Das Motto „hinfallen, aufstehen, weitermachen“ war für mich lange nicht so angesagt wie nach meinem frühen Ausscheiden beim PWA-Weltcup auf Sylt. Nur wie genau weitermachen? Zum Glück hatte ich eine grobe Idee, denn bereits 2018 nahm ich im Anschluss an den Sylter Weltcup am Tiree Wave Classic in Schottland teil. Es ist einer der ältesten Windsurf Wave-Wettbewerbe der Welt, bei dem der Sieger traditionell mit einem echten Schwert belohnt wird. Für mich also genau das richtige Aufbauprogramm. Raus aus dem großen Event-Trubel, die Abgeschiedenheit suchen, sich gleichzeitig in einzigartigen, wilden Bedingungen austoben. Und dazu die Chance, um das Schwert zu kämpfen. Nichts wie los! Vor mir lagen allerdings circa 1650 Kilometer Anreise, inklusive zwei Fährverbindungen. Außerdem gab es die noch völlig offene Frage der Unterkunft – auf dieser nur 700 Einwohner zählenden Insel der inneren Hebriden.
Ankunft auf Tiree
Nach einer ruhigen Überfahrt (dass diese auch ganz anders verlaufen kann, erleben wir auf der Rückreise, aber dazu später mehr) empfängt uns die beeindruckend karge Insel namens Tiree mit Wind fürs 4.0er, schönen zwei Meter hohen Wellen und Dauerregen am Spot „The Maze“. In den kommenden Tagen lerne ich schnell die unglaublichen Vorteile dieser weitläufig rauen Insel zu schätzen. Morgens noch Wind von links, an dem wun-derbaren Strand von Balephuil, der mich durch die intensiven Farben und durch das Kelp im Wasser ein wenig an die Strände in Südafrika erinnert. Und am Abend dann Wind von rechts, in der großen Bucht von Crossapol. Beide Spots mit erheblichem Wellenpotenzial und bisher nur wenigen Windsurfern auf dem Wasser – ideale Trainingsbedingungen also. Ebenfalls ideal war die Unterstützung von Willy, dem Veranstalter der Wave Classics von Tiree und Betreiber der Surfstation auf der Insel. Bei allen Fragen immer sofort für mich erreichbar, sorgte er umgehend für eine warme Unterkunft auf dem wirklich einzigen, aber sehr funktionalen Campingplatz der Insel. Den ersten Abend lasse ich angemessen in einem der wenigen Pubs mit Fish und Chips ausklingen.
Der Tiree Wave Classic lockt viele Teilnehmer an
Neben den Hauptwirtschaftszweigen Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus ist in diesen Tagen auf Tiree alles auf den Wave-Classic-Wettbewerb ausgerichtet . Die Insel füllt sich zunehmend mit den Bullis der Windsurfer, und das Niveau auf dem Wasser steigt merklich an. Begegnet man sich doch einmal auf den durchgehend einspurigen Straßen der Insel und nicht auf der Welle, stoppt man kurz in einer der zahlreichen kleinen Haltebuchten, hebt die Hand zum Gruß und lässt das entgegenkommende Fahrzeug passieren. Bei Schafen und Kühen, die häufiger die Straßen belagern, ist jedoch mehr Geduld gefragt.
Auffallend ist die sehr offene, freundliche und warme Ausstrahlung aller Insulaner. Wenn man auf der ansonsten beinahe menschenleeren Insel einmal auf jemanden treffen sollte, wird man schnell in einen kurzen Plausch verwickelt, bei dem man definitiv die Ohren spitzen sollte. Denn der Dialekt der Einheimischen ist nicht gerade einfach zu verstehen.
Tiree Wave Classic: Single Elimination
Skippers Meeting um 7 Uhr 50, das heißt: Aufriggen im Dunkeln, natürlich mal wieder im strömenden Regen. Es folgte ein kleines Warm-up auf dem Wasser, sobald die Lichtverhältnisse dies zulassen. Der Spot zeigt sich von seiner besten Seite: Wind fürs 3.7er und eine ordentliche logo- bis masthohe Welle sorgen für optimale Wettkampfbedingungen am ersten Tag. Es gibt verschiedene Wertungen: Pros, Damen, Amateure, Masters und auch eine für die jungen Future Pros. Für den Veranstalter gibt es deshalb an wechselnden Spots während der gesamten Woche alle Hände voll zu tun. Die nötige Logistik wird einfach per Traktor an den jeweiligen Spot, direkt an den Strand, gezogen. Entsprechende Tabellen mit der Heatorder und der Wettkampfplanung des Tages sind so jederzeit am schwarzen Brett für alle ersichtlich. Beim Wave Classic wird in Gruppen zu viert gegeneinander gefahren, daraus kommen jeweils die zwei besten weiter in die nächste Runde. Ich schaffe es bis ins Finale und erwischte dort ein paar perfekte Wellen, kann meine Sprünge sicher landen und so die Hinrunde (Single Elimination) für mich entscheiden.
Zum Schutz der Strände: Clean-up
Geographisch liegt Tiree vor der Küste Schottlands, am südlichen Ende der inneren Hybriden. Daher kriegt die Insel sowohl direkten Swell vom offenen Atlantik als auch auch die Ausläufer des Golfstromes ab. Dies bedeutet nahezu ganzjährig surfbare Bedingungen – bei einer Wassertemperatur, die selbst im tiefsten Winter nicht unter zehn bis zwölf Grad Celsius fällt. Der Fischfang gehört zu den traditionellen Wirtschaftszweigen, dessen Auswirkungen sind auch auf Tiree deutlich zu spüren.
An einem sonnigen Vormittag treffen wir uns mit allen Teilnehmern zum Clean-up an einem der wilden Strandabschnitte im Westen der Insel. Nachdem zunächst alles sehr sauber erscheint und wir keinerlei Müll entdecken können, finden wir nach kurzem Fußmarsch entlang der Wasserkante doch noch einige Überraschungen. Alte Netze, Fischreusen, Bretter und ähnliches haben sich im Wasser zu großen Klumpen verwickelt, und das Säubern des Strandes erfordert manchmal unsere ganze Körperkraft. Am späten Nachmittag ist der Anhänger voll mit den Überbleibseln aus diesem traditionellen Wirtschaftszweig. Und wir alle sind sehr stolz, wenigstens einen kleinen Beitrag zum Schutz der Strände geleistet zu haben.
Double Elimination
Während des Events zeigt die Vorhersage plötzlich einen Winddreher und somit Wind von rechts (Starboard-Tack-Bedingungen). Ich muss mich also auf eine Rückrunde (Double Elimination) mit meiner ungeliebten Windrichtung zum Springen und Waveriden einstellen. Und wie bereits erwartet, entscheidet der Veranstalter am nächsten Tag am Spot „Balephuil“, mit Wind von rechts zu starten – eine große Herausforderung für mich. Und das inmitten des bis jetzt so reibungslos verlaufenden Aufbauprogramms, nach der Enttäuschung beim letzten Weltcup auf Sylt.
Bereits am frühen Morgen treffen wir in der großen Bucht auf fantastische Bedingungen. Konstanter Wind und eine schöne, zwei Meter hohe Welle, die in regelmäßigen Sets in die Bucht hineinläuft.
Da ich durch den Sieg in der Hinrunde an erster Stelle warte, bleibt noch erheblich Zeit bis zu meinem Heat. Ich kann staunend das hohe Niveau bei den Mastern und Amateuren bewundern. Alle surfen mit hohem Risiko, schenken sich auf dem Wasser nichts – und zeigen spektakuläre Wellenritte und technisch saubere Sprünge. Zurück am Strand, gibt es immer viel zu besprechen, es wird viel gelacht und alle wirken auf mich, als würden sie zu einer großen Familie gehören.
Für meinen anstehenden Heat hat der Wind nachgelassen, die Wellen sind aber unverändert gut. Mein Gegner Lukas Meldrum erwischt einen perfekten Lauf und zeigt, warum er als möglicher Sieger und Gewinner des Schwertes gehandelt wurde. Mit einer sehr guten Wellenauswahl, hohen Aerials und flüssigem Stil kann er den Heat für sich entscheiden. Er gewinnt also die Dou-ble Elimintaion und ich die Single Elimination, das heißt: Ein Superfinale muss die Entscheidung bringen. Bei nachlassendem Wind entscheide ich mich in letzter Sekunde für das 4,7er Segel, in Kombination mit einem 90 -Liter-Board – damit fühlte ich mich von der ersten Sekunde an sehr wohl. Mit der Auswahl der richtigen Sets und einem guten Timing auf der Welle gelingt mir dieser Heat deutlich besser. Unter dem Motto „all or nothing“ und der nötigen Risikobereitschaft im richtigen Moment kann ich das Superfinale für mich entscheiden. Damit sehe ich die besondere Trophäe bereits in meinen Händen, sollte aber erneut überrascht werden.
Einer der windigsten Orte der Welt
Nach ein paar Tagen auf dem Campingplatz ergibt sich für uns dann doch noch ein Umzug in ein Haus direkt am Strand. Tiree bietet verschiedene Unterkünfte für fast alle Ansprüche. Diese liegen oftmals entweder direkt am Spot beziehungsweise am Strand, allerdings ist die Nachfrage aufgrund des begrenzten Angebotes recht hoch. Man sollte sich daher rechtzeitig vorher um eine Bleibe bemühen. In den Sommermonaten ist Tiree aufgrund der wunderschönen Strände bei Touristen sehr beliebt, im Herbst und Frühjahr dagegen ist der Tourismus deutlich weniger ausgeprägt. Die Wintermonate gehören den Stürmen, es sind kaum noch Strandspaziergänger anzutreffen. Die zahlreichen Spots der Insel zählen, jedenfalls laut Statistik, zu den windigsten Orten auf unserem Globus.
Neben den Windsurfern, die in der Surfschule von Willy an einem der stehtiefen Seen auch sehr gute Bedingungen und professionelle Schulungen für Anfänger vorfinden, sind die Strände auch bei Wellenreitern sehr beliebt. In der Balevullin Bay im Nordwesten befindet sich ein kleiner Brettverleih inklusive Schulungsmöglichkeit direkt am Strand.
Triple Elimination
In den nächsten Tagen zeigt die Insel Tiree, warum sie zu den windigsten Orten der Welt zählt: Die Organisatoren entscheiden sich aufgrund der außerordentlichen Wind- und Wellenvorhersage, noch eine weitere Runde durchzuführen (Triple Elimination). Der Spot „The Maze“ liefert erneut herausragende Bedingungen. Bereits sehr früh dürfen sowohl die Damen als auch die Masters und Amateure zu einer weiteren Elimination aufs Wasser. Wie vorhergesagt verschlechtern sich die Bedingungen im Tagesverlauf ein wenig. Ich muss bei nachlassendem Wind meine Position an erster Stelle gegen den mehrfachen Wave-Classic-Sieger und ehemaligen Worldcupper Phil Horrocks verteidigen.
Phil setzt im Finale alles auf eine Karte und zeigt den Judges und den zahlreichen Zuschauern am Strand, dass er noch immer auf höchstem Niveau unterwegs ist. Bei den Sprüngen erwische ich im Vergleich die etwas besseren Rampen und kann mit dynamischen Wellenritten letztlich entscheidend punkten.
Nach der Triple Elimination liegt die ersehnte Trophäe dann endlich in meinen Händen: Ich habe mir mit dem Sieg bei einem der ältesten Windsurfwettbewerbe der Welt einen kleinen Traum erfüllt.
Heimreise mit reduzierter Geschwindigkeit
Tiree hat uns mit ihrem kernigen Charme verzaubert, die zwei Wochen auf der Insel vergehen viel zu schnell. Nahezu durchgängig windig, märchenhaft schöne, wilde Strände, unterschiedlichste Trainingsbedingungen und die herrlichen Abende – mit den Geschichten des Tages, im Pub unter Freunden. All das lässt uns sehr wehmütig die Rückfahrt antreten. Zu gerne würden wir noch länger bleiben. Die Fährverbindungen sind in dieser Jahreszeit nur begrenzt, die Kapazitäten auf dem Schiff ebenfalls, so dass auch hier eine rechtzeitige Buchung empfehlenswert ist. Als sich auf dem Heimweg ein altes Fischernetz am einem der Stabilisatoren verfängt, werden wir daran erinnert, dass zum Schutz unserer Meere noch einige Anstrengungen erforderlich sein werden. Nach einigen erfolglosen Versuchen des Kapitäns, das stark verwickelte Netz durch radikale Lenkmanöver zu lösen, entscheidet er sich einfach, mit reduzierter Geschwindigkeit die Heimreise fortzusetzen. Wir erreichen mit leichter Verspätung das schottische Festland und treten mit der Gewissheit, dass wir wiederkommen werden und viele Geschichten im Gepäck haben, die lange Heimreise Richtung Kanaren an.
Zusätzliche Informationen zu Tiree
Haupt-Spots mit teilweise begrenzten Parkmöglichkeiten am Strand
- Crossapol
- Balephuil Bay
- The Maze
- Balevullin Bay
Weitere Infos zu Tiree
- Surfschule und Verleih: Wild Diamond
- Fährverbindungen: Caledonian MacBrayne
- Camping: Tiree Campsite
- Sonstige Informationen: Tiree Community Development