Wie bist du zur Meteorologie gekommen?
Ich habe Meteorologie und Geographie an der Universität in München studiert und habe dann sieben Jahre in der Klimaforschung gearbeitet. Das ist heute enorm wichtig, denn wenn man mal in der Klimaforschung beschäftigt war, ist man in der Lage, Dinge wie die lebhafte und kontroverse Diskussion um den Klimawandel mit der genügenden kritischen Distanz bewerten zu können. Aber mein Hobby war immer die Wettervorhersage, das Wetter allge- mein – und da vor allem auch das Extremwetter. Über den privaten Rundfunk bin ich zum Bayerischen Rundfunk gekommen – erst nur für den Rundfunk und dann wenig später für den Fernseh-Wetterbericht. Zu der Zeit gründete ich den privaten Wetterdienst „WetterService Dr. Sachweh“. Damals habe ich auch einige Artikel für das surf Magazin gemacht und eine Windvorhersage, die man per Fax abrufen konnte. Franz Schlittenbauer, der Gründer des Reiseveranstalters Surf & Action Company, hat mich daraufhin engagiert, um Gutachten für verschiedene Spots auf der Welt zu erstellen. Er war der Scout für neue Spots.
Dein Spezialgebiet ist die maritime Meteorologie, für einen Bayern eher unüblich. Was zieht dich aufs Meer?
Das stimmt, insgesamt habe ich vier Bücher über maritimes Wetter geschrieben. Sie sind im Delius Klasing Verlag erschienen. Eigentlich fehlt noch ein Wetter-Buch für Surfer – da überlege ich noch, ob ich das nicht machen soll. Mein Vater ist ein leidenschaftlicher Segler und nahm die Familie stets mit auf die Törns. So entdeckte ich den Segelsport für mich und durch die oft intensiven Wettererlebnisse an Bord erwuchs dann auch meine Leidenschaft fürs (extreme) Wetter. Wir haben in Köln gelebt und waren in Holland auf dem Wasser. 1997 bin ich mit meinem Vater bei der ACR-Regatta – einer Regatta für Cruiser über den Atlantik – in die Karibik gesegelt. Mein Vater hat das in seinem Ruhestand genutzt, um sein Segelboot in die Karibik zu überführen – und dann einige Jahre dort auf dem Schiff gelebt. Für mich war das ein großartiges Erlebnis und ich konnte feststellen, dass Passat nicht gleich Passat ist und im Osten ganz anders ist als im Westen in der Karibik.
Wie darf man sich die Erstellung eines Wetterberichtes vorstellen?
Für die Wetterberichte werden heutzutage einige der leistungsstärksten Computer der Welt verwendet. Man muss wissen, dass die Atmosphäre ein sogenanntes chaotisches System ist: Eine Unmenge an Faktoren wirken gegen- und miteinander – alles ist sehr schwer vorauszuberechnen. Man braucht von möglichst vielen Punkten auf der Welt ( nicht nur von den Stationen am Boden, sondern auch in der Luft) viele Werte über den aktuellen Wetterzustand. Mit diesen aktuellen Daten wird der Computer gefüttert. Er kennt alle meteorologischen Gleichungen und kann aus dem aktuellen Wetter das Wetter in der Zukunft errechnen. Dass der aktuelle Wetterzustand so wichtig für die Prognosen ist, haben wir in der Corona-Zeit erlebt. Dadurch, dass 80 bis 90 Prozent der Flugzeuge am Boden waren, fehlten zahlreiche Daten für die Berechnung. Jedes Flugzeug hat Sensoren für Temperatur, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und funkt ständig die Werte zum Deutschen Wetterdienst. Dass durch die Flugausfälle wesentlich weniger Daten zur Verfügung standen, hat tatsächlich die Qualität der Vorhersagen gemindert.
Du machst aber auch Vorhersagen für ganz lokale Bereiche, unter anderem bei großen Events.
Ich hatte die Ehre, der Meteorologe für die Leichtathletik-Europameisterschaft in München zu sein. Aber auch bei großen Konzerten wie von Robbie Williams oder Helene Fischer gebe ich meine kurzfristigen Prognosen für die Veranstalter ab, damit sie eventuell über Warnungen oder Absagen entscheiden können. Dazu nutze ich Regenradar-Tools wie das von Wetteronline, zusätzlich aber auch Spezialradarinformationen, die nicht frei zugänglich sind. Für einen weiteren Job bei den Rosenheimer Hagelfliegern nutze ich ein sehr präzises Tool namens Konrad. Für das Regenradar sind Radarstationen im Abstand von 200 bis 300 Kilometern vernetzt und können durch die Reflexion ihrer Strahlen Regen, Hagel oder auch Schnee erkennen.
Was bitte machen die Rosenheimer Hagelflieger?
Die gibt es bereits seit den Siebzigerjahren. Sie werden von Landwirten finanziert, aber vor allem auch von Autoherstellern, die ihre Neufahrzeuge auf Freiflächen geparkt haben. Die haben große Schäden zu erwarten, wenn der Hagel richtig groß, also dicker als zwei bis drei Zentimeter, wird. Falls Gewitterlagen mit Hagel zu erwarten sind, setze ich die Flieger am Morgen in so eine Art Alarmbereitschaft. Aber erst am Nachmittag lässt sich einigermaßen zuverlässig sagen, wo tatsächlich Gewitterzellen entstehen und die Gefahr von starkem Hagel droht. Dann schicke ich die Flieger los – und die „impfen“ die Gewitterwolken mit Silberiodid. Wichtig ist, dass man das macht, bevor das Gewitter schon in vollem Gange ist. Das Silberiodid bewirkt dann, dass es zwar unter Umständen dichter hagelt, dafür die Körner aber kleiner sind und damit keinen Schaden anrichten..
Kann man wissenschaftlich belegen, dass sich der Wind in den letzten Jahren verändert hat?
Die Veränderungen der Vergangenheit lassen sich durchaus durch wissenschaftliche Untersuchungen belegen. Der Blick in die Zukunft – also wie sich er Wind verändern wird – ist aus meiner Sicht nicht so einfach möglich. Die Windtrends der Vergangenheit sind vor allem von der Windenergie-Industrie vorgenommen worden, da sie natürlich sehr stark an der Entwicklung des Windes interessiert ist. Und da zeigt sich, dass der Wind in Mitteleuropa schwächer geworden ist. Diese Untersuchung ist sehr belastbar, da sie auf einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren zurückgreift.
Es gibt aber auch Ausnahmen. So ist er in der Ostsee nicht schwächer geworden, sondern tendenziell sogar etwas stärker. Und auch im westlichen Mittelmeer hat der Wind zugenommen. Auch in den tropischen Regionen ist der Wind stärker geworden, vor allem auch in Südafrika rund um Kapstadt. Es gibt aber auch eine Untersuchung, die sich mit dem zukünftigen Windtrend bei einem wärmeren Klima beschäftigt. Dieser Blick bestätigt zwar den allgemeinen Trend der Windabnahme über Mitteleuropa, hat aber drei, für uns interessante, Ausnahmen: So soll in der Ostsee der Wind weiter stärker werden. Auch der Meltemi im Mittelmeer soll zunehmen – und auch die windige Gegend um Tarifa soll noch besser belüftet werden.
Gibt es für die Zunahme des Windes in der Ostsee eine Erklärung?
Die Untersuchung sagt nichts darüber, aus welcher Richtung der Wind kommt. Es können also Ostwinde sein, aber auch mehr nördliche Winde. Die ließen sich folgendermaßen erklären: Es ist bekannt, dass sich das Azorenhoch immer weiter zu uns ausdehnt, was auch die generelle Windabnahme in Mitteleuropa erklärt. Aber ein Hoch kann sich nicht unendlich ausdehnen, irgendwo stößt es auf Widerstand. In unserem Fall scheint das der Tiefdruck über dem nördlichen Skandinavien samt dem Baltikum zu sein. Und in dem Zwickel zwischen dem sich ausweitenden Azorenhoch und dem Tiefdruck-Bollwerk über dem Baltikum liegt nun mal die Ostsee – und so ließe sich die prognostizierte Zunahme des Windes dort erklären.
Das Azorenhoch ist mitverantwortlich für die Passatwinde auf den Kanarischen Inseln. Hat die Veränderung des Hochs auch Auswirkungen auf den Wind dort?
Wenn man davon ausgeht, dass sich das Azorenhoch weiter in unsere Richtung verlagert, dann verändert sich auch die Lage des Kerns. Dadurch würde das starke Druckgefälle, das für den Passat auf den Kanaren verantwortlich ist, schwächer. Das würde auch eine Abnahme des Windes dort bedeuten. Aber ich sehe solche Prognosen, auch als Klimaforscher, sehr kritisch. Wir sind heute nicht einmal in der Lage, das Wetter für einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen zuverlässig vorherzusagen. Wie soll es uns dann gelingen, so weit in die Zukunft zu blicken? Derzeit will jeder von mir wissen, ob es einen milden Winter gibt und wir so gut durch die Energiekrise kommen. Es gibt tatsächlich Prognosen, dass es einen etwas zu milden Winter geben soll. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn uns stattdessen eine eiskalte Keule erwischt. Denn oft ist es so, dass nach mehreren milden Wintern das Pendel in die andere Richtung ausschlägt. Man darf sich den weltweiten Erwärmungstrend nicht so vorstellen, dass es gradlinig mit dem Temperaturen nach oben geht. Es gibt eher eine Wellenbewegung, bei der es auch Ausschläge nach unten gibt.
Generell wird der Wind in Mitteleuropa schwächer. Aber es gibt auch Ausnahmen – zum Beispiel die Ostsee.
Es gibt für uns aber auch die Gefahren von Extremwetter. Wird Wetter wirklich extremer?
Bei Extremwetter haben wir immer dramatische Bilder von Stürmen, Tornados, Hagel oder Flutkatastrophen vor Augen. Für mich ist aber die gefährlichste Entwicklung die Häufung von Hitzewellen, von denen wir in den vergangenen Jahren in Deutschland einige hatten. Allein in diesem Sommer sind in Deutschland durch Hitzewellen nachweislich über 4500 Menschen, meist ältere, gestorben.
Aber wir sehen in letzter Zeit auch gehäuft Tornados bei uns. Das kannten wir bislang auch nicht, oder?
Ich bin skeptisch, ob es tatsächlich eine Häufung von Tornados bei uns gibt. Es gab sie auch vor zehn, 15 Jahren. Doch heute hat jeder ein Smartphone und kann sie dokumentieren und ins Internet stellen. Dadurch sind sie natürlich überall präsent. Andererseits bin ich mit den Klimaforschern völlig d‘accord, die darauf hinweisen, dass eine wärmere Atmosphäre in der Lage ist, mehr Wasserdampf aufzunehmen. Das erhöht potenziell die Starkregen- und auch die sommerliche Unwettergefahr, zu denen Tornados ja auch gehören. Vor Kurzem gab es in Nordfrankreich eine ganze Reihe von Tornados, die über 150 Kilometer für eine Spur der Verwüstung sorgten. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Mittelmeer in diesem Jahr überdurchschnittlich warm war – und diese Wärme konserviert hat. mediterrane, überwärmte Luftmasse wurde durch ein Tief über Frankreich angesaugt und traft dort auf eine Kaltluftfront. Dort entstanden dann die Tornados.
Tornados und Extremwetter sind nicht nur dein Beruf, sondern auch ein großes Hobby von dir. Wie bist du dazu gekommen?
Mein Vater ist auch bei windigem Wetter mit uns gesegelt. Eine Initialzündung für meine Leidenschaft war wohl, als wir auf dem Boot einen starken Schirokko erlebten, der in eine Bora überging – und unser Boot auch ohne Segel eine enorme Kränkung hatte. Viele Leute empfinden das als bedrohlich – ich war da ganz anders.
Diese Eigenschaft teilte ich auch mit einigen Kollegen in Oberbayern, wo wir ja häufig starke Gewitter haben. So entstand eine echte Leidenschaft – und wie Starkwindsurfer ihr Mekka vielleicht in Tarifa oder auf Karpathos haben, so ist es für die Storm-Chaser die Tornado Alley in Oklahoma, Kansas, Nebraskas und Colorado. Dort fliegen wir im Mai und Juni zur Hochsaison der Tornados hin und fahren drei Wochen lang mehr als 10.000 Kilometer durch acht oder neun Bundesstaaten. Da geben die Gewitter den Weg vor, und wir wissen morgens nicht, wo wir abends landen. Das ist ein verrückter Road Trip. 2016 publizierte ich meine abenteuerlichen Erfahrungen in dem Bildband „Stormchasing“ im Delius Klasing Verlag.
Darf man sich euch dann wie eine wilde Horde von Draufgängern vorstellen?
Nein, absolut nicht. Wir wollen nicht mit Sensationsreportern in einen Topf geschmissen werden. Wir sind alles Meteorologen, darunter einige Experten vom Unwetterwarndienst des Deutschen Wetterdienstes. Und unser Ziel ist es, mit unseren Tools die Entstehung und die Zugbahn der Gewitter und Tornados vorherzusagen. Wir wollen den Unwettern nicht mit hängender Zunge hinterherjagen. Wir wollen schon da sein, bevor sie ankommen, um dann den Platz in der ersten Reihe zu haben, sie zu erleben und fotografisch und filmisch zu begleiten Das ist schon mehr als ein Hobby, das ist echte Leidenschaft – da sind wir den Surfern sehr ähnlich.
Vielen Dank für das Interview und die Mitarbeit an diesem Special. Michaels Sturmerlebnisse findet ihr auf Youtube unter „Michael Sachweh“. Ein Kalender mit vielen spektakulären und spannend beschriebenen Extremwetterfotos von Michael erscheint im Sommer 2023 im Delius Klasing Verlag (Geplanter Titel: „Wetterphänomeme 2024“).
Alle Teile des Wind-Specials:
- Der Westwind
- Der Ostwind auf der Ostsee
- Ora und Vento am Gardasee
- Der Föhn in den Alpen
- Der Meltemi in Griechenland
- Die Bora in Kroatien
- Der Schirokko im zentralen Mittelmeer
- Der Mistral in Südfrankreich
- Der Tramontana im nördlichen Mittelmeer
- Der Levante in Südspanien
- Die Passatwindzone
- Die Wurzeln der Passat-Winde
- Kernpassat – Im Zentrum des Passats
- Passat-Auslaufzone – Das Ende des Passats
- Interview: Klimaforscher Dr. Michael Sachweh – “Stürme jagen ist meine Leidenschaft”
- Windfinder: So entstehen Wind-Vorhersagen, das unterscheidet Forecast und Super-Forecast