo anfangs auch nicht alles nach Plan lief?

Genau. Wir hatten ein Grundstück gepachtet und eine Station aufgebaut. Im zweiten Jahr in der Türkei sollten wir dann gleich übers Ohr gehauen werden. Da gab es einen Termin bei der Gemeinde und es war ein Mindestgebot von 60.000 Mark für die weitere Pacht gefordert. Ich habe mich dem Spielchen mit meinem Hotelier zusammen verweigert und wir haben 60.001 Mark geboten. Da gab es andere Locals, die eigentlich vom Stations-Business gar keine Ahnung hatten, aber Dollarzeichen in den Augen, die haben mehr geboten. Als wir gegangen sind, wollten die von uns tatsächlich wissen, wo man die Urlauber denn abholen müsse. Da hab ich denen gesagt, dass zu ihnen gar keiner kommen wird, weil die Gäste zu mir kämen und nicht zu irgendeinem beliebigen Platz am Strand. Der Hotelier kannte den Eigentümer des Nachbargrundstücks, wir haben vier Flutlichtanlagen aufgestellt und in vier Wochen in 24/7-Schicht eine neue Station aufgezogen. 1999 kam dann, auch wieder über Franz, das Angebot zu mir, die Station in Dahab zu kaufen.

Da hast du sofort zugeschlagen?

Harry: Die Station sollte eine stolze Viertelmillion kosten. Aber die Vorbesitzerin ist Schwäbin und die hatte einfach alle Finanzen akribisch aufgeschrieben, jede Briefmarke. Als Banker konnte ich da in zehn Minuten sehen, welches „Return on Investment“ man in einem Jahr erreichen kann.

Elke: 2000 habe ich im Urlaub in Dahab Harry kennengelernt. Ich war da schon ganz angefixt vom Windsurfen und habe gleich meinen Job als Designerin gekündigt. Der Franz (Red.: Schlittenbauer) hat in der Anfangszeit auch so viele Ideen eingebracht. Da kamen Faxe beim Harry an, die haben sich auf dem Boden gekringelt und am Ende war die Rolle leer.

Wie lange hat es dann gedauert, um von einem Surfcenter auf ein Imperium mit vier Standorten zu wachsen?

Harry: Das ging so richtig los, als Elke mitgearbeitet hat.

Ihr ergänzt euch gut?

Elke: Harry macht bis heute alles, was mit Finanzen zu tun hat. Ich komme aus dem Design-Bereich und habe mich von Anfang an mit der Optik befasst, habe eine Bekleidungskollektion für die Mitarbeiter entwickelt, mich ums Personal gekümmert. Station 2 habe ich selbst designt. Das war damals die schönste Station und strategisch der beste Startplatz. Du kannst da auf Halbwindkurs direkt losfahren.

Harry: Elke kümmert auch sich um alle Bestellungen, Importe und um das gesamte Marketing inklusive Social Media und Pressemitteilungen.

Bei uns stehen selbst die Kaffeetassen in einer Richtung im Schrank.”

Die Ordnung an euren Stationen ist bemerkenswert, da hängen die Segel mit den Mastfüßen exakt auf Linie.

Elke: Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck. Harry guckt zum Beispiel immer, ob die Fahnen auch nicht zerfetzt sind. Bei uns stehen die Kaffeetassen auch in einer Richtung im Schrank. Wir sprechen ja auch einen Kundenkreis an, der für den Urlaub viel Geld ausgibt. Da kann man nicht mal einfach irgendwie herumpfuschen.

Die Stationen von Harry Nass sind für ihre herausragende Ordnung bekanntFoto: privatDie Stationen von Harry Nass sind für ihre herausragende Ordnung bekannt

Wie kommen eure Mitarbeiter damit klar?

Elke: Da müssen die durch (lacht). Manchmal fängt man da bei der Ursuppe an. Waschen, Zähne putzen. Aber wir sind zu unseren Angestellten sehr loyal. Wir würden zum Beispiel keine Station irgendwo in der Wüste machen. Wo sollten dort deren Kinder zur Schule gehen?

Harry: Elke ist die Mutter der Nation. Die bringt den Jungs viel bei und die freuen sich darüber.

Windsurfen hatte ja mal einen ziemlichen Peak, wie habt ihr das erlebt?

Harry: Das war bei uns 2010. Da habe ich die Worldcupper Robby Swift und Micah Buzianis gesponsert. Da hatten wir Ride & Learn-Events mit 60 Teilnehmern.

Ist es in Ägypten schwieriger, Business zu machen als anderswo?

Harry: Du brauchst jemanden für den bürokratischen Papierkram, bei uns ist das Mustafa, für den wir unsere Hand ins Feuer legen. Unsere Geschäftspartner wie die Hoteliers sind hochgebildete Unternehmer, da hatten wir nie Probleme.

Elke: Ich auch nicht als Frau. Ich werde aber häufig von Europäern danach gefragt. Anfangs war ich manchmal Madame Harry. Das war eher belustigend.

Harry: In der Türkei musste ich mehr mit Ellenbogen arbeiten. Manche Einheimische haben wohl gedacht, der Harry habe ein gutes Geschäft und wie man ihm das wegnehmen könnte. In Ägypten ist es andersrum. Wenn du erfolgreich bist, wird dir Respekt entgegengebracht. Du bist ein Vorbild.

Was hat sich denn in der Windsurf-Schulung am stärksten verändert?

Harry: Die Leute lernen Windsurfen heute viel schneller. In den 80ern hast du denen erst mal das Aufriggen erklärt, gezeigt, wo der Mast reinkommt, was eine lange oder kurze Segellatte ist. Jetzt gehen wir so schnell wie möglich aufs Wasser, ich will, dass jeder Anfänger nach zwei Stunden zumindest ein Stückchen surfen kann.

Wir haben immer noch Lust und fühlen uns in Dahab einfach wohl.”

Ihr seid seit 25 Jahren immer mindestens ein halbes Jahr in Dahab. Das klingt verlockend und abschreckend zugleich.

Elke: Das Leben am Strand ist schon superanstrengend, die Hitze … aber sobald der Wind gut ist, gehen wir ja aufs Wasser. Diese Passion hat uns nie verlassen. Deswegen hältst du das ja auch aus.

Harry: Jedes Mal, wenn wir an unserer Bar am Center 1 sitzen, denke ich mir: „Alles richtig gemacht – und auch Glück gehabt.“ Es ist der schönste Platz in Ägypten. Es sind die Berge, die Lagune. Das Revier in Dahab ist so komfortabel, dass wir hier bis ins hohe Alter Spaß haben können. Ich gehe mittlerweile auch viel Wingen, übe neue Manöver in der Lagune – wir haben immer noch Lust und fühlen uns da einfach wohl.


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