Während eines nicht enden wollenden Lockdowns machte ich mir eine Liste von Ländern, die ich unbedingt bereisen oder entdecken wollte. Jede dieser Destinationen erhielt einen Vermerk mit bester Reisezeit für Wind und Wellen und mit wem ich dieses Abenteuer angehen wollte.
Dank des Windsurfens habe ich schon viel von der Welt gesehen und jede einzelne Reise hat mich geprägt und bereichert. Neue Länder zu erkunden, lernen sich zu organisieren, neue Freundschaften zu schließen und mit Erinnerungen, die dir keiner nehmen kann, in deinen Alltag zurückzukehren – das ist es, was Reisen für mich interessant macht. Jede Reise verändert dich, macht dich zu einem weltoffenen Menschen und schärft deinen Blick für die Dinge, die im Leben wirklich wichtig sind!
Klar, das angestrebte Reiseziel muss nicht zwangsläufig immer am anderen Ende der Welt liegen, denn auch viele lokale Spots haben ihren Reiz. Auch im Hinblick auf unseren CO2-Fußabdruck, sicher ein Thema, was zu bedenken ist. Wie kann man guten Gewissens an eine Flugreise denken? Ist das nicht egoistisch?
Alles ist vergänglich, und so können sich auch Freiheiten ändern. Sei es durch politischen Wandel, Gesundheit, finanziellen Status oder wie auch immer. Ich denke, hin und wieder neue Impulse zu setzen und neue Horizonte zu entdecken, kann sehr erfrischend sein. Es geht natürlich auch um das richtige Maß und die Art und Weise des Reisens – aber dauerhaft in meiner Heimatstadt Saarbrücken zu sein, ist dann auch keine Option.
Als sich die Infektionslage in Europa im Frühjahr 2021 zu entspannen schien und die Länder ihre Grenzen langsam wieder öffneten, entschied ich kurzerhand meine Wunschliste zur Hand zu nehmen und die Gunst der Stunde zu nutzen, um nach Portugal aufzubrechen.
Aus unerklärlichen Gründen habe ich es, außer zu kurzen beruflichen Abstechern wie einem Event in Guincho oder einem Fotoshooting an der Algarve, nie wirklich geschafft, mir das Land und sein unendliches Potenzial für Wellen genauer anzuschauen. Ich wollte zusammen mit meiner Familie die Küste entdecken und einfach neue Impulse sammeln und auf Entdeckungsreise gehen.
Geplant ist ein Roadtrip mit Campervan entlang der Küste. Der thermische Wind „Nortada“ verspricht in den kommenden Tagen ordentlich Gas zu geben und so entschließen wir uns, nach Lissabon aufzubrechen und vor Ort ein ausgebautes Wohnmobil zu mieten.
Gesagt getan, samt Boardbags, Maxi Cosi, Kinderwagen, Corona- Tests für die ganze Familie, sitzen wir, Maluka (1), Keano(4) und meine Frau Marie ein paar Tage später nach einem dreistündigen Flug in Lissabon und nehmen unseren Campervan in Empfang. Es ist ein ausgebauter Bus, der mit vier klappbaren Betten und zusätzlichem Stauraum für mein Surfgepäck ausgestattet ist.
Surf-Spots entlang der Route
GUINCHO
Der erste Stopp auf unserer Reise ist der ehemalige Worldcup-Spot Guincho, der etwa 30 Minuten außerhalb von Lissabon liegt. In einem nahegelegenen Dorf fragen wir einen Bauern nach Erlaubnis, um auf seiner Wiese campieren zu dürfen. Mit Blick auf das Meer finden wir zwischen zwei Hügeln eine Wiese, auf der wir uns in den nächsten Tagen niederlassen. Besser als jedes Hotelzimmer. Freiheit pur.
In den darauffolgenden Tagen zeigt sich der Windrhythmus extrem familienfreundlich – in den Morgenstunden herrscht meist Flaute am Strand, perfekt für ein Strandfrühstück, mittags eine leichte Brise, genau richtig um die umliegenden Märkte oder Spielplätze auszukundschaften und nachmittags baut sich dann mit großer Zuverlässigkeit der recht frische Nordwind auf, der bis zum Sonnenuntergang aus allen Rohren durch die Bucht von Guincho ballert. Meist fahre ich gut angepowert mein 3,7er-Segel. Eine ein bis zwei Meter hohe und kraftvolle Windwelle donnert auf die seichte Sandbank. Der Wind weht sideshore über die grünen Hügel in die Bucht und kann im Uferbereich recht böig werden. Dadurch wird das Rauskommen über den Shorebreak manchmal zur Lotterie. Weiter draußen trifft man dagegen auf zwei bis drei Meter hohe Rampen, von denen man sich locker in den Orbit beamen kann.
Nach den täglichen drei Stunden Vollgas auf dem Wasser komme ich platt zurück zu unserer „Luxus Suite“. Die Kinder schlafen dann meist schon und nach einem guten Essen frisch vom Camping-Kocher machen wir auch die Lichter aus.
ERICEIRA
Das Eldorado für Wellenreiter ist eigentlich bekannt für seine cleanen Reefbreaks und somit mit Wellenreitern relativ überlaufen. Wenn der „Nortada“ aber in Gang kommt, hat man den Spot meist für sich alleine. Vor allem, wenn es in Guincho fast zu stark ist, findet man 50 Minuten nördlich in Ericeira brauchbare Wellen mit Wind für 4,7. Der Stadtstrand in Matadoura ist zwar recht steinig, aber sobald man die vorgelagerten Felsen passiert hat, bricht eine saubere Welle vor einer Steilküste, die drei bis vier gute Turns zulässt. Auch hier ist die beste Zeit für eine Session gegen Nachmittag, wenn sich die abendliche Thermik am besten durchsetzt.
Mit von der Partie ist unerwartet der spanische Ripper Nacho Rocha, ein Kumpel von Victor Fernandez, mit dem ich schon etliche Sessions rund um den Erdball geteilt habe. Er kennt die Spots in der Umgebung und die besten Bars in der Altstadt. Es ist ein schönes Städtchen mit besonderem Flair aus südländischer Gelassenheit und alter Seefahrertradition. Es riecht nach frischem Fisch, gepaart mit salziger Meeresluft. Nach einem Essen in einer einfachen Bar torkeln wir, mit ein paar Bier zu viel intus, durch die engen Gassen zurück zu unseren mobilen Herbergen.
VIANA DO CASTELO
Nahe der spanischen Grenze im Norden Portugals befindet sich Viana do Castelo. Die Vorhersage sieht gut aus für die folgenden Tage und so folgen wir der Einladung des Sporthotels Feelviana, bei dem Wassersport großgeschrieben wird. Obwohl wir uns in unserem Bus ganz wohlfühlen, schlagen wir das Familienzimmer, das uns netterweise von der Hoteldirektion angeboten wird, nicht aus. Wir planschen mit den Kindern im Pool, unternehmen Bike-Ausflüge in die Altstadt und nachmittags geht’s für mich wie immer aufs Wasser. Die Wellen sind klein, aber fein und laufen mit großen Abständen in die Bucht. Da die Wellen selten höher als eineinhalb Meter werden, kommen hier vor allem Wave-Einsteiger und Freeride-Piloten auf ihre Kosten. Als Familie ist es für uns eine nette Abwechslung zum „spartanischen“ Busalltag – der aber auch seine Vorzüge hat. Nach einem zweitägigen Wellness-Programm sind wir jedoch wieder „on the road“ und folgen dem Wind gen Süden.
VAN LIFE
Ich liebe das Reisen im Bus, die maximale Flexibilität, bei der du spontan auf Wind und Wetter reagieren kannst. Deshalb ziehe ich ein simples Bett im Bus einem noblen Hotelzimmer vor. Klar ist auch, dass die Infrastruktur an den meisten Strandparkplätzen nicht für das Wildcampen ausgelegt ist und die Behörden in dieser Beziehung keinen Spass verstehen. Vor allem in Portugal fehlt es in der Regel an sanitären Anlagen und großen Mülleimern. Nichtdestotrotz sind die Vorzüge eines mobilen Zuhauses in Surfspotnähe unübertroffen, sofern du dich an Regeln hältst, die dir als surfender Gast in einem fremden Land eigentlich klar sein sollten. Respekt wird somit groß- geschrieben. Wenn du zudem mit einer Familie unterwegs bist, ist es wichtig zu wissen, dass es an den entsprechenden Locations windgeschützte Orte oder ein schattiges Plätzchen gibt und die Voraussetzungen für eine gute Zeit für Frau und Kindern gegeben sind. Nach der Devise „happy wife, happy life“ war es daher hilfreich, in den Morgenstunden Familienzeit und Alternativprogramm einzuplanen. Auch wenn es nicht mein eigenes Womo war, hat mich das Konzept von Campern, die man bequem für eine gewisse Zeit mieten kann, überzeugt.
FAZIT:
Während ich diese Zeilen tippe (Juni 2021), ist Portugal erneut im Lockdown. Ich bin dankbar für die Chance, mit meiner Familie neue Horizonte entdecken zu können und ausgiebig Zeit auf dem Wasser verbracht zu haben. Mit einer Windausbeute von 100 Prozent kann man sich sicherlich nicht beschweren. Das Wissen, wo wann die besten Wellen- und Windbedingungen herrschen, war durch die thermischen Winde nicht immer leicht vorhersagbar. Und so hörte ich auf den Rat eines Local-Windsurfers, der mir sagte „komm jeden Tag gegen 16 Uhr zum Strand, dann sollte es funktionieren.“ Nach zwei Wochen Portugal geht es mit vielen guten Erinnerungen im Gepäck zurück nach Deutschland. Adieu und hoffentlich bis zum nächsten Mal.
Spot Infos
Flüge:
Fast alle europäischen Fluggesellschaften fliegen Lissabon an, das 30 Minuten von den ersten Surfspots entfernt liegt.
Mietwagen:
Mobil zu sein ist ein Muss, um auf den Wind reagieren zu können. Mietwagen gibt es bei den klassischen Vermietern am Airport. Wer Auto und Unterkunft in einem mieten will, findet bei Indie Campers eine preiswerte Gelegenheit. Je nach Größe und Reisezeit variieren die Preise stark. Das Mobil von Flo kostet beispielsweise im Juli etwa 100 Euro pro Tag. www.indiecampers.de
Klima und Wind:
Die Luft ist in den Sommermonaten durch den kalten Nortada-Wind recht frisch. Ein dicker Pullover ist am Abend Pflicht. Der Atlantik kommt selten über 18 Grad, daher ist es gut, zumindest einen Shorty oder sogar einen 4/3 mm-Neo im Gepäck zu haben.
Die beste Zeit zum Windsurfen ist von Mai bis September. Die Hauptwindrichtung ist dabei Nord-Nordost. Der Wind entsteht in erster Linie durch ein Hitzetief über der Iberischen Halbinsel und ein Azorenhoch über dem Atlantik. Meist baut sich der Wind über den Tagesverlauf stetig auf und kann vor allem an Spots wie Guincho gegen Nachmittag Sturmstärke erreichen.
Kosten:
Ein Portugal-Trip wird deine Reisekasse meist nicht sprengen: Für wenig Geld gibt’s gute Unterkünfte, leckeres Essen und selbst Flüge nach Portugal sind bezahlbar, genauso wie ein PKW Mietwagen, der ab 15 Euro pro Tag zu haben ist.