Na, das läuft ja prima. Unsere Paddelzeit beträgt gerade eine Minute und 25 Sekunden, und ich hänge bereits bäuchlings über meinem gekenterten Board. Neben mir eine johlende Gruppe Kanuausflügler. „Wenn Dicke reinfallen, wird noch mehr gelacht“, versucht mich einer zu trösten. „Ich weiß das aus Erfahrung“, sagt deren Anführer, tatsächlich auch wohl der Kräftigste im Boot und grinst so breit wie ein Paddelblatt. Ein sympathischer Kerl eigentlich, nur seine Worte spenden wenig Trost und helfen in meiner Lage nicht weiter. Ich zerre also am kopfüber schwimmenden Board mit den festgezurrten Taschen. Wie ein bleierner Kiel stabilisieren die unten im Wasser hängenden Packsäcke – vollgestopft mit Kameraausrüstung, Drohne, Grillwürsten, Bier und sonstiger lebensnotwendiger Ausrüstung – das kopfüber den Fluss hinuntertreibende Board.
Langsam wird auch die noch nicht richtig sommerliche Wassertemperatur spürbar. Dabei war eigentlich nur – mal wieder – passiert, was mittlerweile fast unser Touren-Klassiker geworden ist und sich meist mit einem hektisch ausgerufenen Satz wie „Ich paddle nur eben da rüber und mache ein Foto, gebt mir 30 Sekunden Vorsprung“ ankündigt. Wir hatten bis dahin nur das stehende Wasser im Paddeltunnel ehrfürchtig durchpaddelt, die Schleuse zu Fuß überwunden und waren noch nicht ansatzweise im Flussmodus angekommen. Und der Fluss fließt gleich zu Beginn der Tour so flott wie sonst nur an wenigen Stellen wieder. Da reichen dann offensichtlich schon die vielleicht vier bis fünf km/h Strömung bei der seitlichen Einfahrt in den Fluss, um einfach umgekegelt zu werden. Ich rette mich schwimmend und zerrend ans Ufer, und für das geplante Foto vor der Schleuse drücke ich dann den Auslöser von der anderen Flussseite – mit nassen Fingern und in triefender Montur – Fotos haben Vorrang.
Nachdem wir bei unserer Erstbefahrung dieses Streckenabschnittes im vergangenen Herbst, in dicken Neopren- und Trockenanzügen gut gedünstet am Ziel angekommen waren, hatten wir uns trotz noch frischem, aber nicht mehr eiskaltem Wasser diesmal für Sommer-Outfit entschieden – allerdings mit jeweils zwei Sätzen Wechselklamotten im Gepäck. Mit diesem Back-up paddelt es sich auch nach einem ersten Kleiderwechsel entspannt weiter – denn bei 25 Kilometern vor dem Bug paddelt man ansonsten, ohne Ersatz der Ersatzgarnitur, nicht mehr wirklich entspannt. Eine weitere Short und ein zusätzliches T-Shirt nehmen ja auch kaum Platz ein. Neben der spektakulären Kenterung hat uns bis hier bereits das unvergleichlich praktische Set-up für Flusstouren begeistert. Entlang der Lahn sind zahlreiche Campingplätze angesiedelt, und die Bahnlinie verläuft immer wieder entlang des Flusses mit Bahnhöfen, die dann an einigen Stellen nur fünf bis 15 Minuten von der nächsten Einstiegsstelle in den Fluss entfernt sind.
Perfektes Basislager
Wir hatten bereits bei unserer Herbsttour für unser Vorhaben einen idealen Platz als Basislager gefunden: den Campingplatz Lahntours, nur 200 Meter stromabwärts der Burg in Runkel. Jochen, unser Logistiker, der bereits unsere Viertages-Tour auf der Ruhr von Hagen bis Duisburg mit Bravour geplant hatte, war bei der Vorbereitung ein Blattschuss gelungen. Die drei Kriterien – wohnen direkt am Wasser, eine gute Pizzeria in Fußentfernung und eine rustikale Kneipe, wo man am Samstag das VFL-Spiel gucken kann – waren abgehakt. Die große Wiese des Campingplatzes liegt direkt am Fluss. Abends fällt der Blick auf das historische Schloss Schadeck im Abendlicht. Diese ehemalige Trutzburg gegenüber von Runkel ist allerdings bewohnt und nicht zu besichtigen. Ein Anstieg von Runkel aus über eine steile Treppe zum dort gelegenen Aussichtspunkt lohnt sich aber wegen des tollen Ausblicks auf den Ort und die Burg Runkel dennoch.
Die Pizzeria Amuni direkt auf dem Campingplatz ist auf jeden Fall empfehlenswert. Eine Reservierung ebenfalls. Unsere total objektive Referenz dafür: Als pizzaverwöhnte regelmäßige Gardasee-Besucher waren wir bei zwei Runkel-Aufenthalten viermal dort essen. Auf der offenen Campingwiese mischen sich Zelte und Wohnmobile, und am westlichen Ende steht ein fest installiertes Tipi-Dorf. Bereits in der Nebensaison – wir paddelten Anfang Mai dieses Jahres – fahren die Busse des ansässigen Veranstalters mit den Bootsanhängern emsig wie ein Bienenschwarm ein und aus. Hier dürfte im Hochsommer eine der Kanu-Hochburgen an der Lahn mit entsprechendem Paddelbetrieb entstehen. Wir benötigen für unsere aufblasbaren Boards keine Transporthilfe.
VIP-Shuttle
Wir ziehen die Tickets zur Tour ins Paddelglück am Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn. Der Streckenverlauf der Regionalbahn trifft auf unserem ausgesuchten Streckenabschnitt immer wieder auf den Fluss. Zum Bahnhof Runkel sind es nur knappe zehn Minuten zu Fuß. Die Station ist so groß wie eine Bushaltestelle, wir sind die einzigen Wartenden. Erst beim Eintreffen des Zuges öffnet sich das Gatter, dann sollte man sein Hab und Gut schon geschultert haben. Wir schleppen zum normalen Paddelgepäck noch umfangreiches Kameramaterial und sämtliche Ausrüstung für ein zünftiges Picknick inklusive Gasgrill ins Abteil. Es folgen etwa 25 Minuten Fahrt bis Weilburg, bei der wir uns schon auf die Landschaft einstimmen können, die wir in den folgenden fünf bis sechs Stunden durchpaddeln werden. In Weilburg nehmen wir den Weg über eine Fußgängerbrücke parallel zu den Gleisen ein Stückchen zurück. Dort befindet sich eine Rampe an einer Kanustation, die wir für den Stapellauf nutzen. Vermutlich herrscht hier im Sommer reger Kanubetrieb. Wir empfehlen die Tour grundsätzlich außerhalb der touristischen Hochsaison. Denn auch bei dem nun folgenden, spektakuläre Start in die Tour durch den Schiffstunnel Weilburg wird bei Hochbetrieb von teils chaotischen Verhältnissen berichtet, die Stand-up-Paddler aber nur zum Teil betreffen werden, denn vor der ersten Schleuse mögen sich zwar Unmengen Kanus stauen, aber wir müssen diese sowieso umklettern.
Andächtiger Tunnelstart
Gleich nach dem Einsetzen der Boards liegt rechts die Einfahrt in den Weilburger Schifffahrtstunnel. 195 Meter paddeln wir hier durch den Berg. Es ist der längste und älteste noch befahrbare Schiffstunnel in Deutschland. 1847 wurde der Tunnel fertiggestellt, der dadurch eine etwa zwei Kilometer lange Schleife der Lahn, die auch noch mit zwei Wehren gespickt ist, abkürzt. Andächtig steuern wir in die dunkle, kühle und auch etwas muffige Tunnelröhre. Sogar die üblicherweise nicht flüsterleisen Matrosen der Leihkanu-Flotte, die mit uns gemeinsam einfahren, dämpfen ihre Gespräche wie bei einer Kirchenbesichtigung. Spürbar verunsichert werden wir gefragt „Sind wir hier richtig?“, „Geht’s wirklich da rein?“
Am Ende des Tunnels ragt eine dunkle Wand empor, nur ein schwacher Lichtstrahl fällt hinein. Vor der rund vier Meter hohen Wand aus Stahl ist für uns Schluss. Die Benutzung von Schleusen ist in Deutschland für SUPs verboten. Bei unserer Erstbefahrung baute sich hier das erste Hindernis auf. Mühsam und mit Einsatz aller Erfahrung von alpinen Klettersteigen hangelten wir uns mitsamt Gepäck sehr mühsam die gelb-rostige Eisenleiter hinauf. Diesmal haben wir einige Meter robusten Tampen dabei. Damit lässt sich Board für Board, Tasche für Tasche nach oben hieven. Das geht erstaunlicherweise sogar schneller als die Kanutouristen die Schleuse bedient haben. Auch an weiteren Schleusen beobachten wir, wie unter den Bootsleuten nicht immer Einigkeit herrscht, in welcher Reihenfolge die Tore und die Klappen darin geöffnet und geschlossen werden müssen. Das geschieht eigenverantwortlich und mit Handarbeit an der Kurbel. Glücklicherweise verhindert die Physik, dass jemand beide Tore gleichzeitig öffnet und der Fluss ungebremst durchrauschen kann.
Womit wir beim Anfang wären, denn auf diesem einzigartigen und wirklich spannenden Einstieg folgte die unglückliche Kenterung. Nach dem Tunnel geht es erst mal recht flott stromabwärts durch das Landschaftsschutzgebiet Lahnauen. Unsere Fotodrohne bleibt deshalb auf dieser Tour am Boden. Auch aus der Froschperspektive genießen wir den Ausblick auf grüne Natur und die Anhöhen. Von der teils in der Nähe verlaufenden Straße nehmen wir kaum Notiz, sichtbar ist sie ohnehin nicht. Das Ufer ist nahezu durchgängig dicht bewachsen. Die erste wahrnehmbare Zivilisation ist erst wieder der Campingplatz Odersbach kurz vor einer scharfen Linkskehre des Flusses. Etwa ein Kilometer weiter wartet die nächste Schleuse.
Viermal umtragen
Insgesamt vier Schleusen versperren die freie Durchfahrt, diese sind aber immer sehr eindeutig markiert. Die erste Schleuse auf der freien Lahn ist die Schleuse Kirschhofen. Der Ausstieg ist, wie bei den folgenden Schleusen ebenfalls, über eine steile Treppe mit den beladenen Boards zu mühsam. Also laden wir jeweils das Gepäck von den Boards und laufen zweimal. Glücklicherweise sind die Tragepassagen nicht allzu lang. Außerdem ist dabei die beste Gelegenheit, sich mal zu setzen und die Ruhe zu genießen. Nur ein lautloser Angler teilt die entspannte Stimmung mit uns. Ohne viele Worte beißt jeder in seinen Apfel, Müsliriegel oder sein Pausenbrot und versucht, die gefühlte Entschleunigung zu konservieren. Die Lahn hatte sich nach dem kurzen, schnelleren Abschnitt zwischenzeitlich in ein sehr ruhig fließendes Gewässer gewandelt. Auf langen Teilen ist zusätzlich zu den zwei oder drei km/h Fließgeschwindigkeit auch viel Selberpaddeln angesagt, das sollte man bei der Zeitplanung berücksichtigen. Erst nach Schleuse Nummer drei kommt auf etwas einem Kilometer wieder höhere Fließgeschwindigkeit auf. Der Fluss ist jedoch auf allen Abschnitten sehr gut zu bewältigen. Im Gegenteil, wir genießen den kurzen zusätzlichen Schub, der weniger Paddeleinsatz erfordert. 28 Kilometer können schon lang werden.
Kurz vor Aumenau bietet sich am rechten Ufer, am Rastplatz Lahn, der Biergarten Käpt’n Flints Spelunke für eine Rast an. Von dort gelangt man ebenfalls in knapp 500 Metern Fußweg über eine Brücke zum Bahnhof. Nach knapp zwei Dritteln der Strecke wäre in Aumenau auch eine gute Gelegenheit für einen vorzeitigen Ausstieg aus der Tour und die Rückfahrt nach Runkel mit der Bahn. Die Bahn verkehrt auch an Wochenenden regelmäßig. Käpt’n Flints Spelunke interessiert uns allerdings gar nicht, denn einerseits hat der Käpt’n seine Kombüse so früh im Jahr offensichtlich noch nicht beladen, außerdem wartet in unserer Kühltasche noch eine Überraschung.
Vatertags-Feeling
Neben dem zerlegbaren Gasgrill samt Kartusche haben wir bis hierher Currywurst-Schälchen aus Porzellan mitgeschleppt, Edelstahlpikser, drei kleine Fiege Pils, eine Packung Toast und für uns drei ehemalige Bochumer Studenten natürlich die einzig echte Currysauce von Dönninghaus. Neben dem Naturerlebnis und der Bewegung an der frischen Luft, gepaart mit dem leichtfüßigen Vorankommen auf einem SUP auf dem Fluss, genießen wir im Rückblick und im Augenblick, was ein WLAN-loser Tag zu bieten hat: einfach stundenlang nebeneinander herpaddeln, reden wenn man möchte, oder schweigend gemeinsam genießen. So bleiben wir einfach am Ufer hocken, lassen den Fluss ungepaddelt vorbeifließen und legen erst in der Dämmerung den letzten Abschnitt auf der Straße zurück.
Ein Auto hatten wir hier vorausschauend deponiert. Die letzten Kilometer kennen wir von der vergangenen Herbsttour gut – wenn am linken Ufer schroffe Felswände in den Fluss hineinragen, sind es noch rund 20 Minuten bis zum ersten Blick auf die Burg Runkel. Diese wird seit 1159 erstmalig erwähnt, aber als noch älter geschätzt. Der Besuch dieser Burg ist möglich, und vom Hauptturm aus genießt man einen schönen Rundumblick.
Abschluss vor der Burg
Zum Abschluss wollen wir am nächsten Tag natürlich aber auch das Klassikerfoto vor der Burg machen. Der Bereich oberhalb des Wehres ist verlockend attraktiv, aber gesperrt, was auch sehr sinnvoll ist. Hier nach einem Sturz ins Wasser über das Wehr gespült zu werden, wäre lebensgefährlich. Doch auch kurz vor der Sperrzone, finden wir noch eine Perspektive, die die Runkelburg ins rechte Licht setzt. Hier darf auch Lucy kurz mit aufs Board, die bei der eigentlichen Tour natürlich nicht dabei war. Für diesen Anblick paddelt man vor der letzten Schleuse den linken Arm etwas weiter bis zum Verbotsschild. Aber auch nach Umtragen der Schleuse bietet sich unterhalb des Wehres noch die Gelegenheit für ein Abschlussfoto, bevor man nur wenige Meter weiter am linken Ufer im Kehrwasser hinter einer angelegten Schwelle fast direkt an seinem Zelt oder Camper anlegen kann.
Fazit zur Flusstour auf der Lahn:
Die Lahn zählt zu den beliebtesten Kanuwanderflüssen und wird von Kanuveranstaltern auf einer Länge von 160 Kilometern kommerziell bepaddelt. Der hier vorgestellte Abschnitt, 28 Kilometer von Weilburg bis Runkel, gehört in die Kategorie der abwechslungsreichen Herausforderung und ist auf dem SUP eine sehr ordentliche Tagestour, die wir nicht ohne Grund gleich zweimal gepaddel sind.