Willkommen bei den Sch’ties!“ Spätestens seit diesem französischen Kinohit dürften viele ihr Bild über die Nordlicher Frankreichs revidiert haben. Klar, etwas eigenbrödlerisch sind sie vielleicht, der gesprochene Dialiekt „Ch’ti“ stellt selbst Inlandsfranzosen vor teilweise unlösbare Aufgaben und für das Wetter ernten die Sch’tis von den Landsleuten nur mitleidiges Kopfschütteln.
Aber wie auch im Film stellt sich bei genauerer Betrachtung alles als halb so schlimm und durchaus liebenswert dar. Dies gilt insbesondere, wenn man als Windsurfer die Region zwischen Boulogne und der Grenze zu Belgien entdeckt. Weil hier, im engsten Teil des Ärmelkanals, die Wolken vom steten Wind übers Land getrieben werden und das Meer dadurch mal tiefblau, mal düster und mal smaragdgrün leuchtet, hat sich die Region den Spitznamen Cote d’Opale – Opalküste – eingehandelt.
Die Opalküste ragt wie ein Zacken in den Ärmelkanal, der bei Calais nur etwas mehr als 30 Kilometer breit ist. Täglich passieren 400 bis 500 Schiffe die Engstelle zwischen Großbritannien und dem europäischen Kontinent. Die Engstelle führt einerseits dazu, dass Winde aus westlichen und nordöstlichen Richtungen kanalisiert und verstärkt werden – jahreszeitenabhängig pendelt sich die Quote von Tagen mit mindestens vier Beaufort zwischen 40 bis 80 Prozent ein. Andererseits findet man aufgrund des gebogenen Küstenverlaufs für viele Windrichtungen Spots mit Welle, Bump & Jump oder sogar Flachwasser, ohne, dass man dafür weite Wege in Kauf nehmen müsste.
Angesichts der exzellenten Bedingungen zwischen Dunkerque und Boulogne verwundert es nicht, dass es mit Jules Denel ein Opal-Local in die Spitzengruppe des PWA-Worldcups geschafft hat. Wer mal die Gelegenheit bekommt, ihn an seinem Homespot Wissant oder an einem der anderen Spots der Region zu bestaunen, sollte sich dies nicht entgehen lassen.
Allgemeine Infos:
Anreise: Die Region ist über ein gut ausgebautes Netz an Autobahnen schnell und einfach zu erreichen. Von Hamburg aus sollte man gut acht, von Köln knapp fünf Stunden einplanen.
Wohnen & Campen: Dass der Süden des Landes bei den Franzosen ungleich beliebter ist als der hohe Norden, macht sich insofern bemerkbar, dass es hier, abgesehen von den Sommerferien, meist deutlich entspannter zugeht. Zwischen Boulogne und Dunkerque gibt es zahlreiche Ferienwohnungen, Hotels oder Apartements, die sich über die üblichen Buchungsportale im Netz leicht finden lassen. Nicht nur in der Sommersaison ist wildes Campen definitiv kein Tipp, es werden üppige Bußgelder verhängt. Dank zahlreicher Stell- und Campingplätze ist die legale Variante allerdings problemlos möglich. Die Plätze selbst haben, anders als bei uns, oft keine eigene Website und sind dann über die Websites der Gemeinden zu finden. Hier eine Auswahl von Campingplätzen in unmittelbarer Strandnähe:
Boulogne/Wimereux: www.ville-wimereux.fr
Wissant: www.ville-wissant.fr
Sangatte: Camping Les Mottes Noires; Rue Pierre Dupuy (ohne Website)
Bleriot: http://camping-du-fort-lapin.fr
Petit-Fort-Philippe: www.camping-des-dunes.com
Dunkerque: www.campingdelalicorne.com/en/
Wind, Wetter & Neoprenempfehlungen: Die Straße von Dover liegt voll im Einzugsgebiete atlantischer Tiefdruckausläufer – moderate Sommer, milde Winter sind die Folge. Die Gleitwindquote ist ganzjährig hoch und schwankt zwischen 40 und 80 Prozent. Tiefs aus Westen ziehen vor allem zwischen September und Mai in feiner Regelmäßigkeit vom Atlantik hoch zur Nordsee – sie bringen nicht selten Wind für die kleinsten Segel, aber auch wechselhaftes Wetter mit. Weil Winde aus Südwest in der Engstelle zwischen Frankreich und Großbritannien kanalisiert werden und sich zudem ein Kapeffekt ergibt, pustet es an der nördlichen Opalküste meist deutlich stärker als anderswo. Ein langer 4/3er- oder 5/3er-Neo ist auch im Sommerhalbjahr empfehlenswert. Weil die Opalküste einen Rest des warmen Golfstroms abbekommt, wird es hier auch im Winter selten extrem kalt. Für hartgesottene Surfer muss – Winterneo und Schuhe vorausgesetzt – die Saison dann gar nicht enden. Ebenfalls ein Tipp ist die Region um Wissant in Phasen mit Nordostwind – vor allem zwischen April und Juli ist dies oft der Fall. Die Meerenge wirkt dann ebenfalls verstärkend. Die gängigen Wetterdienste berücksichtigen die örtlichen Gegebenheiten aber meist sehr gut.
Wellen, Strömungen & Gezeiten: Der Tidenhub entlang der Küsten hier ist massiv, er beträgt sechs bis sieben Meter! Dass bedeutet mitunter einen längeren Fußmarsch zur Wasserkante bei Ebbe, aber auch starke Strömungen an manchen Spots. Vor allem wenn Wind und Gezeitenstrom in die gleiche Richtung arbeiten, wird’s mühsam, der Begriff „Höhe laufen“ ist dann oft wortwörtlich zu verstehen. Einfacher wird die Sache, wenn Wind und Gezeitenströmung entgegengesetzt arbeiten. Bei Südwestwind ist die Phase nach Hochwasser, mit langsam ablaufendem Wasser empfehlenswert, bei Nordostwind hingegen der Zeitraum nach Niedrigwasser. Durch die Lage im Kanal werden große Swells vom Atlantik in der Regel geblockt, besonders bei starkem Südwestwind schaffen es aber auch fette Klopfer bis an die Küsten. Etwas Erfahrung in der Welle ist vor allem aufgrund der Strömung erforderlich, die breiten, flach abfallenden Sandstrände sind jedoch an vielen Spots durchaus aufsteigerfreundlich.
Surfstationen: Die Cote d’Opale ist in erster Linie mit eigenem Material ein Tipp, denn man muss den Spot, je nach Windrichtung und Gezeiten, auch mal wechseln. Große Verleihcenter findet man kaum, in den „Clube Nautiques“ beschränkt sich das Angebot in der Regel auf Anfänger- und Aufsteigerkurse und entsprechendes Material. Wer das sucht, wird hier fündig:
Boulogne: www.ycb.fr
Wimereux: www.club-nautique-wimereux.com
Sangatte: http://calais-voile.fr
Petit-Fort-Philippe: www.gravelines-basenautique.fr
Dunkerque: www.dunkerqueyachtingclub.fr
Shops: Wenn’s mal wieder ruppiger zur Sache ging, findest du Ersatzmaterial hier:
Boulogne: www.airwave-shop.com
Wissant: http://onelife-surfshop.com
Alternativprogramm: Die Cote d’Opale bietet mit ihren eindrucksvollen Küstenabschnitten und Städten durchaus Möglichkeiten, sich auch an Flautentagen zu beschäftigen. Mit SUP-Board oder Wellenreiter im Gepäck ist an den Tagen nach durchziehenden Tiefs oft noch reichlich Wasserzeit drin. Rund um das Kap Le Gris Nez kann man gut biken oder im Musée du Mur de l’Atlantique einen Einblick in die bewegte Geschichte der Cote d`Opale während des 2. Weltkriegs bekommen. Als Familientrip lohnt sich ein Besuch des Nausicaá Aquariums in Boulogne allemal und auch die Innenstadt von Calais kann man sich durchaus mal „antun“.
Schattenseiten: Während Tiefdruckphasen kann die Strömung sehr stark werden, in Verbindung mit gelegentlichen Regenfällen und kühlen Temperaturen sind „Schönwettersurfer“ hier nicht unbedingt am Ziel ihrer Träume. In den größeren Städten Calais oder Dunkerque sollte man – wie anderswo auch – keine Wertsachen offen im Auto liegen lassen.
Cote d`Opale - die besten Windsurfspots im Überblick
1 Boulogne
An der Westseite der Cote d`Opale befindet sich Boulogne, den Spot findet man am nördlichen Ortsausgang, nahe des Nausicaá Aquariums. Die vorgelagerten, massiven Molen des Hafens blocken größere Wellen ab, so dass man hier auch an stürmischen Tagen und als Freerider und Wellen-Einsteiger gut üben kann. Der Einstieg erfolgt über einen flach abfallenden Sandstrand mit größerem Stehbereich, die Strömung ist moderater als an anderen Spots. Einen Trip wert ist der Spot bei Windrichtungen von Südwest (sideshore) bis Nordwest (onshore). Die Welle wird selbst am nördlichen Ausgang des Beckens selten höher als hüfthoch, bricht sehr moderat, erlaubt aber trotzdem nette Sprünge und Wellenritte. Vor allem Südwestwind weht hier spürbar leichter als weiter nördlich in Wissant oder Calais, an stürmischen Tagen kann das auch ein Vorteil sein. An Leichtwindtagen ist Boulogne aufgrund seiner abgeschirmten Lage auch ein guter Spot zum Freeriden oder Tricksen. Einzige Einschränkung: Bei Ebbe muss man das Wasser mit dem Fernglas suchen.
2 Wimereux
Das schöne Örtchen Wimereux verdient aus vielerlei Gründen etwas Aufmerksamkeit. Die bunten Fassaden der Häuser entlang der netten Strandpromenade locken zahlreiche Touristen an, der Spot mit seinen tollen Wellen die Windsurfer. Bei starkem Süd- bis Südwestwind lässt Wimereux die Herzen aller geübten Wavesurfer höherschlagen. Startpunkt ist am südlichen Teil der Promenade, nahe des Club Nautique. Süd weht sideshore von links und eignet sich perfekt zum Wellenabreiten, die fettesten Klopfer laufen bei Südwest an den Sandstrand – perfekt zum Springen. Dann werden diese sogar deutlich höher als in Wissant, brechen dafür aber nicht ganz so kräftig über die Sandbänke. Die Zeit um Niedrigwasser ist am besten, dann sind auch die einzelnen Steinplatten in Luv gut sichtbar und stören nicht in der Surfzone. Bei Hochwasser reicht die Brandungszone dann bis an die steinerne Promenade heran – Windsurfen wird dann zum riskanten Unterfangen. Bei Swell aus West- und Südostwind kann es auch mal cleane Down-the-Line-Bedingungen geben. Dreht der Wind auf Nord, geht es spürbar moderater zu. Mit Wind von rechts werden die Wellen dann selten höher als kopfhoch und bei Nordost wird aus dem Wellenspielplatz ein feiner Flachwasserspot zum Heizen. Entlang der Promenade gibt’s zahlreiche Cafés und Restaurants. Local-Tipp: Bei Flut und Süd- bis Südostwind lohnt auch ein Abstecher ins wenige Kilometer nördlich gelegene Ambleteuse. Direkt am Fort Mahon laufen dann kräftige Brecher an den Strand – anspruchsvoll, aber gut!
3 Wissant
Malerisch eingebettet zwischen dem Cap Gris-Nez im Südwesten und dem Cap Banc-Nez im Nordosten liegt Wissant – einer der besten und beliebtesten Wavespots Frankreichs. Die lange gezogene Sandbucht teilt man sich mit vielen Kitern und Windsurfern, trotzdem gibt’s hier genug Platz auf dem Wasser. Der beste Startpunkt ist am nordöstlichen Ende des Örtchens, hier gibt’s die größte Chance auf einen Parkplatz und auch bei Flut kommt man hier noch gut ins Wasser, während vor der befestigten Promenade der Strand dann überspült wird. Ideal ist Südwestwind, dieser weht sideshore und bringt schnell kopfhohe, bei Sturm auch masthohe Brandung mit. Wenn große Wellen mit auflaufendem Wasser und westlichem Wind zusammenkommen, wird die Strömung brutal – über zehn Knoten (!) wurden hier schon gemessen. An moderaten Tagen kann man aber zu jeder Tide surfen und nach Herzenslust abreiten oder sich über die Rampen in den Orbit schießen. SSW-Wind kommt böig, kann aber epische Sideoff-Bedingungen bieten. Entspannter geht es bei NO-Wind am Spot zu, die Wellen bleiben dann moderater, bezüglich der Strömung ist auflaufendes Wasser dann entspannter.
4 Sangatte
Wenn es bei Südweststurm in Wissant zu wild zur Sache geht, lohnt ein Abstecher ins unweit nordöstlich gelegene Örtchen Sangatte. Die Wellen sind hier deutlich kleiner und gemäßigter und auch die Strömung ist zwar spürbar, aber weniger stark. An Tagen mit nur leichtem Wind kommt hier der Kap-Effekt am stärksten zum Tragen, in Sangatte bläst es bei Südwest (sideshore von links) oder Nordost (sideshore von rechts) immer einige Knoten stärker als anderswo. Ein Einstieg befindet sich direkt vor der Boulangerie, hier laufen die besten Wellen, das Parken ist aber schwierig. Einfacher ist dies am Ortseingang. Bei Niedrigwasser bis hin zur mittleren Tide ist der Spot auch für weniger geübte Surfer gut machbar. Bei Flut werden die Wellen besser, allerdings sind dann die zahlreichen Pfähle am Strand überspült und können zum gefährlichen Hindernis werden. Auch hier ist ONO-Wind gut fahrbar.
5 Bleriot
Der nach Norden ausgerichtete Strandabschnitt westlich der Stadt Calais ist leicht zu finden und dank eines großen Parkplatzes gut zugänglich. Bleriot funktioniert in einem großen Windfenster von Südwest über Nord bis Ost und ist bei Westlage vor allem dann ein Tipp, wenn der Wind in Wissant oder Sangatte zu auflandig dreht. Südwest kommt schräg ablandig und damit böig an, weht aber etwas schwächer als in Sangatte. WSW- bis W-wind ist ideal. Auch hier können Wellenfans jede Menge Spaß haben, im Vergleich zu Wissant bleiben Wellenhöhe und Strömung aber vergleichsweise moderat. Im Frühjahr bekommt man hier oft auch richtig gute Wellen-Sessions mit ONO- oder NO-Wind ab. ONO kommt sideshore von rechts und liefert die besten Wellen, die man an der Cote d’ Opale bei dieser Windrichtung bekommen kann. Einsteigen sollte man dann etwas weiter rechts, in Lee der Mole des Fährhafens. Damit wären wir auch schon beim einzigen Kritikpunkt des Spots: Den Schiffsverkehr sollte man im Auge behalten.
6 Bleriot – Base de Voile
Keine 500 Meter von der wilden Küste entfernt liegt mit dem See des Yacht Club Calais’ eine gute Flachwasseralternative. Das Becken ist bezüglich seiner Größe sehr überschaubar, bei westlichen und östlichen Windrichtungen aber groß genug, um ordentlich die Finne glühen zu lassen, an seinen Manövern zu feilen oder in der ansässigen Surfschule von Tom Souville einen Kurs zu belegen. Parken kann man am nördlichen Ufer hinter dem Yachtclub. Für die Benutzung des Geländes muss man zahlen, dafür kann man dann aber auch die komplette Infrastruktur samt Duschen, Umkleiden und Parkplatz nutzen.
7 Petit-Fort-Philippe
Der Spot ist auch unter dem Namen „Gravelines“ bekannt und funktioniert in einem großen Windfenster von Südwest bis Ost-Nordost. Einsteigen kann man östlich des Damms am Leuchtturm und etwa drei Stunden vor bis drei Stunden nach Hochwasser wird ein großer, sandiger Bereich geflutet, es entsteht ein riesiges Stehrevier, in dem man jederzeit sicher üben kann. Kein Wunder also, dass sich hier auch ein Wassersportcenter niedergelassen hat. Auch bei Starkwind bleibt es bei kleinen Chops, die selbst für Aufsteiger gut zu meistern sind. Das einzige Risiko besteht darin, bei ablaufendem Wasser einen langen Weg mit dem Material zurück zum Strand in Kauf nehmen zu müssen. Dass sich hier ein großes Kernkraftwerk hinter dem Spot befindet, kann man angesichts der tollen Spotbedingungen mal in Kauf nehmen. Bei NO-Wind kann man auch auf die Westseite der Flussmündung wechseln.
8 Dunkerque – Dique
Wer auf eine Mischung aus industriellem Ambiente und Dünenlandschaft steht, kann diese am „Dique“, jener Mole, die den Hafen der Stadt vor den Wellen des Meeres abschirmt, finden. Geparkt wird an der Route de la Digue du Braek, von der man auf der Südseite den Hafen, auf der Nordseite das Meer sehen kann. Fahrbar ist es hier mit Freeride- oder Slalommaterial schon bei leicht ablandigem SW-Wind, ideal ist allerdings WSW- bis WNW-Wind. Dieser weht dann sideshore bis sideonshore von links, aber etwas schwächer als an Spots wie Sangatte oder Bleriot, und schaufelt moderate Dünung an den Strand. In der Regel bleibt es bei Bump & Jump-Bedingungen, nur wenn der Westwind aus allen Rohren feuert, entsteht Brandung. Bei Flut wird der Ausstieg über die rutschigen Steine knifflig, das Wasser reicht dann bis an den Deich.