Diese Spots stellen wir vor:
“Leichen im Keller haben“ – dieses Sprichwort dürfte vermutlich aus Sant Antioco stammen. Wer heute durch die verträumten Gassen des Ortes Sant Antioco auf der gleichnamigen Insel am Südwestzipfel Sardiniens schlendert, ahnt nicht, dass er im wahrsten Sinne des Wortes „über Leichen geht“. Die Phönizier erkoren die Insel dank ihrer strategisch guten und der geschützten Lage als Standort für einen Hafen aus und gründeten die Stadt Sant Antioco. Um ihre Toten zu bestatten, schlugen sie Grabkammern in den weichen Tuffstein unter der Stadt, bis praktisch der gesamte Hügel mit einem Tunnelsystem untergraben war. Auf dem Opferplatz wurden den Göttern regelmäßig Brandopfer dargebracht.
Pragmatisch wie die Sarden sind, werden die leeren Grabkammern direkt unterhalb der Häuser heute entweder als kühle Kellerräume oder in den heißen Sommermonaten sogar als Schlafplatz genutzt. So kann man auch die Klimaanlage sparen.
Lokale Thermik macht Sa Barra zu einem der windsichersten Orte Sardiniens
Kommt man als Windsurfer nach Sant Antioco, könnte man meinen, dass hier einst auch den Windgöttern geopfert wurde, denn Sa Barra, etwa fünf Kilometer nördlich der Inselhauptstadt gelegen, dürfte einer der windsichersten Orte Sardiniens sein.
Die Insel ist durch einen bereits zur römischen Besatzung Sardiniens aufgeschütteten Damm mit dem Festland verbunden. Lediglich ein schmaler Kanal gibt die Möglichkeit zum Wasseraustausch. So bildet sich eine Lagune, an deren nördlichen Ende Sa Barra liegt. Bedingt durch die Berge auf dem Festland und die Hügel auf Sant Antioco ergibt sich so eine perfekte Düse für den lokalen Thermikeffekt.
Die Lagune ist durch eine weitere vorgelagerte Insel, namens Carloforte, geschützt. Dadurch ist das, was für die begnadeten phönizischen Seefahrer der perfekte Hafen war, heute für Windsurfer das perfekte Freestyle- und Freeriderevier.
Sa Barra ist das Zauberwort, das bislang vor allem italienischen Windsurfern ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Zahlreiche nationale Freestyle- und Slalomwettkämpfe haben hier bereits stattgefunden und aufgrund der perfekten Bedingungen leben inzwischen auch einige italienische Surfprofis auf Sant Antioco. Luigi „Giggi“ Maddedu hat mit seinem Windsurfclub hier die perfekte Infrastruktur geschaffen, die so ziemlich jeden Windsurfer begeistern dürfte.
8 bis 11 Knoten bei Windfinder reichen für das 4,8er
Weil es hier auf dem Wasser noch nicht so voll ist wie anderswo, sind die Locals entspannt und freundlich. Auch dass hier alle Könnensstufen – vom Anfänger bis zum Freestyle-Worldcupper – gemeinsam surfen können und der Spot ausschließlich für Windsurfer reserviert ist, trägt maßgeblich zur entspannten Atmosphäre bei. Aufgrund einer Vereinbarung der Einheimischen halten sich alle Kitesurfer weiter in Luv, nördlich der Landzunge von Punta Trettu auf, so dass mehr als ausreichend Platz für jeden auf dem Wasser ist.
Dabei sollte man nicht den Fehler machen und sich von einer typischen Windvorhersage abhalten lassen. „Sieht doch super aus, schau mal 8-11 Kn aus NW!“, anworteten die Locals während meines Besuches auf meinen Hinweis auf die doch eher klägliche Vorhersage für die kommenden Tage. Ich hatte zunächst den Verdacht, die Surfer hier würden alle entweder zu viel lokalen Wein, oder den meist zuhause hergestellten sardischen Mirto-Schnaps, konsumieren. Die nächsten Tage zeigten aber, dass man aufgrund der lokalen Verstärkung des Windes schon bei den angesagten wenigen Knoten durchaus Grund hat, mit Wein oder besagtem Mirto auf einen gelungenen Surftag anzustoßen. Meldeten Windfinder & Co 8-11 Knoten aus NW, reichte das aufgrund der thermischen und lokalen Verstärkung locker für das 4.8er-Segel.
Auch einen Wavespot hat Sant Antioco zu bieten
Sant Antioco hat allerdings mehr als nur Flachwasser zu bieten. Die Locals Giovanni und Rossel nahmen mich mit auf die andere Seite der Insel, wo ein schmaler Weg an einer Felsenküste endet.
Hier bricht eine Welle sauber über ein Felsenriff – an diesem Tag sehr nah an den Felsen, da die Wellen noch relativ klein waren. Trotzdem hatten wir Spaß in den sauberen Riffwellen und machten erst Feierabend, als die Sonne langsam hinter dem Leuchtturm an der Inselspitze malerisch im Meer versank und das sardische Bier Ichnusa so richtig gut schmeckte.
Dass der Wavespot bei Calasetta nicht immer ganz harmlos ist, zeigt eindrucksvoll das Schiffswrack auf dem Riff etwas in Luv des Surfspots. Mit Heimathafen Kiel war es ausgerechnet ein ehemaliger deutscher Olympiasieger, der hier Strömung und Wellen unterschätzte und einen Totalverlust zu beklagen hatte.
Trotz der äußerst mageren Vorhersage war mein Trip in den tiefen Süden Sardiniens dagegen alles andere als ein Totalverlust. An den wenigen Tagen, an denen die Thermik erst gegen Mittag auf Touren kam, war ich mit dem Mountainbike im menschenleeren Gebirge unterwegs, erkundete die Geisterstädte der verlassenen Bergwerke, um pünktlich mit dem Wind am Mittag zurück in Sa Barra zu sein und einen weiteren Tag auf dem Wasser zu genießen. Ich kann nach meiner Zeit tief im Süden Sardiniens nur sagen, dass das sardische Sprichwort stimmt:
„Arribasa cha sesi unu forestieru, tindiandasa cha sesi unu amigo – Komm als Fremder, fahre heim als Freund!“
Revierinfos Sant Antioco/Sardinien
Reisezeit, Klima und Neoprenempfehlung
Sant Antioco wird von verschiedenen Windsystemen befeuert – laut Aussage der Locals sind die Bedingungen an 250 Tagen im Jahr windsurftauglich: Verantwortlich dafür ist einerseits der Mistral aus West bis Nordwest, der seinen Ursprung im Süden Frankreichs hat, vor allem im Winterhalbjahr oft mit Sturmstärke auftritt und auf seinem Weg übers offene Mittelmeer solide Wellen aufbaut.
Darüber hinaus wird Sant Antioco im Sommerhalbjahr (März bis September) von einer verlässlichen Thermik aus West bis Nordwest verwöhnt. Eine Vorhersage von 7-8 Knoten aus WNW bedeutet in der Regel einen soliden Surftag, mit Gleitwind ab Mittag und satten 5-6 Bft. am Nachmittag. Aber auch richtig starke Tage für Segel deutlich unter 5 qm sind keine Seltenheit. Auch Scirocco (SO) wird durch lokale Effekte deutlich verstärkt und kommt in Sa Barra sideshore von rechts. Damit der Wavespot Calasetta funktioniert, ist Mistral aus WNW-NW mit über 25 Knoten nötig.
Im Winter sinkt das Thermometer kaum unter 14 Grad, ein 5/3er-Neo ist immer fahrbar, im Sommer tut‘s bei durchschnittlich 26 Grad (August) ein Kurzarm oder Shorty. Schuhe sind aufgrund der teilweise felsigen Einstiege von Vorteil.
Anreise
Günstige Airlines wie EuroWings, Alitalia, TuiFly oder Ryan Air fliegen regelmäßig aus Deutschland nach Sardinien, etwa nach Olbia, Alghero oder Cagliari. Wie immer sollte man Material vorher anmelden und die Gepäckbedingungen der jeweiligen Airline checken. Mietwagen über die etablierten Anbieter zu buchen ist oft teurer als über lokale Portale wie www.rent.it. In jedem Fall sollte man auf ausreichende Versicherung des Fahrzeugs achten. Perfekt ist die Anreise mit eigenem Gefährt via Fähre, z.B. von Livorno, Piombino, Genua, Civitavecchia, Neapel oder den südfranzösischen Häfen Nizza und Toulon.
Auf Sardinien selbst gibt es keine Autobahngebühren, allerdings ist die Insel größer als man denkt. Für die 290 Kilometer von Olbia nach Sant Antioco kann man ca. vier Stunden Fahrzeit einkalkulieren.
Wohnen & Campen
Sardinien ist ideal für Campingurlaube. Während in der Nebensaison Wildcampen noch geduldet wird, ist in der Hochsaison schnell Schluss mit lustig – Wildcampern drohen dann bis zu 500 Euro Bußgeld. Legale Alternativen gibt es überall zur Genüge in Form von schönen Campingplätzen. Rund um Sant Antioco sind für Camper folgende Plätze empfehlenswert:
- Camping Tonnara
- Camping Le Saline
Über www.fewo-direkt.de oder andere Anbieter finden sich viele Wohnangebote, gerade in der Vorsaison lässt sich oft noch handeln! Local Giggi Maddedu vermittelt auch Unterkünfte auf Sant Antioco (Mail: gigimadeddu@sabarra.it).
Surfschulen
Wer mobil sein will und auch die anderen Spots im Umkreis von Sa Barra surfen will – etwa Chia an der Südküste oder die Wavespots an der wilden Westküste – kommt um eigenes Material nicht herum. Flachwasserfans können an den Windsurfing Clubs in Sa Barra und Spiaggia Grande (www.sabarra.it) aktuelles Material ausleihen, hier gibt es auch Duschen, Toiletten und sonstige Infrastruktur.
Surfshops
Der nächste Shop “Wipe Out” befindet sich in Cagliari:
Alternativprogramm
Sardinien ist bergig und wunderschön – Wandern, Biken, SUPen oder Wellenreiten an der Westküste sind nur einige der möglichen Alternativen.
Schattenseiten
Sardinien ist ein recht sicheres Reiseziel, in touristischen Gebieten und Städten gibt es jedoch immer wieder Meldungen über aufgebrochene Womos und Autos.
Die besten Windsurf-Spots rund um Sant Antioco
1. Sa Barra
Große Lagune zwischen dem sardischen Festland und der Insel Sant Antioco. In Lee verhindert der Damm zwischen Sant Antioco und dem Festland ein Abtreiben und auch viele stehtiefe Bereiche sorgen für Sicherheit. Ein wenig auf Fischerleinen achten, ansonsten gibt es keinerlei Hindernisse und viel Platz für alle Könnensstufen, um unter Labor-Flachwasserbedingungen an dem nächsten Manöver zu üben. In der Mitte der 2,5 Kilometer breiten und rund sieben Kilometer langen Lagune laufen bei starkem Wind Chops bis zu einem Meter Höhe, die zum Springen und Freestylen einladen. Einen kostenpflichtigen Zugang gibt es am Parkplatz an der Surfstation von Giggi Maddedu, der aufgrund der engen Wege allerdings nicht für übergroße Wohnmobile geeignet ist. Beste Windrichtung ist Nordwest, dann hat man aufgrund der lokalen Thermik und Lage deutlich mehr Wind als vorhergesagt wird. Auch Südost, also Scirocco, ist perfekt sideshore und sorgt der Statistik nach für 250 Surftage im Jahr – und das ohne Kiter!
2. Calasetta
Im Westen von Calasetta führt ein schmaler Weg über eine Hügelkuppe in Richtung des Punta della Salina. Von dort hat man den Wavespot vor sich im Blick. Die Welle bricht bei Sideshorewind von rechts über ein flaches und teilweise scharfes Felsenriff. Damit die Welle nicht nur in Ufernähe auf die Felsen bricht, ist starker Mistral und eine Wellenhöhe von mindestens 1-1,5 Meter nötig. Auch richtig fette Tage mit logohohen Sets kommen vor, ohne dass der Spot dann übermäßig gefährlich wird – nach einem Sturz zieht einen die moderate Strömung automatisch nach Lee in tieferes Wasser und Ausstiege über die Felsen bleiben einem erspart. Der Zugang erfolgt über Steine, daher ist Calasetta nicht unbedingt ein Einsteiger-Wavespot. Damit der Spot funktioniert, muss es über mehrere Tage Wellen aufbauen, denn aufgrund der Abdeckung der vorgelagerten Isola di San Pietro kommt hier immer deutlich weniger Welle an, als an den Top-Spots der sardischen Westküste, wie Capo Mannu oder Funatana Meiga. Und sonst? Begrenzte Parkmöglichkeiten, keine sanitären Anlagen.
3. Spiaggia Grande
Südwestlich des Wavespots Calasetta warten in der großen Sandbucht ein weiterer unkomplizierter Flachwasserspot auf Aufsteiger und Flachwasserfans. Angesichts der geschützten Bucht, in die sich Wellen bei SW-W nur in homöopathischen Dosen verirren, ist es kein Wunder, dass hier eine zweite Surfstation eröffnet hat. Genau wie in Calasetta ist der Wind immer ein bis zwei Windstärken leichter als in Sa Barra. Bei starkem Mistral (NW) verirren sich auch ein paar kleine Wellen in die Bucht. Insgesamt ein schöner Spot mit tollen Wasserfarben und einem großen Windfenster.
4. Punta Trettu
In Luv der Lagune und auf dem Festland gegenüber von Sa Barra gelegen befindet sich mit Punta Trettu eine weitere Flachwasseralternative. Das Wasser rund um die Landzunge ist relativ flach, weshalb eine kurze Finne kein Fehler ist. Aufgrund der angesiedelten Kitestation sind hier viele Schirme zu sehen und man sollte sich dessen bewusst sein, dass Punta Trettu, zumindest inoffiziell, ein Kitespot ist. Trotzdem gibt es genügend Platz auf dem Wasser, das Windfenster ist groß – abgesehen von Nordostwind, der ablandig und böig ankommt, sind quasi alle Windrichtungen fahrbar. NW kommt vergleichbar stark wie in Sa Barra. Einzig die Industriekulisse in Luv stört das Bild etwas.
5. Porto Botte
Auch dieser rund zehn Kilometer südlich der Lagune gelegene Flachwasserspot profitiert noch von der lokalen Düse zwischen Sardinien und Sant Antioco – Mistral wird ebenfalls verstärkt. Porto Botte empfiehlt sich als sehr unkomplizierter und teilweise stehtiefer Spot für alle Aufsteiger und Flachwasserfans. Bei NW kann man hinter einer Landzunge feines Flachwasser finden, weiter draußen gibt’s einige Chops zum Springen. Auch Scirocco (SO) ist hier gut fahrbar, dieser weht je nach Strandabschnitt auflandig bis sideshore von links.