Du bist gerne mit dem Bulli oder Wohnmobil unterwegs und steigst nur noch selten mit Sack und Pack in den Flieger? Die Bretagne ist dir mit der Familie meist etwas zu ruppig, die Alpenseen an Ostern noch zu frisch? Tarifa? Die Fahrt zu weit? Und Sardinien, sagen wir mal, kennst du bereits wie deine Westentasche? Dann nichts wie los: an die Mittelmeerküste von Südfrankreich! Kaum ein Landstrich ist auf solch langer Distanz mit mehr Windsurf-Spots gesegnet: Im Prinzip von Perpignan, kurz vor der spanischen Grenze, bis Nizza, kurz vor der Grenze zu Italien.
Viele Windsurfer haben eine grobe Vorstellung der Region und haben schon mal von den vorherrschenden, starken Winden namens Mistral und Tramontana gehört, die diese Region ganzjährig segnen. Doch kaum jemand kennt sich auf diesem Landstrich von rund 500 Kilometern derart gut aus wie Local und Fotograf Jean Souville. Im Auftrag von surf klapperte er die Spots im Jahr 2016 ab, schoss haufenweise schöne Bilder, strukturierte das Ganze und teilte die attraktive Küste in drei Abschnitte auf.
Bei diesen drei Spot Guides mit allen Infos, um besser entscheiden zu können, wo es hingehen soll. Hier sollte wirklich für jeden etwas dabei sein: ob Ein- oder Aufsteiger, Flachwasser-Heizer, Trickser oder sogar Wavefreak. An diesem Küstenabschnitt kommt jeder zum Zuge.
Leucate und der Lac de la Ganguise als Alternative
Leucate
Leucate ist ein sehr familien- und campingfreundliches Ziel in Südfrankreich. Wer nicht unbedingt auf der Suche nach Wellen bei Sideshore wie in Carro bei Marseille ist, sondern Flachwasser bevorzugt (oder zum Beispiel ein- oder aufsteigende Kids dabei hat), ist hier bestens aufgehoben. In den letzten 25 Jahren gab‘s hier im Schnitt an 40 Prozent der Tage im Jahr Gleitwind, häufig auch mit über 25 Knoten. Dann kann es, vor allem für Einsteiger, selbst auf den geschützten und teilweise stehtiefen Étangs auch mal zu windig werden. Speedfreaks und Starkwindtrickser kommen dann bei ablandigem Tramontana auf der Mittelmeerseite – wie zum Beispiel zwischen La Franqui und Port la Nouvelle – voll auf ihre Kosten. Endloses Heizen nur wenige Meter von der Wasserkante: Das muss man als Flachwasserfan einmal erlebt haben. Wenn der auflandige Wind namens Marin einsetzt, ist der Spot kaum wiederzuerkennen – es baut sich eine gemäßigte Brandung auf. Mit dem Wohnmobil wird gerne autark und kostengünstig für 15 Euro am Tag (mit Frisch- und Abwasser) in Le Goulet, direkt am Wesh Center von Ex-Worldcupper Julien Taboulet und seiner Frau Caroline, gecampt.
Lac de la Ganguise
Dass Südfrankreich nicht nur an der Küste attraktiv ist, durfte surf-Redakteur Julian Wiemar im Jahr 2018 während einer dreitägigen Flaute am Strand von La Franqui erleben. Und zwar, als ihm während des von Flaute geplagten Europacups in Leucate Stimmen mit französischem Akzent von 4.7er Segeln und Schaumkronen auf türkisem Süßwasser zuflüsterten – dass nicht allzuweit entfernt, jetzt, in diesem Moment, sich an der Küste alle langweilten, aufs beinahe windstille Mittelmeer starrten und auf das Einsetzen des nächsten Tramontanas warteten. Das soll es leider hin und wieder geben, vor allem im Frühjahr gibt es in der Region von Leucate immer wieder Phasen, in denen sich an der Küste auch mal für ein paar Tage am Stück kaum ein Lüftchen bewegt, und nur ein schwacher Hauch von auflandigem Wind (Marin) übers Meer fächelt. Sollte sich solch eine Phase genau während des zehntägigen Aufenthaltes in den Osterferien einstellen, ist dies Fluch und Segen zugleich. Fluch für diejenigen, die an der Küste ausharren – und Segen für diejenigen, die schon einmal von der verborgenen, türkisen Erlösung namens Lac de la Ganguise im Hinterland von Leucate gehört haben.
An sonnigen Tagen, an denen kein Tramontana wütet, erwärmt sich das Landesinnere durch Sonneneinstrahlung oftmals stärker als das Mittelmeer vor Leucate. Somit entsteht ein Druckgefälle, und es baut sich tagsüber eine landeinwärts wehende Luftströmung auf, die hier durch besondere, topografische Gegebenheiten in Form einer Schneise zwischen zwei Gebirgsketten extrem gebündelt und beschleunigt wird. Und ziemlich genau in dieser Schneise liegt das überaus farbenprächtige Wunder namens Lac de la Ganguise.
Man mag seinen Augen kaum trauen, wenn man über die letzte, mit Rapsfeldern gekrönte Kuppe fährt, plötzlich wärmere Luft am Fenster vorbeischiesst und man den türkisgrünlich schimmernden See inmitten der Felder erblickt – und tatsächlich feststellt, dass überall weiße Schaumkronen darauf herumtanzen.
Auf der Südseite kann man am Segelclub Castelnaudarien parken und einsteigen, auf der Nordseite an einer kleinen, wilden Landzunge („Playa lago gangusse“ auf Google Maps). Auch wenn der Spot auf der Nordseite relativ schmal ist, weht der Wind dort aus Erfahrung noch etwas konstanter und man kann sich bis in den späten Nachmittag hinein austoben. Am Abend ist die Camping-Auberge auf der Südseite zu empfehlen – ein Ort der Geruhsamkeit inmitten der Natur, an dem man ruhige Nächte verbringen kann. Und der dazu einlädt, mit Blick auf den See den Grill anzuschmeißen und den Abend ausklingen zu lassen.