Wind-SpecialOra und Vento am Gardasee

Dr. Michael Sachweh

 · 20.12.2022

Ora und Vento machen Lago-Surfer glücklich.
Foto: Michael Reusse
Des Deutschen liebster Windsurfsee verdankt seinen Hype den Winden Ora aus Süden und Vento aus Norden, auch Pelèr genannt. Seit den Achtziger Jahren pilgern die Funboard-Enthusiasten über den Alpenhauptkamm nach Süden. So zuverlässig das Windsystem am Gardasee grundsätzlich ist, so sensibel und fragil ist es auch – und hat schon so manchen Windsurfer zur Weißglut gebracht.

Surfen auf einem See, umgeben von hohen Bergen? Das kann ja nur in einem Flautendesaster enden! So denkt der Laie und Nichteingeweihte. In Wirklichkeit bietet der oberitalienische Gardasee ein für Surfer fast perfektes Portfolio zuverlässiger und gleitwindtauglicher Winde. Das Geheimnis des Windmotors dieses beliebten Alpenrand-Gewässers beruht auf seiner Lage zwischen der nördlichen Po-Ebene und den Südalpen, auf seiner Nord-Süd-Orientierung sowie einem Kanalisierungseffekt. Auf den benachbarten Seen hingegen sind die Winde eher mau und nicht allzu zuverlässig.

Der an der Schnittstelle zwischen Ebene und Gebirge gelegene Gardasee profitiert von thermischen Winden, wie sie typisch für Alpenrand- und Alpenvorland-Seen bei Schönwetter sind.

Die Ora aus Süden bringt moderaten Wind und dunstige Luft mit sich. 
Seit es Foils gibt, können Gardasee-Surfer ihre Gleittage noch mal deutlich erhöhen und die einzigartige Kulisse genießen.Foto: Michael BergerDie Ora aus Süden bringt moderaten Wind und dunstige Luft mit sich. Seit es Foils gibt, können Gardasee-Surfer ihre Gleittage noch mal deutlich erhöhen und die einzigartige Kulisse genießen.

In der kühleren Tageszeit strebt die Kaltluft der Zentralalpen via nordsüdlich verlaufender Täler der Po-Ebene zu. In der wärmeren Tageszeit ist es umgekehrt, dann saugt der tiefere Luftdruck der Zentralalpen den Wind der Po-Ebene zu sich.

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Nordsüdlich verlaufende Täler sind da die perfekten Windschleusen, zu ihnen zählt das Tal des Gardasees. Sein thermisches Windsystem ist so zuverlässig, dass die Winde eigene Namen haben. Zu den zwei bekanntesten gehören der Vento, in der Sprache der Fischer Pelèr genannt – das ist der Wind, der von den Bergen im Norden kommt. Die Südwind-Ora löst den kühlen Nord in der wärmeren Tageszeit ab. Dabei bekommen die Winde durch die schlauchfömige Verengung des Strömungs-Querschnitts im nördlichen Abschnitt des Sees erst den richtigen Kick (Venturi-Effekt). Hier liegt das Eldorado der alpinen Surferszene.

Typische Wetterkarte

Thermische Windsysteme wie die Land-Seewind- und die Berg-Talwind-Zirkulation benötigen zu ihrer Entstehung wolkenarmes Wetter und eine möglichst nur schwach ausgeprägte, großräumige Luftströmung. Mit anderen Worten: Die perfekte Großwetterlage für unsere Gardasee-Winde ist die Hochdrucklage.

Dabei macht es einen kleinen Unterschied, wo sich das Zentrum des Hochs befindet – und ob sich eine sehr warme oder eher kühle Luftmasse über den Zentral- und Südalpen befindet. Ideal ist ein Hochdruck-Schwerpunkt in der Nähe der Zentralalpen oder an der Alpennordseite – und eine kühle bis mäßig warme, möglichst nicht allzu überwärmte und dabei recht trockene Luftmasse. Das verleiht nicht nur dem Vento den richtigen Schub. Zugleich hat auch die Ora unter diesen sonnenscheinreichen Bedingungen gute Chancen, den Vento später am Tage zu verdrängen und mit ihm am Nachmittag in Sachen Gleitwind gleichzuziehen.

Die Kombination aus zuverlässigem WInd, angenehmen Temperaturen und italienischem Dolce Vita haben den Gardasee zum beliebtesten Windsurfrevier der Deutschen gemacht.Foto: Michael BergerDie Kombination aus zuverlässigem WInd, angenehmen Temperaturen und italienischem Dolce Vita haben den Gardasee zum beliebtesten Windsurfrevier der Deutschen gemacht.

Wirkungsgebiet

Das klassische Vento-Ora-Revier ist der schmale, mittlere und nördliche Abschnitt des Gardasees. Hier wehen die thermischen Winde aus Nordost bzw. Südwest und sind dank der topografischen Kanalisierung sehr zuverlässig und häufig – mit Gleitwind-Garantie besonders im Norden zwischen Malcesine und Riva am Nordufer.

Südlich etwa einer Linie Isola del Garda (im Westen) und dem Sporn des Berges Monte Lupia bei San Vigilio (im Osten) weitet sich der Gardasee. Hier haben die Uferpartien samt ihrem Hinterland eher Flachland-Charakter. Damit fällt der Venturi-Speedfaktor weg, zugleich mischen gern auch mal andere Winde aus Westen oder Osten mit. Hier im Süden sind die Winde also unsteter, insgesamt auch schwächer.

Wie es bei einem großen See, auf den etliche Gebirgstäler münden, oft der Fall ist, kennen die Locals am Gardasee noch eine Reihe anderer Winde. In der Nordwest-Ecke des Sees, bei Riva, gibt es manchmal nach Gewittern oder Kaltlufteinbrüchen in den Bergen kühle und mitunter stürmische Fallböen aus der Richtung des Ballinopasses – das ist der Balinot.

Besonders im Norden des Sees, und hier vor allem am Ostufer, wehen aus Schluchten und Tälern heraus nächtliche oder morgendliche Montes – sie sind lokal begrenzt, meist nur schwach, und erreichen selten das gegenüberliegende Gardaseeufer. Analog gibt es tagsüber, wenn Vento und Ora nur schwach ausgeprägt sind oder die Strömung gerade kentert, lokale auflandige Seebrisen, wie etwa die Gardesana, die im Uferbereich zwischen Garda und Sirmione die Mittagshitze lindert.

Hochsaison

Von Mai bis September zeigen sich Vento und Ora bei ruhigen Hochdrucklagen besonders oft, für die Ora herrscht von Mai bis Juli Hochsaison. In der Zeit entfaltet die Sonne ihre stärkste Erwärmungskraft, die Sogwirkung des alpinen Hitzetiefs ist maximal. Der Ora-Motor läuft dann wie geschmiert und auf Hochtouren.

So viele Surfschulen auf so engem Raum gibt es nur im Norden des Gardasees.

Auf den Vento ist ebenfalls im Sommerhalbjahr am ehesten Verlass, im Unterschied zur Ora ist er mitunter auch im April oder September sehr gut drauf. Das hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: Ein der Hochdrucklage vorangegangener Kaltlufteinbruch in den Zentralalpen stärkt den Vento, vor allem zu Beginn der Hochdrucklage. Auch Zeiten mit einer niedrigen Schneegrenze, wie sie für das Frühjahr typisch sind, können ein wahrer Adrenalinschub für den Nordwind sein.

Ora und Vento – zuverlässig, aber sensibel

Der nördliche Teil des Gardasees ist durch seine Lage gesegnet: Sowohl die kalte Berglust aus dem Norden als auch die warmen Luftmassen aus dem Süden werden zwischen den Bergflanken westlich und östlich beschleunigt. Damit das System funktioniert, braucht es ein stabiles Hochdruckgebiet.

Wind-Special Gardasee: HochdrucklageFoto: Dr. Michael SachwehWind-Special Gardasee: OraFoto: windinfo.euWind-Special Gardasee: VentoFoto: windinfo.eu

Typische Wind- und Wetterbedingungen

In der Nacht sammelt sich in den Alpentälern Kaltluft, die dann aufgrund des höheren spezifischen Gewichts der Luftmasse die Täler als sogenannter Bergwind hinabströmt. Gleich mehrere Kaltluftflüsse aus dem Trentino erreichen ganz im Norden des Gardasees die Uferbereiche und vereinigen sich dort zum Vento: Die Bergwinde des Ledrotals, des Varonetals sowie des Sarcatals oberhalb von Torbole.

Der Vento startet meist in der zweiten Nachthälfte in der nördlichen Gardasee-Bucht und erobert als recht böiger Nordnordostwind weite Bereiche des nördlichen Gardasees, erreicht bei Sonnenaufgang seine größte Stärke und dabei mehr und mehr auch den Süden des Sees. Typische Windstärken sind zwischen Riva und der Mitte des Sees auf der Höhe von Torri del Benaco drei bis vier, mitunter fünf Beaufort – im Süden erreicht er selten Gleitwind-Qualität, dort sind es meist nur zwei bis drei Beaufort. Zum Mittag hin flaut er dann allmählich ab, erst im Süden, später auch im Norden des Gardasees. Während der Vento weht, ist es verhältnismäßig kühl in klarer Luft.

Zur Mittagszeit kentert die Luftströmung, es wird dann vorübergehend schwachwindig, lokale, auflandige Seebrisen bekommen nun ihre Chance.

Nachmittags beginnt von Süden her die Ora den See zu erobern. Dieser Wind aus Süd bis Südwest trägt die Wärme der Po-Ebene zu den Spots. Sein Charakter unterscheidet sich grundsätzlich vom Vento. Die Ora weht recht stetig ohne besondere Böen und ist in der Regel mit zwei bis vier Beaufort auch schwächer als der Vento. Wie der Nordwind erreicht auch der Südwind dank des Venturi-Effekts zwischen den hoch aufragenden Bergen im Norden des Gardasees seine größte Stärke. Dort herrscht dann am Nachmittag konstanter Gleitwind.

Während die Ora weht, ist es warm – im Hochsommer mitunter schwül und dunstig. Über den Bergen bilden sich einige Quellwolken, die aber bei ausreichender Stärke des Hochdruckgebiets keine Chance haben, sich zu Wärmegewittern weiterzuentwickeln. Im Laufe des Abends flaut die Ora mehr und mehr ab und ist bei Sonnenuntergang surftechnisch meist nicht mehr nutzbar.

Die One Hour ist ein absoluter Lago-Klassiker. Wer innerhalb einer  Stunde den See am häufigsten überquert, gewinnt das Rennen.Foto: PrivatDie One Hour ist ein absoluter Lago-Klassiker. Wer innerhalb einer Stunde den See am häufigsten überquert, gewinnt das Rennen.

Verstärkungsfaktoren

Der Vento kommt umso mehr in Fahrt, je kälter es in den Bergen nördlich des Gardasees ist, wo er seinen Ursprung hat. Schneit es dort weit hinunter und bleibt der Schnee liegen, vollzieht sich die Kaltluft-Drainage in Richtung Gardasee mit großem Schwung. Das passiert naturgemäß am ehesten zu Beginn oder gegen Ende der Surfsaison.

Im Sommer wirken nächtliche Regenfälle in den Zentralalpen als wirksames Kühlmittel, um den Vento zum Starkwind zu machen.

Als effektivster Speed-Faktor für den Vento hat sich aber eine nördliche Überströmung der Alpen erwiesen. Während sich die Alpennordseite dann trotz hohen Luftdrucks in Wolken hüllt, ist die Luft in Südtirol, im Trentino und überall in Oberitalien kristallklar und der Himmel tiefblau. Denn hier weht der Nordföhn, er greift dem Vento unter die Arme und beflügelt ihn.

Locals sind zudem mit den zahlreichen, örtlichen Eigenheiten und Verstärkungen des Ventos bestens vertraut. Ist die Hauptrichtung des Ventos Nordnordwest, dann beginnt die Hauptdüse bei Riva und peilt das Ostufer an, wo die Bergflanken dem Vento bei Navene und Malcesine ei-nen gewaltigen Zusatzkick geben (Leitplankeneffekt). Ein Nordnordost-Vento hingegen pfeift vor allem im Uferbereich bei Torbole auf den See hinaus. In dem Fall streben die Locals dem Westufer zu, wo der Nord bei der Reamol-Huk seinen Extrakick bekommt.

Bei der nachmittäglichen Ora kennt man nicht solch ausgeprägte Speedfaktoren wie beim Vento. Sie ist besonders gut entwickelt, wenn der Hochdruckschwerpunkt östlich des Sees in Richtung Ostalpen liegt.

Manchmal weht die Ora im Südteil des Gardasees am stärksten. Das ist bei Bora-Wetterlagen der Fall, wenn ein lebhafter Ostwind über die Po-Ebene fegt und ein Strömungszweig in Gestalt des Vinessas seinen Weg bis zum südlichen Gardasee findet. Bei einer solchen Wetterlage gibt’s lange Gesichter bei den Surfern im Norden des Sees, die vergeblich auf eine stramme Ora warten. Dort funktioniert der Venturi-Effekt ja nur bei der klassischen Ora mit südlicher bis südwestlicher Strömungsrichtung – für diese Südost-Ora hingegen sind die Bergflanken dort kein Speed-Faktor, sondern ein Hindernis.

Störfaktoren

So zuverlässig und mitunter lebhaft Vento und Ora im Sommer auch wehen: Als Bestandteil einer thermischen Berg-Talwind-Zirkulation sind sie doch ein zartes Pflänzlein, das nur bei einer ungestörten Hochdrucklage gedeihen kann. Tiefausläufer, die von Westen oder Norden her in den Südalpenraum einbrechen, bedeuten das Ende von Vento und Ora. Bereits bei der Annäherung eines Tiefausläufers ist das Windsystem gestört. Eine Front aus Westen kündigt sich zum Beispiel durch Wolkenverdichtung, eine Unterdückung des Ventos und eine vorübergehende Verlängerung der Ora-Phase an. Dabei frischt der Süd vor allem im Südteil des Gardasees auf und dreht auf Südwest. Diese nicht mehr ganz so waschechte Ora, die Regenfällen aus Westen vorausgeht, heißt Ander.

Eine nur schwach ausgeprägte sommerliche Hochdrucklage bei großer Schwüle fördert die Bildung lokaler Wärmegewitter in den Bergen rund um den Gardasee. Sie haben ihr eigenes Windsystem und stören oder beenden die Ora. So übt ein sich entwickelndes Gewitter einen Sog aus, die Winde streben dann der jungen Gewitterzelle zu. Auf dem Höhepunkt der Gewittertätigkeit und auch danach bestimmen die Kaltluftausflüsse des Regens die Winde. Dann gilt: Der Wind kommt aus der Richtung der stärksten Regenfluten, oft sehr böig und mit Starkwind- oder gar Sturmpotenzial.


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