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Stell dir vor, du musst auf Maui dein Beachbier nicht aus der Tüte trinken, dein Apartment nicht mit einem Monatslohn bezahlen, deine Surfsession zur falschen Zeit nicht mit einer Anzeige und deinen Flug nicht mit vier Urlaubstagen. Kein Local droht dir Prügel an und statt pappigem Hamburger gibt’s himmlische Souvlaki. An der Immigration steht kein grimmiger Cop, sondern ein Welcome. Und statt Stars and Stripes wehen dir vertraute zwölf goldene Sterne entgegen.
Willkommen auf Limnos, dem Maui des Mittelmeers. Das Inselchen in der Nord-Ägäis liegt in der Wurzelzone des sommerlichen Meltemis – der mediterranen Ausgabe der Tradewinds. Der Windsurf-Profi und Local Aleksandar Avdzhiev bekommt ein Leuchten in die Augen, wenn er von God’s own Island spricht: „Mehr als 100 Strände birgt die gewaltige Küstenlinie, nach meiner Zählung gibt es mehr als 30 Buchten, die fürs Windsurfen geeignet sind“, meint der Freestyle-King von Limnos.
Am Anfang erschuf Gott das Wasser. Und dann die Windsurfer. Erst lang, ganz lang danach folgten die Kiter, die ohne die Surfer niemals entstanden wären”
Natürlich ist auch das 30 Kilometer lange Limnos von bunten Schirmen überwölkt, aber die Windsurfer sind hier die autochtonen Wassersportler: „Am Anfang erschuf Gott das Wasser. Und dann die Windsurfer. Erst lang, ganz lang danach folgten die Kiter, die ohne die Surfer niemals entstanden wären“, sinniert Freestyler Aleksandar. Für diese Worte von philosophischer Wucht möchte man ihn fast „den Großen“ nennen, wenn der Name nicht seit 2376 Jahren vergeben wäre.
Die Bucht von Keros bildet das komplette Spektrum des Windsurfens ab
Die Windsurfer zeigen schon auf dem Autodach, dass sie auf Limnos eine Macht sind: Waveboards, die frisch gebadet den staubigen Porsche 911 veredeln, Slalomboards der neuesten Generation auf dem Sechser-BMW zeigen finanzielle und fahrtechnische Power. Dabei braucht man gar keine sechs Zylinder, um Limnos zu entdecken – eigentlich genügt ein Fahrradanhänger: Das Herz der Wassersportszene schlägt nämlich in der Hauptbucht Keros, an der alle Wassersport-Center sitzen. Die drei Kilometer lange und 2,4 Kilometer breite Bucht bildet das ganze Spektrum unseres Sports ab. Der Wind streicht von Norden über eine Landnase, die wie eine Staumauer alle Wellen wegfiltert. Eine türkisfarbene, glattgebügelte Freestyle-Piste wird für Aleksandar und seine Schüler zur Bühne für Burner, Skopus, Kabikuchis oder Spock Konos. Wem das Segel-Wedeln zu anstrengend ist, der verkeilt sich in den Schlaufen und knackt auf leichtem Raumkurs seinen persönlichen Speedrekord – falls ihm kein Spock-Rocker vor den Bug fällt.
Wenn man sich in die Vollgas-Phalanx einreihen will, muss man entweder ganz im Norden der Bucht ins Wasser steigen, oder auf dem Brett nach Luv stampfen – bei 30 Knoten Rohstoff im Segel ist das ein Ritt über Hunderte von Kabbelwellen, weil der Mittelteil der Bucht vom Winde verbeult wird.
Aber das Happy End ist nicht weit entfernt – die Chop-Hügel laufen, vom Winde getrieben, in den südlichen Teil der Bucht. Dort treffen sie nach einer drei Kilometer langen Reise wieder auf eine Landnase. Und siehe da, aus kleinen lästigen Wasserpickeln werden schöne, lange Lines, die im sommerlichen Meltemi gerne eineinhalb Meter hoch werden. Keros cool – in Sichtweite einer Speedpiste liegt ein Wavespot, und du brauchst nicht einmal ein Auto, um von der Schnellstraße ins Waveparadies zu wechseln. Okay, zugegeben, die Kleiderordnung stimmt nicht. Mit einem Slalomsegel macht Waveriden vielleicht nicht soviel Spaß.
An vielen Windsurfstationen der Welt herrscht Monotonie wie im heimischen Büro: Jeden Morgen dieselben Gesichter beim Aufriggen, der ewig gleiche Kurs, als würde man auf Gleisen gleiten. Du kommst dir vor wie ein Straßenbahnführer.
Gomati, das Hookipa des Mittelmeers
Ganz anders die Fun-Weeks im Mikrokosmos Limnos. Die Windsurfer hier sind mobil wie die Mongolen. Wenn du morgens deinen SUV (Suzuki-Urlaubs-Vehikel) bepackst, haben deine Kumpels schon den Forecast geschickt: „Heute geht Gomati.“ Eine Nachricht wie ein Donnerhall – Big Day im Ho’okipa des Mittelmeers. 40 Kilometer über kurvige Gebirgsstraßen und staubige Rüttelpisten stehen dem Motor-Muli bevor, bis zwei Schilder den Fahrer zu einer Entscheidung zwingen: Gomati Ammothines für Quereinsteiger und Sonnenbader bitte links, Gomati Pirgos für Hardcore-Waverider und Waschgänge geradeaus. Der Lärm der Wellen ist jetzt schon lauter als die Musik aus dem Autoradio. Auf dem kleinen Parkplatz stehen ein paar Surfer und gucken sich die Klopfer an, die auf den Sandstrand klatschen.
Wer Angst hat vor dem Am-Wind-Kampf durch die Klopfer, der fährt besser auf einer abenteuerlichen Sandpiste (Sahara für Anfänger) ans Nordwestende der Bucht und steigt dort sicher durch die Hintertür ein – Wellness für Wavenovizen.
Das Salz, das nach einigen Waschgängen auf der Zunge liegt, spült man anschließend in der nahen Dolphin-Taverne mit einem kühlen Bier runter. Auch die Fiki-Fiki-Bar bietet sich für eine Mast-Survival-Feier an. Aber keine falschen Erwartungen: Fiki Fiki nennt man auf Limnos Seegras, das die winterlichen Stürme am Strand aufgeschichtet haben.
Die besten Windsurf-Spots auf Limnos
1) Keros
Es gibt Windsurfer, die 14 Tage lang die Bucht nicht verlassen – kein Wunder, sie bietet ja fast alles. Und doch versäumt man unendlich viel, wenn man die anderen Spots nie checkt. Die Keros-Bucht mit einer Länge von drei Kilometern und einer Breite von 2,4 Kilometern liegt auf einer Nordost-Südwest-Achse. Der Wind kommt bis Mittag meist aus Nordost (Zeitanteil: 25 Prozent), nachmittags bläst er aus nördlichen Richtungen (ebenfalls 25 Prozent). Die Bucht gilt als sicherer „Hafen“, kein Anfänger kann verloren gehen. Nördlich des Siroko-Centers liegt ein großer Stehbereich mit Stehtiefe und sandigem, steinlosen Untergrund, in dem die Schulen Einsteigerunterricht geben. Die türkise Badewanne ist ideal fürs Wasserstart-Training. Der Wind ist besonders aus Nord mitunter böig. Im Norden der Bucht liegt eine glattpolierte Flachwasserpiste, weiter südlich wird’s choppy. Die Bedingungen sind auch für Aufsteiger geeignet. In der Bucht haben sich drei große Stationen niedergelassen: Siroko (Deutsch, Englisch, Bulgarisch) sowie ein polnisches und ein griechisches Center. Siroko-Stationsleiter Aleksandar Avdzhiev empfiehlt für Freestyler bei starkem Meltemi ein 90- bis 100-Liter-Brett und 4,8er-Segel.
2) Aliki
Die Bucht nördlich von Keros wird als morgendliche Alternative gerne von Foilsurfern und -kitern bevölkert. Sie haben in der 4,6 Kilometer langen und fast zwei Kilometer tiefen Bucht viel Platz für unbegrenzte Am-Wind-Orgien. Zwischen den Dünen am Sandstrand und dem streng geschützten Salzsee Aliki gibt es unendliche Parkflächen und unbegrenzte Möglichkeiten, Großsegel olympischer Ausmaße aufzubauen.
3) Saravari
Der Kultspot mit dem schönsten Sonnenuntergang und einer urgemütlichen Taverne direkt am Strand. Der kleine Fischerort mit langem Sandstrand liegt an einer 1,4 Kilometer breiten und ebenso langen Bucht an der Westküste der Ost-Halbinsel. Sie ist eingebettet in Berge, typische Nordost-Winde schießen sideshore den Hang herunter, Nordwinde wehen side-on auf den Strand. Die Bucht ist 200 Meter weit stehtief. An einer Bergflanke liegt eine verlassene Feriensiedlung, die der Saravari-Bay ein leicht skurilles Ambiente beschert. Das Wasser ist wie in der Keros-Beach choppy, dafür hat Saravari weniger Verkehr auf dem Strip. Wem die abendliche Abgeschiedenheit gefällt – es gibt hier auch Apartments direkt am Strand zu mieten (über Siroko; außerdem hat dieses Center hier einen kleinen Windsurf-Ableger aufgemacht).
4) Moudros Bucht am Flughafen
Das Schönste an der Riesenbucht südlich des Flughafens sei, so schwärmen die Windsurfer, dass man hier garantiert keine Kiter trifft – die Hafenpolizei verbietet das Drachen-Beschwören im Acht-Kilometer-Umkreis des Flughafens. Das Wasser ist hier himmlisch flach – und das gleich im Doppelsinn: Oft gibt es nur Mäusefaust-große Wellen, aber hin und wieder auch verdammt wenig Wasser unter der Finne. Für Surfer, die Gesellschaft brauchen oder sich produzieren wollen, der falsche Ort.
5) Keros Wave
Im Süden der Hausbucht von Keros schaufelt der Wind eine Welle zwischen einem und eineinhalb Metern auf. Wer nicht von der Station aus raumschots in die Wellen glühen will, nimmt für die paar Kilometer das Auto. Parkplätze an dem schmalen Strand sind aber Mangelware. Eine Kapelle über den Wellen verspricht göttlichen Beistand beim Cutback. Der Platz zum Aufbauen ist begrenzt. Welleneinsteiger und Surfer, die es hassen, sich am Wind durch die Wellen zum Line-up zu kämpfen, steigen einfach seitlich ein und nähern sich auf Halbwindkurs den Wasserhügeln von hinten.
6) Red Rock
Ein markanter Felsbrocken gibt Red Rock im Schatten des antiken Weltkulturerbes Poliochni seinen Namen. Dass hier erstklassige Wellenbedingungen für Wave-Rookies herrschen, beweist der Portugiese Bruno Parcerias: Er betreibt hier eine Wellenreitschule: „Bei 15 bis 20 Knoten Wind und ordentlicher Dünung haben wir hier Wellen bis 1,5 Meter Höhe – von hinten gemessen“, verspricht Bruno. Er bringe Wellenreit-Einsteiger jeden Alters aufs Brett. Auch Red Rock ist für Waverider sehr sicher, sie werden schlimmstenfalls auf den Sandstrand geschwemmt. Der Red-Rock-Felsen liegt in Luv, dürften also keine Gefahr bedeuten. Faszinierend gruselig für geschichtsbewusste Surfer: Auf dem Meeresgrund liegen 5000 Jahre alte griechische Hafenanlagen. Über der Bucht thront die Ausgrabungsstätte von Poliochni; die antike Stadt gilt als Wiege der Demokratie.
7) Gomati
40 Minuten auf kurviger Gebirgsstraße und staubigem Feldweg, und schon liegt einem das Ho’okipa der Ägäis zu Füßen: Gomati, ein Name von edlem Klang unter den Waveridern. Die 1,1 Kilometer tiefe und 1,3 Kilometer breite Bucht an der Nordküste der Insel lebt vom Meltemi, der hoffentlich aus Nordost kommt und mit mindestens 22 Knoten (sechs Beaufort) faucht. Bei reinem Nordwind macht Gomati die Schotten dicht: closeout, unfahrbar. Die Wellen können hier vier Meter hoch werden. Könner steigen in der Nähe der Dolphin-Taverne ein und prügeln sich zum Line-up hoch, nicht so sattelfeste Waverutscher gehen ganz nach Nordwesten und steigen sideshore oder gar raumschots ein. Sie nähern sich dann von hinten der 200 Meter breiten Wellenzone. Auch hier sind keine felsigen Hindernisse im Weg (wenn man den Klotz rechts meidet). Friedlich wie ein Freeride-Spielplatz ist Gomati, wenn man vor dem Strand nach links abbiegt auf eine wilde, sandige Piste und ganz im Nordwesten der Bucht an den Sonnenschirmen einsteigt – sozusagen durch die Hintertür.
Secret Spots auf Limnos entdecken
Windsurfer mit dem Entdecker-Gen holen sich einen kleinen Mietwagen (Soft-Dachträger mitbringen) und suchen – je nach Windrichtung und -stärke – den idealen Spot. Und wenn der Wind mal Pause macht, gibt’s statt Beaufort Bildung. Ein spektakuläres Amphitheater in Ifestia, das dank des Windes eine natürliche Klimaanlage besitzt, wurde von Archeologen rekonstruiert. Und in Poliochni kann man durch 5000 Jahre alte Gassen wandeln. Wer einen tieferen Einblick in die Geschichte sucht, lässt sich von Anastasia (zu erreichen über das Hotel Keros Blue) durch die antike Stadt führen.
Revier-Infos Limnos
Anreise
Mit Aegean Airlines (oder anderer Airline) nach Athen und von dort mit Olympic nach Limnos. Kostet zwischen 500 und 650 Euro. Längere Windsurfboardbags passen angeblich nicht in die zweimotorigen Propellermaschinen von Athen nach Limnos. Alternative: Mit dem Auto oder Wohnmobil nach Thessaloniki oder Kavala und mit der Fähre (etwa vier Stunden) nach Limnos.
Reiseveranstalter
Stationen
Siroko Wind Club (sirokowindclub@g-mail.com, Tel. 0035 9883 402727) wird von Stefan Raev betrieben. Stationsleiter ist der Freestyle-Profi und frühere Worldcupper Aleksandar Avdzhiev. Nettes, internationales Publikum, Umgangssprachen Englisch, Deutsch, Bulgarisch; Tabou- und JP-Boards, NeilPryde-Riggs. Boardmiete eine Woche etwa 235 Euro, 2 Wochen 390 Euro Kosten: Storage für eigenes Material: 1 Woche 75 Euro, 2 Wochen 150 Euro. Anfängerkurse plus 7 Tage Materialmiete 325 Euro. Besonderer Service: 15-km-Downwinder von Plaka nach Keros. Surfclub Keros Boardmieten: 190/280 Euro (RRD-Boards, NeilPryde-Riggs).
Wohnmobil
An jedem Spot gibt es private Campingsites und Plätze; man sollte aber autark sein.
Mietwagen
Wenn man als Waverider jeden guten Wellentag mitnehmen will, braucht man einen kleinen Mietwagen. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit Garofalis Rent a Car; (garofalisrental.com) ab 35 Euro am Tag. Roller ab 15 Euro pro Tag (bei den Staubstraßen sind Zweiräder eher nicht zu empfehlen).
Straßen
Die Hauptstraßen sind gut, die Wege zu den Spots bestehen aus staubigen, steinigen Feldwegen; das eigene Auto möchte man da nicht drüberjagen. Auch mit Motorrädern sind die Dust Roads eine Qual. Entfernungen vom Hauptstandort Keros: etwa 40 Minuten nach Gomati, 15 Minuten nach Red Rock, 20 Minuten nach Saravari.
Wohnen
Nobel, nah und traumhaft über der Keros-Bucht gelegen: Das Hotel Keros Blue, das dem begeisterten Kiter Plamen Petrov gehört. 15 Minuten Fußweg zum Keros-Spot. Alternative in Keros: das luxuriöse Zeltcamp Surf Club Keros mit Shuttleservice zum Spot. Viele Surfer wohnen im Keros-nahen Kalliopi (z. B. Keros Studios für 3 Personen 55 Euro pro Nacht). In Kontopouli (zentral gelegen) kostet das Tassos-Apartment ab 40 Euro. Sehr idyllisch an einer ganz ruhigen Bucht mit Taverne: die Villa Ataraxia mit Blick auf die Bucht, 60 Euro pro Nacht. Buchungen macht Alexandra vom Siroko Windclub gerne: sirokowindclub@g-mail.com
Restaurants
Das griechische Lebensgefühl speist sich aus Souvlaki und Ouzo: Und beides gibt es in unzähligen Tavernen. Zum Lunch fahren die Windsurfer der Keros-Bucht in eine Freilufttaverne auf dem Weg nach Kalliopi. Unvergesslich ist das Dinner direkt am Strand von Saravari. Hier begleiten Surfer, Kiter, Locals, Einheimische die glutrote Sonne in den Feierabend. Pflicht-Event! Ganz feinen Fisch bieten die Edelrestaurants direkt am Hafen der Stadt Moudros. Den Ouzo kann man direkt in einer der vielen Destillerien konsumieren.
Dieser Artikel erschien erstmals in surf 5/2020