Auf die meisten Winde im Mittelmeergebiet ist nicht in dem Maße Verlass wie etwa auf die Westwinde an unseren Spots an der Nordsee. Entweder sie wehen als thermische Winde tagesperiodisch, mit einer erst mühsam am Vormittag in Gang kommenden Seebrise. Oder sie geben als episodisch erscheinende Winde Gastspiele, wie zum Beispiel Mistral, Bora und der Schirokko.
Eine rühmliche Ausnahme von dieser Regel ist der Meltemi der Ägäis. Auf ihn können wir uns im Sommer fast genauso gut verlassen wie auf den besten Freund oder die Freundin.
Er ist Teil der sommerlichen Etesien, eine das gesamte östliche Mittelmeer – mit Ausnahme der türkischen Riviera – beherrschende nördliche Luftströmung. Die Etesien ermöglichten den Griechen im Altertum den Handelsverkehr mit den ägyptischen und kleinasiatischen Völkern.
Einen Wermutstropfen müssen die Windsurfer allerdings in Kauf nehmen: Wohlige, mediterrane Wärme à la Adriaklima erleben wir dort nur an wenigen Tagen. Die nördliche Herkunft der Luft und der ausgesprochen lebhafte Wind mit entsprechendem Windchill-Effekt und vielen Schaumkronen versetzen den Wassersportler gefühlt an einen Nordseestrand. Andererseits verwöhnen uns die unglaublich vielen Sonnenscheinstunden und die subtropische Sonne der Ägäis. Volles Kontrastprogramm also – im Fachjargon ein Reizklima par excellence, das uns der Meltemi serviert!
Typische Wetterkarte
Im Sommer kommt der Westen des Mittelmeers unter die Fittiche des sich ausweitenden Azorenhochs, während über der Türkei und der Levante der Luftdruck sinkt. Der gesunkene Druck im Osten ist kein Schlechtwetter-Tief, sondern ein ausgedehntes thermisches Tief aufgrund der großen Aufheizung der Landflächen Kleinasiens und des Nahen und Mittleren Ostens. Diese großräumige Luftdruckverteilung ist im Sommer beständig – deshalb sind auch die Etesien, die sich aus dieser Großwetterlage ergeben, sehr zuverlässig und wehen als steter Luftstrom aus nördlichen Richtungen. Man kann diese stabile Strömung auch als den Passat des (östlichen) Mittelmeers bezeichnen, denn im Sommer erreichen die Winde eine Beständigkeit von 80 Prozent und mehr.
Auch in der Ägäis dominiert die Etesien-Strömung, hier nennt man sie Meltemi. Der Begriff geht auf das venezianische „bel tempo“ (schönes Wetter) zurück.
Die den Etesien und dem Meltemi zugrunde liegende Luftdruckkonstellation ist den ganzen Sommer über stabil, deshalb ist auf den Wind in der Regel von Mitte Mai bis Oktober Verlass.
Wirkungsgebiet
Der Meltemi ventiliert die gesamte Ägäis, von der Küste Makedoniens und Thrakiens im Norden bis zu den Stränden von Rhodos im Südosten, Kreta im Süden und denen der Peloponnes-Halbinsel. Die vergleichweise strammen Nordwinde des Meltemi gehen südwestlich und südlich der Ägäis in die etwas schwächer wehenden Nordwinde der Etesien über. Südostlich der Ägäis hingegen – also östlich von Rhodos und weiter in Richtung türkische Riviera – enden die Nordwinde ziemlich abrupt. Denn dort geraten sie unter die Windabdeckung des anatolischen Hochlandplateaus, werden rasch schwächer und drehen zugleich auf Südwest bis Süd.
In der zentralen Ägäis im Seegebiet der Kykladen weht der Meltemi besonders zuverlässig. Er beutelt die Spots von Andros im Norden bis zu Santorin und Anafi im Süden aber auch immer wieder mit Starkwindböen, die es in sich haben.
Hochsaison
Im Winterhalbjahr wechseln sich Südwindlagen mit Nordwindlagen ab. Diese Nordwinde sind aber kein Meltemi, sie sind Ausläufer von Kaltlufteinbrüchen auf dem nördlichen und östlichen Balkan. Mitunter übernehmen auch mal West- und Ostwinde das Regiment.
Von Mitte Mai bis in den Oktober hinein sind die Nordwinde des Meltemi die vorherrschende Luftströmung in der Ägäis. Hochsaison des Meltemi mit einer Häufigkeit von 7o bis teils über 80 Prozent ist die Zeit Ende Juni bis Ende September. Da ist der Nord besonders dominant und lässt sich weder von den thermischen Küstenwinden am Tage noch der sonst im Mittelmeer üblichen Neigung zur nächtlichen Windruhe groß aus dem Konzept bringen.
Die Allgegenwart des Meltemi prägt auch das Landschaftsbild: Windmühlen zieren Kuppen, die wenigen Bäume sind nach Süden geneigt (Windschur). Steinwälle halten nicht nur die Schafe im Zaum, sondern verhindern auch, dass der Acker abhebt. Viele Dörfer findet man auf den sonnigen und den vorm Meltemi geschützten Südhängen. Und oft sind die Gassen, wie zum Beispiel in der Chora von Naxos, ungewöhnlich eng und verwinkelt gebaut, um dem Wind den Zutritt zu erschweren.
Typische Wind- und Wetterbedingungen
Das Wetter ist meist sehr sonnig. Nur in Schwächephasen des Meltemi – oder wenn er mal pausiert – gibt es lokale Schauer und Gewitter. Diese entstehen in erster Linie auf dem Festland. Typisch für viele Meltemi-Tage im Sommer ist ein leichter Dunstschleier, der den Himmel überzieht.
Der Ägäis-Neuling, besonders der an Stränden, die nach Norden exponiert sind, wird staunen, wie kühl die Luft hier ist – trotz der subtropischen Breitenlage und starken Sonne. Schuld ist die nördliche Herkunft der Luftmasse und die Beigabe kühler Schwarzmeer-Luft. Eine Mitverantwortung trägt auch der lebhafte Wind, denn er bewirkt über den Seegang eine Durchmischung der oberen warmen Deckschicht mit kühlerem Tiefenwasser. Das derart abgekühlte, oberflächennahe Wasser kühlt natürlich auch die Luft. Aber immerhin reicht es an den gut ventilierten Stränden im Hochsommer für angenehme 27 bis 30 Grad.
Im Norden der Ägäis weht der Meltemi mit durchschnittlich drei bis vier Beaufort aus Nordost. Im zentralen südwestlichen und südlichen Sektor des Seegebiets sind es rund vier bis fünf aus Nord. Im Südost-Sektor (Dodekanes-Archipel) kommt der Meltemi aus Westnordwest bis Nordwest und ist hier mit fünf bis sechs Beaufort am stärksten. Auch wenn der Meltemi oft ganztägig weht, lässt sich doch ein gewisser Tagesrhythmus erkennen – mit einem Maximum vom Mittag bis in die Abendstunden hinein.
Verstärkungsfaktoren
Typisch für den Meltemi ist sein Pulsieren zwischen normalen bis schwächeren Phasen und Starkwindphasen. Der Übergang von einer schwächeren zu einer Starkwind-Phase erfolgt oft ziemlich abrupt. Nicht mehr als vier bis sechs Stunden braucht es, um vom moderaten in den Starkwind-Modus zu wechseln. Eine solche Starkwindphase hält für gewöhnlich ein bis maximal drei Tage an. Wird es gar stürmisch, ruht die Schifffahrt in der Ägäis. Dann sieht man nur noch vereinzelte, hartgesottene Segler mit stark gerefften Segeln, und natürlich die Starkindsurfer mit ihren kleinen Tüchern. Die topografisch stark gegliederte Inselwelt sorgt zudem für zahlreiche lokale Speed-Spots.
Bekannt für Düseneffekte: die Meerengen zwischen Euböa und Andros (Doro-Kanal), Kea und Kythnos, Paros und Naxos (die Düse reicht bis Ios), sowie zwischen Chios und der Halbinsel Çeşme. Bei perfekter Harmonie zwischen Windrichtung und Orientierung der Meerenge serviert Windgott Äolus eine Zugabe von zwei bis drei Beaufort!
Berüchtigt für ihre ablandigen Fallböen: die Bucht von Thessaloniki (bei starkem Meltemi Fallböen von den Chalkidike-Bergen, Chortiatis genannt), die Leeseiten der Inseln Kea, Andros, Tinos (Tsiknios heißt hier der Fallwind), Folegandros, Sifnos, Serifos und Ios. Übelste Fallböen auch im gesamten Archipel zwischen Naxos und Amorgos, sowie hinter steilen Kliffs an der türkischen Küste und des Dodekanes (z.B. Südwesten und Osten von Kos), in einigen Buchten im Süden von Karpathos (dem Mekka der Starkwindsurfer, hier besonders die Teufelsbucht – nomen est omen!) und örtlich an der kretischen Südküste (Bucht von Ierapetra, Golf von Mesaras) sowie vor Kap Tainaron (Peloponnes-Halbinsel Mani).
Störfaktoren
Besonders in Mai und Oktober muss sich der Meltemi mitunter anderen Wetterlagen geschlagen geben (im Winter ja ohnehin). Dann dringen aus Westen oder Nordwesten teils gewittrige Tiefausläufer in die Ägäis ein. Bereits im Vorfeld der Fronten endet der Meltemi und wird durch südliche Winde ersetzt.
Aber auch im Sommer kommt der Meltemi-Motor manchmal ins Stottern. Ursache ist eine lebhafte Tiefdrucktätigkeit in Richtung Norditalien und nördlicher Balkan, die den Luftdruckgegensatz über der Ägäis vorübergehend abbaut und damit den Wind schwächt.
In der östlichen Ägäis, besonders an den Stränden der türkischen Küste, geht der Meltemi gelegentlich stark in die Knie, wenn die großräumige Nordströmung gen Nordost tendiert. Denn dann gerät diese Region in die Windabdeckung des anatolischen Hochlands. Für Festlandküsten gilt zudem: Ein schwächelnder Meltemi gibt seinem Gegenspieler – der auflandigen, thermischen Brise – Auftrieb. An Südküsten sind sogar Meltemi-Aussetzer möglich, zumindest vom Mittag bis zum Abend kann sich dann ein auflandiger Seewind aus Süd durchsetzen.
Meltemi – der Wind-Garant
Alle Teile des Wind-Specials:
- Der Westwind
- Der Ostwind auf der Ostsee
- Ora und Vento am Gardasee
- Der Föhn in den Alpen
- Der Meltemi in Griechenland
- Die Bora in Kroatien
- Der Schirokko im zentralen Mittelmeer
- Der Mistral in Südfrankreich
- Der Tramontana im nördlichen Mittelmeer
- Der Levante in Südspanien
- Die Passatwindzone
- Die Wurzeln der Passat-Winde
- Kernpassat – Im Zentrum des Passats
- Passat-Auslaufzone – Das Ende des Passats
- Interview: Klimaforscher Dr. Michael Sachweh – “Stürme jagen ist meine Leidenschaft”
- Windfinder: So entstehen Wind-Vorhersagen, das unterscheidet Forecast und Super-Forecast