Den eigenen Kindern Flügel zu verleihen, davon träumen wassersportbegeisterte Eltern – und beim Wingsurfen ist das möglich. Damit der Nachwuchs keine Bruchlandung erlebt, sondern beflügelt wird, sind einige Dinge entscheidend: Das passende Material, die richtigen Rahmenbedingungen und ein spielerischer Zugang zum Sport. Michael Rossmeier, Wingsurfer der ersten Stunde und Autor der bekannten Tricktionary-Bücher, hat selbst Kinder und verrät euch, wie ihr eure Leidenschaft am besten weitergebt.
Eltern = schlechte Lehrer
Grundsätzlich gilt natürlich die bekannte Tatsache, dass Eltern oder Partner oft keine guten Lehrer sind - einfach, weil der Respekt und die Bereitschaft voneinander zu lernen oftmals fehlen. Aus diesen Gründen kann ein Kurs in einer professionellen Surfschule absolut Sinn machen. Ralf Madert, der bei „Surfers Paradise“ schon seit 2019 Wing-Schulung anbietet, hat die Erfahrung gemacht, „dass Kinder ab einem Alter von neun bis zehn Jahren gut loslegen können, je nach Größe, Kraft und Motivation auch etwas früher.“ Wichtig ist, dass kein Druck aufgebaut wird, Spaß und Spiel müssen immer im Vordergrund stehen. Wer es seinen Kindern selbst beibringen will, sollte sich mit dem Wingsurfen, dem Wind und den Bedingungen vor Ort bereits gut auskennen, denn auch wenn Wingen grundsätzlich recht ungefährlich ist, sollte man Negativerfahrungen wie Abtreiben oder Angst vermeiden. Tipp: Eine Übersicht über viele Wingsurfschulen in ganz Europa gibt’s HIER.
Wingsurfen für Kids - die richtige Wing-Größe
Wings sind üblicherweise recht leicht, vor allem sobald ein wenig Wind weht, tragen sie sich praktisch selbst. Weil auch mühsames Trimmen entfällt, können Kinder grundsätzlich Erwachsenenmaterial benutzen, nur eben kleineres. Ralf Madert erklärt: „Wir schulen Kinder unter 12 Jahren mit kleinen 2,5er und 3,0er Wings bei idealerweise drei bis vier Windstärken. Diese Wings haben eine so geringe Spannweite, dass auch Kinder den Wing leicht umdrehen können, wenn er mal verkehrt herum auf dem Wasser liegt.“ Um an Land die Handhabung des Wings spielerisch zu lernen, kann es aber auch mal sinnvoll sein, einen großen Wing zu benutzen – diesen zu bewegen und zu drehen erfordert mehr Technik, was zum natürlichen Lernfortschritt beiträgt und auch viel Spaß machen kann .
Das Board – Hauptsache, es schwimmt!
Generell sollten die ersten Versuche immer ohne Foil und bei höchstens zwei bis vier Windstärken stattfinden. Lasst den Nachwuchs mit allem fahren, was das Board-Arsenal hergibt:
- Windsurf-Anfängerboards oder SUPs: Idealerweise mit Schwert oder Mittelfinne. Diese Boards sind bestens geeignet für erste Schritte zu zweit und sorgen für viel gemeinsamen Spaß auf dem Wasser.
- Body Boards & Skim Boards: Sie sind schwierig zu fahren, machen aber in nur wenigen Zentimeter tiefen Uferbereichen von Lagunen viel Freude.
- Soft Top Surfboards & Kite-Surfboards: Surfboards mit aufgeklebtem Softdeck sind ideal, um erste Wing-Versuche bei Leichtwind zu starten. Idealerweise versieht man diese mit einer umschnallbaren Mittelfinne wie dem „Add on Drift Stopper“. Vorsicht bei Wellenreitboards ohne Softdeck – sie werden leicht beschädigt.
- Windsurfboards: Standlack zerkratzt Wing-Tubes, daher sind moderne Boards nicht der beste Tipp. Gut geeignet sind alte und etwas gestreckte Shapes (z.B. ein „Sunset Slalom“, „F2 Comet“ etc.). Idealerweise solltet ihr Funboards ohne Schwert mit einer umschnallbaren Mittelfinne ausstatten.
- Wingboards: Für Leichtwind kann man nur den Foil-Mast als Finne benutzen. Achtung: Falls der Mast scharfkantige Ecken hat - zum Spielen unbedingt mit Tape abkleben!
Foils für Fippse
Foils sollten beim Wingsurfen für Kids erst ins Spiel kommen, wenn Handling und Steuerung des Wings klappen. „Ein 1500er bis 1700er Frontflügel“, erklärt Ralf Madert von „Surfers Paradise“, „ist für Kinder schon richtig groß, damit heben die sofort ab. Um den Auftrieb überhaupt kontrollieren zu können, montieren wir Kindern die Foils möglichst weit hinten. Die meisten haben den Dreh erschreckend schnell raus.“ Für Kinder mit einem Körpergewicht zwischen 30 und 50 Kilo reichen dann Frontwings mit 900-1100er Fläche absolut aus, sobald sie sicher Foilen und erste Manöver beherrschen.
Wingsurfen für Kids – mit acht Schritten in die Luft
Wie bereits erwähnt, der sicherste Weg geht immer über eine Surfschule, auch weil hier passendes Material eingesetzt wird. Wenn die Eltern als erfahrene Wingsurfer das Unterrichten übernehmen, sollte man keine langen Lektionen predigen und sich auf die wichtigsten Infos konzentrieren. Folgende Dinge sollten man dabei beachten:
1. Passende Rahmenbedingungen schaffen
Wähle einen möglichst freien Platz, wo der Wind nicht zu böig ankommt (keine Hindernisse in Luv & Lee) und sich keine scharfen Gegenstände befinden. Weicher Untergrund (Sand, Gras) ist ideal.
2. Schutzausrüstung verwenden
Surflehrer wie Ralf Madert lassen auch Kinder nie ohne Helm und Prallschutzweste loslegen, obwohl Wingsurfen kein besonders gefährlicher Sport ist. Während Schutzausrüstung beim Spielen mit dem Wing nicht unbedingt nötig erscheint, sollten sich Kinder trotzdem schon mal daran gewöhnen, denn sonst kann es vor dem ersten Flugversuch mit Foil Ängste schüren, wenn sie plötzlich mit Helm und Prallschutzweste ausgestattet werden. Wenn Kinder hingegen von Anfang an mit Helm üben, dann fühlen sie sich richtig stark und es wird dann nicht plötzlich „gefährlicher“ , wenn es aufs Wasser geht. Tipp: Tests von vielen Helmmodellen gibt’s HIER.
3. Faszination vermitteln
Interesse entsteht über die Leidenschaft der Eltern, aber noch mehr, wenn andere Kinder mitmachen. Wenn Eltern bereits sicher beim Wingen und die Bedingungen passend sind, können sie den Nachwuchs mit geeigneter Schutzausrüstung einfach mal eine Runde ohne Foil mit aufs Wasser nehmen. Dazu nutzt man am besten ein großes SUP-Board oder ein Windsurf-Einsteigerboard, um genügend Stabilität zu haben. Dabei kann der Nachwuchs auch mal den Wing übernehmen und spielerisch erste Erfahrungen sammeln.
4. Spielen, lenken, springen
In jedem Fall muss das Wing-Handling erst mal an Land geübt werden. Erwachsene sichern den Wing anfangs über den Handgriff an der Front Tube, damit kann man die Richtung und das Zugverhalten noch stark steuern. Je nach Vorkenntnissen machen Kinder die Positionierung des Wings oft intuitiv richtig und erkennen: Den Wing nur vorne zu halten lässt ihn kraftlos schweben, erst beim Dichtholen mit der hinteren Hand entsteht die richtige Power. Wenn das normale Handling des Wings an Land sitzt, kann man beginnen, mit dem Wing im Sand herumzuspringen – das macht richtig Spaß. Dabei lässt man den Nachwuchs die richtige Griffposition unter dem Wing einnehmen und gibt das Kommando zum Absprung. Dann zieht der Erwachsene die Front Tube am Griff hoch und hebt Wing samt Kind nach oben. Dabei gilt: Nicht loslassen und nicht zu hoch ziehen!
5. Den Dreh rauskriegen
Bevor es aufs Wasser geht, müssen Kinder den Wing alleine umdrehen können. Das sollte man üben. Tipp: Eine Hand greift am Hauptgriff der Front Tube, die freie Hand geht unter die Tube und drückt diese nach oben. Dabei den Wind als Hilfe nutzen.
6. Lange Leine
Nach wenigen Minuten Üben am Strand wollen die Kinder meist nur noch damit rumspringen. Also nimmt man sie jetzt an die lange Leine. Mit der Leash am Handgelenk können Erwachsene mitlaufen und beim Herumspringen sichergehen, dass keine groben Stürze durch Fehlsteuerungen passieren. Ist man der Meinung, dass die Zeit gekommen ist, können Kinder auch alleine mit dem Wing unter Aufsicht herumspielen.
7. Aufs Wasser, aber ohne Foil
Ab aufs Wasser! Beste Zutaten sind ein großes SUP oder Windsurf-Anfängerboard mit Schwert, oder aber ein großes Anfänger-Wingboard (ohne Foil). Anfangs reicht es, wenn der Wing gerade so schwebt, sechs bis acht Knoten sind ideal. Wichtig für die ersten Versuche ist ein Stehbereich und möglichst glattes Wasser ohne Hindernisse in Lee. Idealerweise lässt man Kinder so weit wie möglich in Luv starten, denn Abtreiben gehört dazu – umso wichtiger ist es, dass ein Anlandeplatz in Lee existiert oder man im stehtiefen Wasser zurücklaufen kann. Kinder sind meist so leicht, dass „normale“ Windsurfboards oder SUPs für sie extrem groß sind. Das Stehen ist daher kaum ein Problem, eher das Steuern und Kurshalten. Die optimale Standposition ist folglich meist recht weit hinten, um nicht geradewegs einen Vorwindkurs einzuschlagen. Diese Übungsphase ohne Foil sollte so lange dauern, bis das Höhelaufen kein Problem mehr darstellt.
8. Endlich Fliegen
An den ersten Flug mit Foil sollte erst dann gedacht werden, wenn der Nachwuchs den Wing umdrehen und intuitiv handhaben kann. Die Materialwahl ist für die ersten Flugversuche wirklich wichtig. Ein stabil fliegendes Foil, das wenig Wasserwiderstand bietet, ist hier zu bevorzugen - es sollte nicht größer als 1700 cm2 sein. Das Board sollte möglichst leicht sein, Kinder sind meist sehr viel leichter als Erwachsene und müssen schwerfällige, am Wasser klebende Boards, mit Kraft durchs Wasser schieben. Der Wing sollte der gewohnte sein, damit einem das Umdrehen und die Handhabung leicht fällt und bekannt ist. Flugversuche auf Halbwind- oder Amwindkurs beginnen, Fußposition erst schätzen, leicht seitlich rechts und links der Brettlängsachse. Sobald erste Versuche eine passende Standposition ergeben haben, diese vorzugsweise auf dem Footpad markieren.
Abschließend sollte man sich schon mal warm anziehen, denn es wird nicht lange dauern, bis einem der eigene Nachwuchs um die Ohren fährt. Und spätestens dann ist Wingsurfen so richtig zum Familiensport geworden.