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Wildwasser ist für die einen die Königsdisziplin des Stand-up-Paddlings, für die anderen ein Buch mit sieben Siegeln. Eins aber bietet das Paddeln in bewegten Gewässern auf jeden Fall: Spaß, Adrenalin und Abenteuer zugleich. Ins Wildwasser sollte man nie alleine gehen. Im und am Fluss lauern deutlich mehr gefährliche Stellen und Gefahrenpotenziale als auf dem See. Daher mindestens immer zu zweit zu einer Flusstour starten. Dazu gehört auch eine gründliche
Vorbereitung: Check des Pegels und des Wetters, Einlesen in den Flusslauf, Beschäftigung mit gefährlichen Stellen, Ein- und Ausstiegen, Umtragestellen, nicht zu betretenden Uferbereichen (Naturschutz, Vogelschutz, Privatgelände) sowie Material-Check und -prüfung. Ist alles geprüft und die Vorbereitung abgeschlossen, kann’s aufs Wasser gehen. Wie man mit optimaler Fahrtechnik durchs Wildwasser kommt, erfahrt ihr vom Fahrtechnik-Experten.
Das Wasser lesen
Bevor wir uns ins Wildwasser wagen, sollten wir wissen, wie sich die Strömung auf unser Board auswirkt. Jeder Fluss hat eine Hauptströmung, die in der Regel das meiste Wasser hat und auch die beste Fahrlinie bietet. Kommen Hindernisse wie Steine sowie Äste oder Bäume über, im oder unter Wasser dazu, kann ein anderer Fahrweg, etwa in einer Nebenströmung, notwendig sein. Den besten Weg entlang des Flusslaufs zu finden, ist Teil des Wasserlesens.
Im Bild oben ist der optimale Fahrweg ersichtlich: Der Paddler folgt dem Hauptstrom bzw. Hauptwasserlauf, da dieser meist tiefer ist als andere Flussarme. Zudem paddelt er, wo das Wasser am „ruhigsten“ ist. Dort ist es üblicherweise ebenfalls tiefer als bei aufgewühlten Stellen (kräuselndes Wasser), wo zudem Steine direkt unter der Wasseroberfläche liegen können. Die beste Fahrlinie führt darüber hinaus entlang der höchsten Wellen am Rande der Hauptströmung. Wer mehr Spaß haben will, kann direkt über die höchsten Wellen fahren.
Sichere Bereiche und ruhige Stellen im Fluss sind die Kehrwasser, die sich in der Regel hinter großen, aus dem Wasser ragenden Steinen und am Flussrand befinden. Im Kehrwasser kann man sich ausruhen oder auf andere Gruppenmitglieder warten. Steine, die unter der Wasseroberfläche lauern, können Wellen, Walzen oder Löcher erzeugen, die gefährlich sein können. Insbesondere unterspülte Steine können zu einer tödlichen Gefahr werden. Diese vor der Befahrung zu erkunden beziehungsweise während des Paddelns zu erkennen, gehört ebenfalls zum Wasserlesen dazu.
Wasser lesen ist nicht von heute auf morgen zu erlernen. Hierzu gehört vor allem Erfahrung. Am sichersten ist es daher, zusammen mit erfahrenen Wildwasserpaddlern auf den rum ipsaimar Fluss zu gehen, die den jeweiligen Flussverlauf kennen und auf Gefahren hinweisen. In Wildwasserkursen von SUP-Schulen wird das Wasserlesen genauso wie das kleine Einmaleins des Wildwasserpaddelns gelehrt.
Drei verschiedene Stances fürs Wildwasser
Wer einen SUP-Kurs auf einem See oder Meer besucht hat, für den sind Parallelstand (beide Füße nebeneinander in der Mitte des Boards beim Griff) und Surfstand (ein Bein vorn, das andere Bein hinten in einer Linie) ein Begriff. Im Parallelstand steht man in der Regel beim Vorwärtspaddeln, während der Surf Stance bei Wendemanövern wie dem Pivot-Turn zum Einsatz kommt. Beim Stand-up-Paddling im Wildwasser kommen zwei weitere Positionen zum Stehen oder Knien hinzu: Im Indian Stance steht man nicht wie im Surf Stance mit beiden Füßen in einer Linie, sondern auf dem Board versetzt hintereinander. Das heißt, wenn der linke Fuß linksseitig in Höhe der Brettmitte positioniert ist, befindet sich der rechte Fuß rechtsseitig auf dem hinteren Teil des Boards. Das Paddel sollte sich in diesem Fall auf der rechten Seite befinden, wodurch man mit der Standposition und dem Paddel ein stabiles Dreieck erhält und das Paddel als Stütze benutzen kann.
Noch mehr Sicherheit bei der Durchfahrt von Stromschnellen, Schwällen, Walzen oder Wellen gibt der Safety Stance, bei dem die Füße an den gleichen Stellen wie beim Indian Stance positioniert werden, man aber mit dem hinteren Bein nicht mehr steht, sondern stabil auf dem Board eine kniende Position einnimmt. Sobald man wieder sicher weiterpaddeln kann, geht man aus dem Safety Stance wieder in den Indian Stance zurück.
Die Seilfähre
Die Seilfähre hilft, ohne dabei flussabwärts zu treiben, von einer Flussseite zur anderen zu gelangen, um etwa die optimale Einfahrt in eine schwierige Passage vorzubereiten oder zu anderen Gruppenmitgliedern zu gelangen. Auch hier wird in der Regel aus einem Kehrwasser gestartet und man manövriert zum Beispiel zu einem auf der anderen Flussseite befindlichen Kehrwasser. Für Wildwassereinsteiger ist es in der Regel einfacher, vor dem Kehrwasserfahren zunächst die Seilfähre zu üben, da diese etwas leichter zu erlernen ist. Hierzu benötigt man aber auch eine geeignete Übungsstelle mit je einem gegenüberliegenden Kehrwasser am rechten und linken Flussufer. Bei der Seilfähre muss ebenfalls die richtige Kante belastet werden, nämlich wiederum die Kante, die zur Strömung zeigt, in die man einfahren möchte.
Kehrwasser: Aus- und Einfahrt
Eine der wichtigsten Strömungen beim Wildwasserpaddeln sind die Kehrwasser, die meist sehr gut zu erkennen sind. Die sichere Ein- und Ausfahrt in diese strömungsarmen, geschützten Bereiche hinter Steinen oder anderen Hindernissen zählt zum kleinen Einmaleins des Wildwasser-SUPens. Kehrwasser bieten von Beginn an auch ideale Trainingsmöglichkeiten, für die man zudem keine kilometerlangen Flussstrecken benötigt. An der Kehrwassertechnik kann an einer kurzen und geeigneten Übungsstelle stundenlang gefeilt werden, ohne dass es langweilig wird. Und auch nach jahrelanger Wildwassererfahrung macht das Kehrwasserfahren noch immer so viel Spaß wie zu Beginn der Wildwasserkarriere – auch wenn man in der Regel anfangs noch öfters ins Wasser fallen wird, weil man nicht die richtige Kante des Boards belastet hat.
Daher kommt es vor allem auf die richtige Belastung der Kante an, wenn man ins Kehrwasser ein- oder aus dem Kehrwasser in die Hauptströmung ausfährt.
Die Ausfahrt aus dem Kehrwasser (1 bis 5) erfolgt immer mit dem Bug gegen die Hauptströmung. Der Bug des Boards wird dabei aus dem Kehrwasser heraus in Richtung Strömung gelenkt (2 bis 3). Sobald der Bug die Kehrwasserlinie überschritten hat (4), wird die strömungsabgewandte Kante belastet, um Oberwasser zu vermeiden. Der Wasserdruck auf die Boardunterseite und ein Paddelzug (Ziehschlag oder Bogenschlag – je nachdem auf welcher Seite sich das Paddel befindet) lassen das Board zur Fließrichtung drehen.
Reinfallen erlaubt: Falsche Kantenbelastung merkt man in der Regel daran, dass man reinfällt. Aber das gehört zum Lernprozess. Wichtig bei der Kehrwasseranfahrt ist, dass diese möglichst direkt erfolgt, das heißt in einer möglichst geraden Linie zum Kehrwasser. Dabei sollte man im vorderen Bereich des Kehrwassers einfahren. Wenn sich das Kehrwasser beispielsweise hinter einem Stein befindet, sollte man diesen Stein ansteuern, um die Einfahrt vorne im Kehrwasser zu schaffen. Der Einfahrwinkel des Boards sollte dabei in der Regel zwischen 45 und 90 Grad liegen, je nach Strömungsgeschwindigkeit.
Interview mit Toby Hüther, Wildwasser-Experte
Toby Hüther ist einer der erfahrensten SUP-Wildwasserpaddler in Deutschland. Der gebürtige Saarländer betreibt den SUP Club Chiemsee, wo neben Stand-up-Paddling und dem Wing-Sport ein Fokus auch auf Fließ- und Wildwasser liegt. In Touren, Kursen und Reisen vermittelt Toby Hüther sein Wissen Wildwassereinsteigern oder testet neue Gewässer. 2022 wagte er mit zwei Freunden ein einzigartiges Experiment: mit E-Bike und SUP vom Chiemsee an die Adria nach Grado und dabei möglichst viele Flüsse paddeln.
Wie bist du zum Wildwasserpaddeln auf dem SUP gekommen?
Mit zehn Jahren hatte ich mein erstes Stechpaddel in der Hand. Kanuslalom war damals auch mein Einstieg zum Wildwasserpaddeln. Meine Trainer und Mannschaftskollegen haben mir von Kind auf eine solide Technik mit an die Paddelhand gegeben und mir den Einstieg in die Faszination des Wildwassers erleichtert. Nach circa zehn Jahren Kanuslalomsport verbrachte ich weitere zehn Jahre mit Kanu-Freestyle-Sport, bevor ich 2011 erstmals auf einem SUP-Board stand. Damals dachte ich auch direkt daran, mit dem Board ins Wildwasser zu gehen. Erste Erfahrung in der Strömung und mit kleinen Wellen sammelte ich anfangs auf dem Rhein, auf der Isar und auf der Reuss (Schweiz).
Was macht für dich die Faszination auf einem SUP-Board im Wildwasser aus?
Auf dem SUP-Board findet man oft kleinere und auch mal größere Wellen zum Surfen, die man mit einem Kajak oder einem kurzen Surfboard nicht surfen könnte. Das ist etwas, was mich immer wieder fasziniert. Im technischen Wildwasser, bei dem du deine Linie zwischen Steinen hindurchfinden musst, fasziniert mich, dass im Wildwasser im Grad III bis IV die Messlatte bereits sehr hoch hängt, aber die Gefahren darin noch relativ gering sind. Im Boot war damals meine obere Grenze bei Wildwasser im Grad V bis VI, wobei hier oft auch Gefahren lauerten, die dir bei einem Fahrfehler zum Verhängnis werden konnten. Den Adrenalinkick gibt es aber im Wildwasser-SUP trotzdem. Zu guter Letzt zählt auch der Zusammenhalt, den man mit dem SUP im Wildwasser erlebt. Denn im Fluss paddelst du in der Regel nie alleine, sondern in einer Gruppe auf dem Wasser, die durch gemeinsame Erfahrung zusammengeschweißt wird.
Wie gelingt der Einstieg ins Wildwasser?
Am einfachsten gelingt der Einstieg mit erfahrenen Paddlern oder in einer SUP-Schule, die Wildwasser-SUP-Kurse und -Touren anbietet. Hier werden die Basics fürs Wildwasser vermittelt. Die Sicherheit ist dann durch erfahrene Wildwasser-Guides stets gewährleistet. Ohne Erfahrung sollte man aufgrund des Gefahrenpotenzials nicht ins Fließwasser gehen, da hier andere Regeln und Gesetze gelten und andere Gefahren lauern als auf dem See oder Meer. Auch viele Vereine bieten inzwischen Kurse und Touren für Wildwasser-SUP an. Wer sich den Einstieg ins Wildwasserpaddeln erleichtern will, sollte zunächst vor allem an seiner Schlagtechnik feilen. Im Wildwasser sind vor allem Ziehschläge das Maß aller Dinge. Diese können sehr gut auch auf Flachwasser geübt werden. Auch das Gefühl für die Kantenbelastung kann durch Ankanten (Belastung der Kante, die zum Paddel zeigt) und Abkanten (Belastung der vom Paddel abgeneigten Kante) vorab geübt werden.