Mit den Brettern auf dem Dach und der ganzen Familie im Gepäck dem deutschen Winter für ein paar Wochen den Rücken zukehren. Wer wünscht sich das nicht?! Schnell war klar, es soll nach Kreta gehen. Die Tatsache, dass es im Internet wenig Informationen rund um das Windsurfen in den Wintermonaten dort gab, versprach uns die Möglichkeit, viel Neues entdecken zu können.
Ende Dezember war es für uns so weit – nach monatelanger Zeit des Wartens und der Planung konnte es endlich losgehen. Eine leichte Ungewissheit im Hinterkopf. Wie würde die Anreise mit unserem Campingbus ablaufen? Wir hatten ihn im Frühjahr professionell von Nordvan in Neumünster ausbauen lassen – das Team ein Glücksgriff. Ganz nach unseren Wünschen und Bedürfnissen wurde er individuell und funktionell an die kleine Familie und das Surfen angepasst.
Vollbeladen fuhren wir über die Alpen nach Ancona, wo es auf die erste Fähre ging. Eine geräumige Kabine wartete auf unseren Reisehund Lumi und Baby Kjell, das mit seinen drei Monaten auf seine erste große Tour sollte, auf Papa Alex und mich. Wir waren natürlich sehr gespannt, wie sich Kjell auf der Reise schlagen wird. Aus unserem Umkreis mussten wir uns immer wieder sagen lassen, dass eine Reise mit einem drei Monate alten Baby doch unmöglich sei. Die 23-stündige Fährfahrt verging wie im Flug und die Vorfreude aufs griechische Festland war groß. In Patras angekommen machten wir uns bei 50 bis 70 Knoten Wind, frischen acht Grad und Schnee, der bis fast ins Flachland reichte, auf den Weg zum Fährhafen Piräus. Bei dem Wind war klar, die Fähre nach Kreta darf nicht ablegen, auch die Vorhersage für die Nacht war nicht positiv für uns. Das machte unseren Plan, am nächsten Tag Surfen zu gehen, zunichte. Mit 17 Stunden Verspätung und Wartezeit auf der Fähre ging es dann endlich weiter. Nach weiteren acht Stunden und einer erstaunlich ruhigen Fahrt hatten wir unser Ziel erreicht: "Willkommen auf der schönen Insel Kreta!" Erschöpft und etwas betrübt ging es für uns bei nur noch vier Grad und Schneeregen in den Osten der Insel in das beschauliche Dörfchen Palekastro.
Noch einmal zur Erinnerung. Wir starteten bei zwölf Grad im Norden Deutschlands und kamen bei vier Grad auf Kreta an. Wer hätte das gedacht.
Nach einigen Tagen mit schlechtem Wetter und zunehmender schlechter Laune drehte der Wind aber auf Süd und uns erreichte eine Wetterlage vom afrikanischen Festland. Dies bescherte uns Sonne, Wind und Temperaturen um die 16 Grad. Im Osten der Insel warteten die unterschiedlichsten Spots auf uns, die unbedingt im Winter getestet werden wollten. Die Gegebenheiten an der Freak Surfstation am Kouremenos Beach waren, obwohl die Station nur von Mai bis Oktober geöffnet hat, für unsere kleine Familie die besten. Das direkte Parken am Strand und die Möglichkeit, dort mit Meerblick campen zu können, machten für uns diesen Platz im Osten einzigartig.
Wer eine Reise in der Saison plant und bei Flautentagen etwas Abwechslung sucht, hat auch die Möglichkeit, sich im Freak Mountainbike Center ein Bike zu leihen oder dort angebotene Touren zu buchen und mit dem Fahrrad die Insel Kreta zu erkunden.
Die Ruhe und die Natur ist in den Wintermonaten unbeschreiblich. Keine Massen an Touristen, keine vertrockneten Böden. Saftig grüne Kleeblätter mit knallig gelben Blüten bedecken den Boden unter den Olivenbäumen. Die Einheimischen sind fleißig bei der Olivenernte und freuten sich über uns neugierige Wintertouristen. Überall wurden wir herzlich begrüßt und lösten bei dem ein oder anderen Kretabewohner ein Gefühl von Saisonstart aus. Auch wenn wir den kältesten Winter seit 35 Jahren auf Kreta erwischt hatten, lagen die Wassertemperaturen bei etwa 17 Grad. Surfen ohne Kappe war also ohne Probleme bei Tiefstwerten von acht Grad Lufttemperatur möglich. Zu unserem Glück kam dies nicht allzu oft vor, und wir konnten öfter die Sonne bei Werten um die 18 Grad genießen.
Ein besonderes Highlight ist der Vai Beach, der von unserem Ausgangsort Palekastro nur acht Fahrminuten entfernt ist. Vai ist einer der berühmtesten Strände der Insel. Er ist einer der wenigen natürlichen Palmenstrände in Europa. Man fühlt sich sofort in die Südsee versetzt. Gerade im Winter ein echtes Paradies, keine Sonnenliegen, keine Touristen, der feine Sandstrand. Nach starken Süd-Ostwinden entsteht ein guter Swell zum Wellenreiten. Vom Wasser hat man einen Blick auf den Palmenwald – einfach einzigartig! Eine gut erreichbare Aussichtsplattform ermöglicht einen unbeschreiblich tollen Blick über die ganze Bucht.
In unmittelbarer Nähe des Kouremenos Beach befindet sich noch der Strand Chiona, wo selbst im Winter schon bei einer Vorhersage ab sechs Knoten aus Süd ein thermischer Wind entsteht. Segelgrößen um die vier Quadratmeter sind dann nicht selten.
Am östlichen Zipfel der Insel liegt der Spot Tender, welcher unter den jährlich wiederkehrenden Windsurfern immer mehr an Beliebtheit gewinnt. Dort befinden sich zwei Spots, welche nur durch einen kleinen Damm von einander getrennt sind. Auf der einen Seite Flachwasser, auf der anderen Dünungswellen. Der kurze Weg, der zur nördlichen Bucht führt, ist sehr abenteuerlich und steinig. Der Unterboden unseres Busses hat wie so oft schon auf Kreta Freude daran. Der kleine Strand am Dünungsspot ist ein gemütlicher Ort für die ganze Familie und ideal, um das Material geschützt aufbauen zu können.
Den einzigen richtigen Wave-Spot im Osten haben wir nördlich von Sitia in Faneromeni besucht. Auf der Fahrt dorthin hatten wir eine traumhafte Aussicht auf das türkisblaue Wasser. Direkt am Ufer befindet sich in der selbst im Winter kargen Landschaft eine kleine alte Kirche, die für eine besondere Stimmung sorgt. Auch dort war für uns weit und breit kein Tourist zu sehen. Die masthohen Wellen brachen sehr nah an den scharfen Felsen, was uns dann als flachwasserverwöhnte Windsurfer davon abhielt, dort ohne andere Surfer aufs Wasser zu gehen. Gerade wenn nur ein 370er-Mast im Gepäck ist.
Häufiger führten unsere Tagesausflüge in den Süden nach Xerokampos. Die Straße dorthin verläuft entlang einiger Schluchten, welche für geübte Wanderer eine tolle Abwechslung sind. Gerade im Winter führen die meisten Canyons sehr viel Wasser und das Durchwandern ist mit trockenen Füßen fast unmöglich.
Am weitläufigen Sandstrand Xerokampos kann es im Winter eine beachtliche Dünungswelle geben. Für jeden, der den Wind von rechts bevorzugt, ein absoluter Traumspot. Wir genossen dort im Laufe unseres Urlaubs einige schöne Surftage mit Segelgrößen zwischen 4,0 und 4,4.
Olivenbäume, soweit das Auge reicht, bunte Bienenkästen an den Abhängen und Ziegen auf den Bergstraßen. Auf der Insel Kreta wird heute noch sehr viel auf Tradition geachtet, dass haben wir häufig auch bei den selbst hergestellten Produkten in den Mini-Märkten feststellen dürfen. Frisch gepresstes Olivenöl und leckerer Bienenhonig haben wir auf Vorrat gekauft. Nicht nur der Geschmack, sondern auch der Preis ist dort einfach unschlagbar.
Für eine zweiwöchige Erkundungstour ging es für uns in den Westen der Insel. Dort an der Südseite besuchten wir die langgestreckte Halbinsel Paleochora, auch die Perle des Südens genannt. Dort kann man nicht nur im kristallklaren Wasser surfen, sondern auch in der bekannten Schlucht Samaria und Agia Irini wandern. Im Winter ist für das Wandern in den Schluchten an der Westküsten unbedingt ein Guide zu empfehlen.
Gefangen von der unfassbaren Schönheit des goldenen Strandes in Elafonisi und dem türkisfarbenen Wasser nutzten wir die Einsamkeit, um dort in der Lagune bei sonnigen 16 Grad und 20 Knoten Surfen zu gehen. In der Nacht nur umgeben von Sternen ist dieser Ort wunderbar zum Campen. Wir haben beim Wildcampen nie Probleme bekommen, dennoch sollte man wissen, dass dies auf der ganzen Insel verboten ist. Im Sommer ist Elafonisi der überfüllteste Ort der Insel und das Surfen in der Lagune überhaupt nicht zu empfehlen. Im Winter dagegen zeigt sich dieser Ort von seiner unberührten, paradiesischen Seite und lädt zum Verweilen ein.
Von Elafonisi fuhren wir die Küstenstraße entlang Richtung Norden nach Falasarna. Hier werden auf Plantagen große Mengen Obst und Gemüse angebaut. In den Wintermonaten findet man an dem Wave-Spot Side-Offshore-Bedingungen, die sonst im Mittelmeer eher selten zu finden sind. Die Wellen werden dann bis zu masthoch und ziehen auch einige einheimische Windsurfer an. Leider hatten wir kein Glück mit Swell und Windrichtung.
Eine besonders aufregende Tour wurde es zum Strand von Balos, welcher sich am nordöstlichen Ende der Insel befindet. Die Bilder, die im Internet zu sehen waren, animierten uns sehr, dort Surfen zu gehen. Das Navi sagte, für die letzten zehn Kilometer bräuchten wir noch 40 Minuten. Zuerst vermuteten wir, dies sei ein technischer Fehler, doch ziemlich schnell stellten wir fest, dass die Technik recht behalten sollte. Den Berg hinauf auf einer unbefestigten Straße, neben uns der Abhang, gelegentlich ein paar Ziegen, ansonsten nichts als Schotterpiste. Oben angekommen sind es noch 30 Gehminuten samt Material in die kleine Bucht. Im Sommer voller Badegäste, doch im Winter bei Nordwest- und Südwestwinden perfekt zum Surfen. Eine türkisfarbene Lagune, die bei beiden Windrichtungen Flachwasser zum Freestylen bietet.
Der Rückweg nach Palekastro brachte uns in die malerische Altstadt von Chania. Die kleinen Gassen und Tavernen waren urgemütlich und laden im Sommer wahrscheinlich noch viel mehr ein, dort bis in die Nacht hinein zu verweilen. Auch hier waren, wie überall auf der Insel, viele der Geschäfte und Tavernen noch in ihrem Winterschlaf, aber trotz dessen haben wir immer eine gemütliche Taverne für unsere kleine Familie gefunden.
Bei einem spontanen Stop in Elounda, gegenüber der Leprainsel Fortress Spinalonga, hatten wir dank des thermisch verstärkten Südwindes eine wunderbare Flachwasser-Session. Gerade im Winter ist dies ein Spot, der nicht zu vernachlässigen ist. Sowohl bei Süd als auch bei Nordwinden findet man hier gute Flachwasserbedingungen und tolle Möglichkeiten zum Campen. Nach dem Surfen konnten wir ausgepowert und ruhigen Gewissens auf den Wochenmarkt in Agio Nikolaos gehen. Eine farbenfrohe Auswahl an frischem Obst und Gemüse erwartete uns und wir verließen den Markt erst, als der Korb des Kinderwagens voll beladen war. Der frisch gepresste Orangensaft gehörte mittlerweile zu unserem täglichen Frühstück.
Das sonnige und warme Wetter machte es uns schwer, den Rückweg nach Deutschland anzutreten. Nach kurzer Zeit war unsere kleine Familie ein eingespieltes Reiseteam. Kjell genoss unsere volle Aufmerksamkeit und entdeckte schon mit seinen wenigen Monaten unglaublich viele Dinge, die er zuhause nie so früh hätte kennen lernen können. Der Gedanke an den Alltag und die Verpflichtungen zuhause trübten unsere Stimmung.
Diesmal hatten wir eine ruhige und unkomplizierte Fährfahrt nach Piräus. Auf dem Weg nach Patras machten wir auf dem Peleponnes einen Abstecher zur Landzunge in Deprano. An dem Spot ragt eine schmale, lange Sandbank, die wir nur über einen kleinen versteckten Strandweg hinter dem anliegenden Kieswerk erreichen konnten. Zum ersten Mal nach acht Wochen Kreta trafen wir dort auf Windsurfer, mit denen wir zusammen das letzte Mal die griechische Sonne genießen konnten, bevor es zurück ins kalte Deutschland ging. Wir können nur jedem empfehlen, die Insel Kreta auch im Winter zu bereisen. Vor allem jungen Familien können wir raten: Hört auf euer Gefühl, packt das Surfzeug ein und geht auf Reisen!